Archiv für Oktober 2022

Journal Dienstag, 4. Oktober 2022 – San Sebastián 20: Letzte Male

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Früh aufgestanden, da sich nach einem Aufwachen die Sorgen und Ängste formierten.

Um zehn machte ich mich zur letzten Laufrunde in San Sebastián auf, die Sonne ließ mich wieder zum ärmellosen Oberteil greifen.

Ich spürte die Wanderung des Montags ein wenig in den Beinen, aber nicht sehr. Wieder kroch überallhin vom Meer der Nebel.

Abschied von Chillidas peine del viento.

Abschied von La Concha mit der ikonischem Ballustrade (viele Kneipen haben ein Stück davon als Deko).

Die Promenade gut besucht, darunter etliche Reisegruppen, die klar als Schulklassen erkennbar waren: Die Jugendlichen hatten keinen Blick für die Umgebung, sondern nur für Gesprächspartner*innen live oder auf dem Smartphone. (Ich war selbstverständlich seinerzeit genauso und erinnere mich zu gut an die Mahnung meiner Mutter auf der Autofahrt nach Spanien: “Schau doch raus! Lesen kannst du auch daheim!”)

Nach Duschen (Haarewaschen sehr vorsichtig, weil ich mir beim Wandern den Kopf brutal an einem Baum angehaun hatte – fragen Sie nicht) und Anziehen ging ich auf einen Abschieds-café von leche mit Herrn Kaltmamsell, dann ein wenig Lesen in der Ferienwohnung.

Fürs Mittagessen steuerten wir eine weitere Restaurant-Empfehlung an. Um 14 Uhr war kein Tisch frei, man vertröstete uns auf in einer halben Stunde. Die verbrachten wir auf einem Bankerl am Fischereihafen, doch dann hieß es im Restaurant, für in einer halben Stunde hätten wir reservieren müssen, jetzt sei wieder nichts frei.

Wir versuchten es also im berüchtigten Restaurant La Viña. Es ist ganz offensichtlich komplett Opfer seines Rufs geworden, den besten baskischen Käsekuchen der Welt zu servieren. Nicht nur stand die Straße davor voller Menschen mit Käsekuchen auf Tellern, auch die Bar des Restaurants barst von solchen, außerdem waren alle Flächen des Lokals voller Springformen mit Käsekuchen – bizarr.

Im kleinen Restaurant (auch hier jedes Schrankfach voll Käsekuchen) bekamen wir schnell einen Tisch, mit etwas Mühe (nicht alles auf der übersichtlichen Speise- und Weinkarte gab es tatsächlich) auch ein Mittagessen mit Wein.

Die positive Überraschung: Das Essen war gut. Als Vorspeise hatte Herr Kaltmamsell Fischterrine, ich hatte mit Bacalo gefüllte Pimientos del piquillo, die offensichtlich handgeröstet waren und in Filo-Teig frittiert kamen. Als Hauptgericht einen großes Stück Bacalo a la plancha für Herrn Kaltmamsell, Lammkoteletts mit Pommes für mich. Wein dazu: Ein junger Chardonnay von Enate.

Zum Nachtisch also den weltweit von allen Reiseführern als besten gepriesenen Käsekuchen.

War gut – aber wenn die Kriterien Sahnigkeit und Geschmack sind: Kein Vergleich zu dem, den wir hier dreimal auf dem Mercadillo aus dem Hause Mañeko gekauft haben. Wohin man halt schlecht ganze Reisegruppen schicken kann, zumal der Mercadillo jeden Samstag woanders ist. (Wenn Sie gerade an einem internationalen Reiseführer Baskenland schreiben, könnten Sie allerdings Bussladungen voll zu dem hotel rural 60 Kilometer südwestlich von San Sebastián lotsen, in dem er hergestellt wird.) (Bitte nicht.)

Anschließend und in tagsüber ungewohnt alkoholisiertem Zustand Einkauf von Lebensmitteln zum Heimnehmen nach Deutschland (Supermarkt, Käseladen). Die Stadt war mittlerweile ganz in den Meeresnebel gehüllt, der aber keineswegs kalt machte.

Etwas apokalyptisches Nebel-Einrücken. (Der Wettbericht im Fernsehen nannte den Nebel später calima, das wäre nach Definition der deutschsprachigen Wikipedia ein Sandnebel – würde die fehlende Kühle erklären, aber sandig war nichts. Der spanische Wikipedia-Eintrag definiert calima auch anders.)

Lesen, Kofferpacken, kurz auf ein Salätchen ins Lokal ums Eck, letzte Abstimmungen mit der Vermieterin.

Am Mittwoch also Rückfahrt nach München. Mit dreimal Umsteigen, es könnte spannend werden. (Also ungefähr so spannend wie eine Autofahrt mit all den Mautstationen sowie Stau-Risiken. Oder so spannend wie Flüge mit ihrer Personalknappheit beim Check-in, mit Verspätungen und Ausfällen. Wir reisen morgen mal eben über 1.500 Kilometer – HAMMER!)

§

Seit meinem ersten Besuch vor Jahrzehnten im British Museum amüsiere ich mich darüber, dass ein Museum, das “British” heißt, in erster Linie weltweit Gestohlenes aus anderen Kulturkreisen zeigt. (Im Gegensatz zum “Deutschen” Museum, das mit einheimischer Ingenieurskunst angibt.) Nur dass die Sache mit dem Kulturraub eigentlich überhaupt nicht amüsant ist und erst allerkürzlichst ernsthaft diskutiert wird.

Wie so oft ist es eine Satire-Show, nämlich die von John Oliver, die aus der Absurdität der Situation Komik zieht, die die Verwerflichkeit nachvollziehbar macht. (Gebt die Kulturgüter zurück! Aber presto!)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/eJPLiT1kCSM

§

Interview mit Bov Bjerg über den Klassenaspekt seines Werks:
“Bov Bjerg: ‘Die Perspektive von unten ist einfach die interessantere'”.

Wenn von der Klassenfrage in der Gegenwartsliteratur die Rede ist, dann wirst Du zumeist nur am Rande genannt. Dabei spielen Fragen der sozialen Ungleichheit, des Bildungsaufstiegs und der unkomfortablen Position zwischen den Klassen in Deinen Werken seit jeher eine zentrale Rolle. Befremdet es Dich, dass diese Aspekte so ignoriert werden?

Nein, es befremdet mich nicht. Es ist nur folgerichtig. Das Feuilleton ist besetzt mit Journalistinnen, die aus dem Bildungsbürgertum kommen und die können bestimmte Sachen schlecht sehen. Das ist wie eine gewisse Einschränkung, eine Farbenblindheit oder sowas. Ich bin ihnen gar nicht böse. Ich erwarte es auch nicht anders.

(…)

Was kann eine ungleichheitssensible Literatur Deiner Meinung nach überhaupt leisten? Kann sie zu einem emanzipatorischen Klassenbewusstsein beitragen?

Keine Ahnung, ob die Literatur in dem Sinne irgendetwas leisten kann. Sie kann der Leserin zeigen, dass da ein Verbündeter ist. Und vielleicht ist das auch schon alles.

(Guter Mann.)

Journal Montag, 3. Oktober 2022 – San Sebastián 19: Flysch-Wanderung von Deba nach Zumaia

Dienstag, 4. Oktober 2022

Unruhige Nacht mit albigen Träumen von der Arbeit – was ich ihr wirklich übelnehme.

Gestern gingen wir auf die dritte Wanderung unseres Baskenland-Urlaubs, und zwar durch den Geopark der baskischen Küste. Unser Rother-Wanderführer Baskenland nennt sie “Entlang der Flyschküste von Deba nach Zumaia”.

Ich bitte Sie, “Flysch” liest sich nun wirklich wie ein selbsterfundenes Wort – gibt’s aber echt ehrlich als Gesteinsformation: Der Wikipedia-Eintrag dazu hilft allerdings wie die meisten Geologie-Einträge bei Wikipedia Laien wie mir nicht viel weiter, weil ich über die Hälfte der Begriffe in der Definition “bezeichnet in der Geologie eine marine sedimentäre Fazies, die meistens durch eine Wechselfolge von Tonsteinen und grobkörnigeren Gesteinen (typischerweise Sandsteine) repräsentiert ist” ebenfalls nachschlagen muss. Vielleicht dann doch selbsterfunden.

Egal, wir nahmen vormittags bei mittelsonnigem Wetter einen Euskotren nach Deba, sahen bereits während der 50-minütigen Fahrt interessante Landschaft (grüne Hügel und Wald, Gemüsegärten, Reiher, Möwen, dazwischen reichlich Industrie und Wohnblocks – Baskenland halt). In Deba setzten wir uns noch in einen Bar auf dem Dorfplatz (reger Betrieb) auf einen café con leche, dann ging’s gleich mal supersteil hoch.

Diese Flysch-Geschichte sorgte dafür, dass wir auf den 19 folgenden Kilometern und fünf Stunden nach Zumaia ausgesprochen ungewöhnliche Küstenanblicke zu sehen bekamen, gleichzeitig abwechslungsreiche Wege, viel Auf und Ab (meine App zählte am Ende 150 Stockwerke). Allerdings auch viele weitere Wander*innen: Der größte Teil der Tour war auch Jakobsweg, und an einigen Stellen grenzte sie an Auto-Parkplätze, die zusätzliches Publikum beitrugen. Oft mussten wir Platz machen, denn so manche*r Wander*in schien mit schmalen, sehr steilen Streckenabschnitten an den Rand der Überforderung zu geraten, selbst mit Wanderstöcken, da wollten wir nicht auch noch für Stress sorgen.

Side Show Tierwelt: Kühe, Schafe, Ziegen, Hunde, viele Eidechsen, eine Blindschleiche, viele Rotkehlchen, dazu Grasmücken, Spatzen, Amseln, Krähen, Falken, Rotkehlchen-kleine Vögelchen mit hellgelber Unterseite (?).

Das Wetter war eigentlich sehr schön, doch es lag wieder dieser Dunst über der Küste, der manche Sicht bereits auf 50 Meter trübte. Petitessen, ich kann die Wanderung wirklich empfehlen (allgemeine Fitness und Wanderstiefel vorausgesetzt).

Steiler als Treppen neben der Pelotas-Halle von Deba hoch (wieso ist es eigentlich so schwer, die Steilheit von Wegen fotografisch einzufangen?).

Auch sehr steil, nur halt runter – echt ehrlich:

Alte Wandernweisheit:

Steigste rauf,

kannste runtergucken.

Bild: Herr Kaltmamsell.

Da unten wurde gesurft:

(Eine Sorte Wanderer, die einer im Chiemgau nicht begegnet.)

Flyschige Wege:

Brotzeit um drei:

Äpfel und Gebäck, das wir in einer Pastelería am Bahnof Amara in San Sebastián gekauft hatten. Meine Rosinenschnecke war aus buttrigem Blätterteig und sehr gut.

Bahnhof unseres Zielorts Zumaia:

Wir erwischten wieder gerade pünktlich einen Zug zurück nach San Sebastián, sahen diesmal aus dem Fenster viele Reiher und Kormorane.

Nachtmahl bereiteten wir uns selbst zu: Es gab callos a la madrileña (aus der Dose, im Supermarkt gekauft) mit restlichem Brot, dazu die restlichen Markttomaten mit Zwiebel. Ich wünschte, ich könnte diese wunderbaren Zwiebeln auf Vorrat nach München mitnehmen – den baskischen Piment d’espelette bekomme ich daheim sehr einfach, nicht aber die spanischen süßen und aromatischen Zwiebeln. Und nein: Was in Bayern als Metzgerzwiebeln angeboten wird, ist nicht dasselbe. Nachtisch war restlicher Käsekuchen, außerdem viel Schokolade.

Beim Wandern viel an @journelle gedacht, am Wochenende hatte die Trauerfeier für sie stattgefunden – und wäre ich nicht auf Reisen, hätte ich sicher auch den Weg nach Hamburg genommen.

Journal Sonntag, 2. Oktober 2022 – San Sebastián 18: Laufrunde, letzter Berg Monte Ulia

Montag, 3. Oktober 2022

Gut und lang geschlafen.

Vielversprechende Aussicht; die Wolken, die den Berg hochkrochen, sollten allerdings Boten sein. Überm Morgenkaffee gemütlich gebloggt, dann raus zu einer Laufrunde. Ich traute mich in ein ärmelloses Oberteil – und lag damit richtig, die Sonne wärmte genügend.

Das Meer brach in heftigen Wellen am Ufer.

Viel spazierendes Volk, aber wenig andere Läuferi*innen: Die waren wohl alle beim hiesigen Halbmarathon. Wir hatten am Vortag Zielanlagen mit riesiger Sponsorenbeschriftung gesehen – aber ohne Hinweis, um welche Art Wettbewerb es sich beim gesponserten überhaupt handelte. Jetzt kreuzte ich mehrfach die Wettlaufroute.

Weil der Seegang so hoch war, hoffte ich darauf, die Bodendüsen an der Chillida-Skulptur peine del viento in Aktion zu sehen. Tatsächlich lauerten zahlreiche Besucher*innen drumrum, Smartphones und Fotoapparate gezückt. Da ich nicht warten wollte (Puls war oben, außerdem hatte ich noch Pläne), umkreiste ich die Düsen nur zweimal – und wurde zumindest mit ein wenig sichtbarem Gesprüh belohnt.

In der Ferienwohnung geduscht und gekleidet, dann brach ich nochmal mit Herrn Kaltmamsell auf: Plan war, am dritten Sonntag in San Sebastián auf den dritten und östlichsten der drei San Sebastiáner Berge zu spazieren, auf den Monte Ulia.

Herr Kaltmamsell hatte aus den zahlreichen Fußwegen des Hügels einen Weg herausgesucht, aber erst mal gab es im Bar von sonst auch einen café con leche. Währenddessen war der Himmel wider alle Vorhersagen voller Wolken gezogen.

Nächste Überraschung: Der Monte Ulia ist ein Naturpark und richtiges Wandergebiet. Außerdem am Sonntag offensichtlich sehr beliebt, uns kamen viele Familien und Gruppen in ernsthafter Wanderausrüstung entgegen. Wir hätten uns also auf eine ca. 5-Stunden-Tour bergauf, bergab nach Pasaia und zurück machen können, ich sogar in den Turnschuhen, die ich für den geplanten Spaziergang trug – doch am Montag hatten wir eine letzte, ausgiebige Küstenwanderung vor, zudem war ich bereits eine gute Stunde Laufen gewesen: Mir erschien es vernünftig, mich gestern nicht zu verausgaben.

Es wurden dann nur drei, aber wirklich schöne Spaziergangsstunden.

Blick auf den Strand Zurriola mit Kursaal.

Den plötzlichen Nebel, jetzt erinnerte ich mich, kannte ich bereits von der galicischen Atlantikküste.

Ganz oben: Picknickplatz in den Wolken.

Doch ebenso schnell kam auch wieder die Sonne durch. Für meine Brotzeit kurz nach drei setzte ich mich in ihren Schein, es gab einen Apfel vom Markt (SO! GUT!) und ein Stück Weißbrot.

Auch zurück an der Bucht Zurriola schien die Sonne; wir setzten uns auf eine Bank, sahen den promenierenden Menschen zu und den surfistas.

In der Ferienwohnung las ich Zeitung. Es zwickte mich seit einer Verdrehung beim Bergspaziergang böse im Kreuz, ich legte eine Spezialrunde Yoga ein aus meiner Sammlung gegen Kreuzweh. Half ein bisschen.

Fürs Abendessen steuerten wir ein Restaurant an, das uns beim Vorbeigehen sympathisch erschienen war. Doch als wir ein paar Minuten am “Please wait to be seated”-Punkt gestanden hatten, niemand uns im leeren Lokal beachtete, die Angestellte in Sichtweite auch nicht auf unseren Gruß reagierte – gingen wir halt weiter.

Brücke Santa Catalina.

Kursaal-Brücke.

Pintxos im Mesón Martín, einer Empfehlung.

Sie schmeckten gut zu einem und noch einem Glas Txakoli, machten uns angenehm satt – aber genau darin liegt der Haken: Meine Erinnerung an Gepflogenheiten in Spanien und Beobachtungen von Einheimischen besagen, dass Tapas/Pintxos keine Mahlzeit sind. Vor dem Essen geht man etwas trinken, isst einen Pintxo dazu, wenn die eigentliche Mahlzeit noch weit ist, auch mal eine Ración. Aber das Essen gibt es danach. Unter Einheimischen scheint sich das nicht geändert zu haben.

Auf dem Rückweg stellten wir anhand der Plakate am Kursaal fest: Es findet gerade die internationale und hochrangige Fresskonferenz San Sebastián Gastronómika statt, allerdings offensichtlich für Profis.

In der Ferienwohnung Dessert: tarta de queso und Schokolade.

§

Stefan Leonhardsberger ist ein oberösterreichischer Commedian. Und er kann sehr, sehr gut den Gang von Staatschefs nachmachen.

Journal Samstag, 1. Oktober 2022 – San Sebastián 16: Skulpturenpark Chillida Leku

Sonntag, 2. Oktober 2022

Nach durchgeschlafener Nacht zu früh und dunkeldüster aufgewacht, nicht wieder eingeschlafen, statt dessen Sorgenjagd, also lieber aufgestanden.

Und gleich mal gefroren, ich habe für ein unheizbares herbstliches Drinnen nicht genug warme Kleidung dabei.

Unter düsterem Himmel wollte ich wenigstens eine Runde Yoga turnen, doch ich musste wieder erst wieder ein paar Minuten springen und fuchteln, um dafür ein bisschen Wärme zu bekommen.

Auch die anschließende Dusche war mit starken Temperaturschwankungen nicht zum Wärmen geeignet. Erst beim strammen Marsch zum mercadillo (am 1. Samstag im Monat in San Sebastián vor dem Bahnhof Amara) wich in Pulli und Jacke langsam das Dauerfrösteln. Wir kauften tarta de queso; die mittlerweile vertraute Standlerin fragte, ob mit Idiazábal oder frambuesa, Himbeere, also kommt doch echter Käse in den baskischen Käsekuchen? Außerdem Brot, Tomaten und Zwiebeln, Äpfel. An der Fischtheke eines Supermarkts besorgte Herr Kaltmamsell zudem Miesmuscheln fürs Abendessen.

Wir brachten die Einkäufe in unser temporäres Zuhause, saßen noch lesend rum, bis eine Waschmaschine durch war (da sie hier fehlt, schätze ich die Restzeitanzeige der Maschine in meinem dauerhaften Zuhause jetzt viel mehr).

Tagesplan war bei immer schöner werdendem Wetter ein Besuch des Freilichtmuseums Chillida Leku ganz im Süden von San Sebastián. Die Busverbindung dorthin hatte einen komplizierten Eindruck gemacht, lieber steuerten wir den nächstgelegenen Bahnhof von Euskotren an und liefen zehn Minuten zu Fuß. Café con leche am Abfahrtsbahnhof Amara, der Zug fuhr uns schnell zu unserem Ziel.

Nur dass wir dort verdutzt feststellten, dass die zehn Minuten Fußweg ohne Gehsteig entlang einer viel befahrenen Straße verliefen, da konnten wir noch so intensiv auf verschiedenen Online-Karten nachsehen. Wir gingen also eher zügig.

Auf den Skulpturenpark Chillida Leku hatte mich die Begeisterung von Joël gebracht, ich konnte sie gut nachvollziehen.

Gestern kam herrlichstes Wetter dazu, das für prächtige Farben sorgte.

Kunstverständige Raupe.

Chillida hat auch mit Filz gearbeitet – dieses Werk und die Steinskulptur aus aufregendem Material gehörten zu meinen Favoriten.

Im oberen Stockwerk des Gebäudes wurde eine Sammlung von Miró-Werken ausgestellt, vor allem Figuren.

Ein weiterer Miró.

Zügiger Fußmarsch entlang der Straße zurück zum Bahnhalt. Auf dem Rückweg in San Sebastián steuerte ich in der fröhlich menschenreichen Innenstadt ein Speiseeiserl an, und zwar den Laden von Loco Polo. Nachdem ich mit dem Waffeleis bereits eine schlechte Erfahrung in San Sebastián gemacht hatte, gab ich meiner Neugier auf hausgemachtes Steckerleis nach.

Die Idee ist, dass man das Eis gegen zusätzliches Geld in geschmolzene Schokolade und dann noch in eine Auswahl an Streusel stippen lässt, ich ließ es lieber pur. Ergebnis so lala: Kristalle im Milchspeiseeis sind nicht so mein Favorit, die weiche Füllung ist eine gute Idee, sie schmeckte aber nicht besonders intensiv nach Erdnuss (das war die Wahl von Herrn Kaltmamsell) oder Salzkaramell (meine).

Auf dem Heimweg machten wir einen kleinen Umweg, um nach den Kormoranen im Urumea bei Kursaal zu sehen: Auf bestimmten Felsen treffen wir bislang recht zuverlässig welche an. Auch diesmal, wir beobachteten einen Jungvogel eine Zeit lang.

Erstmals erwischten wir die Dachterrasse unserer Ferienwohnung abends mit ein wenig Sonne und saßen lesend draußen – das war schön (und warm).

Herr Kaltmamsell kochte Abendessen und stellte beim Putzen fest:

“An den Muscheln sind Muscheln dran.”

Besonders guter Txakoli.

Ergab ein hervorragendes Nachtmahl, im Fernsehen lief passend ein spanischer (und schrecklich langweiliger) Schwarz-weiß-Film von 1960. Nachtisch reichlich Käsekuchen mit frischen Feigen.

Journal Freitag, 30. September 2022 – San Sebastián 15: Vitoria-Gasteiz

Samstag, 1. Oktober 2022

Für den vielen Alkohol (und den Espresso) zahlte ich nachts mit sehr schlechtem Schlaf – und eigentlich den ganzen nächsten Tag mit dumpfer Benommenheit.

Gebloggt zu Morgenkaffee, draußen gemischter Himmel, aber trocken. Wir hatten einen Ausflug nach Vitoria-Gasteiz geplant, davor war aber noch Zeit für den nachgeholten Morgenlauf.

Es ging ordentlich Wind, doch die Sonne kam raus – und bewies umgehend ihre Wärmekraft.

Am Surferstrand Zurriola gab’s wohl gestern Surfunterricht, hier eine Klasse auf dem Weg ins Wasser.

Die Flut drückte das braun aufgewühlte Wasser in den Urumea.

Schaum-umspülte Felsen.

Die Laufrunde tat gut und vertrieb einige Gemütswolken.

Erst um die Mittagszeit machten wir uns auf den Weg zum Busbahnhof: Bei diesem gemischten Wetter hatten wir nicht allzuviel Zeit für ein Umschauen in Vitoria-Gasteiz eingeplant. Noch ein café con leche in der Busbahnhof-Cafeteria; an zwei Dritteln der Tische wurde Tortilla gebrotzeitet, sie ist hier wirklich immer noch so fester Bestandteil des Speiseplans wie in Bayern die belegte Semmel. Dann reihten wir uns in die lange Schlange am Reisebus nach Vitoria ein (eine Zugverbindung gab es schon auch, aber die brauchte fast doppelt so lang), ganz erstaunlich, wie viele Passagiere in einen passen.

In Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt der spanischen Autonomen Region Baskenland, war der Himmel dunkelgrau bedeckt, vor allem aber herrschten deutlich niedrigere Temperaturen. Umso zackiger marschierten wir die halbe Stunde vom Busbahnhof in die Altstadt.

Hier wie auch in San Sebastián und in Bilbao fiel mir die ambitionierte Fahrrad-Infrastruktur auf: Sie existiert auch hier offensichtlich schon ein paar Jahre und bietet auf großen Straßen und in Grünanlagen Radwege in beide Richtungen (an großen Straßen auf beiden Seiten, der Platz dafür immer den Autos abgezwackt, nicht den Fußgängern) und Fahrradampeln mit langen Grünphasen – das geht also.

Wir begannen die Altstadtbesichtigung an der Plaza de la Virgen Blanca.

Guckten uns im ältesten Teil der Stadt um.

Entdeckten, dass auch das Wäscheaufhängen vorm Fenster sich weiterentwickelt hat: Man hat Schirme drübergebaut.

Schöne Hauptpost.

Auf dem Stadtplan hatte ich entdeckt, dass es hier auch noch ein Kaufhaus des Corte Inglés gibt; da es eh ein wenig regnete, besuchten wir dort die Damenmode und die Haushaltswaren (Glasteller werden in Spanien noch lang nicht aussterben) – doch auch hier ist die Zeit der Kaufhäuser vorbei, das Sortiment sah kläglich aus.

Gegen vier hatte ich zwar immer noch keinen Hunger, dachte aber, dass ich mal was essen sollte. Doch ohne Appetit überforderten mich die vielen Möglichkeiten, ich ließ es bleiben (zumal ich weder Unterzucker spürte, Schwäche oder Schwindel).

Wir spazierten weitere Altstadtgässchen ab. Die Stadt wirkte nicht besonders belebt, doch das lag am Zeitpunkt unseres Besuchs: Zwischen 14 und 17 Uhr sind in solchen kleineren spanischen Städten immer noch die meisten Läden geschlossen.

Diese Pferdemetzgerei ist zwar geschlossen, doch wenige Meter weiter entdeckten wir noch eine in Betrieb (mit weniger malerischem Schild): Die baskischen Pferde Pottok werden nicht nur zur Deko gehalten.

Kuriosität in Vitoria-Gasteiz, das über einen Hügel gebaut ist: Überdachte Rolltreppen.

Wir fühlten uns beide nicht sehr energiegeladen und nahmen schon am späten Nachmittag einen Bus zurück nach San Sebastián. Dort war unerwarteterweise das schöne Morgenwetter verschwunden, es regnete. ABER! Es war ein paar spürbare Grad milder (18 Grad statt der 13 in Vitoria).

Herr Kaltmamsell würde uns Abendessen kochen, dafür musste eingekauft werden: Auf dem Heimweg also Einkehr im Supermarkt. Und eine halbe Stunde nach Ankommen in der Ferienwohnung standen Nudeln mit einer Tomaten-Oliven-Sauce auf dem Tisch, sehr köstlich. Nachtisch sehr, sehr viel Schokolade.