Und dann hatten wir auch noch mit der Polizei zu tun. Das allerdings noch vor dem Ausflug nach London, nämlich in unserer Ferienwohnung in Brighton. Ich saß nach meinem Dauerlauf entlang dem Undercliff Walk geduscht und gestylt mit einem Glas Wasser vor dem Internet, als es an der Wohnungstür klingelte. Der Reisebegleiter öffnete, draußen stand eine Polizistin: In der Nähe sei am Vortag eingebrochen worden, ob wir etwas Ungewöhnliches bemerkt hätten. Nein hatten wir nicht. Die Polizistin (so richtig mit kariertem Hutband, wie aus den englischen TV-Krimis) bat uns eindringlich, die Türen und Fenster der Wohnung bei Abwesenheit immer ordentlich verschlossen zu halten, und verabschiedete sich.
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In London besuchten wir die Tate Modern. Wie schon bei meinen letzten beiden Besuchsversuchen war die spektakuläre Turbinenhalle leer: Umbau.
Bald glaube ich nicht mehr, dass hier überhaupt jemals etwas ausgestellt ist. Doch diesmal sah ich mir zumindest die restlichen Ausstellungsräume an. Besonders beeindruckt haben mich die sechs Cage-Bilder von Gerhard Richter. Gut möglich, dass ich hier zum ersten Mal Richter im Original gesehen habe; beim Blick auf Fotos seiner abstrakten Bilder konnte ich nie recht verstehen, was daran so bemerkenswert sein sollte. Das änderte sich schlagartig, als ich davor stand und mich gar nicht satt sehen könnte an den zahllosen Details, die vom Prozess ihres Werdens erzählen.
“No Ghost in a Shell” sprach mich ebenfalls sehr an: Zwei Künstler kaufen das Copyright an der Mangafigur Ann Lee vom Verlag, um sie zu befreien:
They subsequently commissioned other artists to appropriate the character and propose scenarios in which Ann Lee is liberated from ownership and can resolve the ambiguities of her fate. She is displaced from her original function as a minor figure in a cartoon and enters a virtual space where her rights to an identity and existence are constantly explored.
Abschließend und konsequenterweise überschreiben sie das Copyright der Figur selbst.
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Weitere Sinnenfreuden holte ich mir anschließend auf dem Borough Market: Käse von Neal’s Yard Dairy nahm ich auch mit, doch Fleisch, Wurst, Fisch, Gemüse, Süßigkeiten und Brot an den vielen Marktständen bestaunte ich lediglich. Hier gibt es sogar offenen, frischen Büffelmozzarella.
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Für den Abend hatten wir in Islington einen Tisch bei Ottolenghi reserviert – und bekamen das beste Essen der diesjährigen Englandreise (die unspektakulären Essen in Brighton berichte ich erst gar nicht). Der Ottolenghi-Delikatessenladen in Islington (sehr nette Gegend) ist der einzige mit einem richtigen Restaurant. Die Speisen auf der übersichtlichen Karte sind unterteilt in „From the Counter“ (kalte Vorspeisen und Salate) und „From the Kitchen“ (Warmes). Beides wird, wie die Karte informiert, in Tapas-Portionen serviert – man möge etwa drei Speisen für eine volle Mahlzeit einkalkulieren. Und so bestellten wir als Kaltes: gegrillte Pfirsiche mit Balsamico-Reduktion und Orangenaromen, Rinderlendenscheiben mit Koriandersoße, Auberginenmezze mit Sesampaste. Als warme Speisen: Kaninchen mit Topinamburpüree und Sternanis, Taubenbrust auf Mangold, Jakobsmuscheln mit roten Beete und Orange. Das sind nur die groben Beschreibungen der Gerichte: Sie waren alle aufs Feinste mit Gewürzen und Aromen abgestimmt, jedes für sich eine geschmackliche Entdeckung, alle perfekt gegart. Dazu gab es verschiedene Brote (auch Focaccia, auch scharfes Polentahaltiges) mit einem Schüsselchen hervorragendem Olivenöl.
Wir wurden beim Auftragen gefragt, ob wir uns die Gerichte teilen wollten. Wollten wir, also standen sie zwischen uns.
Die Weinkarte war für ein englisches Restaurant überraschend Europa-lastig; ich entschied mich für den Primitivo Falatone 2005. Die Kellnerin (wir wurden wurden sehr zuvorkommend von verschiedenen Damen und Herren bedient) freute sich über die Wahl, warnte und aber noch, dass der Wein sehr „earthy“ sei und gewöhnungsbedürftig. Er schmeckte uns sehr gut.
Auch Desserts aßen wir: Eine Zitronen-Mascarpone-Tarte, die gut, aber nicht sehr aufregend war, außerdem ein Apfel-Walnusskuchen mit Ahornsirupcreme – sehr gut.
Und doch fanden wir etwas, was das Restaurant nicht kann: Espresso. Mein abschließendes Tässchen enthielt etwas Schwarzes, Lauwarmes, Saures, das ich eigentlich hätte zurückgehen lassen sollen – was ich ja doch nie fertigbringe.
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Der Weg zurück zu Victoria Station, von wo aus uns ein Zug nach Brighton bringen sollte, hielt noch ein Abenteuer bereit: Wegen eines Personenunfalls (so verstand zumindest der Reisebegleiter die Durchsage) war der U-Bahnhof Victoria Station in beiden Richtungen gesperrt. Wir stiegen eins vorher aus, wo zwei Buslinien mit den gestrandeten U-Bahn-Passagieren völlig überfordert waren. Also entschieden wir uns für einen nächtlichen Fußmarsch zum Bahnhof, vorbei an Buckingham Palace.