Journal Mittwoch/Donnerstag, 23./24. September 2015 – Pumuckl und der Verbrennungsmotor

Freitag, 25. September 2015 um 7:15

Am Mittwochabend war Herr Kaltmamsell endlich wieder zurück. Da mag ich mich noch so eigenständig und unabhängig fühlen: Der Ernteanteilsalat, der Käse und der Wein dazu (Kriechel Frühburgunder von der Ahr, so gut wie bei der Verkostung) schmeckten gleich doppelt so gut.

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Donnerstag die Nachricht, dass Ellis Kaut gestorben ist. Jetzt lebt keine meiner Kindergeschichten-Heldinnen und -Helden mehr (ich bin zu alt für Janosch und Ali Mitgutsch).

Danke für all die zitierfähigen spoken word-Ohrwürmer, die meine Familie bis heute zusammenhalten. Pumuckl-Platten haben mich geprägt, und zwar die frühen Aufnahmen mit Alfred Pongratz als Meister Eder, ein deutlich ruhigerer Handwerker als der polternde Gustl Bayrhammer. Meine Favoriten sind “Der verbotene Kirschlikör” (“Liiiieber Saugi!”), “Der Wollpullover” (aus dem eines der drei Gedichte stammt, die ich überhaupt auswendig kann), “Pumuckl in der Schule” (“Gähnenhügeleiszeitgletscher” – und über die Stimme des Lehrers meine erste Begegnung mit Schwäbisch). Mit der Fernsehserie wurde ich nie warm, vielleicht aber war ich einfach schon zu alt für sie.

Beim abendlichen Heimradeln traute ich mich bis an die Schwanthalerstraße ans Oktoberfest heran. Ging ganz gut, nur ein paar wenige gefährliche Ausweichmanöver. Ich brachte mein Rad zum vertrauten Schrauber: Er möge es winterfest machen, also entachtern, Gangschaltung und Bremsen checken, zudem den Kettenschutz erneuern und einen stabileren Ständer anbringen (ich muss immer sehr auf ebene Fläche beim Abstellen achten, sonst fällt das Rad um).

Feierabend-Cocktail im Auroom, Herr Kaltmamsell testete den Snickers-Martini.

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Der Name trifft den Geschmack exakt.

Nachtmahl: Pizza im Bistro Bruno. Kann ich den Freundinnen keksartiger Pizzaböden empfehlen – nur dass ich halt nicht zu ihnen gehöre, ich mag lieber eine dünne Schicht knuspriges Brot mit elastischer Porung.

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Soso: Autosoftware wird also dazu genutzt, Abgastests zu manipulieren.
I might die from a heart attack of not being surprised.
Wissen Sie: Manchmal hatte ich ja schon den Verdacht, dass meine grundlegende Kritik an der deutschen Automobilindustrie, an ihrer Rolle in Deutschland sowie an ihrem Einfluss auf den Fortschritt eine weitere meiner idiosynkratischen Schrullen ist, wie sie sich sonst gegen das Oktoberfest oder meinen Geburtstag richten.
Doch der VW-Skandal hat so viele Zeitungsartikel zur Folge, die mir endlich beweisen: Ich bin nicht allein mit meiner Ansicht, dass die Mehrheit der Deutschen beim Thema Auto in einer gefährlichen Schein- und Parallelwelt leben.

So leitet zum Beispiel Sascha Lobo her, dass die Testmanipulationen ein weiteres Mittel waren, Verbrennungsmotoren die Dominanz als Leittechnik der Mobilität zu sichern:
“Volkswagen: Die digitale Deutung des Dieseldebakels”.

Und sogar das Kapitalismus-Jubelmedium manager magazin spricht vom “Bankster-Moment der Automobil-Manager”. (Dass die verwerflichen Machenschaften der Banken “scharfe Regulierung” nach sich gezogen hätten, war mir allerdings neu – darauf warten wir doch bis heute?)

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Kathrin Passig schreibt in der Literaturzeitschrift Volltext, wie sie ihre Zufallsshirtmaschine zum Erzeugen von Lyrik verwendete:
“Ein Gedicht ist wie eine Taschenlampe zum Einschalten”.

In einer Rezension von Peter Handkes Buch Ein Jahr aus der Nacht gesprochen las ich den von Handke geträumten Satz „Eingesperrt in einen Teufel aus Glas war ich“. Ich habe ihn mit Variablen versehen und der Zufallsmaschine beigebracht, die daraus T-Shirt-Aufschriften wie „Eingesperrt in einen Storch aus Schinken bin ich“ erzeugt. Andere Satzstrukturen stammen aus Gesprächen, Zitatsammlungen, Teppich- und Sanitärkatalogen, von Werbeplakaten, aus den Inhaltsverzeichnissen der Zeitschriften, die die Zeugen Jehovas verteilen oder aus meinen eigenen Träumen. Es kommt mir wie Verschwendung vor, eine gute Satzstruktur nur mit einem einzigen Inhalt zu füllen.

(…)

Den Tag vor der Lesung verbrachte ich bei meinen Eltern in Bayern. Ich lag mit dem Laptop auf der Heizung, und wenn jemand vorbeikam und vorschlug, ich könne ja den Tisch decken oder Holz holen, sagte ich wichtig „Ich kann aber nicht, ich muss dichten!“ Man muss solche Sätze sagen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Wer weiß, ob sie noch einmal wiederkommt.

Die resultierenden Automatengedichte finde ich durchaus poetisch, sie lösen bei mir Bilder und Assoziationen aus. Ungefähr wie T.S. Eliots Waste Land. Da ich aber leider Lyriklegasthenikerin bin, heißt das überhaupt nichts.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Mittwoch/Donnerstag, 23./24. September 2015 – Pumuckl und der Verbrennungsmotor“

  1. Julia meint:

    Gibt es irgendein Thema, zu dem sich Lobo nicht äußert? Gähn… Darauf einen Snickers Martini!

  2. susann meint:

    Es wundert mich, warum alle so über die VW-Geschichte überrascht sind. Jeder weiß doch, dass schon die offiziellen Kraftstoffverbrauchsangaben hint und vorn nicht stimmen – warum sollte man irgendwelchen Angaben vertrauen, die verkaufsfördernd wirken sollen? Natürlich ist das Ganze total dreist, aber hat irgendjemand echt all die schönen Angaben der Autoindustri geglaubt?

  3. ilse meint:

    Bei der Nachricht vom Tod der Ellis Kaut hatte ich auch dieses Gefühl, dass meine Kindheit jetzt endgültig weggebrochen ist.

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