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Montag, 31. Oktober 2022

Journal Sonntag, 30. Oktober 2022 – Back in the Schwimmbecken und passiv-aggressives Radeln

Montag, 31. Oktober 2022

Wieder herrlich lang geschlafen und zu warmem Sonnenschein aufgewacht. In der letzten Phase geisterte ein Filmzitat in meinem Hirn herum: “I was born in peacetime.” Beim Aufwachsen ergänzte die Erinnerung, dass es weiterging mit “I haven’t seen what you’ve seen.”, wollte mich aber glauben machen, dass es von George Clooney in einem Film gesprochen wird. Auflösung hinter der Fußnote, an diesen Film hatte ich schon ewig nicht mehr gedacht.1

An diesem letzten Wochenende im Oktober waren wir zur Winterzeit, also MEZ zurückgekehrt. Erst mal die Uhren im Haushalt korrigiert (darunter eine, die sich nach Jahren mal wieder selbsttätig verstellt hatte, da hatte ich aber schon eingegriffen, das ruinierte meinen Flow). Nach gemütlichem Bloggen und Internetlesen zu Milchkaffee machte ich mich fertig für eine Schwimmrunde im Olympiabad – vielleicht war das Wasser ja derzeit warm genug für ausführliche Bahnen, sie Stadtwerke-Website nannte 26 Grad für Sportbecken.

Auf den Weg ins Olympiabad spielte ich mein passiv-aggressives Lieblingsspiel “Radeln gemäß Straßenverkehrsordnung”.2 Als Challenge suchte ich mir zwischen Ziemssenstraße am Nußbaumpark und Maxvorstadt eine östliche Umfahrung des Hauptbahnhofs raus. Ich scheiterte, denn ordnungsgemäß hätte ich ab Bayerstraße den Autos folgend eine riesige Zusatzschleife über die Sonnenstraße drehen müssen. Statt dessen schummelte ich, stieg ab und schob mein Fahrrad über Fußgängerampel-Überwege. Also zwar nicht gegen die StVO verstoßen, aber nicht wirklich geradelt.

Unterwegs stieg ich ab, um mal wieder Häuserkunst zu fotografieren. Auf dem Wandtatoo am Nordende der Hiltenspergerstraße steht: „Nur auf dem Boden der Eintracht gedeiht Schönheit und Ordnung“. Eine eigentlich schöne Sentenz, korrekt wäre aber „gedeihen“, früher war auch nicht mehr Rechtschreibung.

Heimkommen ins Olympiabad. Ich schaute kurz vorher auf die Auslastungsanzeige online, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Zahl bedeutete.

Sie bedeutet: gemütliches Schwimmen möglich. Und zu meiner riesigen Erleichterung fühlte sich das Wasser warm an. Ich schwamm gleich mal meine 3.000 Meter. Das war wahrscheinlich zu viel (das letzte Mal schwamm ich diese Strecke vor – *checkt die Moves-App ihres Smartphones* – mehr als vier Monaten), meine Schultern jammerten, ich war abschließend ziemlich erledigt, doch ich konnte es Bahn um Bahn nicht fassen, dass ich immer noch! nicht! fror!

Der Beweis: Schwimmen macht schön.

Beim Heimradeln (nach wenigen Metern hielt ich an und stopfte meine Jacke in den Fahrradkorb, viel zu warm) kamen mir wieder Menschen in Hochsommerkleidung entgegen.

Zu Hause erst mal den letzten Granatapfel entkernt, Schokopudding aus Haselnussmilch gekocht, eine Tasse Tee aufgebrüht (ich war noch nicht bereit für Frühstück). Haselnussmilch in Schwarztee (auf englische Art) geht übrigens gut.

Frühstück schießlich auf dem Balkon: Schinkenbrot, Brot mit Kürbismarmelade, Granatapfelkerne.

Das machte mich bettschwer. Ich hielt eine kleine Siesta mit diesem Ausblick.

Auf dem Balkon die Wochenendzeitung ausgelesen. Ein Stündchen gebügelt, belohnt durch das schöne Gefühl, das jetzt wieder alles weg ist.

Das Schwimmen hatte meine immer unangenehmeren Kreuzschmerzen gelindert, doch den Oberkörper spürte ich. Ich gönnte mir eine Runde Mady-Yoga mit Dehnen rundum.

Ich wunderte mich, warum ich schon um sieben so brutal Hunger hatte – bis mir die Zeitumstellung einfiel. Es gab aufgewärmtes Süßkartoffel-Curry vom Vortag, gestreckt mit Erbsen. Nachtisch Schokopudding. Und Schokolade.

Fürs Abendprogramm sah ich mal in Marnie rein – aber Hitchcock und ich kommen einfach nicht zusammen: Die visuellen Erzählmittel total plump, die Dialoge aufgesetzt, das Frauenbild zum Haareraufen. Ich halte Alfred Hitchcock vor allem für einen Meister im Selbstmarketing.

§

Eine weitere schlaue Analyse der Folgen von Elon Musks Twitter-Kauf, zentrale Beobachtung: Das geschäftlich Wichtigste an Twitter ist die Zufriedenheit der Anzeigenkunden, nicht die der Twitterer.
“By Buying Twitter, Elon Musk Has Created His Own Hilarious Nightmare”.

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Pragmatismus abseits von Konventionen, ein Beispiel von novemberregen.

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Andrea Diener, selbst Straßenfotografin, hat über eine Vivian-Maier-Ausstellung geschrieben, mit der wichtigen Einleitung, dass ihr “Werk erst allmählich die spektakuläre Entdeckungsgeschichte zu überstrahlen beginnt”.
“Künstlerin, nicht Kindermädchen”.

  1. Es ist aus Hear My Song, zusammen mit Funny Bones vom selben Regisseur, Peter Chelsom, einer meiner Lieblingsfilme. []
  2. Ich kann das wirklich empfehlen für Leute, die halbwegs so gestrickt sind wie ich, die sich also gerne in Selbstgerechtigkeit sonnen, weil sie durch Befolgung der Regeln deren Absurdität belegen, also zum Glück für fast niemanden, denn ich könnte die Welt und das Leben noch schlechter ertragen als ohnehin, wenn ich von Leuten wie mir umgeben wäre. []

Journal Samstag, 29. Oktober 2022 – Heißer Oktobersommer

Sonntag, 30. Oktober 2022

AUSGESCHLAFEN! Erst kurz vor halb acht wurde ich richtig wach.

Dann stellte sich allerdings heraus: Haselnussmilch für café con leche schmeckt bitter und damit mir nicht. No na, zumindest was gelernt, wird halt Pudding draus.

Erst mal eine Maschine Bettwäsche und Weißes erledigt.

Zur Feier des Tages eine zweite Schale Milchkaffee beim Internetlesen, diese mit Kuhmilch.

Die Kiste mit Winterschuhen aus dem Keller geholt, sie voller Sandalen und anderer Sommerschuhe wieder runtergebracht. Ansonsten wurde mein Kleidungsbestand durch Größenänderung so reduziert, dass ich sie gesamt locker in meinem Schrank unterbringe und nichts in den Keller räumen muss – super!

Sommerwetter mit gemischten Wolken. Statt den Balkon winterfertig zu reinigen, machte ich ihn nochmal gemütlich: Wischte die Möbel ab, saugte gründlich durch. Vor Balkongenuss weihte ich aber meine neuen Laufschuhe ein.

Da schau her: Seit dem Kauf davor hat sich sogar die Schuhbandlmode verändert. Und ich bin sehr froh, dass man nicht mehr die Neon-Autoscooter-Optik hat.

Ich radelte in kurzen Ärmeln und dünnen Dreiviertelhosen zum Friedensengel (um elf brauchte es nicht mal fürs Radeln Wärmeres), ließ mein Fahrrad zwischen gesammelten Laubbergen stehen und lief los. Schnell stellte ich fest, dass es auch ein Trägertopp getan hätte, ich schwitzte. Und das zwischen nahezu laubfreien Bäumen.

Highlight: Ich sah einen Grünspecht oben an einen Stamm fliegen – endlich mal einen gesehen und nicht nur gehört (dieser hatte keinen Ton gemacht). Ich lief leicht und mit Genuss, die Luft war herrlich.

Am Ende meiner Runde kam mir eine Radlerin in einem Trägerkleidchen entgegen – perfekt fürs Wetter.

Zum Frühstück gab’s Schinkenbrote aus aufgetautem Selbstgebackenem, Granatapfelkerne.

Dazu die Wochenend-Süddeutsche. Lassen Sie sich nicht von den kahlen Bäumen irreführen: Es ist nicht Herbst.

Dieses Jahr wird mir im Gegensatz zu immer die Umstellung auf Winterzeit schwer fallen, ich bin noch nicht so weit, es ist doch noch Sommer!

Ich habe gerade einen Inneneinrichtungsschub, Ursache unklar. Nicht nur stehe ich kurz davor, mich zusammen mit Herrn Kaltmamsell für ein Sofa zu entscheiden, das ich entdeckt habe: Ich hatte Deko-Ideen und zog nach dem Frühstück nochmal los in die Fußgängerzone (in kurzen Ärmeln und mit nackten Füßen in den Schuhen). Kam zurück mit einem schönen Übertopf für Oleanderfeigi und mit einer dekorativen Vase für den Flur. Bin sehr dankbar für den Schub, denn ich möchte eigentlich schöner wohnen als bisher, bringe nur nie die Energie für Recherchen, Ideen, Abstimmungen, Kauf auf.

Kurze Siesta, dann Zeitunglesen auf Balkon.

Als die Sonne verschwand, ging ich in die Küche und kochte Äpfel zu Mus, die sich aus zwei Ernteanteilen gesammelt hatten, nur mit ein wenig Zucker und Zitronensaft. Das Zerfallen dauerte überaschend lang, sind halt keine Kochäpfel.

Zum Nachtmahl bereitete ich mir ein Süßkartoffelcurry zu vage angelehnt an dieses Rezept, allerdings ungefähr skaliert auf die Süßkartoffelmenge im Ernteanteil.

Wurde sehr gut – allerdings hatte ich die Temperatur unterschätzt, das Curry brannte am Topfboden an. Nachtisch 1 warmes Apfelmus, Nachtisch 2 Schokolade (zu viel, Bauchdrücken).

Es wird weiterhin nach Mastodon umgezogen.

Mit den Funktionen dieses Fediverse oder ihrem Fehlen bin ich geduldig: Als Internet-Oma habe ich halt auch Twitter von fast Anfang an miterlebt und erinnere mich (*krückstockfuchtel*) an die Zeiten, in denen man mobil nur per SMS twittern konnte, zunächst an eine US-Telefonnummer, in denen wir User*innen die @-Replies und Retweets per RT einführten, die erst später ins System integriert wurden, in denen man Bilder nur über das Plug-in Twitpic twittern konnte etc. etc.

In diesem Zuge lud ich mein Twitterarchiv (15 Jahre) runter – ich weiß ja nicht, wie lange diese Funktion noch existiert.

Ein wütender Artikel auf The Verge weist Elon Musk darauf hin, dass er als Alleininhaber jetzt auch allein für die Probleme mit Twitter verantwortlich ist, vor allem für die politischen Probleme – egal ob es um die Verhandlungen mit Anzeigenkunden geht oder mit Regierungen.
“Welcome to hell, Elon
You break it, you buy it.”

In frisch bezogenes Bett schlafen gegangen, schnurrrr.

Journal Freitag, 28. Oktober 2022 – Es wird zu Mastodon gewandert

Samstag, 29. Oktober 2022

Wieder ein Stress-Traum, diesmal aber zumindest mit der erfreulichen Komponente Wohnung, noch dazu meine Lieblingswohnung im Studium am Augsburger Elias-Holl-Platz. Ich war zu Besuch in Augsburg und kam auf die Idee, in meiner alten Wohnung zu übernachten, da die derzeitige Mieterin außer Haus war. Der Hausmeister ließ mich rein (als Aussehen griff mein Visualisierungszentrum zu dem eines hochbetagten Dienstleisters, mit dem ich regelmäßig zu tun habe). Die Wohnung war jetzt schön renoviert, Raumhöhe verdoppelt, sodass eine zweite Ebene als Podest auf Holzgestell mitten im Raum mit Schreibtisch darauf Platz hatte. Draußen war eine Holzterrasse über das Dach des Nebenhauses angebaut, alles sehr geschmackvoll. Allerdings war die Wohnung sehr unaufgeräumt, irgendwo stand eine halbleere PET-Flasche Fanta herum. Doch dann kam die Bewohnerin unerwartet zurück, inklusive ihren Eltern, Geschwistern, deren Partnern. Deshalb Stress-Traum: Die Situation war mir superpeinlich, ich entschuldigte mich vielmals, weil ich hinter ihrem Rücken eingedrungen war, das hätte ich wirklich vorher ankündigen sollen.
(Blog like nobody’s reading – mir ist sehr bewusst, wie abgrundtief langweilig anderer Leut’ Träume sind.)

Fußmarsch in die Arbeit zu einem weiteren wunderschönen Sonnenaufgang; gestern trug ich gleich ein kurzärmliges Oberteil und lediglich Jeansjacke drüber, es waren wieder über 20 Grad angekündigt. Nein, das ist nicht gut. Die Vermieterin in San Sebastián erzählte erst von der wochenlangen brutalen Hitze bis kurz vor unserer Ankunft Mitte September (in Nordspanien! an der rauen Atlantikküste!) und scherzte dann, dass bald die Spanier*innen Sommerurlaub in Deutschland machen, weil’s da nicht so heiß ist (ich brachte nicht übers Herz, ihr die Wahrheit der diesjährigen Hitzewelle und Trockenheit in Deutschland zu sagen). Wer bis jetzt noch nicht erschrocken ist, tut’s vielleicht, wenn man den ganzen Winter nicht skifahren kann? (Ob ich nächstes Jahr auf den Süd-Küchenbalkon ein Feigenbäumchen stelle?)

Mittags gab es Äpfel, Körnerbreze, Granatapfelkerne mit Joghurt (ich muss mich bei den Granatäpfeln ranhalten, die nächste Lieferung, nur zwei Wochen nach der ersten, musste auf kommende Woche vorverlegt werden). Hotelreservierung für Großfamilienurlaub nächstes Ostern in Kastilien klargemacht.

Nach pünktlichem Feierabend spazierte ich in die Fußgängerzone: Ich brauchte wirklich neue Laufschuhe, das textile Obermaterial der alten ist zerrissen, bevor ich die Sohlen abgelaufen habe. Im Sport Schuster macht der Kauf wieder Spaß und ging schnell. Ich lief zwei Paar von verschiedenen Herstellern Probe, eine kurze Video-Analyse ergab: Ja, ich bin tatsächlich wie angegeben Vorfußläuferin (behaupten Menschen das auch irrtümlich?), laufe mit nur wenig Schwerpunkt auf dem Außenfuß, links mehr als rechts (haha, die gute rechte künstliche Hüfte).

Dann schlenderte ich durch viele Menschen zum Dallmayr und holte mir fürs Samstagsfrühstück Beinschinken.

Kurz vor sechs, es wurde schon dunkel, zeigte das Thermometer vom Juwelier Fridrich im Schatten der Sendlinger Straße 23 Grad an.

Zu Hause turnte ich wieder Yoga mit Mady, einen anstrengenden, aber spannenden Flow (nur bei der Krähe musste ich aussetzen) – mache ich auf jeden Fall nochmal.

Zum Nachtmahl ein Ausgleich zum schlimmen Schaufelsalat zum mittwöchlichen Mittagessen:

Mit letzten (supersüßen) gelben Tomaten aus Ernteanteil und Meyer-Lemon-Knoblauch-Vinaigrette – da Herr Kaltmamsell aushäusig war, für mich allein und sehr, sehr gemütlich gegessen. Dann noch ein wenig Käse mit Quittengelee, abschließend viel Schokolade.

Nachdem der offensichtlich unzurechnungsfähige Elon Musk Twitter gekauft und gleich mal die Führungsriege entlassen hat, bewegt sich meine Twitter-Timeline (die beste der Welt) dann doch zusätzlich Richtung Mastodon. Ist dezentral und wird hier von Netzpolitik erklärt:
“So klappt der Umzug auf Mastodon”.

Der durch und durch zurechnungsfähige @dentaku hat die Instanz fnordon.de unter seinen Fittichen, Empfehlung. Ich bin @kaltmamsell@fnordon.de

Schon um halb neun konnte ich es kaum erwarten, mit dem wochenendlichen Ausschlafen anzufangen. (Und ich freute mich schon auf den café con leche mit Haselnussmilch am Samstagmorgen.) Aus mir wird in diesem Leben keine Eule mehr.

Beim Zu-Bett-Gehen öffnete ich die Schlafzimmerfenster in eine Nacht, die man nur als “mild” bezeichnen konnte.

Am Donnerstag hatte ich Elizabeth Wetmore, Valentine ausgelesen: Ein gruslig nachvollziehbares Bild typischer Frauenleben in einem gottverlassenen texanischen Nest der 1970er. Am Anfang steht die brutale Vergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens in Umständen, die heute als “date rape” bezeichnet würden. An diesem roten Faden hängen die Geschichten von Mädchen und Frauen, die einen näheren oder ferneren Bezug zu diesem Verbrechen haben; fast alle sind trost- und hoffnungslos.

Mir gefiel der Einblick in diese fremde, ferne Welt – für echtes Lob war er mir aber zu dramatisch detailreich, manch eine Stimmungserzeugung fand ich zu platt durchschaubar.

§

Christian Fischer macht als Abonnent einen Krautreporter-Artikel mit lesenswerten Gedanken zugänglich:
“Bin ich Rassist?”

Zum einen tendieren Menschen ja zu Wahrnehmung in Mustern. Sozialpsychologe Jens Förster erklärt zudem:

„Unser Langzeitgedächtnis speichert Emotionen, die mit bestimmten Verhaltensweisen oder sozialen Gruppen zusammenhängen. Das erlaubt es uns, schnell auf Eindrücke von außen zu reagieren.“ Ganz einfach: Ich bin als Radfahrer besonders oft von SUVs geschnitten worden, deshalb halte ich jetzt SUV-Fahrer:innen für schlechte Menschen. Ein Vorurteil ist geboren. Dabei müsste ich die Erfahrung nicht einmal selbst machen. Obwohl ich quasi nie Kontakt mit Hunden hatte, bin ich als Kind zum Beispiel regelmäßig vor Angst ausgeflippt, einfach, weil mein Vater selbst sehr große Angst hatte und mir beigebracht hat: Hunde sind gefährlich. Dieses Vorurteil habe ich übernommen.

(…)

Weil Vorurteile jahrelang dabei geholfen haben, die Welt zu erklären, schreibt Förster, höre unser Gehirn nicht einfach damit auf. Es brauche Zeit und bedürfe einiger Arbeit an sich selbst, um spontane negative Reaktionen durch positive zu ersetzen. „Selbst wenn man den festen Willen hat, dauert es, ein Vorurteil zu zertrümmern.“

(…)

Statt uns also auf unseren störrischen Gehirnen auszuruhen und Vorurteilen nachzugeben, sollten wir uns zwei Dinge klarmachen. Erstens: Wir denken und handeln in Schubladen und Vorurteilen und reproduzieren damit auch Rassismen. Und zweitens: Wir sind dadurch nicht automatisch schlechte Menschen.

Journalistin und Autorin Canan Topçu hat ein Buch über Rassismus und Antirassismus geschrieben:

Konflikt sei ein Grundprinzip von Gesellschaft, erklärt mir Topçu. „Wir sollten lernen, mit Situationen und Menschen umzugehen, die man als fremd, beängstigend und unheimlich empfindet“, sagt sie weiter. Nur dann könnten wir unseren Umgang mit Ungleichheit reflektieren und es besser machen. Dazu gehöre aber auch das Bewusstsein über die eigenen Vorbehalte. Nur: „Was wir verlangen können, ist, dass die Leute sich nicht nach den Vorbehalten verhalten.“

(…)

In einer Migrationsgesellschaft zu leben, klingt schwieriger als es ist. Abseits der aufgeheizten Debatten über Sprech- und Denkverbote gibt es gute Nachrichten. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt das in seinem Buch „Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand“ so: „Dadurch, dass immer häufiger und lauter über Diskriminierung gesprochen wird, kann schnell der Eindruck entstehen, alles sei schlimmer geworden. Das Gegenteil ist der Fall: Früher haben Betroffene nichts gesagt, weil die Ungleichbehandlungen derart präsent und allgegenwärtig waren, dass sie kaum thematisiert werden konnten.“ Heute, so El-Mafaalani, seien wir viel stärker sensibilisiert und deswegen würden Diskriminierungen stärker auffallen.

§

DA! Schon WIEDER eine vergessene Heldin der Geschichte. Zum Glück gibt es die Carolin Kebekus Show. Sehen Sie hier alles über
“Die Erfinderin des Hotel-Bettschals”.
(Extraliebe für die Musik von Grand Budapest Hotel im Hintergrund.)

Journal Donnerstag, 27. Oktober 2022 – Packerl-Jagd

Freitag, 28. Oktober 2022

Eine Stunde vor Weckerklingeln aus einem Stress-Traum erwacht, in dem ich in Paris per Auto unterwegs war und mich mithilfe von Google Maps zurechtfinden musste, auf meinem Smartphone-Bildschirm. Ich schlief aber nochmal ein.

Ich saß schon im Büro, als es hell wurde zu einem sonnigen und für Herbst viel zu warmen Tag.

Mittags gab es Apfel, dann Mango und Maracuja mit Joghurt.

Insgesamt emsiger Arbeitstag, aber ohne belastende Aufregung.

Spaß mit dem Logistiker GLS. Als mich eine E-Mail des italienischen Strumpfhosen-Versenders über das Abschicken des Päckchens informierte, ich auf den Tracking-Link klickte und sah, dass GLS beauftragt worden war, sank mein Herz: Ich habe noch keine einzige problemlose Sendung über GLS erlebt, musste immer kämpfen oder erneute Lieferungen zahlen, um an meine Ware zu kommen. Da ich wusste, dass mich GLS über keinen Schritt aktiv benachrichtigen würde, guckte ich zweimal täglich ins Tracking – und fand heraus, dass die Zustellung für Mittwoch, 26.10. angesetzt war. Prima, Herr Kaltmamsell war den ganzen Tag daheim.

Doch bis Mittwochabend war nichts geliefert wurden: Laut Tracking hatte man niemanden angetroffen, das 300-Gramm-Paket danach zu “Parcel Shop” gebracht. Ich schickte sofort eine panische E-Mail an den Versender in Italien und fragte, welcher “Parcel Shop” das bitte sein solle (es gibt allein bei uns im Viertel einige); ich war ja bereit, das Paket abzuholen, wenn ich nur wusste wo. Zum Glück antwortete der Absender gleich am nächsten Morgen und konnte angeben, um welchen Shop es sich handelte. Happy end: Nach Feierabend machte ich gestern auf dem Heimweg einen Umweg dorthin und bekam mein Päckchen.

Nochmal St. Paul vergoldet.

Aber: Wenn ich nicht selbst aktiv geworden wäre und aufgepasst hätte wie ein Haftlmacher, hätte ich nichts davon erfahren, und das Paket wäre in zwei Wochen halt zurückgeschickt worden (wie ich es schon erlebt habe – und GLS behauptete, ich sei sowohl über die fehlgeschlagene Zustellung als auch über den Abholungsort informiert worden). Also Tipp, wenn Sie an GLS geraten: Mindestens zweimal täglich Tracking-Link checken und ein gutes Verhältnis zum Absender pflegen.

Daheim turnte ich nochmal die leicht überfordernde Runde Yoga mit Mady, zumindest wusste ich ja jetzt, welche Übungen/Haltungen auf mich warteten.

Da Herr Kaltmamsell am Freitag für ein paar Tage zum Monstertöten verschwindet, erbat ich mir den gestern geholten Ernteanteilsalat für Freitagabend (ich esse Salat deutlich lieber als Herr Kaltmamsell) und zum gestrigen Nachtmahl den ebenfalls gelieferten Blumenkohl – den Herr Kaltmamsell viel besser zuzubereiten weiß als ich.

Er servierte ihn mit einer Zwiebel-Sojahack-Füllung und im Ofen halb mit Semmelbrösel, halb mit Käse überbacken.

Im Bett holte ich mir den neuen Iriving-Roman auf den Reader und fing The Last Chairlift an.

Journal Mittwoch, 26. Oktober 2022 – Gemogeltes #Lindwurmessen

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Nebenwirkung der spät hellen Tage: Ich bekomme weniger Wetter mit. Gestern war ein mittelschöner Tag vorhergesagt, ich verließ das Haus gedankenlos – und wurde von Regen auf dem Weg in die Arbeit überrascht. (Nicht heftig, trocknete ja wieder.)

Gestern hatte ich besonders viel Freude an meinem Vormittags-Cappuccino mit Hafermilch aus der Cafeteria.

Ausgerechnet um die Mittagszeit wurde es hektisch, ich schaufelte gegen den Hunger Apfel, Granatapfelkerne in mich, dann Chinakohlsalat mit Joghurtdressing – ich hatte nicht vergessen, wie viel Zeit Salatessen beansprucht und musste ihn bis zu einem Termin weghaben. Salat schmeckt geschaufelt nicht besonders gut, übrigens.

Nach Feierabend ein kurzer Abstecher in den Vollcorner.

St. Paul in Rotgold.

Dann marschierte ich zügig nach Hause: Ich hatte Hunger und war mit Herrn Kaltmamsell zum Abendessen verabredet. Wir gingen wieder in die Lindwurmstraße – aber zu einem gemogelten #Lindwurmessen:1 Im Il Ritrovo waren wir nämlich schon vor zwei Wochen gewesen. Gestern wollten wir die dort so attraktiven Pizzen probieren, auf die wir beim ersten Besuch keine Lust gehabt hatten.

Sie schmeckten uns sehr gut; für mich ist ja das wichtigste der Teig, und der war ausgezeichnet. Außerdem nicht zu viel Belag, die Pizza ließ sich mit der Hand essen.

Daheim war sogar noch Platz für Nachtisch: Schokolade.

Es ist weiterhin mild. Wir werden vor November nicht geheizt haben, denn auch an kühleren Tagen wärmte die Sonne durch die großen Süd- und Westfenster die Wohnung. Ich lese ja alle Artikel zu individuellem Energiesparen, immer in der Hoffnung, darin irgendeinen Trick zu finden, den wir nicht eh schon und immer schon anwenden. Aber seit Abschaffung des Wäschetrockners bleibt wirklich kaum etwas. Ich wurde zu Energiesparen erzogen (und erinnere mich an mein Erstaunen als Kind, wenn in den Haushalten von Mitschülerinnenfamilien ohne Deckel auf den Töpfen gekocht wurde, wenn in Küche oder Bad der Wasserhahn länger als unbedingt nötig lief, auf dem Elektroherd die Restwärme nicht genutzt wurde), wir haben keine Elektrogeräte in echtem Stand-by (außer Fernseher), mein Elektrikervater hat schon früh für Ausstattung mit LED-Leuchtmitteln wo immer ging gesorgt. Wir duschen beide so kurz, dass das abschließende Abziehen der Duschkabine deutlich länger dauert. Mittlerweile habe ich mir auch schweren Herzens die geliebte Festbeleuchtung in allen Räumen abgewöhnt.
Am ehesten könnten wir noch am Kochen und Backen schrauben, also künftig Rezepte nach dem Kriterium Stromverbrauch auswählen. (Nicht ganz im Ernst.)

§

In letzter Zeit denke ich wieder viel über das schwierige Verhältnis zwischen veganer Ernährung und Essstörung nach – gerade bei Mädchen und Frauen. Ich stieß auf einen feministischen Essay zum Thema von 2009, den ich schon vor zehn Jahren verlinkt hatte. Und den ich immer noch sehr lesenswert und differenziert finde.
“Mein Körper – Mein veganer Tempel”.

Essstörungen sind immer auch ein Versuch, ein System in die eigene Ernährung zu bringen. Wenn das Gefühl für sich selbst so wenig vorhanden ist, dass ein simples ‘ich habe Hunger – ich esse’ nicht mehr funktionieren kann, dann bietet eine Essstörung eine alternative Orientierung. Das können gezählte Kalorien sein, das Herausspeiben der Nahrung oder der Versuch einfach jeden Tag das gleiche zu essen – in jedem Fall bietet das System Halt. Vegane Ernährung erfüllt die selben Kriterien, auch sie bietet Halt und Orientierung, macht das Angebot, sich mit dem Essen wohl zu fühlen, weil klar ist, welche Nahrungsmittel gegessen werden dürfen und welche nicht – zu wissen, was ist gut für mich und was nicht.

(…)

‘Rein’ zu bleiben ist ein wiederkehrendes Motiv in vielen Frauenleben. In einer Welt die – gerade zu Frauen – oft nicht freundlich ist, in der selbstbestimmtes Leben schon gegen die Mauern im eigenen Kopf rennen muss, scheint die Kontrolle über den eigenen Körper oft der einzige Weg, auf sich selbst aufzupassen. Wenn ich mich vor sexualisierter Gewalt, Zukunftsängsten oder Einsamkeit nicht schützen kann, dann kann ich mich doch immerhin davor schützen, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, kann darauf achten, mir nur gesunde – gute Produkte – zuzuführen, kann aufpassen, dass nichts Schlechtes in mich eindringt.

§

So weit habe ich mich schon von John Irving entfremdet: Bekomme erst eine Woche danach mit, dass es einen neuen Roman von ihm gibt. Zudem: Zwar werde ich diesen gleich als Nächsten lesen (trotz Misstrauen gegenüber dem Titel The Last Chairlift), aber als Datei.

Auf Twitter machte mich @valaki_berlin auf ein aktuelles Lied von Judith Holofernes dazu aufmerksam:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/Z95iS3fO7Ck

(“Hans Zimmer, du machst alles schlimmer” fühle ich sehr.)

§

@baldwinvoices spricht die Gedanken von Katzen laut aus – eine Zusammenstellung.

via @DonnerBella

  1. Wir futtern uns nacheinander durch alle Lokale an der Südseite der Lindwurmstraße von Sendlinger Tor westwärts bis Stemmerhof, dann an der Nordseite wieder zurück. []

Journal Dienstag, 25. Oktober 2022 – Erinnerungen an das meiste Geld und die meiste Zeit

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Wieder eine Nacht lang gut geschlafen – dennoch fühlte ich mich fast den ganzen Tag über matt und müde. Meine Montag angedengelte Nase sah ein wenig nach Auseinandersetzung mit einer Hauskatze aus.

Erinnerungen auf dem Weg in die Arbeit (es wurde hell zu immer schönerem Wetter):

Das meiste Geld im Leben hatte ich im ersten Jahr meines Zeitungs- und Rundfunk-Volontariats: Ich war 19 und hatte zuvor über 50 Mark Taschengeld im Monat verfügt (plus Ferienjob), jetzt bekam ich über 1000 Mark. Und auch wenn davon Miete für ein Zimmer mit Bad- und Küchennutzung wegging (ich erinnere mich an etwa 200 Mark): Ich hatte Geld! Wie! Heu! Konnte mir JEDES Buch kaufen, das ich lesen wollte, selbst wenn es gerade herausgekommen und teures Hardback war! Konnte mir im Supermarkt JEDES Lebensmittel leisten, auf das ich Lust hatte! Konnte mit Freund*innen ausgehen und sogar ein DRITTES Getränk bestellen! So oft ich wollte! Dieses Gefühl, im Geld geradezu zu schwimmen, hatte ich erst Jahrzehnte später wieder als Managerin in der Industrie – und dann war es durch das schlechte Gewissen der kompletten Unverhältnismäßigkeit getrübt.

Die meiste Zeit im Leben hatte ich zu Beginn meines Studiums. Ich wohnte im ersten Semester in Augsburg erst mal in der Wohnung einer Studierenden, die für ein Auslandssemester in Italien war – mitten in der Stadt an der Barfüßerkirche. Eben hatte ich zwei Jahre Zeitungs- und Runfunk-Volontariat abgeschlossen, in das ich mich mit enormem Vergnügen und mit aller Energie reingehauen hatte, so viel an Terminen und Aufgaben reingepackt, wie man mich ließ. Zudem hatte ich gerade eine Kraft beanspruchende Beziehung beendet.

Und jetzt saß ich in einem liebevoll, aber nicht von mir eingerichteten Dachgeschoß, fand mich mit dem komplett fremden Phänomen “Studium” zurecht (ich war die erste in der Familie – erst vor wenigen Wochen erfuhr ich von Herrn Kaltmamsell, der ebenfalls in Augsburg studiert hat, dass es vor Vorlesungsbeginn eine Einführungswoche für Erstsemester gegeben hätte), lernte hin und wieder neue Menschen kennen, hatte aber vor allem: Zeit! Wochenenden ohne Termine, oft mit Bahnfahrt zu meinen Eltern und deren Waschmaschine, große Teile der Arbeitstage zur freien Verfügung. Zu den Seminaren und Übungen radelte ich raus an den Uni-Campus, plauderte in der Cafete, recherchierte in der Bibliothek, alles ganz gemütlich. Hin und wieder erstellte ich freiberuflich Radiobeiträge. Abende, an denen ich einfach strickte und Radio hörte, ohne dass irgendwer irgendwas von mir wollte. Zeit, in aller Ruhe Kochen und Essen zu planen, dafür nach Zutaten zu suchen. Bücher zu lesen, stundenlang. Dafür in Remittenden mehrerer Buchläden zu stöbern. Briefe an Freundinnen in anderen Studienorten zu schreiben. Freundinnen zu treffen, Freundschaften zu beginnen.

Mir ging es gut. Damals dämmerte mir die erste Ahnung von etwas, was sich über die Jahre bestätigen sollte: Allein bin ich am daheimsten.

Mittags spazierte ich wieder zu einem Cappuccino, wehende offene Mantelschöße, weil es meinen Ledermantel eigentlich gar nicht brauchte.
Mittagessen im Büro: Apfel, Granatapfelkerne, Muesli mit Joghurt.

Sonniger Nachmittag.

Auf dem Heimweg kaufte ich zum ersten Mal seit Studienjahren eine Topfpflanze (der jetzige Bestand kommt gesamt von meiner Mutter). Ich hatte mir fürs Schlafzimmer etwas großes Grünes gewünscht, und jetzt stand ein Gestell voll davon vor einem Discounter. Sie heißt Oleanderfeige und wurde als neue Mitbewohnerin herzlich willkommen geheißen.

Noch schönerer Laubbläseranblick als mittags im Westend: In einem Bürovillen-Vorgarten die stark aussehende, nicht mehr junge Frau, dicke und leuchtend roten Locken hintergebunden, im linken kräftigen Arm den lärmenden Laubbläser, in der rechten Hand eine Zigarette, die sie gerade zum Mund führte.

Mit Yoga überforderte ich mich gestern ein wenig: Mady Mittelstufe, probiere ich aber nochmal.

Nachtmahl war gebratener Chinakohl mit gestampften Kartoffeln vermischt, beides Ernteanteil. Danach reichlich Lebkuchen und Schokolade.

§

Stefan Leonhardsberger, der Comedian (und, wie ich bei passender Gelegenheit erfuhr, seit 2010 Ensemblemitglied des Stadttheaters Ingolstadt), wurde mit seinem “How presidents walk” VON STEPHEN FRY LOBEND RETWEETET! (Ja, das sind die Highlights in meinem traurigen Leben.)

Auf Leonhardsbergers Tiktok habe ich entdeckt, dass er auch alle typischen Tanzstile weißer Männer kennt.