Journal Freitag, 21. Juni 2019 – Mittsommer ungefeiert und Beifang aus dem Internet

Samstag, 22. Juni 2019 um 8:51

Kein St. Brück für mich, vor vier Wochen Abwesenheit war in der Arbeit noch einiges zu erledigen und zu regeln.

Der Tag begann bedeckt, kühl und grau, wurde auch nicht wärmer.

Wie ich es genieße, einmal am Tag diese Weite zu spüren. Vermutlich zum letzten Mal vor Spätherbst, denn wenn ich Ende Juli aus der Reha zurückkomme, ist die Theresienwiese bereits für den Oktoberfestaufbau gesperrt.

Die Sanierung der Riesenschnecke am Bavariapark schreitet voran, offensichtlich hat sie ein Peeling bekommen.

Im Büro war ich nicht die einzige.
Zu Mittag Tomaten und eine Semmel, später Nektarinen mit Joghurt, dazwischen Nüsse und Dörrpflaumen.

Es ging mir dann eher nicht gut, die blöde Erkältung schwächte mich und bereitete mir Konzentrationsschwierigkeiten wie ein großes Glas Wein. Aber ich WAR doch gerade krank, nochmal ist das nicht akzeptabel. Im Kopf hatte ich all die Pläne und Vorhaben, die durch die erneute Erkältung gefährdet waren, und wurde gereizt (Sie erinnern sich: ich bin Somatopsychikerin, körperliche Beschwerden beeinträchtigen deutlich und replizierbar mein psychisches Wohlbefinden).

Unter anderem hatte ich geplant, nach Feierabend bei einem Laden in der Hans-Sachs-Straße vorbeizuschauen, in dessen Schaufenster ich am Donnerstag nach dem Semmelholen schöne Ohrringe gesehen hatte. In der Woche zuvor hatte ich einen geometrisch gestalteten Silberohrring verloren, den ich sehr geschätzt und oft getragen hatte, das könnte Ersatz sein. Die Erkältung nahm mir eigentlich die Lust auf den Umweg beim Heimgehen, doch dann wäre ich noch ärgerlicher gewesen. Ich ging halt langsam.

Das handgefertigte Paar Ohrringe kostete dann zwar etwa doppelt so viel, wie ich gedacht hätte (kein Preis im Schaufenster), aber egal: Ich erinnerte mich an die VG-Wort-Nachzahlung, außerdem an die Handwerkerin, die die Ohrringe hergestellt hatte – und kaufte.

Als ich den Laden verließ, hatten sich die vorher vereinzelten Regentropfen zu einem Regenguss verschworen. Ich stellte mich vor einem Blumenladen unter und versuchte die neuen Ohrringe zu fotografieren – gar nicht so einfach.

Immer wenn der Regen etwas schwächer wurde, sprang ich zum nächsten Unterstand, erledigte unterwegs ein paar Einkäufe beim Basitsch.

Auch dieses Jahr hatte ich das Bedürfnis, die Sonnwend irgendwie zu markieren. Auf großes Auswärtsessen hatte ich keine Lust gehabt – wäre gestern auch nicht fit genug dafür gewesen, und der Regen hätte Draußensitzen verhindert. Wir feierten also mit Pink Gin Tonics.

Die Schale im Hintergrund ist das selbst hergestellte Geschenk einer Studienfreundin zum großen Rosenfest. Unter anderem eine ausgesprochen nützliche Größe.

Herr Kaltmamsell briet uns Flanke (großartig!) und Entrecȏte, ich servierte dazu Ernteanteilsalat mit Tahini-Dressing.

Immer wieder einen Jubel wert: Nasenspray ist toll.

§

Langes Stück von Ronnie Citron-Fink:
“True Roots”.

One woman quits coloring her gray hair and investigates the human and environmental costs of this contentious female beauty standard.

Aus diesem Artikel lernte ich nicht nur, wie leichtfertig wir möglicherweise mit Chemikalien in Haarpflegeprodukten um gehen, sondern vor allem, welchen Stellenwert das Überfärben von grauen Haaren im Leben vieler Frauen hat, welchen enormen Horror das Ergrauen für viele birgt und das sichtbare Altern.

Wieder ein Privileg: Ich fand meine grauen Haare schon immer cool – dafür kann ich nichts. Die ersten tauchten auf, als ich 18 war, zu Studienzeiten wurde sie sehr langsam mehr (ich habe viele Haare), hin und wieder sprach man mich verwundert darauf an: “Sind das graue Haare?” Ein paar Jahre, als ich Anfang 30 war, ließ ich mich von meiner Mutter zum Färben überreden, denn sie wies darauf hin: “Sie machen dich älter.” Bis mir bewusst wurde, dass ich lieber älter und cool aussehe als jünger und langweilig. Auch dafür kann ich nichts. Der Schock und die tiefe Betrübnis, die offenbar viele Frauen beim Anblick ihrer ersten grauen Haare oder Falten empfinden, waren mir immer fremd. (Ich hadere viel mehr mit den Bewegungseinschränkungen und Schmerzen, die das Alter mit sich bringt.) Und ich finde es hochinteressent und bewegend, meine Freundinnen altern zu sehen, wie anders bei jeder die Veränderungen verlaufen.

Aber: Ich strenge mich an, nicht auf Menschen herabzuschauen, für die jugendliches Aussehen einen so hohen Stellenwert hat, dass sie viel Zeit und Energie in dessen Erhalt stecken. Menschen sind halt verschieden. (Ich wundere mich höchstens immer wieder, wenn die Anstrengungen in meinen Augen den gegenteiligen Effekt haben – geht mich ja nichts an.)

§

Nach der Ermordung des Regierungspräsidenten von Kassel Walter Lübke mutmaßlich durch einen Rechtsextremen rangen sich die offiziellen Stellen auffallend langsam zu Äußerungen des Entsetzens und Rufen nach Maßnahmen gegen rechte Bedrohung durch. In meinem Internet wiesen viele, viele Menschen darauf hin, dass Aktivistinnen, POC, linke Politikerinnen und Politiker seit vielen Jahren mit dieser Bedrohung leben müssen und vehement, aber ungehört Konsequenzen gefordert haben.

Katharina Nocun aka Kattascha fasst das in ihrem Blog zusammen und alaysiert klug:
“Kaffee auf”.

Diejenigen, die in Feuilletons darüber diskutiert, ob wir schon in einer „linken Meinungsdiktatur“ leben, und sich in erster Linie darum zu sorgen scheinen, “was man denn noch sagen darf”, wirken auf mich unglaublich abgehoben. Wer so etwas meint, weiß wahrscheinlich nicht, wie sich das anfühlt, wenn man auf dem Nachhauseweg regelmäßig schneller geht. Aus Angst vor den Typen hinter einem, mit den einschlägigen Tattoos.

(…)

Bürgermeister und Lokalpolitiker schmeißen an vielen Orten hin, weil sie sich den Morddrohungen gegen ihre Familie schlichtweg nicht gewachsen fühlen. Rechte Brandanschläge sind mittlerweile so gewöhnlich geworden, dass die Tagesschau nur noch in Ausnahmefällen darüber berichtet. Im Jahr 2009 wäre das alles Stoff für einen dystopischen Roman gewesen, der von Literaturkritikern das Prädikat „übertrieben & realitätsfern“ verliehen bekommen hätte. Heute halten wir das alles für vollkommen normal.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Freitag, 21. Juni 2019 – Mittsommer ungefeiert und Beifang aus dem Internet“

  1. Ulla meint:

    Ihre Haare find ich schön!Habe selbst seit Jahren coole graue kurze Haare ;-).
    Inzwischen auch das Alter dazu.

  2. Christina meint:

    Ich oute mich jetzt mal als eine der modisch Verwirrten, die vor einigen Jahren wirklich alles probiert hat, um aus goldigem Naturblond irgendwie Silber zu machen. Ihre Haarfarbe war so ziemlich meine Zieloptik, ich bin noch heute ein klein bisschen neidisch auf alle, die so ein zauberhaftes Natursilber tragen dürfen. Steht Ihnen großartig!

  3. Sabine meint:

    Als meine Haare anfingen, grau zu werden, war ich erst wild entschlossen, sie einfach grau werden zu lassen. Dann sahen sie aber eine Weile des unebenen Graus einfach sehr ungepflegt aus, also kam eine Zeit des Färbens, die ich als sehr lästig empfunden habe, vor allem, weil der Ansatz bei zunehmendem Grau immer schneller ungepflegt aussah. Vor einem Jahr habe ich dann beschlossen, die Farbe rauswachsen zu lassen – ein in den Bildern nachvollziehbar lustiges Spektakel. Inzwischen ist die Farbe ganz rausgewachsen und ich bin weitgehend grau, was bei meinen üppigen Haaren schon etwas hermacht.

    Das Kuriose ist: ich werde immer wieder von wildfremden oder mittelbekannten Menschen angehalten, die meine Haare bewundern wollen (mich hält sonst nie jemand bewundernd an). Teils sind es Frauen, die selbst grau oder weiß sind, aber auch ganz junge Frauen. Ich freue mich dann immer sehr und mache den nicht-Grauen Mut, es mir gleichzutun. Meine sehr schöne und schönheitsbewusste Nachbarin hat eben den Sprung gewagt und ihre rabenschwarzen Haare einfach abrasiert. Natürlich ist sie immer noch sehr schön damit, nur dass die natürlichen Haare halt einfach lebendiger aussehen – und ein echter Hingucker sind.

    Es ist wohl eine Frage der Critical Mass – wenn viele tolle Frauen in Grau und Weiß herumlaufen, wird das attraktiver.

  4. Sabine meint:

    Ach ja, und ich musste dafür den Friseursalon wechseln. Meine alte Friseurin wollte mir unbedingt einreden, dass es blöd aussehen würde und dass sie graue Haare ganz trutschig fände. Also habe ich gewechselt, den neuen Friseur (selbst: sehr wenige, graumelierte Haare) angelächelt und ihm gesagt, er müsse jetzt sehr tapfer sein. Der fand das aber gar nicht und hat sich bei jedem Besuch gefreut, wenn er wieder Farbreste abschneiden konnte.

    “anchor service”, indeed. Das ärgert mich im Nachhinein noch mehr.

  5. Andrea Schmidt meint:

    Die Ohrringe sehen toll aus!!!
    L.G. von Andrea Schmidt

  6. FrauC meint:

    Die Ohrringe sind toll! Und die Haare auch!
    Ich freue mich auch immer wieder an meinen kurzen, zunehmend grauen Haaren. Nicht zuletzt, weil sich dazu große auffällige Ohrringe ausgesprochen gut machen.

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