Joseph Wechsberg, Gerda v. Uslar (Übers.),
Forelle blau und schwarze Trüffel

Sonntag, 14. Februar 2010 um 18:59

Natürlich habe ich mich ebenso wie Sie gewundert, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Doch als es bereits in der ersten der 17 Geschichten des Buches hieß, der Professor Internist habe im „neunten Distrikt“ Wiens gewohnt, verschwand die Illusion der Originalsprache – auch Anfang des 20. Jahrhunderts, als diese Szene spielt, war Wien in Bezirke unterteilt. Die jemand auf Englisch sehr wahrscheinlich „districts“ nennt. Das ist aber zum Glück die Stelle, die am deutlichsten als Übersetzung auffällt; sonst liest sich die autobiographische Vignetten- und Anekdotensammlung des Herrn Wechsberg wie ein deutsches Original.

Er wäre heute sehr wahrscheinlich ein Foodblogger, der 1907 geborene Herr Wechsberg, noch dazu ein guter. Und so musste ich bei der Lektüre von Forelle blau und schwarze Trüffel (erschienen 1953) sehr an das hoch geschätzte Büchlein von Herrn Paulsen denken. Joseph Wechsberg beginnt bei seiner Kindheit und der großen Abneigung gegen jegliche Nahrungszufuhr, mit der er seinen Eltern damals Sorgen bereitete. Später entdeckte er das Essen zu unserem Glück als Leidenschaft. Und so nahm er mich zunächst mit zu dem sonntagsmittäglich gedeckten Tafeln der besseren Wiener Gesellschaft. Ich zwinkerte Friedrich Torberg zu – der diese Szenen allerdings erheblich derber beschreibt.

Die Speisen seiner Studienorte Prag und Paris sind eigene Kapitel wert, später einzelne Lokale oder Speisen vor allem in Frankreich – immer aufgehängt an persönlichen Erlebnissen und den damit verbundenen Menschen, immer in angenehmstem Plauderton. Joseph Wechsberg nimmt seine sinnliche Wahrnehmung ernst, nicht nur beim Schmecken. Dem entsprechend werden Personen eingeführt, zum Beispiel:

Monsieur Raymond Thuilier war ein freundlicher, schnurrbärtiger Franzose, der aussah, als habe er soeben etwas sehr Angenehmes über sich gehört.

Am besten hat mir das Kapitel über die Bouillabaisse gefallen. Darin schildert Wechsberg, wo er die beste so benannte Fischsuppe seines Lebens gegessen hat: „Auf dem Vorderdeck der ‚Azay-le-Rideau‘ (…), als sie im Mittelmeer kreuzte.“ Zubereitet hatte sie „Étienne-Marcel, der pergamentgesichtige Zimmermann an Bord der ‚Azay-le-Rideau‘.“ Wechberg verdiente sein Geld auf diesem drittklassigen Kreuzfahrtschiff als Bordmusiker. Die sonstige Besatzung bestand aus Griesgramen, die sich in Anstellungen auf Luxusschiffen etwas zuschulden hatten kommen lassen, und nun auf dieser „schwimmenden Teufelsinsel der Gesellschaft“ arbeiten mussten. In vielen Details beschreibt Wechsberg, wie Étienne-Marcel seine Bouillabaisse zubereitete, nicht nur auf dem Schiff, sondern auch in seinem Zuhause in Marseille. Ich hätte sie nach der Lektüre des Kapitels nachkochen können – stünde nicht am Anfang der Zubereitung das Gebot, nicht etwa frischen Fisch zu verwenden, sondern allerfrischesten Fisch, buchstäblich direkt aus dem Meer. München – Meer?

Am ausführlichsten schildert Joseph Wechsberg eine Reise im Südwesten Frankreichs auf der Suche nach dem idealen Trüffelgericht sowie die Reise entlang aller damaligen Drei-Michelin-Stern-Lokale Frankreichs – inklusive Zubereitungsart der Spezialitäten, Beschreibung der Küchen und Nennung der bemerkenswertesten Weine.

Forelle blau und schwarze Trüffel hat mich in eine vergangene Epoche des Reisens und Essens (und der Verwendung des Worts „vorzüglich“) mitgenommen, ich fühlte mich wie in einem amerikanischen Film gleich nach dem Krieg. Nebeneffekt: Ich habe mir ganz fest eine Fressreise durch Frankreich vorgenommen. (Vielen Dank für den Lesetipp an Herrn Mittagesser!) Ein Foto vom Buch gibt es hier.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Joseph Wechsberg, Gerda v. Uslar (Übers.),
Forelle blau und schwarze Trüffel

  1. fressack meint:

    Ein treffliches Lesevergnügen.
    Irgendwann letztes oder vorletztes Jahr ging das Thema aber schon durch die Blogs; ich kann mich aber nicht erinnern, wo und wann. Vielleicht weiss das Sebastian.

    Mir persönlich gefällt die Geschichte mit Fernand Point am besten.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Interessant, fressack: Google findet in der Blogsuche nur drei Einträge, darunter eine Erwähnung bei Sebastian. Vielleicht französische Blogs?

  3. Milla meint:

    Guten Tag, Frau Kaltmamsell,

    vor über zwanzig Jahren vom Grabbeltisch gerettet, für damals 2 DM, immer wieder verschlungen und bei jedem Umzug wieder eingepackt: Eins meiner Lieblingsbücher.
    Was für eine scheinbar selige und leider untergegangene Epoche, besonders aus heutiger Sicht,wenn die Hauptwerbesendung im Fernsehen eine Tütensuppe “wie in Italien” bewirbt.

    Danke für die Veröffentlichung der Kritik.

    Beste Grüße, Milla

  4. fressack meint:

    Ich habs gefunden:

    http://www.chris-kurbjuhn.de/?p=619

    und hier:

    http://de.wordpress.com/tag/lesetip-forelle-blau-und-schwarze-truffel/

  5. fressack meint:

    und hier:

    http://de.wordpress.com/tag/lesetip-forelle-blau-und-schwarze-truffel/

  6. die Kaltmamsell meint:

    Sag ich ja: Drei Einträge. “Durch die Blogs”?

  7. fressack meint:

    Nun ja, ich meinte den Kurbjuhn. da haben wir uns drüber unterhalten.
    Wir sind halt ein elitärer Zirkel, hehe.

  8. André Thiele meint:

    Raymond Thuilier. Wichtiger Mann. Er hat nicht nur erstklassig gekocht und ein erstklassiges Restaurant geleitet; er hatte eine brillante Idee, und zwar, soweit ich weiß, als erster: Das Restaurant ist ein Ort, zu dem der Besucher hinfahren muss. Es liegt nicht dort, wo der Esser wohnt, sondern dort, wo es vom terroir-Gedanken her hinpasst. Sein Oustau de Baumaniere, gegründet m.W. 1948, war weitab von allem, was damals als zivilisiert galt, nur schwer über Nebenstraßen zu erreichen. Thuillier hat darauf gesetzt, dass die Leute zu ihm kommen würden. Und er hat es tatsächlich geschafft.

    Wenn die Menschen heute zu einem Restaurant “pilgern”, dann hat Thuilier diesen Vorgang erfunden.

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