Gestern trat endlich die Entspannung ein, die ich mir vom Wandern erhofft hatte. Ich zog los unter grauem Himmel, gegen die Kälte eine Kappe auf dem Kopf, doch mein Herz war leicht: Der Herbstwald strahlte auch im Grau, das Wandern fühlte sich schön an, was sollte schon groß schief gehen.
Little did she know.
Mein Reiseplan: Nach diesen drei Tagen am Anfang des Westerwaldsteigs würde ich springen und vom gestrigen Etappenende Westerburg einen Zug nach Marienthal nehmen. Von dort aus wollte ich drei Etappen aus der zweiten Hälfte des Westerwaldsteigs gehen, die besonders schön sein sollten.
Ich war in der Unterkunft nach meiner Wunschfrühstückszeit gefragt worden, hatte halb neun gesagt. (Vorher Duschen und Bloggen, macht Wecker auf sieben.) Um halb neun war im geräumigen Restaurant ein Platz vor der Theke liebevoll als Frückstücksplatz ausgestattet: Aufbacksemmeln, Butter, Nutella und Marmelade in Päckchen, ein paar Radeln Wurst und Käse, ein eben gekochtes Ei, ein Glas Orangensaft (den ich wie schon am Vormorgen stehen ließ, was haben die Leute bloß immer mit Orangensaft am Frühstückstisch? wirkt die Lobbyarbeit der kalifornischen Orangenbauern seit 100 Jahren?), Kaffee in einer Thermoskanne – sogar Dudelradio hatte man mir angeschaltet. Ich war gerührt und frühstückte mit Appetit.
Mit dem freundlichen Wirt besprach ich vor meinem Aufbruch noch die Modalitäten des Gepäcktransports und erfuhr ein wenig über den Westerwaldsteig: Dass er immer im Schatten des bekannteren Rothaarsteigs stehe, dass deshalb nur selten Wanderer bei ihm übernachteten. Er erzählte auch vom Westerwaldverein mit seinen vielen Zweigniederlassungen: Diese kümmerten sich ehrenamtlich um den Westerwaldsteig, um Markierungen, Verlauf, Begehbarkeit, organisierten auch regelmäßig geführte Wanderungen – an denen allerdings fast ausschließlich die Einheimischen teilnähmen. Ich war mal wieder so dankbar für die Ehrenamtler und Ehrenamtlerinnen, die mir in den vergangenen Jahren meine Wanderurlaube ermöglicht haben: Auch in den britischen Cotswolds und in Galicien hatte ich bereits von ihrem Engagement profitiert, dieses Jahr auf dem Wicklow Way. (Wäre mal eine schöne Magazingeschichte: Die Menschen/Vereine, die das Wandern ermöglichen.)
Das Wetter war herbstlich durchmischt: Wolken wechselten sich mit blauem Himmel ab, ein paar Mal wurde ich angeduscht (und freute mich über die Funktionalität meiner superduper Wanderjacke), doch nach zweieinhalb Stunden machte ich auf einer Bank in praller Sonne Pause. Überhaupt Bänke: Der Westerwaldsteig ist ganz hervorragend damit ausgestattet, sie kommen in allen Formen und in allen Umgebungen (freistehend, beschattet, im Wald und auf Wiesen), nie muss man lang auf eine warten.
Als gerade wieder die Sonne schien, sah ich vor mir auf dem Feldweg unter dem Ausläufer eines eingezäunten Apfelbaums einen herrlichen gefallenen Apfel, nur wenig angedatscht vom Fall. Es war doch ok, dass ich den aufgehoben und mit großem Genuss gegessen habe?
In Westerburg kam ich dann später als geplant an – die Markierungen hatten an die im Wanderbüchl beschriebene Strecke noch ein gutes Stück drangehängt (es wurden 23 Kilometer in fünfeinhalb Stunden). Machte ja nichts, dann nahm ich halt die spätere Zugverbindung. Ich schlenderte durch Westerburg, fing Pokémon, kaufte mir eine Mohnschnecke für unterwegs.
Und verpasste so um wenige Minuten die tatsächlich letzte Bahn von Westerburg nach Kloster Marienthal um 15.13 Uhr. Ich hatte bereits mein Ticket am Automaten gekauft (Bahnhof viel zu klein für einen Schalter) und wollte per Fahrplanauskunft noch herausfinden, an welchem der beiden Bahnsteige mein Zug losfahren würde. Ergebnis: Gar nicht, der nächste würde am nächsten Tag um 7.10 Uhr fahren. Hektisch checkte ich die DB-App – um bestätigt zu sehen, dass ich die letzte Bahn eben verpasst hatte.
Für die Reiseplanung hatte ich die Zeiten aus diesem Plan notiert (den auch der Zimmerwirt am Zielort zückte, als ich ihm von meinem Malheur erzählte) – von dem die DB halt nichts weiß, der schlicht nicht stimmt. Ich beruhigte mich schnell (Entspannung, siehe oben), ärgerte mich nicht mal über “wenn ich keine Mohnschnecke gekauft hätte!”: Dann würde das halt teuer. Ich rief ein Taxi.
Der einheimische Taxler hatte noch nie von meinem Zielort gehört, musste ihn erst mal übers Navi finden. Auf der Fahrt ließ ich mich über den Westerwaldsteig und übers Wandern ausfragen, erzählte unter anderem, wie viele Vögel man dabei sieht. Und konnte ihm gleich mal einen Roten Milan zeigen: Er landete sonnenbeschienen direkt neben der Straße und zeigte seine spitz ausgeschnittenen Schwanzfedern.
In Marienthal war ich wieder der einzige Übernachtungsgast des Hotel. Ob ich abends etwas essen wolle, fragte der freundliche Wirt – er müsse eh für eine Bestellung einen Kessel Gulaschsupp’ kochen, da bekäme ich gerne ein Schüsselchen ab. So lernte ich, dass ich auch im Restaurant der einzige Gast wäre und lehnte ab mit der Behauptung, ich hätte was dabei.
WLAN exitistierte, war allerdings etwas wackelig, ich schrieb lieber wieder erst mal in ein sicher speicherbares Textdokument. Dafür funktionierte die Heizung, ich musste nur eine Stunde mit Decke um die Schultern überbrücken. Am späten Abend hörte ich einen weiteren Gast Zimmer beziehen.
Essen nach Zimmerbezug: Mohnschnecke, Eiweißriegel, gesalzene Erdnüsse, Apfel.
Auch in der Kleidung habe ich mich verschätzt: Es ist viel kälter als gedacht (5-12 Grad). Ich hatte damit gerechnet, entweder meine leichte Fleece-Jacke über den kurzärmligen Oberteilen (kühler Wind) oder meine Wanderjacke (kühler Regen) zu tragen, doch jetzt brauche ich schon den zweiten Tag Fleece- und Wanderjacke, außerdem die Fleece-Jacke auch drinnen. Sie riecht bereits unangenehm verschwitzt und ich habe keinen Ersatz dabei.

Auch Gänse verlassen Rennerod.


Hier hat man ein ganz eigenes Verhältnis zu Bänken.


Ich glaube, diese Wanderung wäre genau nach Herrn Kaltmamsells Geschmack: Ständig gibt es etwas zu besichtigen und zu lernen, außerdem viele Orte mit Einkehrmöglichkeiten.


Der Seitenstein – mit Sage.



Kurz vor dem ersten Duscher.


Aussicht bei Brotzeitpause.


Holzbachschlucht.



Fallapfel.


Gemünden.



Westerburg (über die Bäckerei Garcia freute ich mich besonders – ich habe in Deutschland noch nie eine Bäckerei mit spanischem Namen gesehen).

Ich habe einen Hirsch vorm Hotelzimmer (und noch eine Menge weiteres Damwild). 