Die Step-Megäre

Freitag, 3. Juli 2009 um 8:50

oder: Darf man eine Choreografie verbessern?

oder: Warum Sie sich wünschen sollten, mich nie in Ihrer Aerobic-Stunde zu haben

(Ich konnte mich nicht für eine Überschrift entscheiden: Die erste ist ein arg angestrengter Versuch, Populäres mit Halbbildung zu verbinden, die zweite eine ebenso angestrengte Anspielung auf Robert Gernhardt, die dritte gibt die Auslegung des Folgenden arg vor.)

Ich bin die schrecklichste Stepaerobic-Teilnehmerin der Welt. Meine Ansprüche an die Choreografie und deren Aufbau sind so hoch, dass ich nur noch enttäuscht werden kann – und diese Enttäuschung lebe ich wütend aus.

Eine meiner nervigsten Macken ist, dass ich ziemlich stur Ansagen folge. Sagt die Vorturnerin einen turn an, dann führe ich einen turn aus. Lande ich damit woanders als die meisten Mitturnerinnen und stelle dadurch fest, dass die Vorturnerin mit turn zufällig ganz individuell einen basic turn übers Brett gemeint hat – führe ich trotzdem und trotzig den angesagten turn aus. Lautet das Kommando repeater, dann wiederhole ich den davor angesagten Schritt – auch nachdem ich gesehen habe, dass die Vorturnerin damit automatisch einen knee lift repeater gemeint hat. Weist die Vorturnerin einen box step auf dem Brett an, mache ich ihn auch dann weiter auf dem Brett, wenn sie einen basic step auf die kurze Seite des Bretts davorbaut.

Denn, so wüte ich in mich hinein, sie könnte ja einfach dazu auffordern, ihr zuzuschauen und die Bewegung in der gewünschten Abwandlung zu imitieren – das tue ich dann gerne. Es reicht sogar der Hinweis „Achtung! Variation!“, um mich zum Zuschauen und Nachmachen zu bringen.

So oder so spüre ich jede Unsauberkeit im Aufbau der Choreografie auf. Sollte ein Übergang nicht durchdacht sein und die Turnerinnen zu einem Riesenschritt zwingen, sollte sich irgendwo ein tap als Behelf zum Richtungswechsel eingeschlichen haben: Ich werde es merken. Und ich sorge dafür, dass die Vorturnerin merkt, dass ich es merke: Ich denke mir nämlich flugs eine korrigierende Änderung aus, die ich ohne Rücksicht auf die Verwirrung der um mich Turnenden in die Choreografie einbaue.

Sie merken: Ich bin ein entsetzliches Mimöschen in der Turnhalle. Um mich zur Feindin zu machen, reicht ja schon falsch ausgesprochenes Englisch. Dass der V-Step hierzulande fast durchgehend als We-Step ausgesprochen wird, habe ich nach all den Jahren wirklich und tatsächlich geschluckt. Aber macht die Vorturnerin aus einem tap up, tap down per Aussprache ein tape up, tape down, ist sie unten durch; Tapen gehört ganz sicher nicht zu den beim Aerobic notwendigen Sicherheitsmaßnahmen.

Eine Sonderreaktion ernten Vorturnerinnen von der aggressiv gutlaunigen Sorte, die laszive Bewegungen aus dem Pole-Dancing einfordern, gar mit dem Ruf „Sexy, sexy!“: Sie können ihren trainierten Arsch darauf verwetten, dass ich mit einem gemurmelten „¿Y tu tía Balbina que?“1 komplettverweigere.

Sie würden jetzt aber doch gerne mal anmerken, dass die einzige, die aus diesem Trotz Schaden hat, ich bin? Haha, haben Sie denn völlig den kleinkindlichen Triumph des „Geschieht euch allen nur recht, dass ich keinen Spaß habe!“ vergessen?

Das möglicherweise Schlimmste: Selbst, wenn ich an Trainerin und Choreografie nichts auszusetzen habe und die Stunde mir Spaß macht, wollen Sie mich nicht im selben Raum haben. Dann bin ich nämlich gerne mal so enthusiasmiert, dass ich die Trainerin zu besonders hohem Tempo und besonders vielen Durchgängen antreibe. Auf ihre Frage „Schafft ihr noch drei Mal“ plärre ich dann alles übertönend „Ja!“ – ganz egal, ob alle anderen Turnerinnen mit rotem Kopf und schlappen Bewegungen bereits in den Seilen hängen.

Dagegen bin ich machtlos, ein Spielball meiner Affekte.

  1. Beim Fluchen verfalle ich oft ins Spanische, ¡jo…! []
die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Die Step-Megäre“

  1. delka meint:

    Sollten Sie je einen Nebenerwerb in Erwägung ziehen: Sie wären der ideale Usability-Tester.

  2. Sigourney meint:

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    Genau!

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  3. croco meint:

    Wissen Sie, was ich glaube?
    Dass Sie eine ganz Nette sind, aber einfach gründliche Arbeit lieben.
    Und es nervt Sie, wenn andere ihr Tagwerk schlampig verrichten.
    Das hat wenig bis nichts mit Megäre zu tun.
    Sie hassen nur Dilettantismus, das ist alles.

  4. Jule meint:

    Genial! ich finde diesen Beitrag so genial, amüsant und lese nickend. Was für ein Wunder, dass ich gerade heute auf dieser Seite gelandet bin!!!
    Gedankenleserin? Aber wir kennen uns doch gar nicht…
    Möchte noch ergänzen: Warum kommt man sich Kurs komisch vor, wenn man die Arme passend einsetzt (so, wie ich es “annodazumal” gelernt habe)?
    Freu mich, demnächst wieder hier zu lesen. Wer weiß, vielleicht kommt ja demnächst ein Beitrag über Schulleiter, die keine Konferenzen leiten können?!?
    LG Jule

  5. Sebastian meint:

    Brett?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Das Turngerät beim Stepaerobic, Sebastian, wird auf Deutsch eigenartigerweise nicht Stufe, sondern Brett genannt.

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