Archiv für Oktober 2022

Journal Dienstag, 11. Oktober 2022 – Mary Quant und die Quittenfee

Mittwoch, 12. Oktober 2022

Gut geschlafen, früh losgekommen, angenehmer Weg in die Arbeit. Noch brauche ich dafür nur Ledermantel und Schal, keine Handschuhe oder Mütze.

Zur Stabilisierung der Laune reaktivierte ich eine Mary-Quant-Strumpfhose aus den frühen 90ern (im Augsburger Laden Kaufrausch gekauft, damals noch in der Schmiedgasse, ein Ausverkaufsschnäppchen – am liebsten getragen mit kurzem schwarzen Rock, schwarzem Rollkragen-Shirt, schwarzen Schnürstiefelchen und schwarzer Lederjacke vom Flohmarkt). Hatte ich eigentlich nur aus Sentimentalität nie weggeworfen, sie ist löchrig und ausgeleiert, war auch nur mit dem Trick einer zweiten Unterhose über der Strumpfhose vom Rutschen abzuhalten. Die Aufmunterung klappte tippitoppi, einige Kolleginnen waren gleich mit aufgemuntert.

Außerdem erschien die Quittenfee in meinem Büro. Sie trat auf in einem duftenden gelben Glitzernebel und machte mich und mehrere Familienmitglieder glücklich. Gleich mal mit Frau Schwieger abgestimmt, ob sie auch dieses Jahr das meiste dieses Segens in ihr weltbestes Quittengelee verwandeln wird. (Ja.)

Arbeit heftig, aber gut machbar, vor allem weil zwei belastende Faktoren gestern doch nicht eintraten. In einer Besprechung wurde ein geniale, hausgemachte Lösung für ein Problem präsentiert, an dem seit Jahren rumgedoktert wird.

Mittags gab es Ernteanteil-Äpfelchen und Pumpernickel mit Butter. Ich rief die Kasse der Münchner Kammerspiele an (per Telefon!), weil ich auch in Monat 2 der neuen Spielzeit keinen Abonnentinnenausweis erhalten hatte: Die Geschichten über Ausfall von Postverteilung hatten mich Böses vermuten lassen. Aber nein: Die Ausweise sind lediglich gerade erst versendet worden (Grund Krankheitsausfälle im Personal – daran werden wir uns in dieser Pandemie gewöhnen müssen).

Nachmittags Datenbank-Gedöhns, Krisengespräche. Im Hintergrund immer der wundervolle Duft der Quitten.

Halbwegs pünktlicher Feierabend, um in einem Laden eine Bestellung abzuholen. Trotz zackigem Marsch kam ich zwei Minuten zu spät und stand vor verschlossener Tür. U-Bahn nach Hause, daheim orderte ich die Bestellung nochmal online, weil sie ein Geschenk ist und ich vor dem Anlass keine Zeit haben werde, nochmal zum Laden zu gehen. Die Offline-Bestellung hole ich halt irgendwann bei Gelegenheit ab. (Kommt nicht nochmal vor, ist mit meinem Alltag einfach nicht kompatibel.)

Matte raus, “hop into something comfy”: Ich freute mich über die Wiederholung der montäglichen Yoga-Einheit, einmal ordentlich durchbewegt.

Zum Nachtmahl erfüllte mir Herr Kaltmamsell wieder einen Wunsch: @ankegroener hatte mir Lust auf diese veganen Udon-Nudeln gemacht.

Mit schwarzem Sesam wie auf dem Rezeptfoto, nicht mit weißem wie im Rezepttext.

Es ist dem Herrn wichtig hier festgehalten zu sehen, dass er schwarzen Essig im Küchenschrank hat. Die Nudeln schmeckten ganz vorzüglich, und mir tut der Teilnehmer an der mittwöchlichen Besprechung leid, der meinen tödlichen Knoblauchatem ertragen muss – aber eigentlich war der Termin am Montag angesetzt, weswegen ich Sonntag keinen Knoblauch gegessen hatte, wurde dann auf gestern verschoben, also auch Montagabend kein Knoblauch. Die nochmalige Verschiebung auf Mittwoch hatte ich wirklich nicht eingepreist.

Journal Montag, 10. Oktober 2022 – Erträglicher Arbeitswiedereinstieg

Dienstag, 11. Oktober 2022

Nachts gut geschlafen! Die zweieinhalb Stunden bereinigende Sonntagsarbeit waren wirklich eine gute Idee gewesen.

Der Arbeitstag-frühe Wecker riss mich in kurze Desorientierung, dann in die Erkenntnis: Oh ja, der klingelt früh. Morgenkaffee schmeckte trotzdem, eine Idee für ein stimmungsaufhellendes Outfit hatte ich am Sonntag ebenfalls gehabt, ich kam planmäßig auf meinen Arbeitsweg. Und erlebte ab Theresienwiese meinen ersten Herbstnebel.

Büroaussicht: Neubau im Nebel, jetzt erinnerte mich die Architektur an Babel.

Der Arbeitsvormittag war ausgesprochen sportlich, aber dank sonntäglicher Vorarbeit komplett panikfrei. Neue Kolleg*innen, sonst aber same same.

In diversen Besprechungen eine Kolbenfüllerfüllung mitgeschrieben: Praktischerweise für mich wurden diverse Themen zusammengefasst, weil während meines Urlaubs Besprechungen ausgefallen waren.

Mittags gab es nach zwei kleinen Ernteanteil-Äpfeln köstliche Mango mit Sahnequark und Joghurt, meine Zeitungslektüre schaffte ich wegen Arbeitslast nicht.

Am Nachmittag ließ meine Kondition langsam nach, der Arbeitsdurchsatz sank. Hofgang unter bedecktem Himmel in milder Luft. Vom sonntäglichen Hanteltraining nur leichter Muskelkater, ein gutes Zeichen (oder Beleg, dass ich schwerere Hanteln brauche).

Mild war auch der Heimweg, ich machte einen Stopp im Supermarkt für Einkäufe.

Zu Hause eine ersehnte Runde Yoga, die sehr gut tat.

Das Nachtmahl, das wieder Herr Kaltmamsell servierte: Khachapuri und Ruccola (mein Dressing).

Die Käse-gefüllten Hefeteigfladen waren nicht ganz perfekt (Teig zu weich, der Füllung fehlte etwas Salz), Herr Kaltmamsell kündigte weitere Versuche an.

Journal Sonntag, 9. Oktober 2022 – Urlaubsendspurt herbstbunt

Montag, 10. Oktober 2022

Ausgeschlafen aufgewacht, den Sonntagmorgen trotz düsterem Draußen genossen, Milchkaffee, Bloggen, Twitterlesen.

Sporteinheit war gestern Hanteltraining für den Oberkörper, damit ich ihn ohne Schwimmen nicht vernachlässige. Ich muss das Programm schon mal gemacht haben, weil es mit 1 bewertet war (ich versehe meine Bookmarks für getestete Online-Trainings mit den Noten 1-super, 2-ok oder 3-meiden), fand es auch diesmal sehr erfreulich und nahm mir zu x-ten Mal vor, schwerere Hanteln zu kaufen, also zusätzlich zu meinen Zwei-Kilo-Hanteln welche mit drei. Was ich dann bislang doch nicht tue, weil ich sie viel zu selten verwenden würde. Andererseits habe ich doch jetzt im Wandschrank eine eigene Sport-Abteilung, wo sie keinen Platz wegnehmen würden. Ach, Sie sehen, wie schwer ich es habe.
So oder so empfehle ich hiermit dieses Oberkörpertrainig von Fitnessblender weiter: Umfasst Warm-up (das mir nie reicht, weshalb ich zehn Minuten vorher aufwärme) und Cool-down (ebenfalls in meiner Bookmark-Benennung hinterlegt), die Übungen kombinieren jeweils mehrere Bewegungen – was ich mag.

Wie geplant sah ich schon gestern nach meiner Arbeits-E-Mail und startete dafür den heimgenommenen Arbeits-Rechner (ich wusste ja nicht, ob nach vier Wochen Urlaub, darin Oktoberfest, nicht ein pandemischer Notfall die Rückkehr ins Büro verhindern würde). Das waren gut investierte zweieinhalb Stunden Arbeit, darin zwei erzwungene Neustarts wegen Technik: Jetzt wusste ich, was mich am Montag erwartete, dass nichts Supergrässliches darunter war (das Schlimmste wusste ich ja schon seit meiner zweiten Urlaubswoche), die Zahl unbearbeiteter E-Mails war auf 62 reduziert, das nächtliche Sorgenkarussell auf Montag konnte sich neue Sorgen ausdenken.

Frühstück um halb drei: eine Scheibe selbstgebackenes Brot mit Majo, zwei Stück Apfelkuchen.

Am späteren Nachmittag zog es mich nach draußen, die Herbstbuntheit machte den grauen Himmel wett. In der Theatinerstraße sah ich in einem Schaufenster einen prospektiven Wintermantel. Der aktuelle würde zwar einen siebten Winter durchhalten, sieht aber wirklich schon sehr abgetragen aus.

Über die Oper spazierte ich zur Maximiliansbrücke, über die ich von dieser Seite möglicherweise noch nie gegangen war.

Unter den anderen spazierenden Passant*innen hörte ich ungefähr so viel Spanisch, wie ich in San Sebastián in vergleichbarer Situation Deutsch gehört hatte.

In Haidhausen hatte ich um die Jahrtausendwende meine ersten beiden Jobs in München: Ich spazierte an den damaligen Büros vorbei (eines ist jetzt eine Reha-Praxis, eines teils ein “alternatives Therapiezentrum”, teils Filmproduktion), schlenderte durch Haidhausen.

Über Auer Hinterhofidyll mit Westermühlbach führte mein Weg mich an die Isar, entlang der Fraunhoferstraße nach Hause.

Zum Nachtmahl verwandelte Herr Kaltmamsell die Roten Beete aus Ernteanteil mit Ziegenfrischkäse, Thymian und Walnüssen in ein Blätterteig-Gericht.

Es schmeckte ausgezeichnet, trotz Abzügen in der optischen B-Note. (Er nannte es “Vorbereitung für Halloween”.)

Abendprogramm war auf arte Blondinen bevorzugt: Mir bleibt ein Rätsel, wie irgendjemand Marilyn Monroe Schauspielkünste zuschreiben kann, doch zum ersten Mal fiel mir auf Hinweis von Herrn Kaltmamsell auf, wie positiv die Freundschaft zwischen den beiden Protagonistinnen gezeichnet wird: Loyal, solidarisch, herzlich, zugewandt und wohlwollend, keinerlei Streit oder Konkurrenz.

§

Gestern gelernt, wie es kommt, dass in Gleichungen x die Unbekannte bezeichnet (weil spanische Übersetzer im 11. Jahrhundert kein “sch” sprechen konnten).

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https://youtu.be/YX_OxBfsvbk

via @UkeHerr

Dass im heutigen Baskischen der Laut “sch” als x geschrieben wird, halte ich jetzt nicht mehr für Zufall.

Journal Samstag, 8. Oktober 2022 – Ausgebliebenes Backvergnügen

Sonntag, 9. Oktober 2022

Mittelgute Nacht mit längerer Schlafpause, in der mir ganz, ganz viele üble Arbeitsdinge der kommenden Woche einfielen.

Ich ließ mich um sieben wecken, um nach Brotbacken nicht zu spät zum Sport zu kommen. Eigentlich hatte ich das Olympiabad für eine Schwimmrunde testen wollen, vielleicht ist das Wasser ja warm genug für mindestens 2.000 Meter (für alles drunter sind mir 5,40 Euro Eintritt schlicht zu viel Geld). Doch dann wollte ich so viel lieber an die Isar zu einem Lauf, dass ich umplante.

Brot wurde zum dritten Mal in Folge die Häusemer Bauerekrume, wobei das Exemplar davor ja gesamt an die Familie gegangen war. Funktionierte problemlos; die letzte Backphase und Rausholen übergab ich wieder Herrn Kaltmamsell, der seine Laufrunde bereits absolviert hatte.

In milden Temperaturen verließ ich das Haus, bekam bei meinem Lauf über Alten Südfriedhof, Wittelsbacherbrücke bis Thalkirchen und zurück unter dicker Bewölkung sogar ein paar Sonnenstrahlen ab.

Am Ende meiner Runde entdeckte ich, dass im Glockenbachviertel der Weg entlang dem Westermühlbach nach dem 2018 verstorbenen Stadtrat und langjährigen Bezirksausschussvorsitzenden Alexander Miklósy benannt worden ist.

Wie schön! Ist zwar nur ein Spazierweg, niemand wird also unter dieser Adresse wohnen, aber eine angemessene Würdigung. (Wenn jetzt noch die Schilder-Typografie auf Namen mit Akzenten ausgerichtet würde und keine Grässlichkeiten wie dieses “ó” auftauchten.)

Zurück daheim buk ich erst mal Apfelkuchen aus Ernteanteil-Äpfeln. Herr Kaltmamsell hatte sich einen gedeckten gewünscht, da ich dafür kein Standard-Rezept habe, griff ich zum allseits gerühmten Backvergnügen wie noch nie aus seinem Familienbestand.

Und kämpfte: Das Rezept verwendet viel zu wenig Äpfel, hätte ich nicht 30 Prozent aufgestockt, hätte sich die Füllung in der Form verloren. Vor allem aber entstand ein klebrigen Knetteig aus der Hölle (auch nach drei Stunden im Kühlschrank) – eigentlich kein Wunder bei zwei Eiern auf 300 Gramm Mehl, aber ich bin ja offen, bereit Neues auszuprobieren und zu lernen.

Beim Blindbacken griff ich dann doch lieber auf meine Erfahrung zurück, statt mehrere Päckchen Hülsenfrüchte zu rösten: Ich buk nur den Boden vor, den Rand drückte ich vor dem Füllen an die gefetteten Seiten. Das funktionierte. Der Deckel war wieder eine klebrige Katastrophe.

Inzwischen bin ich sicher: Hätte ich wie so viele mit Backvergnügen wie noch nie als Teenager das Backen begonnen (statt mit Brigitte-Rezepten), wäre aus mir niemals die begeisterte Bäckerin von damals geworden. Es enthält viel zu wenige Erklärungen, keine Hinweise zu Konsistenzen/Zeiten, unzuverlässige Mengenangaben. Die Eingangskapitel mit Grundrezepten wiederum wären mir viel zu detailliert und ausführlich gewesen, enthält zu wenig praktisch Anwendbares.

Frühstück um zwei wurden zwei dicke Scheiben noch leicht warmes Brot: Eine mit Butter und Tomate, eines mit Käse, den wir aus San Sebastián mitgebracht hatten – ähnlich wie galicische Tetilla, ganz hervorragend. Und dann noch ein Ernteanteil-Apfel.

Ich las die Wochenend-Süddeutsche, die trotz Abbestellung wie schon am Freitag auch auf Papier im Briefkasten lag. Hatte ich extra schon vier volle Wochen die Druckausgabe abbestellt (und las elektronisch), um es dem Zeitungsausträger so einfach wie möglich zu machen, war er doch wieder durcheinander gekommen.

Bei traurig frühem Einbruch der Dunkelheit turnte ich eine leichte Runde Yoga, dann kümmerte ich mich um meine Finger- und Zehennägel.

Das Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell nach meinen Wünschen: Ernteanteil-Spinat, Pilze, geröstete Walnüsse mit Orecchiette, Parmesan drüber.

Schmeckte ganz hervorragend. Nachtisch war erstmal der Apfelkuchen.

War gut, wenn auch arg süß (wieder aprikotiert und mit Zuckerguss). Der nächste gedeckte Apfelkuchen entsteht sicher nach einem anderen Rezept. Zweiter Nachtisch Schokolade.

Als Abendprogramm guckten wir nochmal ins spanische Baskenland. Der WDR hatte im Juli eine wirklich gute Reisedoku über die Gegend gezeigt, in der wir gerade Urlaub gemacht haben, hier nachzusehen in der ARD-Mediathek. Und schon habe ich zahllose Ideen für die nächste Reise dorthin; unter anderem weiß ich jetzt, dass es in Tolosa samstags sogar einen mercadillo gibt, wie wir ihn in San Sebastián vergeblich suchten. Und Kajak-Paddeln sieht immer attraktiver aus.

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Als ich Freitagmorgen durch die Reihenhaussiedlung ging, in der meine Eltern wohnen, war es deutlich zu riechen: Die Holzofen-Saison ist da.

Nichts Neues, aber hier mit zahlreichen Daten und Zusammenhängen: Holzöfen sind nicht klimafreundlich.
“Der Qualm der Energiekrise”.

Holz gilt oft als klimaneutrale und umweltfreundliche Alternativen zu Gas und Öl. Mitnichten, sagen Experten. Kein Brennstoff setzt mehr Schadstoffe und Kohlendioxid frei.

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Leonhard Pröttel ist Ratsherr und Kreistags-Abgeordneter in Wolfenbüttel, und er tötet Parkplätze. In diesem Twitter-Thread erklärt er auf Nachfrage die vielen, vielen legalen Möglichkeiten, die er dafür nützt.
Weiter unten im Thread der Verweis auf diese Regelung der Bundesregierung, gerne für kommunale Zwecke nutzbar:
“Wie breit müssen Gehwege sein?”

Journal Freitag, 7. Oktober 2022 – Angewandte Fitness

Samstag, 8. Oktober 2022

Bei Elterns ausgeschlafen, über gemütlichem Plaudern tranken wir zu viert unseren Morgenkaffee. Herzlicher Abschied bis bald: In einer Woche werde ich wieder bei ihnen übernachten, nämlich nach dem Jubiläumskonzert meines früheren Jugendchors und nach mutmaßlichem Wiedertreffen vieler, vieler Menschen aus meiner Vergangenheit.

Ereignisfreie Zugfahrt von Ingolstadt nach München, während der das Wetter sich überraschenderweise von sonnig nach neblig-kühl entwickelte: Eigentlich kenne ich das umgekehrt.

Auf der Fahrt die Süddeutsche und das SZ-Magazin von gestern gelesen: Sehr bereichert vom Carolin-Emcke-Essay über ihre Reise entlang der Ränder Europas (€):
“Grenzerfahrung”.

Krieg, Klimawandel, Pandemie – inmitten all der Krisen fragt sich ganz Europa: Schaffen wir das? Wer sind wir eigentlich, und wer wollen wir sein?

In München wurde es zackig: Daheim eine Waschmaschine gefüllt, gleich wieder raus zu einer nahe gelegenen Arztpraxis, um ein Rezept abzuholen. Auf dem Rückweg Einkäufe, dann Rezepteinlösen in der Apotheke kurz vor daheim – wo sich herausstellte, dass auf dem Rezept das falsche Medikament stand. Die Apotheken-Angestellte versuchte ein Telefonat, doch in der Praxis ging schon niemand ran. Es war 12:47 Uhr, ich wusste, dass die Praxis um 13 Uhr schloss. Der schnellste Weg dorthin war ganz klar: rennen. Ich beschloss, meine sportliche Fitness praktisch anzuwenden, nämlich für 800 Meter Schweinsgalopp und fünf Stockwerke Treppensteigen. Mit Erfolg, ich bekam das richtige Rezept noch vor dem Ein-Uhr-Läuten.

Zurück daheim Räumen und Richten: Wir hatten die Chance, eine Verwandte aus den USA kurz vor ihrem Heimflug zu treffen; während ihres eigentlichen Deutschland-Besuchs waren wir ja verreist gewesen. Mit ihr verbrachten wir ein paar Stunden Plauderns – unter anderem über den Wahnsinn des US-Gesundheitssystems. (Verwandte erzählte von der Krankenkasse, die einer 55-jährigen Krebspatientin nach Rezidiv-Diagnose die Chemo verweigerte, weil sie die Chance für zu gering hielt, dass sie dadurch geheilt würde. Die dann an einer mehrtägigen Gruppen-Radtour teilnahm, um der Kasse ihre Fitness zu beweisen – dort lernte Verwandte sie kennen.) Außerdem ergab das Gespräch mit dieser sehr engagierten Frau konkrete Ideen für eigenes lokales Engagement, wenn einst meine Zeitplanung nicht mehr durch Erwerbsarbeit dominiert ist.

Um vier aß ich doch noch eine Frühstückssemmel und stellte endlich den Blogpost über den Vortag fertig. Außerdem setzte ich Sauerteige fürs samstägliches Brotbacken an.

Eine Runde Yoga, jetzt wieder auf richtiger, griffiger Yogamatte – leider beeinträchtigt durch Kreislaufprobleme mit Schwindel und Schweißausbruch, ich war froh überhaupt durchzuhalten.

Nachtmahl wieder aus der Hand des Herrn Kaltmamsell, ich steuerte den Salat aus Ernteanteil mit Kirschbalsamico-Walnussöl-Dressing bei. Aperitif war ein Negroni.

Flat-Iron-Steak (wunderbar zart und aromatisch) mit Knoblauch und Brokkoli. Nachtisch reichlich Süßigkeiten.

Neue Lektüre (es sollte nach Patria was Kurzes, Heiteres sein): Endlich mal Marc-Uwe Kling, Die Känguru-Chroniken. Verdacht nach dem ersten Fünftel: Ob ich überhaupt Humor besitze, ist ja nicht bewiesen – aber dieser ist es ziemlich sicher nicht. Mir war das alles zu erwartbar, diese Art Dudes lernte ich schon im Studium zu meiden. Den Gag, dass der Dude hier ein Känguru ist, wusste ich halt schon.

Journal Donnerstag, 6. Oktober 2022 – Herbstsymptome und Muttergeburtstag

Freitag, 7. Oktober 2022

(Heute mit großer Verspätung veröffentlicht, weil Abwesenheit, dann nötige Besorgungen, dann Besuch.)

Nicht lang genug schlafen können, blieb halt mehr vom Morgen.

Milchkaffee aus heimischer Küche mit neuer, induktionstauglicher Cafetera, nämlich dieser. Doch auch auf unserem Induktionsherd dieselbe Erscheinung wie auf dem Ceran-Kochfeld der Ferienwohnung: Das Wasser wurde nur zu ca. 80 Prozent hochgekocht, im Behälter unten blieb nach der Fauch-Sprotz-Phase ein Finger breit Wasser. Meine Online-Recherchen führten mich zwar zu dem Hinweis, dass ein bisschen Restwasser gewollt sei – aber kann ich verhindern, dass es so viel ist?

Koffer ausgepackt, erste Maschine Wäsche gewaschen und aufgehängt. Das Wetter war herrlich, ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass München während unserer Abwesehnheit gefroren haben sollte. Ich ging raus zu einem Isarlauf – in eindeutigen Herbstfarben.

Nicht ganz so leichtfüßig wie schon mal, dennoch taten die 80 Minuten Lauf gut. Zurück über den Alten Südfriedhof.

Ich wollte am Wochenende Brot backen, machte mich also auf eine kleine Einkaufsrunde zum Hofbräuhaus-Mühlenladen und füllte meine Mehl-Vorräte auf. Auf dem Rückweg Semmelkauf für ein Frühstück kurz vor drei.

Herr Kaltmamsell holte unseren Ernteanteil ab (Spinat!), dann machten wir uns auf den Weg nach Ingolstadt: Meine Mutter hatte Geburtstag, den wollten wir mit der Bruderfamilie feiern. Die Feiernde hatte sich gegen einen Restaurantbesuch entschieden, sie wünschte sich die Familienrunde im eigenen Haus.

Es war dann eine sehr fröhliche Runde. Meine Mutter servierte polnisches Essen, erst mal Kanapki.

Als weitere Gänge gab es eine Pilzsuppe, dann wunderbar zarte gebratene Ente mit Kopytka, Blaukraut und Karottengemüse (für die Veganer*innen statt der Ente vegane Chicken Nuggets). Zum Nachtisch die traditionelle Rotweincreme, als vegane Alternative Blaubeeren mit Waffeln.

Dazu viel Erzählens und Erinnerns. Unter anderem stellte sich heraus, dass mein Vater vor 20 Jahren auf seinem Jakobsweg doch nicht durch San Sebastián gekommen war: Er hatte mit seinem Freund Francisco (einem Basken aus Manurga bei Vitoria übrigens) die “französische Route” genommen, die weiter südlich über Pamplona führt.

Spät zu Bett, wir übernachteten bei meinen Eltern.

Journal Mittwoch, 5. Oktober 2022 – Langweiligster #wmdedgt EVER (zum Glück, weil Heimreise)

Donnerstag, 6. Oktober 2022

An jedem 5. des Monats fragt Frau Brüllen: “Was machst du eigentlich den ganzen Tag?” Und sammelt die Antworten in ihrem Blog.

Weil dieser 5. auf unseren Heimreisetag fiel, freue ich mich sehr darüber, dass meine superlangweilig und ohne jede Aufregung ist.

Um halb sieben klingelte der Wecker. Schnelles Duschen, Reisekleidung war eine (bereits befleckte) schwarze Jeans und ein fleckenversteckendes langes Hemd, drüber Jeansjacke: Auch in München sollte mildes Wetter herrschen.

Letztes Packen (Wasserflaschen füllen, Äpfel einstecken), letztes Rückräumen der Ferienwohnung, Check in und unter allen Möbeln.

Wir rollkofferten zum Euskotren-Bahnhof Amara, hatten Zeit für einen ersten café con leche.

Das Draußen auch gestern Calima-neblig, im Umsteige-Grenzort Hendaya/Hendaye sah man das schön.

Beim Verlassen des spanischen Bahnhofs sieht man den französischen. In einem Café gegenüber nochmal café au lait, wir hatten mit Puffer geplant. Die Ferienwohnungsvermieterin meldete sich mit Dank, dass wir alles so ordentlich und sauber zurückgelassen hätten.

Auch weiterhin lief alles glatt. TGV mit Plätzen im oberen Stockwerk nach Paris (genug Platz für unsere Koffer im Kofferfach), wo wir pünktlich nach knapp fünf Stunden eintrafen. Wir mussten Bahnhof wechseln, kannten uns ja von unserem Paris-Aufenthalt mit dem Metro-System gut aus: Problemloser Transfer vom Bahnhof Montparnasse zum Gare de l’Est. Dort hatte Fahrtplaner Herr Kaltmamsell 45 Minuten Aufenthalt eingerechnet, in dem wir uns etwas zu essen holen konnten: Ich aß nach dem mitgebrachten Apfel ein ausgezeichnetes Körner-Baguette mit rohem Schinken, Käse und Ruccola, außerdem einen halben Schoko-Muffin.

Pünktliche Abfahrt mit einem weiteren TGV (Plätze unten) um 15.55 Uhr; der war jetzt voll besetzt und dadurch nicht mehr ganz so gemütlich, zumal wir das Abteil mit zwei Brutalst-Huster-Nieser-Rotzern ohne Masken teilten (selbst beide durchgehend mit FFP2-Masken).

Das Überfahren der französisch-deutschen Grenze markierte diesmal nicht eine Nationalhymne über die Lautsprecher, sondern klassisch der Verlust des Handy-Netzes (Bord-WLAN extrem langsam) sowie Verpätung des Zugs bereits vor dem ersten Halt auf deutschem Boden in Karlsruhe.

Die letzten Stunden Fahrt wurden mühsam, vom Sitzen begann mir alles weh zu tun. Bei Ulm stand ich zwar mal auf, ging durch den Zug, dehnte mich in alle Richtungen, doch ich zählte die Viertelstunden runter.

In München trafen wir nach 13,5 Stunden seit Start am Bahnhof in San Sebasián ein (laut Google Routenplaner hätte die Autofahrt trotz direkterer Strecke 16 Stunden gedauert), mit lediglich 15 Minuten Verspätung. Insgesamt hatte die Zugfahrt für zwei Personen hin und zurück 456 Euro gekostet (wegen unterschiedlicher TGV-Preise 274 Euro hin und 182 Euro zurück).

Was mir nachts kurz vor zehn beim Verlassen des Bahnhofs in München auffiel: Um wie viel besser die Luft in San Sebastián gewesen war, Seeluft vs. Autoabgase.

Ich litt seit ein paar Stunden untern brutalen Kopfschmerzen, die mich beim Heimrollkoffern torkeln ließen – zum Glück half daheim eine Ibu schnell. Herr Kaltmamsell war zwar auch erledigt, aber doch so fit, dass er uns schnelle Nudeln mit Tomatensauce zum Abendessen zauberte, Nachtisch Süßigkeiten.

Wir schafften es, die Koffer nicht auszupacken, sondern nur das Nötigste (oder Verderblichste) rauszuholen. Alles Weitere am nächsten Tag.

§

Auf der Fahrt hatte ich Fernando Aramburu, Willi Zurbrüggen (Übers.), Patria ausgelesen. Ein umfangreicher Roman über die Auswirkungen des ETA-Terrors auf zwei konkrete baskische Familien von den 1970ern bis 2011, als die Organisation offiziell Gewalt aufgab. Er setzt mit dieser Verlautbarung 2011 ein und rollt anhand der Familienmitglieder Alltag und Lebensgeschichten auf, zeitlich zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselnd. Im Mittelpunkt zwei einst beste Freundinnen: Bittoris Mann Txato wurde vor über zwanzig Jahren von Terroristen erschossen, Mirens Sohn Joxe Mari sitzt als Terrorist in Haft.

Diese Leben sind nicht nur wegen des geschichtlichen Hintergrunds fesselnd, jedes ist vielschichtig glaubhaft. Auch weit über die politischen Vorgänge um baskischen Nationalismus und Franco-Regime entsteht ein Bild der spanischen Gesellschaft dieser Zeit. Zwar ist es gefährlich, zu direkte Schlüsse aus einem literarischen Werk über die Wirklichkeit zu ziehen, doch im besten Fall öffnet sich durch Fiktion eine Tür: Oh, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Bei dieser konkreten Lektüre merkte ich, dass ich mir nie Gedanken über die Finanzierung des europäischen Terrorismus gemacht hatte. Als Kind meiner Zeit und Generation verbinde ich Terrorismus der 1970er in erster Linie mit der intellektuellen RAF, Finanzierung durch Raubüberfälle und unterstützende ausländische Regimes. Doch ethno-nationaler Terrorismus wie der der ETA wirkte auch deshalb so gesellschaftszerstörerisch, weil er sich durch Schutzgelderpressung in der eigenen Community finanzierte.

Aramburus Roman machte mir bewusst, dass hier neben dem lang noch nicht verarbeiteten spanischen Bürgerkrieg eine weitere offene Wunde in der spanischen Gesellschaft schwärt: Auch der ETA-Terrorismus betraf jede*n und alle, wirkte sich auf jeden Aspekt des Alltags aus. Da auch die literarische Ebene des Romans ausgesprochen gelungen ist: Empfehlung.