Archiv für Januar 2020

Journal Mittwoch, 8. Januar 2020 – Arbeitsbeginn

Donnerstag, 9. Januar 2020

Überraschend gut geschlafen.

Der Arbeitsweg auf frostigen Straßen fühlte sich an wie ein letzter Gang. Doch der Tag war dann gar nicht so schlimm wie befürchtet, er war einfach nur.

Mittags Radicchio, nachmittags Hüttenkäse.

Die Luft war mild, ich konnte in Kleid und Strumpfhose unterm Mantel radeln, aber der bedeckte Himmel förderte nicht gerade gute Laune. Die gute Nachricht: Ich ging runder als seit Wochen – ich kann mir das nur mit dem anstehenden Orthopädentermin erklären.

Den Heimweg legte ich über den Hertie am Hauptbahnhof, um Wein für die Samstagseinladung einzukaufen.

Zu Hause traf ich auf einen ebenfalls gerade erst angekommenen Herrn Kaltmamsell – der sich ohne Umweg über sein Zimmer ans Abendessenkochen gemacht hatte, damit ich schnell etwas bekomme.

Journal Dienstag, 7. Januar 2020 – Ferienausklang mit freiem Tag

Mittwoch, 8. Januar 2020

Manchmal muss ich mich dann doch selber loben: Den Tag nach Heimkehr auch noch frei zu nehmen, war eine ausgezeichnete Idee.

Dennoch unruhig geschlafen und früh aufgewacht, mei. Herrn Kaltmamsell und mir Morgenkaffee gekocht, er konnte sich als Lehrer ja leider nicht frei nehmen. Bloggen, Wäschewaschen, Haushaltsdinge, das Aufsteigen von innerer Hektik wegen einer Essenseinladung am Samstag bei uns durch Planen bekämpft. Draußen regnete es, zum Schwimmen ins Olympiabad wollte ich also lieber nicht mit dem Fahrrad.

Die U-Bahn-Fahrt lohnte sich: Ich musste meine Schwimmbahn mit höchstens einem anderen teilen und genoss meine 2.200 Meter sehr. (Am Ende ein paar Züge Brustschwimmen versucht, rechte Hüfte sagt natürlich weiterhin energisch Nein.)

Auf dem Rückweg erledigte ich erste Einkäufe, daheim räumte ich den Rucksack aus und ging für Lebensmitteleinkäufe nochmal in den leichten Regen. Auch Semmeln nahm ich mit, beim Frühstück war es schon drei Uhr. Zeitunglesen, ein wenig Bügeln.

Als Nachtmahl bereitete ich Spätzle aus der Gefriere mit Linseneintopf aus der Dose.

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“EU hat hohen Handelsüberschuss mit sich selbst – ein Grund ist offenbar Umsatzsteuerbetrug im großen Stil”.

via @flueke

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Schabernack auf Twitter:
“Städte, die sich wie Geräusche aus Comics anhören”.

via @dieliebenessy

Journal Montag, 6. Januar 2020 – Venedig 6, Ca’ d’Oro, Befana-Rudern und Rückreise

Dienstag, 7. Januar 2020

Unser Zug zurück ging erst um halb zwei, das verschaffte uns mit etwas früherem Aufstehen einen weiteren Vormittag in Venedig – und nochmal ließ Venedig sich nicht lumpen.

Aus der immer noch nicht geringer werdenden Zahl attraktiver Museen hatte sich der Palazzo Ca’ d’Oro in meine Aufmerksamkeit geschoben, unter anderem weil wir mit dem Vaporetto auf dem Canal Grande mehrfach daran vorbeigefahren waren.

Auch gestern wollten wir mit dem Vaporetto hinfahren (gleich beim Palazzo gibt es eine nach ihm benannte Haltestelle), doch es fuhr uns vor der Nase davon. Da wir aufs nächste hätten warten müssen und die Fahrt ohnehin lang gedauert hätte, gingen wir zu Fuß – und genossen nochmal herrliche Anblicke, gestern bei trübem Wetter.

Der damals verfallende Palazzo Ca’ d’Oro war Ende des 19. Jahrhunderts von Baron Giorgio Franchetti gekauft worden und Stück für Stück restauriert mit dem Ziel, eben jenes Museum daraus zu machen. Wir sahen auf zwei Geschoßen unter anderem wundervolle europäische Kunst aus dem 15. und 16. Jahrhundert (hier eine Liste), auffallend gelungen präsentiert, und wie von Franchetti beabsichtigt war auch das Gebäude selbst sehr sehenswert.

Beim Blick von dort auf den Canal Grande fiel mir wie schon in den Tagen zuvor auf, dass immer wieder Stehruderer auf den Kanälen unterwegs sind, scheinbar ganz normale Menschen einzeln, zu zweit, aber auch in größeren Gruppen in unscheinbaren Booten. Laut einem Zeit-Artikel von 2018 gibt es in Venedig eine Rückbesinnung auf diese spezielle Rudertechnik (die schmalen Kanäle bieten nicht genug Platz für waagrechte Ruder). Vermutlich hätte ich das unter den Sportmöglichkeiten der Lagunenstadt aufführen müssen – es gibt sogar Kurse.

Auf der Rückfahrt per Vaporetto zum Hotel musste unser Schifferl am Rialto-Markt eine ganze Weile warten, weil an der Brücke irgendwas los war. Erst nachträgliche Recherche verriet mir: Wir hätten die Regata delle Befane sehen können. Am Dreikönigstag kommt ja in Italien die Hexe Befana und bringt Geschenke; das feiert der historische Ruderclub Cannotieri Bucintoro mit einer Regata auf dem Canal Grande – in Kostümen. Als wir mit unseren Koffern auf das Vaporetto zum Bahnhof warteten, sahen wir den einen und die andere davon kostümiert an uns vorbei heimrudern.

Zuvor hatten wir am Palazzo Ca’ d’Oro noch Zeit für einen Cappuccino gehabt und dazu in der Pasticceria Pitteri Torta Veneziana al Pistacchio gegessen: Köstlich, auch die anderen Gebäcke in der Auslage sahen sehr individuell und hausgemacht aus.

Am Bahnhof hatten wir noch reichlich Zeit. Herr Kaltmamsell bekam endlich seine Pizzaschnitte auf die Hand, ich schloss mich an, und wir holten Brotzeit. Die Rückfahrt pünktlich und ereignislos, das Wetter in München ähnelte dem in Venedig bei der Abfahrt.

Blick von der Rialtobrücke ins Trübe.

Palazzo Ca’ d’Oro.

Ruderer vorm Palazzo.

Mehr Ruderer nach der Regatta.

Feministische Paddelunterstützung (auf dem Boot steht “Pink Lioness in Venice”).

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Ayọ̀bámi Adébáyọ̀, Stay with me ausgelesen. Puh, ein vielgerühmter Roman, doch mein Problem damit ist ein spezielles: Romane, deren Handlung von Kinderwollen und -haben als Wichtigstem im Leben dominiert wird, gehen an mir vorbei. Ich weiß sehr wohl, dass die Menschen mit nur wenigen Ausnahmen ganz dringen Kinder haben wollen – bloß gehöre ich halt nicht nur zu diesen Ausnahmen, sondern wollte im Gegenteil immer schon ganz dringend und aktiv keine Kinder haben. Da draußen in Leben und Gesellschaft ist mir die Abweichung meiner Einstellung sehr bewusst und ich ermögliche anderen das Kinderhaben selbstverständlich, versuche für eine Gesellschaft zu sorgen, in der dieser Wunsch möglichst einfach umgesetzt werden kann. Und Freundinnen und Freunde, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt, bedaure ich wirklich von Herzen, wie mich jeder ihrer unerfüllten Herzenswünsche wirklich schmerzt.

Doch ein paar hundert Seiten Roman, in denen absolut jeder und jede Kinderkriegen als das absolut Allerwichtigste im Leben annimmt, in denen sich alles darum dreht, bereiten mir vor allem Anstrengung. Die Kinderkrieg-Motivation des jungen nigerianischen Paares in Stay with me ist so bestimmend, dass der Hintergrund der Romanhandlung, nämlich die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Nigeria im ausgehenden 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts, aufgesetzt wirkt. Auch die unchronologische Erzählstruktur und kapitelweise wechselnde Erzählperspektive aus Sicht der Ehefrau Yejide und des Ehemanns Akin kamen mir bemüht vor. (Mag vielleicht mal wieder jemand eine so richtig auktoriale Erzählstimme versuchen? Also außer Wolf Haas? Wäre inzwischen innovativ.)

Eine interessante ganz andere Sicht auf den Roman gibt die Rezension von Diana Evans im Guardian: “Stay With Me by Ayòbámi Adébáyò review – a big-hearted Nigerian debut”.

Journal Sonntag, 5. Januar 2020 – Venedig 5, Saurierknochen und Glas

Montag, 6. Januar 2020

Ich bin mal gespannt, wie ich nächste Woche nach solchen Schmerznächten arbeiten gehe, ohne ausschlafen zu können. Andererseits: Konnte ich vor den Ferien ja auch.
(Zum Merken: Auch meine Verdrängungskräfte sind geschwunden. Die eine unerledigte Arbeitssache belastete mich die gesamten Ferien hindurch und ließ mich keinen Abstand zur Arbeit finden. Da half kein bisschen, dass ich nie eine Chance hatte, diese Aufgabe zu lösen, auch nicht, dass ich darauf hingewiesen hatte.)

Herr Kaltmamsell behauptet gerne, ich ginge nie mit ihm ins Naturkundemuseum. Also zwang ich ihn gestern in das von Venedig. Das Museo di Storia Naturale di Venezia stellte sich als ausgesprochen besuchenswert heraus. Ein großer Teil befasst sich mit Erdgeschichte, eher an Kinder gerichtet, zeigt Fossilien aus der ganzen Welt, sehr lebendig und zeitgemäß aufbereitet. Ein weiterer Teil präsentiert naturhistorische Sammlungen aus dem 19. Jahrhundert (Thema ist die Entstehung und Entwicklung dieses Forschungszweigs) – und da wird’s haarig und erstaunlich wenig zeitgemäß: Mumien und das, was man bis vor nicht allzulanger Zeit naiv und herrenmenschlich als “Volkskunde” bezeichnete, kann man heute nicht mehr unkommentiert ausstellen, als hätte es seit der Kolonialzeit keine Reflexion und Forschung gegeben. Ähnlich befremdet war ich von den zwei großen Räumen mit Trophäen der Großwildjagd – auch wenn ich durchaus beeindruckt war von den ersten Giraffenköpfen am Hals, die ich je an einer Wand gesehen habe.

Wirklich interessant wurde wieder der nächste Teil, in dem – zurück zum eher kindlichen Niveau – Naturkunde präsentiert wurde sortiert in Bewegungsarten von Lebewesen, Lebensräumen, Ernährungsweisen. Hier fand ich auch Altbestände der Museumssammlung gut integriert, seien es ausgestopfte Tiere oder in Alkohol im Glas konservierte.

Zweiter Vorsatz für den Tag war ein Besuch der Insel Giudecca. Dorthin nahmen wir ein Vaporetto, beim Umsteigen am Hauptbahnhof holten wir uns als Brotzeit ein Süßgebäck auf die Hand.

Giudecca war eher unspektakulär, außerdem lag der Uferweg im Schatten – und ich humpelte gestern besonders schmerzhaft. Wir spazierten also nicht bis ganz zum Ende der Insel, sondern nahmen ein Vaporetto für das kurze Stück rüber zur Insel San Giorgio Maggiore, die zwischen der Hauptinsel und Giudecca liegt: Die Kirche sah interessant aus.

Als noch interessanter stellte sich allerdings eine Ausstellung auf der Insel heraus: Es gibt ein Glaskunstmuseum, und das zeigte gerade Werke von Thomas Stearns für Venini Anfang der 60er. Klein, sehr schön präsentiert und erklärt. Die Kirche guckten wir dann schon auch an, waren aber nicht mehr so richtig aufnahmefähig.

Vaporetto zurück nach San Marco, von dort zu Fuß ins Hotel, ausruhen. Abendessen in einem Restaurant ums Eck: Gutes Essen (Kalbsbackerl!), am meisten freute mich der Valpolicella ripasso im Glas.

Morgentlicher Blick vom Hotelzimmerbalkon auf einen durchwegs sonnigen Tag, der kälter roch, als er tatsächlich war.

Falls Sie sich wie ich gefragt haben, wie man wohl Sport in Venedig betreibt:
Zum einen gibt es die handelsüblichen Joggerinnen und Jogger, die sich halt statt durch Autoverkehr durch Touristenströme schlängeln. (Diese Joggerin und ihr Joggingpartner beschlossen ihre Sonntagsrunde gegen 11 Uhr mit einem Campari Soda und Kartoffelchips an einer Bar, in der sie als alte Bekannte begrüßt wurden. Das Konzept gefällt mir.) Einmal sahen wir in einem Hauseingang einen Mann auf einem Ergometer strampeln. Und zum anderen gibt es halt Fitnessstudios: Wir kamen einmal in der Abenddämmerung an einem vorbei, das auf einen schmalen Kanal rausging; durch die offenen Fenster sahen wir Menschen mit Blick nach draußen auf Laufbändern rennen und auf Crosstrainern strampeln.

Ausstellungseindrücke im Naturkundemuseum.

Blick von Giudecca nach Dorsoduoro.

San Giorgio Maggiore.

Journal Samstag, 4. Januar 2020 – Venedig 4, Markt, antike Skulpturen, Aperitivo im Gewächshaus

Sonntag, 5. Januar 2020

Gestern wieder ein eher sonniger Tag, doch schon das erste morgentliche Schnuppern auf dem Hotelzimmerbalkon ergab eindeutig: Winter – Geruch und Temperatur.

Diesmal ließ ich mich nicht vom Hotel-Cappuccino traurig machen, sondern trank zum Morgenjoghurt mit Mandarinen schwarzen Tee. Den Cappuccino gab es nach Verlassen des Hotels gleich ums Eck in einer Bar – und er war köstlich.

Für gestern hatte ich mir ausgedacht: Markt hinterm Rialto, Besuch des Museums Palazzo Grimani (auf Empfehlung von Mary Beard), vielleicht Spaziergang in den Giardini della Bienale.

Wir waren früh genug dran, um das Markttreiben noch ganz im Gange zu sehen. Ich freute mich an den großartigen Gemüsen (vorherrschend Radicchio Tardivo di Treviso und Artischocken, zudem viele bittere Blätter, von denen ich zu meiner Freude schon einige im Ernteanteil hatte), der Fisch und die Meeresfrüchte sahen an fast allen Ständen ausgesprochen frisch und einladend aus. Herr Kaltmamsell holte sich als Snack auf die Hand eine Tüte Frittura, Frittiertes aus dem Meer.

Den Palazzo Grimani hatte ich im Grunde aus Überforderung ausgewählt: In einer Stadt wie Venedig mit ihren unzähligen sehenswerten Museen und Kirchen kann man nur etwas verpassen. Doch ich will ja nicht das letzte Mal hier gewesen sein, warum also nicht ein eher wenig beachtetes Kleinod besichtigen.

Dieses Kleinod stellte sich als Volltreffer heraus: Zum einen bot der Palazzo gerade genug anzusehen, dass ich mich gründlich damit befassen konnte. Zum anderen war die Ausstellung wirklich besonders und entzückend, außerdem gut aufbereitet. (Plus: Wir waren fast die einzigen Besuchenden.) Das Gebäude ist ein Palazzo aus dem 16. Jahrhundert, in dem schon bald antike Skulpturen gesammelt wurden. Nach wechselvoller Geschichte hat die Stadt den Palazzo vor einigen Jahren renoviert und einige Räume so restauriert, dass sie einen Eindruck vom Wohnen darin im 16. Jahrhundert vermitteln.

Viel Zeit verbrachte ich im Sala a fogliami und seiner Decke, die mit Pflanzen und Tieren bemalt ist. Mit Herrn Kaltmamsell konnte ich die meisten Vögel identifizieren, sie waren so realistisch gemalt. Das eigentliche Herzstück des Museums aber ist die wiederhergestellte Sammlung antiker Skulpturen von Giovanni Grimani in dem Raum, in dem er sie ursprünglich ausgestellt hatte. Um diesen Eindruck zu erhalten, gab es keine Schilder an den Exponaten, sondern ein Faltblatt, das sie erklärte – besonders interessant jeweils die Aufschlüsselung, welcher Teil davon wirklich antik war, und was davon wann drangebastelt worden (mit teilweise haarsträubendem Resultat).
Nachtrag: Nehmen Sie sich unbedingt einen Audioguide! Wir lasen leider erst beim Verlassen des Palazzo, dass die italienische Version von Isabella Rossellini, die englische von Jude Law gesprochen wird.

Es war erst halb zwei, immer noch schien kalt die Sonne: Wir hatten große Lust auf einen Spaziergang in den Giardini und nahmen ein Vaporetto dorthin. Spazieren auf den begehbaren Teilen (das Biennale-Gelände war leider nicht zugänglich), Sitzen in der Sonne, Plaudern über das, was wir sahen. (Herr Kaltmamsell beschloss, die Dreier-Holzpfosten im Meer “Staketen” zu nennen und tat das ab diesem Entschluss konsequent. Weiß jemand, wie die tatsächlich heißen?)

Wir kamen auch an einem Glaspalast-artigen Gewächshaus vorbei, Serra dei Giardini, an dem ein Schild erklärte, es sei ursprünglich Ende des 19. Jahrhundert für die Pflanzenausstattung der Kunstausttellung errichtet worden, sei aber Ende des 20. Jahrhunderts geschlossen worden und verfallen. Doch dann wurde es renoviert und wiederbelebt, jetzt bewirtschaftet es die Genossenschaft Nonsoloverde Soc. Coop. Sociale ONLU als Lokal und Blumenladen. Hier kehrten wir ein, genossen Aperitivi und die Wärme des sonnendurchfluteten Gewächshauses.

Für uns bayerische/bayerisch-schwäbischen Zentralländler ist Bootfahren auf dem Meer aufregend – auch wenn es nur eine Lagune ist. Also nahmen wir ein Vaporetto, das uns auf einer besonders schönen Strecke 45 Minuten lang bis zum Bahnhof schipperte – die Kulisse von langsam errötender Sonne beschienen. So kalt war es jetzt gar nicht mehr, ich ließ mich auf dem Außendeck bei bester Aussicht durchpusten.

Zu Fuß ins Hotel, dort wärmten wir uns auf.

Fürs Nachtmahl spazierten wir unter dunklem Himmel aber zwischen noch hell erleuchteten Schaufenstern zu einer Empfehlung in den benachbarten Stadtteil Santa Croce: In der winzigen Osteria Trefanti wurden wir freundlich aufgenommen, bekamen erstaunlichen natural Schaumwein als Aperitif und eine Flasche schönen Weißweins aus dem Veneto (Davide Spillari, Bianco Crestan), außerdem Fisch und Meeresfrüchte auf ausgezeichnete Art.

Der Rückweg war fast unwirklich menschenleer, still und dunkel. Wir blieben immer wieder stehen, um den Sternenhimmel über den Dächern zu betrachten, die dunklen Winkel, Gassen und Palazzi.

Stephen King war mir als Lektüre derzeit zu unangenem geworden: Ich hatte zum Erstling der nigerianischen Autorin Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ gewechselt, Stay with me.

Blick von der Rialtobrücke.

Mercato.

Fischmarkt.

Der Palazzo Grimani:

Die schmale Eingangsfront.

Obst- und Tierbestimmung im Sala a fogliami mit Blick auf den Saal der Skulpturen.

Der fliegende Ganymed fliegt hier wirklich.

Laut den Museumsinformationen ist nur der Kopf dieser Venus antik, der Rest aus anderen Funden zusammengestückelt und nachgemacht. Der Gesamteindruck ließ mich an den Scherz einer Chorfreundin beim Anblick eines ähnlich misslungen Konstrukts denken: Venus von Bodybuildy (der Bizeps!).

Venezianischer Humor hinterm Dogenpalast.

Herr Kaltmamsell im Grünen der Giardini.

Hinterm Biennale-Gelände.

Serra dei Giardini.

Blick zurück auf Castello und die Giardini.

Hinter dieser Front (vom Vaporetto aus fotografiert) die Gasse entlang liegt unser Hotel.

Rialtobrücke.

An der Hauptfeuerwache.

Der Hauptgang in der Osteria Trefanti (erster Gang war Bacalà mit weißer Polenta für mich, Linguine mit verschiedenen Muscheln für Herrn Kaltmamsell): Schwertfisch für ihn, Wolfsbarsch mit Cicoria und Oliven für mich. Zum Nachtisch suchte sich Herr Kaltmamsell einen Flan mit Café aus, ich bekam den Käseteller.

Journal Freitag, 3. Januar 2020 – Venedig 3, Lido und Rüstungen

Samstag, 4. Januar 2020

Nach besserer Nacht vom Wecker geweckt, damit ich noch vor dem Frühstück fertigbloggen konnte. Vor dem Balkon des Hotelzimmers trübes Licht: Es wurde von dem Nebel geschluckt, den ich im Januar in Venedig erwartet hatte. Unterm Balkon sah ich einen Kormoran herumtauchen – Beleg, dass es in diesem Kanal Fische gibt?

Plan war ein Besuch des Lido: Thomas Mann am Strand suchen, und dann hatte ich ja schon vor Langem vom alten jüdischen Friedhof gelesen, der seit dem 14. Jahrhundert im Norden der Insel liegt.

Der feuchte Nebel machte die Luft deutlich kühler als am Vortag, ich zog einen Wollpulli unter dem Mantel an. Im Vaporetto stellte ich mich raus, um auf der Fahrt zum Lido möglich viel zu sehen – und kramte schnell Mütze und Handschuhe aus meinem Rucksack. Der ferne und unwirkliche Blick auf Dogenpalast und Markusplatz flashte mich völlig: Ich war wirklich, wirklich hier!

Auf dem Weg hielt das Vaporetto auch am Biennale-Gelände: Das sah nach einem lohnenswerten weiteren Ausflug aus. Wir sahen viele Kormorane, von denen einige auf den mächtigen hölzernen Pfosten dekorativ ihr Gefieder trockneten.

Vom Anlegeplatz Lido spazierten wir nach Norden. Als wir den jüdischen Friedhof erkundeten (es wurde darum gebeten, nicht zu fotografieren), lichtete sich der Nebel, Sonnenflecken beleuchtete die zum Teil verwachsenen Grabsteine und Mausoleen – ein wunderschöner Anblick. Wie schon auf dem jüdischen Friedhof in Nizza fiel mir auf, dass der Geburtsort vieler Bestatteter im 20. Jahrhundert weit entfernt von ihrer Grablege war.

Im benachbarten katholischen Friedhof sahen wir uns auch ein bisschen um und stellten fest, dass fast jeder Grabstein mit einem Foto des oder der Verstorbenen versehen war – hatte ich so konsequent auch noch nicht gesehen.

Es war ein wenig kompliziert, von dort zum Strand zu kommen, aber auch das schafften wir. Im milchigen Sonnenlicht spazierten wir am Wasser mit Meeresluft in der Nase bis zum Thomas-Mann-Hotel Grand Hotel des Bains, seit 2010 geschlossen, aber für Veranstaltungen im Rahmen von Biennale und Filmfestspielen genutzt (das erklärt wohl die gepflegten Außenanlagen, die ein wenig im Kontrast zu den Brettern vor den Fenstern im Erdgeschoß stehen).

Auf dem Weg zurück zur Vaporetto-Anlegestelle kehrten wir auf einen Espresso und auf ein Sandwich für Herrn Kaltmamsell ein.

Zweiter Programmpunkt sollte der Dogenpalast sein: Herr Kaltmamsell war zuletzt als Jugendlicher in Venedig gewesen und erinnerte sich, dass ihn die Rüstungen und Waffen dort sehr beeindruckt hatten; die wollte er gerne wiedersehen. Nur sehr langsam kamen wir von der Anlegestelle durch die fotografierenden Menschen dorthin, mussten dann aber gar nicht lange am Palast anstehen. Die wundervoll ausgestatteten Räume mochte ich auch bei meinem zweiten Besuch sehr, Herr Kaltmamsell freute sich wieder an Rüstungen und sehr alten Waffen aus aller Welt.

Jetzt hatte auch ich Hunger, wir ließen uns im Museumscafé nieder. Nach einer heißen Schokolade mit Sahne war ich eigentlich satt, doch ich hatte auch ein Sandwich bestellt – das sehr lange auf sich warten ließ. Als es endlich serviert wurde, war mir ob des Ärgers endgültig der Appetit vergangen, Herr Kaltmamsell packte das Sandwich ein.

Während unseres Aufenthalts im Dogenpalast hatte ich bereits durch die Fenster gesehen, dass der Nebel zurückgekommen war, dichter als am Morgen. Das legte über den Anblick des Markusdoms Weichzeichner, er sah in der letzten Abenddämmerung völlig verzaubert aus.

Wir hatten dann abends keine Lust mehr das Hotelzimmer zu verlassen und teilten uns zum Nachtmahl einfach das eingepackte Museums-Sandwich.

Die Spiegel in diesem Laden hatte ich schon vor sieben Jahren bewundert.

Mehr als alle dekorativen Boote faszinieren mich auf den Kanälen die Nutzboote: Es muss ja wirklich alles, alles auf diesem Wege herangeschafft werden, eben auch Baumaterial.

William-Turner-Blick auf Giudecca von unserem Abfahrtsort Zattere.

Strandspaziergang. Die schönsten Muschelschalen hob ich zwar auf, um sie zu bewundern, steckte aber keine einzige ein!

Herrn Mann diskret zugenickt – in Gedanken bei dem Fräulein, das sein größter Fan war.

Blick zurück auf die Anlegestelle Lido.

Ziel San Marco.

Januarlicht.

Dogenpalast.

Blick von der Seufzerbrücke auf Seufzerbrückefotografierende.

Piazzetta San Marco.

Piazza San Marco, als gerade ein Schwarm Kormorane drüberflog.

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Wieder etwas aus dem Techniktagebuch gelernt: Florian Karsten schreibt über
“Librophon und Phonobuch”.

Journal Donnerstag, 2. Januar 2020 – Venedig 2, Ghetto und Cicchetti

Freitag, 3. Januar 2020

Warum ausgerechnet diese Nacht von Hüftschmerzen zerhackt wurde und ich erst morgens ein paar Stunden Schlaf am Stück zuwege brachte, wüsste ich schon gern. Außerdem war mir kalt, ich musste eine Zusatzdecke holen.

Aber ich war ja im Urlaub und konnte ausschlafen. Das Frühstücksangebot des Hotels umfasste zu meiner Freude auch weißen Joghurt und Obst. Der Cappuccino allerdings war Hotel-üblich traurig, ich brauchte am Vormittag einen weiteren in einem Café auf dem Weg.

All die sehenswerten Kirchen und Museen Venedigs überforderten mich erst mal, außerdem strahlte herrliche Sonne: Ich hatte Lust auf ausgiebiges Rumlaufen. Als Ziel legte ich das Ghetto fest. Große Überraschung: Auf unserem Meanderweg durch das Viertel San Polo entdeckten wir auf dem Campo San Polo eine Eislaufbahn, inklusive begleitender Glühweinhütte. Wäre ich nur ein wenig abenteuerlustiger, könnte ich jetzt von mir sagen, ich sei in Venedig schon mal Schlittschuh gelaufen. Aber so jemand bin ich halt nicht.

Viele, viele Touristen, an den wenigen Brücken über den Canal Grande war schier kein Durchkommen. Und das, wo doch derzeit die nebenste Nebensaison ist und keine Kreuzfahrtschiffen anliegen. Korrektur: Laut Italien-Touristik-Expertin Vinoroma ist derzeit trotz der niedrigsten Übernachtungspreise des Jahres nicht Nebensaison, sondern Hochsaison. Aber hier ist es halt wirklich außergewöhnlich schön. Das könnte unter anderem damit zu tun haben, dass es keinen Autoverkehr gibt.

Im neuen Ghetto stand noch der große Chanukka-Leuchter, wir besuchten das Museum über die Geschichte der Juden in Venedig, sahen in den Auslagen umliegender Läden herrlichen Chanukka-Kitsch.

Gehen war bereits seit einiger Zeit anstrengend; ich fürchte, mehr als eine Stunde kann ich nur noch mit eben Anstrengung. Also ließen wir uns vom Vaporetto zum nächsten Ziel fahren: Wir leisteten uns einen Wochenpass, um jederzeit in einen der Wasserbusse springen zu können – auch wenn das wahrscheinlich nicht billiger wird als Einzelfahrscheine.

Ziel war Zattere, wir wollten Cicchetti (Schnittchen) und ein Glas Wein. Das einzige offene Lokal dafür war proppenvoll, die Schlange am Tresen stand bis auf den Gehweg. Ich war schon dabei entmutigt abzudrehen, als ich Herrn Kaltmamsell bat, mich doch bitte zu etwas Heldinnentum zu zwingen, über das ich mich anschließend sicher freuen würde. Und so fasste ich mir ein Herz und stürzte mich ins Gewimmel. Das lange Schlangestehen hatte den Vorteil, dass ich durch Zuhören und Zusehen lernen konnte. Ich kam dann mit den abgehörten Brocken Italienisch durch – oder halt dem, was ich mir als solches ausdenke. Ich rechne es meinen bisherigen Kontakten unter Einheimischen in Venedig hoch an, dass sie nicht entnervt auf eine andere Sprache umschwenkten, sondern das langsame Meucheln ihrer Muttersprache erduldeten.

Ausruhen im Hotel, für den Abend hatte ich ums Eck einen Tisch reserviert: Hier hatte ich vor sieben Jahren mit meiner Mutter gut gegessen und hoffte, dass das immer noch möglich sein würde. War tatsächlich ok.

Herr Kaltmamsell stellte wie so gerne im Ausland ethnologische Studien anhand des Fernsehprogramms an, ich las noch Internet.

Blick vom Hotelzimmer-Balkon.

Mauerkrokodil.

San Barnaba.

FEUERWEHRBOOT!

Campo San Polo.

Der Bahnhof Venedig Santa Lucia mit Wasserbushaltestellen.

Chanukkakitsch.

Zattere.

Abendessen: Erster Gang Sarde saor für mich, Baccalà für ihn, beides mit Polenta.

Nudeln mit (ganz hervorragendem) Hummer für mich, Frittura mista für ihn.

Zum Nachtisch Birne in Crème anglais, Crème caramel mit Amaretti.

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Nancy Mitford, The Pursuit of Love ausgelesen. Ich war von Anfang an sehr angetan von dieser nach Judith Kerr weiteren und ganz anderen Sicht auf die Zeit Ende der 30er, Anfang der 40er in Europa. Nancy Mitford hat nach eigenen Angaben viel von ihrer eigenen Familiengschichte für diesen Roman genutzt, in dem der Landadel noch ungebildeter und blasierter dargestellt wird als bei P.G. Wodehouse. Und doch spricht die Erzählerstimme gleichzeitig voller Zuneigung von der Hauptfigur Linda, die im Schloss ihres Vaters aufwächst, nie eine Schule besucht – und so in Zeiten ohne Massenmedien wirklich weltfremd groß wird. Wir erleben die Zeiten des spanischen Bürgerkriegs, der Vorkriegszeit in Paris und der Bombenangriffe auf London diesmal über die Geschichte einer naiven und rücksichtslosen Person, die einfach durchs Leben getrieben wird. Das Vorwort meiner Ausgabe (eine Sammelausgabe von drei Mitford-Romanen) ist von Philip Hensher und beginnt:

Nancy Mitford’s novels have always repelled as many people as they have enchanted, and the criticism they have drawn has not often been good-natured in tone.

Ich kann gut nachvollziehen, wenn sich jemand an der Frivolität von The Pursuit of Love stößt, doch in meinen Augen zeichnet der Roman ein wundervolles Sittengemälde, umso glaubwürdiger, weil die Autorin Teil der direkt und indirekt karikierten Gesellschaftsschicht war.