Zeitgenössische deutschsprachige Literatur und ich, wir haben’s ja nicht so miteinander. Das liegt, sehr vereinfacht ausgedrückt, daran, dass ich sie im Großen und Ganzen für unbeachtlich halte. Doch gebe ich ihr regelmäßig die Chance, mich eines Besseren zu belehren. Wenn also ein Buch wie Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten von Christian Kracht derart hysterisch gerühmt wird (u.a. von Gustav Seibt in der Süddeutschen), dann hole ich mir das.
Aha, Science Fiction – so nennen das die Fans des Genres. Wir Literaturwissenschaftlerinnen verwenden gerne das feinere „utopischer Roman“. In diesem Fall aus der Unterabteilung historische Utopie, also ein Roman, der von der Prämisse ausgeht, ein bestimmter wichtiger Abschnitt der Vergangenheit wäre anders verlaufen; ist bereits Topos geworden, diese Unterabteilung ist viele Regalmeter lang – und hauptsächlich englischsprachig. Das meiste davon ist besser als der Kracht-Versuch. Auf knapp 150 Seiten fantasiert Kracht eine heutige Schweiz, in der der Erste Weltkrieg seit 100 Jahren ausgetragen wird und die eine Sowjetrepublik ist. Dadurch sind natürlich viele Details des Alltags anders, einschließlich der Sprache. Wahrnehmungsebenen vermischen sich, es passiert ungeheuer viel ganz schnell und durcheinander. Alles ganz nett, doch ich frage mich, warum Science Fiction sonst in den deutschen Feuilletons als bäbä gilt, und dieser Roman nicht. Eine Stelle winkt sogar rüber zu billigen Krimis. Der Ich-Erzähler findet an einer Hauswand eine rote Schmiererei: „Ich zog den Handschuh aus, kratzte mit dem Fingernagel an der Farbe und roch daran. Es war Schweineblut.“ Yeah. Right.
Ich erinnere mich noch, wie zornig der Mitbewohner über die Anerkennung für den Film Crouching Tiger, Hidden Dragon war: Er mochte seit vielen Jahren asiatische Von-Dach-zu-Dach-spring-Säbelfilme und hatte sich oft deshalb belächeln lassen müssen. Wieso sollte dieser eine Vetreter des Genres plötzlich Kunst sein?
Selbst ohne besonderes Faible für Science Fiction fallen mir auf einen Schlag ein paar Bücher ein, die ich den Kracht-Jublern ans Herz lege („Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat…“):
– Robert Harris, Fatherland (Hitler hat den Krieg gewonnen.)
– Stephen Fry, Making History (Was, wenn Hitler nie geboren worden wäre?)
– Jasper Fford, The Eyre Affair (Unter anderem: Der Krimkrieg ist noch nicht zu Ende.)
– Ray Bradbury, The Martian Chronicles
Blade Runner sollten sie ebenfalls dringend anschauen.
Der Titel des Buches ist eine Zeile aus „Danny Boy“, die genauso unzusammenhängend rumsteht wie so viele Details der Geschichte. Im vorletzten Kapitel heißt es zwar endlich „tönte blechern und wehmütig ein altes irisches Volkslied“ – aber den Zusammenhang mag ich überinterpretieren, denn „Danny Boy“ ist weder alt noch ein Volkslied.
(Der erste Absatz des Romans ist übrigens wirklich gut.)