Gestern wieder ein eher sonniger Tag, doch schon das erste morgentliche Schnuppern auf dem Hotelzimmerbalkon ergab eindeutig: Winter – Geruch und Temperatur.
Diesmal ließ ich mich nicht vom Hotel-Cappuccino traurig machen, sondern trank zum Morgenjoghurt mit Mandarinen schwarzen Tee. Den Cappuccino gab es nach Verlassen des Hotels gleich ums Eck in einer Bar – und er war köstlich.
Für gestern hatte ich mir ausgedacht: Markt hinterm Rialto, Besuch des Museums Palazzo Grimani (auf Empfehlung von Mary Beard), vielleicht Spaziergang in den Giardini della Bienale.
Wir waren früh genug dran, um das Markttreiben noch ganz im Gange zu sehen. Ich freute mich an den großartigen Gemüsen (vorherrschend Radicchio Tardivo di Treviso und Artischocken, zudem viele bittere Blätter, von denen ich zu meiner Freude schon einige im Ernteanteil hatte), der Fisch und die Meeresfrüchte sahen an fast allen Ständen ausgesprochen frisch und einladend aus. Herr Kaltmamsell holte sich als Snack auf die Hand eine Tüte Frittura, Frittiertes aus dem Meer.
Den Palazzo Grimani hatte ich im Grunde aus Überforderung ausgewählt: In einer Stadt wie Venedig mit ihren unzähligen sehenswerten Museen und Kirchen kann man nur etwas verpassen. Doch ich will ja nicht das letzte Mal hier gewesen sein, warum also nicht ein eher wenig beachtetes Kleinod besichtigen.
Dieses Kleinod stellte sich als Volltreffer heraus: Zum einen bot der Palazzo gerade genug anzusehen, dass ich mich gründlich damit befassen konnte. Zum anderen war die Ausstellung wirklich besonders und entzückend, außerdem gut aufbereitet. (Plus: Wir waren fast die einzigen Besuchenden.) Das Gebäude ist ein Palazzo aus dem 16. Jahrhundert, in dem schon bald antike Skulpturen gesammelt wurden. Nach wechselvoller Geschichte hat die Stadt den Palazzo vor einigen Jahren renoviert und einige Räume so restauriert, dass sie einen Eindruck vom Wohnen darin im 16. Jahrhundert vermitteln.
Viel Zeit verbrachte ich im Sala a fogliami und seiner Decke, die mit Pflanzen und Tieren bemalt ist. Mit Herrn Kaltmamsell konnte ich die meisten Vögel identifizieren, sie waren so realistisch gemalt. Das eigentliche Herzstück des Museums aber ist die wiederhergestellte Sammlung antiker Skulpturen von Giovanni Grimani in dem Raum, in dem er sie ursprünglich ausgestellt hatte. Um diesen Eindruck zu erhalten, gab es keine Schilder an den Exponaten, sondern ein Faltblatt, das sie erklärte – besonders interessant jeweils die Aufschlüsselung, welcher Teil davon wirklich antik war, und was davon wann drangebastelt worden (mit teilweise haarsträubendem Resultat).
Nachtrag: Nehmen Sie sich unbedingt einen Audioguide! Wir lasen leider erst beim Verlassen des Palazzo, dass die italienische Version von Isabella Rossellini, die englische von Jude Law gesprochen wird.
Es war erst halb zwei, immer noch schien kalt die Sonne: Wir hatten große Lust auf einen Spaziergang in den Giardini und nahmen ein Vaporetto dorthin. Spazieren auf den begehbaren Teilen (das Biennale-Gelände war leider nicht zugänglich), Sitzen in der Sonne, Plaudern über das, was wir sahen. (Herr Kaltmamsell beschloss, die Dreier-Holzpfosten im Meer “Staketen” zu nennen und tat das ab diesem Entschluss konsequent. Weiß jemand, wie die tatsächlich heißen?)
Wir kamen auch an einem Glaspalast-artigen Gewächshaus vorbei, Serra dei Giardini, an dem ein Schild erklärte, es sei ursprünglich Ende des 19. Jahrhundert für die Pflanzenausstattung der Kunstausttellung errichtet worden, sei aber Ende des 20. Jahrhunderts geschlossen worden und verfallen. Doch dann wurde es renoviert und wiederbelebt, jetzt bewirtschaftet es die Genossenschaft Nonsoloverde Soc. Coop. Sociale ONLU als Lokal und Blumenladen. Hier kehrten wir ein, genossen Aperitivi und die Wärme des sonnendurchfluteten Gewächshauses.
Für uns bayerische/bayerisch-schwäbischen Zentralländler ist Bootfahren auf dem Meer aufregend – auch wenn es nur eine Lagune ist. Also nahmen wir ein Vaporetto, das uns auf einer besonders schönen Strecke 45 Minuten lang bis zum Bahnhof schipperte – die Kulisse von langsam errötender Sonne beschienen. So kalt war es jetzt gar nicht mehr, ich ließ mich auf dem Außendeck bei bester Aussicht durchpusten.
Zu Fuß ins Hotel, dort wärmten wir uns auf.
Fürs Nachtmahl spazierten wir unter dunklem Himmel aber zwischen noch hell erleuchteten Schaufenstern zu einer Empfehlung in den benachbarten Stadtteil Santa Croce: In der winzigen Osteria Trefanti wurden wir freundlich aufgenommen, bekamen erstaunlichen natural Schaumwein als Aperitif und eine Flasche schönen Weißweins aus dem Veneto (Davide Spillari, Bianco Crestan), außerdem Fisch und Meeresfrüchte auf ausgezeichnete Art.
Der Rückweg war fast unwirklich menschenleer, still und dunkel. Wir blieben immer wieder stehen, um den Sternenhimmel über den Dächern zu betrachten, die dunklen Winkel, Gassen und Palazzi.
Stephen King war mir als Lektüre derzeit zu unangenem geworden: Ich hatte zum Erstling der nigerianischen Autorin Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ gewechselt, Stay with me.
Blick von der Rialtobrücke.
Mercato.
Fischmarkt.
Der Palazzo Grimani:
Die schmale Eingangsfront.
Obst- und Tierbestimmung im Sala a fogliami mit Blick auf den Saal der Skulpturen.
Der fliegende Ganymed fliegt hier wirklich.
Laut den Museumsinformationen ist nur der Kopf dieser Venus antik, der Rest aus anderen Funden zusammengestückelt und nachgemacht. Der Gesamteindruck ließ mich an den Scherz einer Chorfreundin beim Anblick eines ähnlich misslungen Konstrukts denken: Venus von Bodybuildy (der Bizeps!).
Venezianischer Humor hinterm Dogenpalast.
Herr Kaltmamsell im Grünen der Giardini.
Hinterm Biennale-Gelände.
Serra dei Giardini.
Blick zurück auf Castello und die Giardini.
Hinter dieser Front (vom Vaporetto aus fotografiert) die Gasse entlang liegt unser Hotel.
Rialtobrücke.
An der Hauptfeuerwache.
Der Hauptgang in der Osteria Trefanti (erster Gang war Bacalà mit weißer Polenta für mich, Linguine mit verschiedenen Muscheln für Herrn Kaltmamsell): Schwertfisch für ihn, Wolfsbarsch mit Cicoria und Oliven für mich. Zum Nachtisch suchte sich Herr Kaltmamsell einen Flan mit Café aus, ich bekam den Käseteller.