Journal Sonntag, 5. Dezember 2021 – #WMDEDGT

Montag, 6. Dezember 2021 um 6:35

Es war der 5. des Monates, ich hatte einen Tag ohne Arbeitsgeheimnisse, also kann ich mich an Frau Brüllens #WMDEDGT (Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag) beteiligen.

Von wegen Yoga macht stark: Schon beim Aufwachen um halb sieben (nach siebeneinhalb Stunden Durchschlafen! so schön!) spürte ich ordentlich Muskelkater im Po aufziehen. Apropos ziehen: Frischen Hausanzug angezogen, Bett abgezogen, Waschmaschine gefüllt.

Es war ja noch ein paar Stunden dunkel, also Lampen im Wohnzimmer angeschaltet, Milchkaffee für Herrn Kaltmamsell und mich gemacht. Auch diesen Winter schäumt eine sonst immer gut schäumbare Milch auf einmal nicht mehr: die Bio-Eigenmarke vom Rewe, Vollmilch “traditionell hergestellt”. Kein Erklärungsansatz für die Schäumbarkeit von Milch (Eiweißgehalt, Fettgehalt, Temperatur) hat mich bisher überzeugt: Gibt es ausgerechnet dazu keine sauberen Versuchsreihen, sondern nur Theorie?

Über Milchkaffee und einem Glas Wasser gebloggt, mit einer großen Tasse Tee Twitter nachgelesen. Dazwischen Wäsche versorgt.

Gegen zehn machte ich mich mit Zähneputzen und Katzenwäsche fertig für eine Laufrunde, die erste mit Handschuhen. Plan war, über den Südfriedhof zur Isar zu spazieren und an der Wittelsbacherbrücke loszulaufen, doch es war in meiner Laufkleidung (wie hier) zu kalt zum Spazieren: Ich joggte schon auf dem Südfriedhof los.

Jetzt, wo ich wieder Isarlaufen kann, sah ich selbst die Winterbader, von denen ich bislang nur las (ist wohl während der Corona-Schließungen eine Bewegung geworden). Am Flaucher war es gleich eine etwa Dutzend-köpfige Gruppe.

Keine weiteren Fotos, weil der Akku des Handy in der Kälte wieder schlapp machte. Laufen ging gut, fühlte sich in der ersten Hälfte aber anstrengend an. Ich trabte am Ostufer bis zu Maria Einsiedel, kreuzte die Isar, lief um den Hinterbrühler See, über Flaucher und Westseite der Isar zurück zur Wittelsbacherbrücke. Das waren anderthalb Stunden ohne irgendwelche Probleme, weder mit Hüfte noch mit Achillessehnen – ein Geschenk.

Nach dem samstäglichen Regen waren die Wege allerdings ausgesprochen Herbstlaub-matschig.

Ich kaufte Semmeln beim Wimmer in der Westermühlstraße und spazierte heim. Jetzt war ich ziemlich durchgefroren: Ich ließ mir das zweite Vollbad überhaupt in der neuen Wohnung ein – das ist halt nur mittel-attraktiv, wenn der Heizkörper im Bad nicht funktioniert. War dann ok.

Zum Frühstück gab’s zwei Semmeln, außerdem die letzten beiden kleinen Orangen aus der Crowdfarming-Lieferung und eine Banane.

Der Nachmittag gehörte dem Stollenbacken, zweite Runde. In den Geh- und Backzeiten bügelte ich (mein Muskelkater führte inzwischen zu lustigem Watscheln). Und bei all dem hatte ich Musik auf den Ohren, wieder den hochinteressanten Brudefamilien-Mix auf Spotify. Dabei Nachdenken über Weihnachtsgeschenke, ich hatte Ideen (und Beratung auf Twitter, aber leider gibt es wohl wirklich keinen menschlichen Bauchinnenraum aus Lego, auch keine Monopoly-Variante “Deutsches Gesundheitssystem” – sad).

Blumengießen, Bettüberziehen. Das Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell, es gab Schaschlik.

Und zum Nachtisch den Orangenflammeri – der mit fünf Gramm mehr Stärke nicht nur nicht fest, sondern sogar Sauce geworden war, ein Rätsel.

Wir löffelten ihn halt aus den Förmchen. Und schoben noch ein wenig Schokolade nach.

Fernseher aus, sonntagabendliches Computer-Backup auf externe Festplatte.

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Als am Samstag auf Twitter #MircoNontschew trendete, fürchtete ich lediglich, dass sich wieder ein Promi fürs Querdenken stark machte. Doch es war schlimmer: Mirco Nontschew war gestorben.
Ich war in den 90ern überrascht und hatte mich darüber gefreut, dass ein junger deutscher Komiker physical comedy machte, also Gaudi bloß mit Körper und Gesicht – das war und ist in unserem Kulturkreis selten. (Und ich erinnere mich, dass an genau seinem Beispiel Herr Kaltmamsell und ich unterschiedliche Geschmäcker erkannnten: Er mag physical comedy nicht.) Ein schöner Nachruf in der Zeit.

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Wieder bei Crocodylus gefunden:
“Warum die rührselige Armuts-Doku im ORF einfach nicht gut genug ist”.

Viele Beschreibungen aus Österreich sind auf Deutschland übertragbar.

In einer Szene besucht die Journalistin eine alleinerziehende Mutter und deren Sohn zu Hause im Gemeindebau. Was er sich denn zu Weihnachten wünsche? “Nicht viel, eigentlich gar nichts,” antwortet der Bub. Die Journalistin besteht auf einer Antwort: Wenn er was auf seinen Wunschzettel schreiben müsste? Da muss er schon darüber nachdenken, sagt er. Eine kurze Nachdenkpause, trotzdem, der 12-Jährige bleibt bei seiner Antwort. Er hat keinen Wunsch. Die Journalistin ist überrascht und lacht: “Du wünscht dir nichts zu Weihnachten? Na, du bist aber wirklich bescheiden!” Nein, möchte ich ihr zurufen, schreien will ich es. Der Bub ist nicht bescheiden, der Bub ist arm.

Wer als armes Kind geboren wird, weiß um die Last, die die Eltern tragen. Die Last ist unsichtbar, sie wird nicht ansprochen, nie erklärt, nicht in Worte gefasst. Ein armes Kind weiß davon, wie es weiß, dass der Himmel blau oder Wasser nass ist. Die Armutslast der Eltern ist so naturgesetzlich wie die Schwerkraft. Jedes arme Kind hat den Wunsch, dass die Mama, der Papa nicht mehr arm sind. Und nicht, weil dann das Paradies ausbricht, und man mehr Spielzeug bekommt, als man in sein winziges Kinderzimmer stopfen kann. Nein, weil es den Eltern eine Last nehmen will.

(…)

Dabei wollen alle Eltern das Beste für Ihr Kind. Für die einen bedeutet das, Babyschwimmen besuchen, musikalische Früherziehung buchen, Lebkuchenhaus basteln. Die anderen hängen nach der Schicht noch ein paar Stunden dran, fahren Nachtschicht, gehen am Wochenende rein, die Zulage ist wichtig, die Kinder brauchen Winterschuhe. Die sind jetzt dringender als die Zeit, die man braucht um bei der Hausübung helfen zu können.

Mir bleibt immer wieder die Spucke weg, wenn Privilegierte (wie ich) kein Mitgefühl aufbringen können und achselzuckend darauf verweisen, wie viele Hilfsangebote und -gelder es vom Staat gibt. Offensichtlich können sie sich nicht vorstellen, dass das Wissen um diese Angebote zu vielen Armen überhaupt nicht durchdringt, dass in vielen Bevölkerungsschichten die ganze Informations- und Organisationsstruktur eine andere ist. Irgendwann brachte ein Tweet diese bornierte Haltung auf den Punkt: “Wenn ICH arm wäre – wäre ich nicht lange arm.” Dabei besteht die größte Anstrengung offizieller Stellen darin, an die betroffenen Leute überhaupt ranzukommen, deshalb gibt es Sozialarbeiter*innen, Streetworker, Stadtteilzentren.

In meiner ganz kleinen Welt bin ich für Hilfe nur nah genug an zwei, drei armen Menschen: Kleine Infos im Einzelfall, Unterlagen kopieren.

§

@robicellis verpasst ihren Anschlussflug und muss die Nacht am Chicagoer Flughafen verbringen. Statt sich zu grämen, holt sie in einem Twitter-Thread alles aus dieser Nacht heraus.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Sonntag, 5. Dezember 2021 – #WMDEDGT“

  1. Roswitha meint:

    danke für die vielen anregungen in deinem blog. heute muss ich unbedingt deinen worten zum orf- bericht zustimmen, wer arm ist, ist es manchmal auch deshalb, weil er/sie “hilflos” ist und sich schämt. meine frühere arbeit und erfahrungen im umfeld machen mich immer wieder zornig über die borniertheit derer, die sich diese situation für sich nicht vorstellen können. schon ein grundeinkommen(wie in Ö und den NL) würde eine hilfe sein. und manche menschen in behörden treffen diese menschen mit ihren worten wie mit pistolenschüssen. schon eine scheidung oder krankheit kann menschen in diese lage bringen.

  2. Marika meint:

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    Genau!

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