Journal DonnerstagDienstag, 13. März 2018 – Abendausflug ins alte Schwabing

Mittwoch, 14. März 2018 um 6:48

Ein sonniger Tag, der mir das Büro aufs Angenehmste wärmte.

Nach Feierabend nahm ich eine U-Bahn nach Schwabing, wo ich im Büro des Lustspielhauses Kabarettkarten abholte: Am Sonntag hatte ich auf einer Litfasssäule gesehen, dass Hazel Brugger nach München kommt.
Ich bin immer wieder entzückt von diesem Puppenhausstadtteil Münchens: Schwabing zwischen Münchner Freiheit / Leopoldstraße und Englischem Garten.

Von dort ging ich ein Stündchen zu Fuß nach Hause, durch milde Luft (aber lieber mit Mütze: es blies ein scharfer Wind), unter schönen Abendwolken, Pokémon fangend.

Zum Nachtmahl mit Herrn Kaltmamsell eine weitere Pizzeria in der Nähe ausprobiert, die zu meiner Freude auch Calzone anbot. War dann lediglich akzeptabel.

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Die Einrichtung “Die Tafeln” wird 25 Jahre alt und ist ohnehin derzeit viel im Gespräch, da manche Standorte nur noch an deutsche Staatsbürger ausgeben wollen. Mich hat vor allem erschreckt, wie etabliert dieses Almosen-System inzwischen ist: Ich las mehrfach, dass Arbeitsamt-Angestellte ALG II-Empfänger gezielt dorthin schicken, dass Die Tafeln inzwischen offiziell in unserem Sozialsystem eingepreist sind.

Es ist, wie immer, kompliziert. Kathrin Hartmann führt einige Aspekte im Freitag aus:
“Sagt hübsch danke”.

Es ist dieser moralisch verbrämte Pragmatismus, der den Tafeln so hohes Ansehen in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und bei Umweltverbänden verschafft: Sie suggerieren, mit dem Verteilen des „Zuviel“ an jene, die „zu wenig“ haben, die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich zu überbrücken. Eine primitive Inszenierung, die Armut darauf reduziert, nicht genügend zu essen zu haben. „In Deutschland muss niemand hungern“ – diese autoritäre wie ignorante Stammtischweisheit findet an den Tafeln ihre praktische Umsetzung.

(…)

Armut und Überfluss sind zwei Seiten einer Medaille. Was beides miteinander verbindet, ist die kapitalistische Wachstumslogik. „Zwei Arten von Lastwagen fahren Tag für Tag von den Fabrikhöfen“, schreibt der Philosoph Zygmunt Bauman, „die einen steuern die Lagerhallen und Kaufhäuser an, die anderen die Mülldeponien.“ Verschwendung ist der Motor der Konsumgesellschaft: Nur wenn viel weggeworfen wird, wird auch viel gekauft. Und weil die Wahlfreiheit des Konsumenten im Supermarkt wie ein Menschenrecht gehandelt wird, wachsen die Müllberge.

(…)

Mitgefühl ist die dritte Säule im System Tafel: Im Mittelpunkt stehen nicht die Armen, sondern ihre Versorger, die Ehrenamtlichen. Die „praktisch gelebte Solidarität“ heben die Tafeln besonders in den Vordergrund. In ihrer Außendarstellung, in Broschüren, auf Fotos, in den Medien, dominieren Spender und freiwillige Helfer. Die Armen selbst sind meist nur Statisten im großen Ehrenamtsblockbuster, anonyme „Objekte der Fürsorge“, wie es der Soziologe Georg Simmel beschreibt, an denen die Besitzenden Großzügigkeit und Mildtätigkeit demonstrieren können.

(…)

Zu den lokalen Spendern der Tafel gehören dort nicht nur Supermärkte und die ansässige Industrie. Sondern auch Golfclubs und Elite-Zirkel wie Rotary- und Lions-Club, deren Symbole auf den gespendeten Lieferwagen prangen. Mit der selbst formulierten Pflicht zur Mildtätigkeit legitimieren die Reichen durch Charity ihren Status, schließlich „geben sie ja etwas zurück“. Aber was, muss man fragen, haben sie denn vorher weggenommen?

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Blogger Schneck hat vor zweieinhalb Jahren mit seienr Frau zwei afghanische Burschen (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge, UMF) als Pflegefamilie aufgenommen. Jetzt fasst er ausführlich die bisherigen Erfahrungen und den Stand der Dinge zusammen:
“Frau Mullah et. Consorten”.

Es ist ein langer Weg zum Verständnis von Solidarsystemen. Vor allem sicherlich, wenn man in einem Land wie Afghanistan aufgewachsen ist, wo es ja meist keinerlei „Staat“ mehr gibt, auf dessen Strukturen man sich verlassen könnte. Und aber auch hier bei uns, Abteilung Hip-Hop. Wenn Ruhm und Reichtum aus halbkriminellen Karrieren erwachsen und jeder weitere Knastaufenthalt eines Prominenten von den Fans insgeheim gefeiert wird. Die „Frech kommt weiter“-Mentalität – oft vorgemacht, sogar ja bei Volkswagen – ist nicht hilfreich, wenn man hier den Wert gesellschaftlicher Grundsysteme verinnerlichen soll. Vor allem, wenn man die noch gar nicht kannte.

via Readonmydear

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal DonnerstagDienstag, 13. März 2018 – Abendausflug ins alte Schwabing“

  1. philine meint:

    Liebe kaltmansell, die Erfahrungen mit der Calzone habe auch ich hinreichend gemacht. Die einzigen die es wirklich können, ist der Mario in der Adalbertstrasse.

  2. Norman meint:

    Eine Calzone und „Die Tafeln“ nur durch einen Paragraphen voneinander entfernt.

    Bezeichnend.

    Gerne gelesen.

  3. Hauptschulblues meint:

    Und Elio vom Ristorante Sicilia! Der kann`s auch.

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