Journal Sonntag, 8. Februar 2016 – Kartoffelsalaterinnerungen
Montag, 8. Februar 2016 um 8:09Das Wetter war trocken und mild. Nach einer sehr unruhigen Nacht mit wilden Träumen radelte ich ins Sportstudio am Ostbahnhof (Stepaerobic mit eingebautem Kraftttraining, Crosstrainer). Die Aussicht von der Terasse im 6. Stock zeigte die ganze Alpenkette.
Auf der Rückfahrt holte ich Krapfen beim Zöttl: Einen G’staubten (das ist der klassische mit Marmeladenfüllung) für Herrn Kaltmamsell, für mich einen Vanillekrapfen und einen Kirschkrapfen. Um beim Essen festzustellen, dass der Vanillekrapfen eine SCHAUMIGE Vanillefüllung enthielt – oiso naaaa!
Ich las Jane Gardams The Man in the Wooden Hat zu Ende: Wieder ganz wundervoll. Der Nachfolgeband von Old Filth erzählt die Geschichte seiner Frau Betty, wieder in Skizzen von sachlich bis poetisch, die sich zu einem Ganzen verbinden. Diesmal erfahren wir mehr über die Kronkolonie Hongkong, außerdem spielen Freundschaften und Loyalität eine große Rolle.
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Nach einem Mittagsschläfchen verwendete ich die restlichen Kartoffeln des Ernteanteils, um Kartoffelsalat zu machen. Also so, wie ich ihn immer mache, ohne darüber nachzudenken. Beim Umwandeln in ein Rezept fühlte ich mich wie jede Oma, die nach der Zubereitung eines Standardgerichts gefragt wird. Am ehrlichsten hätte ich gesagt: Na nimmst hoit ´kochte Katoffe, a Briah, a weng Ziebe, a Öl, an Essig, Pfeffa und Soiz, und wanns’t mogst, tuast a Guak’n nei.
Mengenangaben und Garzeiten: Des sigs’t na scho.1
Aber für ein aufzuschreibendes Rezept geht das natürlich nicht. Ich machte mir also jeden Arbeitsschritt bewusst und wog alle Zutaten ab.
Beim Zubereiten dieses Kartoffelsalats wurde ich ganz sentimental: Das ist eines der ganz wenigen Gerichte, die meine Mutter mir so richtig und gründlich beigebracht hat, inklusive einiger Handgriffe.
Das hier ist zum Beispiel ein typischer Anblick bei meiner Zubereitung von Kartoffelsalat. Wie meine Mutter gieße ich die Kartoffeln nach dem Garen ab und lege sie zum Abkühlen auf den Balkon; den Top stelle ich daneben. Im Topf hole ich sie wieder in die Küche, beim Pellen fungiert dieser Topf als Abfalleimer für die Schalen, am Topfrand streife ich klebrige Schalenfitzl vom Messer. Viele Handgriffe, die meine Mutter mich gelehrt hat, habe ich abgelegt (zum Beispiel rohe Kartoffeln auf einem Stück Zeitung zu schälen, um die Schalen danach gesammelt und sauber wegwerfen zu können). Aber diesen habe ich behalten.
Gerade weil das Rezept eine nicht-deutsche Nachkocherin als Leserin adressiert (die Engländerin Helene), war ich so unsicher wie noch nie, wie viel Information es enthalten sollte. Die Gurken für den Kartoffelsalat (meiner enthält immer Gurken, ich mag die Frische und die zusätzliche Textur) müssen zum Beispiel unbedingt gehobelt werden: Gibt es solche Hobel überhaupt in englischen Küchen?
Letztendlich kam aber doch ein Rezept heraus: Hier steht es.
Vor dem Einschlafen Patricia Highsmiths The Price of Salt für unseren Lesekreis angefangen: Herr Kaltmamsell hatte eine Ausgabe beschafft, die ein Neudruck der ersten Ausgabe von 1952 ist. Ich fand es seltsam, die altmodischen Bleisatzbuchstaben, die ich aus Büchern dieser Vergangenheit gewohnt bin, auf dem blendend weißen Papier von heute zu sehen.
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Im Techniktagebuch ist ein ganz wunderbarer Techniktraum aufgetaucht:
“Traum-App”.
Die App soll Leute zur Arbeit motivieren, Produktivität und Durchhaltewille fördern. Analog zur Sport-App „Runtastic“ kann man darin Leute per Button anfeuern – nur eben nicht beim Laufen, sondern bei der Arbeit.
Seit ich das gelesen habe, überlege ich, wie man das einem Betriebsrat als geplante Zukunft andrehen könnte – und natürlich einen ohrenbetäubenden Proteststurm auslösen.
- Selbst hatte ich keine Bayrisch sprechenden Großmütter. Aber ich wäre eine geworden. [↩]
11 Kommentare zu „Journal Sonntag, 8. Februar 2016 – Kartoffelsalaterinnerungen“
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8. Februar 2016 um 11:24
Als ich meine Oma fragte, wie ich denn ihren wunderbaren Rhabarberkuchen nachbacken könne, sagte sie nur (hessisch!): “Ei, Kind, da machste de Teig und legst de Rhabarber druff!” Dass ich nichtmal wusste, welchen Teig geschweige denn WIE ich diesen zubereite, konnte sie sich nichtmal ansatzweise vorstellen…
Von meiner Mutter habe ich den Schritt des Mischens bei Kartoffelsalat gelernt: Wenn alle Kartoffeln geschnitten und mit der Marinade in der Schüssel sind, den Inhalt vorsichtig in eine andere Schüssel gleiten lassen. Immer hin und her von einer Schüssel in die nächste. So mischt sich der Salat gut und die Scheiben gehen nicht kaputt…
Überhaupt: Kartoffelsalat! Ich liebe ihn exakt so, wie Sie ihn zubereitet haben! Was für ein herrliches Gericht!
8. Februar 2016 um 12:31
Hihi, Julia, bei solchen Vollblutbäckerinnen hilft nur: Danebenstellen und Zuschauen.
Sollte ich mal für Liebhaber ganzer Kartoffelscheiben kochen (selbst gehöre ich zum Team Pompfe), komme ich auf den Schüsselgleittrick zurück, danke!
8. Februar 2016 um 13:47
Ach, danke, danke für den herzlichen Lacher! Diese herrliche Vorstellung der Mundart beim Lesen – wie bei der Rumplhanni! Mich bräuchte man aber auch nicht fragen “wie viel Brühe” und “wie viel Zwiebeln” – weil: Des siggst na scho!
Und: Genau so muss Kartoffelsalat! :-)
(Ach so, ich sollte ja jetzt Zwiwwle und Grumbeere sagen, aber ich hadere noch mit dem hier ortsüblichen Zungenschlag. Ich bleibe wohl münchnerisch geprägt. Also doch a Pedasui und a Soiz.)
8. Februar 2016 um 21:14
Liebe Frau Kaltmamsell,
lustig, dass sie sich fragen, ob es in England Gurkenhobel gibt – ich kann die Frage leider nicht beantworten, aber folgendes unnützes Wissen dazu beitragen:
Meine Schwiegerfamilie hat Verwandschaft, die vor rund 60 Jahren nach Australien auswanderte. Dort ging vor kurzem der jahrzehntealte heißgeliebte Hobel kaputt, den man einst aus einem Heimaturlaub in Deutschland mitbrachte.
Das Problem konnte schließlich nur gelöst werden, indem meine Schwiegermutter in spe Ersatz schickte – in Australien war kein Hobel zu bekommen!
Herzliche Grüße
Jennifer
8. Februar 2016 um 22:00
Hihi, diese vagen Mengenangaben haben sich auch in meiner Familie wacker gehalten. Wenn meine Mutter meine Oma fragte, wieviel Gewürz in das jeweilige Gericht sollte, kam immer die Antwort “ein bisschen”. Anders kann mir meine Mutter dieselbe Frage heute auch nicht beantworten. Immerhin hat mir meine Mutter genau aufgeschrieben, wieviel Nelkenpulver ins Rotkraut gehört (ein bisschen, ha ha. Gemeint ist eine Messerspitze…die ja auch unterschiedlich sein kann, na toll).
Als ich begann, zu kochen (erst, als ich vor 5 Jahren von zu Hause ausgezogen bin- meine Mutter hatte nie viel Zeit, mir das Kochen zu zeigen), hatte ich meist Rezepte zur Hand und am meisten verfluchte ich es, dass nie dabeistand, wieviel Salz und Pfeffer man braucht. Ja, das ist individuell, aber einen Mindestwert hätte ich schon immer gerne. Zum Glück kann ich inzwischen besser abschmecken, als zu Beginn.
Im Übrigen mag ich frische Gurke auch sehr gern im Kartoffelsalat. Besonders im Sommer.
9. Februar 2016 um 9:09
Ich war als junge Frau Gast einer Grillparty. Das Fleisch ging zu Lasten der Gastgeber, die Gäste waren gebeten, “ihren” Kartoffelsalat mitzubringen. Es war nicht so langweilig, wie es sich anhört, denn es gab ebenso viele Varianten wie Gäste.
Ich selbst liebe die schlesische Gurke plus Apfel darin, Dressing enthält u.a. auch Senf.
Vielleicht muss man aber – ich tue das – die Kartoffel an sich lieben, um die unterschiedlichen Arten und Zubereitungen zu würdigen.
9. Februar 2016 um 11:36
Die Gratwanderung beim Rezepteschreiben, um den richtigen Weg zwischen entspannt genug und ausführlich genug zu finden, ist immer wieder spannend. Und eine Freude, wenn es gelingt, die Neugierigen zu ermuntern und nicht durch zu viele Anweisungen abzuschrecken, zugleich aber doch klar genug zu sagen wie und wo es lang geht, das sich keiner verläuft.
Sagen dann auch noch die Erfahrenen, ja, so muss es sein, ohne sich verraten zu fühlen (Von “Na, der macht es sich aber zu einfach” bis “Für wie blöd hälts uns?”), dann ist es eine große Freude.
Der Gurkensalat sieht perfekt aus, ich gerne auch ohne Gurke. Zerbrechen von scheiben finde ich nicht schlimm, die geben ihm den Schlotz. Aber der Schalentrick ist trotzdem gut, @julia
9. Februar 2016 um 11:37
Ach, und lieber so eine ungefähre Oma als die Schwiegermama, die mir mir das Rezept für ihren von mir geliebten Nusskuchen für ein Kochbuch so genau weiter gegeben hat, dass ich ihn ohne Test weitergab, schließlich hatte ich ihr schon oft beim Backen zugeschaut.
Aber halt nur vom Küchentisch aus nebenbei – es hagelte Leserbeschwerden, außen verbrannt, innen flüssig. Da zeigte mir die Schwiegermama halt das Originalrezept – in ihrem Dr.Oetker Backbuch. Mehr sog i net, außer, dass es jetzt auch nach meinem Kochbuch funktioniert.
9. Februar 2016 um 22:02
Ein wenig hatte ich ja an dieser Stelle einen ähnlich engagierten Streit erwartet wie damals bei Ihrem Tortilla-Rezept. Woran liegt es nun, dass die Gemüter beim Kartoffelsalat so viel kühler bleiben, obwohl dafür ja auch unzählige Rezepte existieren? Ist es am Ende vor allem bei ausländischen Rezepten so, dass jeder meint, das Eine zu kennen, während einem bei heimischen Gerichten bewusst ist, dass es nun mal eine Vielzahl an Zubereitungsmöglichkeiten gibt? Finde ich wirklich interessant, diese Frage.
9. Februar 2016 um 22:11
Das ist möglicherweise Zufall, Steffi: Stevan Paul erzählte, dass er bei der Recherche zu dem Kochbuch Deutschland vegetarisch, das ja deutsche Standardrezepte sammelte, an allen Ecken und Enden in genau solche Glaubenkriege stürzte.
10. Februar 2016 um 12:04
Zur Mengenangabe liebe ich das lakonische italienische “q.b.” – quanto basta, also so viel wie nötig. Das entspricht meiner Vorstellung von Kochanleitung.