Journal Samstag, 18. Juli 2020 – Geschwommen, Nachdenken über Migräne

Sonntag, 19. Juli 2020 um 7:59

Zerstückelte Nacht, vor dem letztem Stück merkte ich, dass mich eine Migräne anfiel. Triptan per Nasenspray, und nach zwei weiteren Stunden Schlaf war ich ok. Worüber ich mich sehr freute, denn ich hatte bereits befürchtet, dass die Migräne mich um meine herbeigesehnte Schwimmrunde bringen würde.

Ein sonniger, kühler Tag, schon das Radeln zum Olympiabad freute mich. Im Wasser war mehr los als bei den vorherigen beiden Malen, aber mit doppelt breiten Bahnen völlig ok. Ich fühlte mich fröhlich und energiegeladen, mein Körper machte 3.000 Meter mit, die meiste Zeit völlig gedankenverloren.

Auf der Rückfahrt (ohne Jacke) Semmeln geholt. Der Himmel zog mit düsteren Wolken zu, so wolkig und immer wieder bedrohlich düster blieb es dann den Tag über.

Frühstück mit Semmeln. Gleich danach bügelte ich die Wäsche der vergangenen beiden Wochen weg, anderthalb Stunden.

Trotz Wolken war es warm genug für Zeitunglesen auf dem Balkon (mit Strickjacke). Unter anderem schreibt in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Titus Arnu, selbst schwerer Migräniker, über drei Tage in einer Migräneklinik (€):
“Der Feind im Kopf”.

Darin nicht viel Neues (Migräne ist eine neurologische Erkrankung, fungiert als Vollbremsung des Gehirns, erbliche Belastung ist ein Faktor, Auslöser so zahlreich, dass schwer zu behandeln, für die Wirkung esoterischer Methoden gibt es keine Evidenz), ich lernte aber, wie mein Triptan funktioniert:

Bei einer Migräne-Attacke entleert der Körper schlagartig seinen Vorrat an Serotonin, einem natürlichen Schmerzhemmer – die Triptane docken dann an diesen Serotonin-Rezeptoren an und lindern den Schmerz.

Das ist interessant, denn der Beginn meiner regelmäßigen Attacken fällt zusammen mit der temporären Einnahme eines Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers (was natürlich Zufall sein mag). Viel interessanter fand ich die Gemeinsamkeiten, die Migränikerinnen nach derzeitigem Stand der Forschung haben:

“Migräniker haben ihre Antennen überall”, sagt die Psychotherapeutin Anke Pielsticker, “das ist eine Gabe, es kann aber auch zur Belastung werden.”
(…)
Offensichtlich haben Migräniker (…) eine innere Gemeinsamkeit. “Ihre Gehirne funktionieren anders”, erklärt mir Chefarzt Charly Gaul in seinem Sprechzimmer. “Migräniker sind aufmerksamer und können Dinge schlechter ausblenden.” Das kenne ich nur zu gut: Wenn zehn Menschen an einem Tisch durcheinanderreden oder zwei Musikstücke parallel zu hören sind, weil Radio und Fernseher gleichzeitig laufen, halte ich das kaum aus. Und in einem Raum, in dem ein Wecker tickt, kann ich nicht schlafen. Es kann eine Stärke sein, hypersensitiv zu sein, verursacht aber auch Probleme.

Ich zählte durch und bemerkte, dass unter meinen Freundinnen und Freunden über die Hälfte unter Migräne leiden (der Bevölkerungsanteil liegt in Deutschland laut Artikel bei zehn bis fünfzehn Prozent) – vielleicht verstehe ich mich mit solchen Zwangswahrnehmerinnen besonders gut (wobei mir auch nahe Antennen-Menschen einfallen, die noch nie Migräne hatten).

Fürs Nachtmahl war ich zuständig, es gab breite Bohnen (zugekauft) mit Kartoffeln aus Ernteanteil nach Art meiner spanischen Oma. Dazu ein Glas Rosé. Nachtisch war die frische, reife Ananas, die ich am Vortag beim Süpermarket Verdi bekommen hatte (und Schokolade).

§

Endlich eine vorgemerkte rbb-Doku angesehen:
“Vergessene Frauen – Vertrags- und Gastarbeiterinnen heute”.

Über ein Drittel der Vertrags- und Gastarbeiter die nach Deutschland kamen, sind Frauen. So wie Thu Fandrich, die gegen ihren Willen aus Vietnam hergeschickt wurde, und Gül Ataseven-Özen, die als junge Frau allein aus der Türkei kam. Sie leben noch immer in Deutschland.

Sehr empfehlenswertes Stück deutscher Geschichte.

§

Kemi Fatoba erzählt in der Zeit:
“Stadt, Land, Angst”.

Viele Städter fahren einfach raus ins Grüne, um mal abzuschalten. Unsere Autorin ist schwarz, für sie bedeutet ein Ausflug aufs Land Anspannung, nicht Entspannung.

via @AnnaDushime
(nicht die Kommentare lesen) (außer Sie suchen einen Beleg für die Ingoranz gegenüber Rassismus in Deutschland)

§

Ben Fergusson lebt mit seinem Mann und dem gemeinsam adoptierten kleinen Sohn in Berlin. Im Guardian beschreibt er an vielen Alltagsdetails, wie ein schwules Männerpaar als Eltern in der Öffentlichkeit Geschlechter- und vor allem Mütterstereotypen sichtbar macht.
“‘Mum’s day off, is it?’: what adopting as a same-sex couple taught us”.

Here in Germany, a new parent receives 12 months of parental leave (or 14 months, divided any way, if the time is shared between both parents) paid by the government at 70% of their salary. We covered our son’s first year by each taking seven months off, the first two together. Yet despite the government’s best efforts, 70% of fathers in Germany don’t take paid parental leave.

When there’s no social expectation about which parent stays at home and looks after the baby, the idea that either of you would do it single-handedly seems crazy. If my husband had suggested going back to work after two weeks, I’d have thrown the television out of the window. The fact that women tend to take on the bulk of childcare is not news. But having to negotiate how we share it, without external pressure about who should do what, has made us acutely aware of the chasm between how people talk about shared parenting and how it pans out.

§

Der launige Rausschmeißer für den Sonntag:
“Irgendwie holt die Heimat einen dann doch immer ein!”

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Samstag, 18. Juli 2020 – Geschwommen, Nachdenken über Migräne“

  1. Modeste meint:

    Danke für die tollen Links.

  2. Elfe meint:

    Dann können Sie Ihre Schokoladen sogar als Migräne-präventiven Bedarf genießen.

  3. Marika meint:

    Was Modeste sagt!
    Schönen Sonntag Ihnen!

  4. Croco meint:

    „Migräniker haben keine Filter.“
    Daran denke ich, wenn mal wieder alles auf mich einprasselt und es mir zuviel wird. Es hilft mir insofern, als dass ich dann einen Schritt zurück gehe und mir überlege, was was wirklich wichtig ist ( der Satz klingt komisch, oder?).
    Ich muss mir den Filter selbst bauen, sonst gehe ich unter.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Interessant, Croco: In guten Zeiten genieße ich es, ganz viel wahrnehmen zu können – das Gefühl der Überforderung damit verbinde ich mit depressiven Schüben, wenn ich bittebitte einfach nur nicht wahrnehmen möchte.

  6. Croco meint:

    Das kenne ich auch, das Genießen, das viel stärker ist als bei anderen. Das kann auch kippen mitten drin. Manchmal kommt es in den traurigen Phasen, wenn schon der dritte Tropfen das Fass gefüllt hat und zum Überlaufen bringt.
    Zur Zeit rechne ich täglich mit einem fulminanten Anfall, weil mir alles zuviel ist, alles. Noch dümple ich vor mich hin.

Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.