Modernisierung

Samstag, 3. März 2012 um 8:20

Jetzt kommt was zu Architektur – gell, das hätten Sie nicht erwartet.
Seit ich denken kann (ich meine das wörtlich: Seit ich mir über sowas Gedanken mache, also circa ab dem Alter von 16), wundere ich mich über den Hang der Volksseele zu Bauharmonie. Großgeworden bin ich ja in Ingolstadt, und in den Siebzigerjahren meiner Kindheit gab es dort noch sehr viele Bombenloch-füllende Zweckbauten. Als in den 80ern endgültig der Audi-Reichtum ankam, wurden diese nach und nach durch „was Schönes“ ersetzt. Damit waren Gebäude gemeint, die den Kleinadelbarock der Umgebung imitierten. Das war sehr, sehr hübsch. Doch schon als 16jährige bemerkte ich mit Unbehagen, wie mir beim Anblick das Gehirn vor lauter „a meeeeei, scheeee“ einschlief.

Dabei hatte dieselbe Stadt durchaus anregende Architektur zu bieten: das Stadttheater, auf einem großen freien Platz gelegen, mit Blick auf die Donau. Die Ingolstädter hassten es.

Ich bin mir übrigens sehr sicher, dass es uns noch leid tun wird, dass wir die Bombenlochfüllerbauten restlos abgerissen haben („Ah geh, des greisliche Zeig.“): Sie waren so deutlich wie nur Weniges Zeugnis ihrer Zeit.

Spätestens bei meinem ersten Besuch in Wien 1986 war ich von der selbstbewussten Umsetzung zeitgenössischer Architektur in historischer Umgebung fasziniert. Auf mich wirkte sie wie eine unwiderstehliche Aufforderung zum richtig Hinschauen, sowohl auf das Neue als auch auf das Alte. Klar kann man das gut machen und schlecht. Deswegen habe ich mich sehr über dieses Beispiel auf dem ohnehin sehr empfehlenswerten Blog ignant gefreut: Das Projekt Janus des Architekturbüros Mlzd, die Erweiterung des kommunalen Museums der Schweizer Stadt Rapperswil-Jona.

Als deutlich unangenehmer empfinde ich Modernisierungen aus lange vergangenen Jahrhunderten, zum Beispiel die barocke Westfassade, die Gabrieli an de gotischen Eichstätter Dom klatschte oder die Rokokokokitschkapelle im Augsburger Dom (auch wenn sie zur Vorstellung anregt, Elizabeth Taylor könnte darin mehrfach geheiratet haben).

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Modernisierung“

  1. Evi meint:

    Ich finde ja, der Deutsche an sich hat so ein klein wenig Angst davor, Altes mit Modernem zu kombinieren. Man schaue mal nach Frankreich, da kriegen die das wunderbar geregelt. Hier in Würzburg werden ganz gemächlich auch etwas mutigere Ansätze gewählt, bei unsrer Barock / Bombenlochfüllerbauteninnenstadt ist das auch für das Auge sehr anregend.

    Und als ehemalige Bewohnerin eines Bombenlochfüllerbaus kann ich sagen: Weg mit dem Geraffel! Ich erinnere mich noch gut an den leicht irren Gesichtsausdruck meines sonst sehr ausgeglichenen Vaters, als er versuchte die Wände meiner ersten Studentenbude irgendwie dazu zu bewegen Schrauben samt Dübel in sich zu halten. (Jahrelange Erfahrung lehrte übrigens: Silikonkitt.)

  2. Gaga Nielsen meint:

    Eben drum: man kann das gut oder schlecht machen. Gerne denke ich dabei an die Ferienresidenz von David Chipperfield im schönen Galizien, wundersam eingebettet in die Lücke einer Zeile alter Fischerhäuser. Natürlich kann man Le Corbusier mit Louis-seize kombinieren. Das hat schon immer funktioniert. Das Erstklassige verbindet sich in der Gemeinsamkeit der gelungenen Formgebung, nicht einem zeit- oder regionalspezifischen Stil, nicht wahr. Alter neben neuem Mist ergibt allerdings auch in der Summe Mist. Im Grunde einfachste Mathematik. Restaurierte Puppenstubenarchitektur ist mitunter nett zum Durchschlendern und mal Kaffeetrinken, aber Dramaturgie und Dynamik braucht schon einen Kontrapunkt. Hängt auch von den individuellen geistigen Bedürfnissen ab. Dinkelsbühl und Rothenburg sind putzig anzuschauen, aber Adrenalinstöße und Inspiration vermitteln mir persönlich eher Brüche. Gekonnte.

  3. Gaga Nielsen meint:

    P.S.
    “To integrate a house with its built environment does not assume a superficial mimic of the geometric forms that surround it.”
    Sir David Chipperfield

  4. iv meint:

    Ja und ja. Wobei es auch unserem, an der Moderne geschulten Zeitgeschmack entspricht, dass wir jetzt gerade die Barock- und Rokokoeinbauten in den gotischen Kirchen nicht leiden mögen. Das ist vom Grundgedanken her nichts anders, als die Nachkriegsbauten abzureißen.
    Viollet-le-Duc hat im 19. Jahrhundert in Frankreich ja die ganzen gotischen Kathedralen wieder re-gotisiert, d.h. ausgeräumt. Diese puristische Idee von Gotik ist eigentlich ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, das dann auch zu Dingen wie z.B. der Wiener Votivkirche führte, auch so eine anachronistische Aktualisierung, für die es aber wiederum recht nachvollziehbare historistische Gründe gab.
    Ich glaube, der Dreh- und Angelpunkt bei der Kombination neuer und alter Architektur (und der Frage, wie historistisch es werden soll), ist genau der: Man kann es gut oder schlecht machen. Schauen Sie sich in Berlin das Neue Museum an: Gut gemacht. Schauen Sie sich die Pläne für das “neue” Hohenzollernschloss an: Kein Kommentar.

  5. Indica meint:

    Anregend!

    Ich bin ja auch eine Freundin der guten Brüche und Spannungen, muss aber auch zugeben, dass mich als Kind der 70er die Betonarchitekturen der 50er bis 70er-Jahre oft ein “Muss-weg”-Gefühl in mir auslösen. Eigentlich nur, weil ich zu dicht dran war.

    Ich verstehe ja auch nicht, wie die Einrichtungsgegenstände und Nippes meiner Kindheit, also der jetzt aussterbenden Großeltern- und Elterngenerationen irgendeinen Wert auf dem Trödelmarkt haben. Gefühltso. Vom Kopf her schon.

    Oh, in so ein Theaterrestaurant wie in Ingolstadt (früher? auf dem Foto) würde ich auch gern gehen. Hardt-Waltherr Hämer ist übrigens einer der Mitretter des Studentendorfes Schlachtensee, einem Architekturdenkmal der 50er-Jahre, in dem ich selbst wohnte, und das in den 90ern abgerissen werden sollte, so von wegen Eigenheimbau und so. Gut, dass es nicht so gekommen ist, die Genossenschaft kaufen und energetisch und platzmäßig sanieren konnte.

  6. Indica meint:

    … ich streiche übrigens ein “mich” in der zweiten Zeile. Pardon.

  7. percanta meint:

    Wenn Sie sehr große Sehnsucht nach Bombenlochfüllbauten haben, können Sie gerne mal in nördlichere Gegenden kommen, die Bombenhagel im Krieg hatten, aber danach keinen Autokonzern. Architektonisch ein steter Quell der Freude.
    Noch schöner: Bombenverschonte Stadt, in der so olles Zeug wie ein königlicher Reitstall einfach in den 70ern abgerissen wurde und durch Zweckbauten ersetzt, die jedem Bombenlochfüllbau Konkurrenz machen, ernsthafte.
    Sagen Sie einfach bescheid.

    (In Santiago de Chile vom Modernisiserungswahn beeindruckt. Selten schön, aber entschlossen hingeklotzt. Und nichts ist von Dauer, das nächste Erdbeben schafft Platz für neue Baustile.)

  8. Stadtneurotiker meint:

    Architektur, die wahrgenommen werden und nicht in Beliebigkeit versinken will, muss polarisieren dürfen. Etwas, was in München seit Jahren nicht möglich ist und die Neubaugebiete der letzten Jahre so unverwechselbar macht wie Einkaufszentren auf der grünen Wiese.

    Architektur muss auch damit leben können, nicht für die Ewigkeit bestimmt zu sein. Niemandem ist geholfen, wenn der Denkmalschutz Gebäude in Schönheit sterben, aber nutzlos erscheinen lässt.
    Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass das Olympiastadion in München nur noch als Denkmal in einem ohne Zweifel hervorragenden Ensemble dient.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Das Bohrmassaker kann Ihnen, Evi, auch mit dreihundert Jahre alten Häusern passieren – aus meiner Zeit in dieser Wohnung kann ich einige Geschichten von siebener Bohrern erzählen, die fünfzehner Löcher hinterließen. Das Regal auf dem Foto hängt zum Beispiel an Haken, die in Holzklötzchen geschraubt sind, die ich in faustgroße Löcher gipste. Denkmalgeschütztes Geraffel.

    Auch aus Bern, Gaga, kenne ich solche ausgefallenen Einreihungen und mag sie sehr.

    Mir ist bewusst, iv, dass meine Abwehr des historischen Stilmixes nichts anderes ist – weil es mich eben nicht zum Hinsehen bewegt, sondern zum Wegsehen. Und das scheinbare Gerdaderücken von Historischem (SO muss Gothik aussehen und nicht anders) erinnert mich sehr an das Fremdbestimmen der Authentizität anderer Kulturen (Indianer dürfen sich in nicht in rosa Polyester kleiden etc.).

    Genau da wird’s schwierig, Indica: Was der einen ein Architekturdenkmal, ist der anderen bloß “greislich”. Ich denke nur an den regelmäßigen Aufschrei in Ingolstadt, weil der Architekt dieses Stadttheaters wohlweislich viele Details für die Zukunft hat festschreiben lassen, darunter den exakten Überzug der Sessel im Theaterraum. Und jedesmal, wenn jemand auf Verschönerungsideen kommt oder auch nur etwas renoviert werden muss, wird’s mühselig (und bleibt so, wie’s der Ingolstädter von Anfang an gehasst hat).

    Erdbeben, percanta, sind ein etwas brutales Mittel der steten architektonischen Erneuerung, machen mich jetzt aber wirklich gespannt auf Santiago de Chile.)

    Ach ja, Stadtneurotiker, die großartige Olympiaanlage. Zuminest freue ich mich samstags auf dem Weg zum Schwimmbad an der alpenähnlichen Silhouette.

  10. Hande meint:

    Ach, hier auch architektur. Gerade das gelesen: http://opinionator.blogs.nytimes.com/2012/03/02/why-dont-we-read-about-architecture/?hp

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