Journal Donnerstag, 2. März 2023 – Fotodiskussionen im Bürgerbüro

Freitag, 3. März 2023 um 6:38

Wieder ein verwirrend irregulärer Tag. Der Morgen verlief schon mal ungewohnt, weil ich mit dem Fahrrad in die Arbeit fuhr: Nicht etwa dem gestrigen und heutigen Streik im Öffentlichen Nahverkehr Münchens geschuldet, sondern einem Termin im Bürgerbüro in der Mittagspause, zu dem ich damit am schnellsten kam. Ich hatte mich fürs Radeln tiefwinterlich eingepackt, wäre bei Temperaturen knapp über Null (Pfützen nicht gefroren) und Sonne nicht mal nötig gewesen.

Turbulenter Arbeitsvormittag, unter anderem würzte das neue IT-System die Routine durch wieder komplett neue und an dieser konkreten Stelle ganz sicher nicht erwartete Dysfunktionalität.

Mittags radelte ich also durch die Sonne zehn Minuten zu meinem Termin im Bürgerbüro, um ablaufenden Personalausweis und Reisepass neu zu beantragen. Nach nur kurzer Wartezeit saß ich einem gelassen freundlichen jungem Mann gegenüber – der erst mal meine Automatenfotos nicht akzeptierte, der Hintergrund sei nicht einfarbig. Ich musste neue Fotos im Automaten vor Ort machen, auf seinen Tipp hin ohne Brille und mit sichtbar geschlossenem Mund – für mich sah der Hintergrund nicht einfarbiger aus als auf den mitgebrachten Bildern, ich zickte ein wenig rum.

Diese Fotos hatte ich mitgebracht, Hier monierte er unter anderem mehrfarbigen Hintergrund und Reflexe in den Brillengläsern (die ich nicht sehe).

So sei das korrekt. Also sollte die Bundesdruckerei ihre Mustertafel überarbeiten.

Doch die freundliche Gelassenheit des Herrn wirkte über die folgenden Verwaltungsschritte hinweg. Unter anderem musste ich ein eigenes Blatt unterschreiben, dass das wirklich meine Unterschrift sei, obwohl man daraus meinen Namen nicht lesen kann – ich kenne nicht viele Unterschriften, die das ermöglichen, erinnerte mich aber an mindestens eine Amtshandlung, bei der man mich gezwungen hatte, nicht meine Unterschrift, sondern meinen von Hand geschriebenen vollständigen Namen zu hinterlassen, so sehr ich auch betont hatte, dass das aber nicht meine Unterschrift sei.

Jetzt aber plauderten wir mit der Zeit herzerfrischend über jeweilige Familiengeschichte, ich hinterließ Tipps, wie man Großeltern zum Erzählen bekommt (eben nicht über “Erzähl doch mal!”, sondern mit Detailfragen wie “Hat dir das deutsche Brot geschmeckt? Wo hast du damals eingekauft?”). Das war sehr nett – dass seine Kollegin an der Kasse, bei der ich insgesamt 97 Euro für beide Dokumente zahlte (!), mich nicht mal ansah, war dann egal.

Zurückgeradelt ins Büro durch fortgesetzten Sonnenschein, am Schreibtisch Mittagessen: Pumpernickel mit Butter, Orangen. Weiterarbeit bis Feierabend, die Sonne hatte das Büro genug für warme Hände aufgeheizt.

Auf dem Heimweg Stopp beim Süpermarket Verdi für Gemüseeinkäufe: Schon mal für das Abendessen am Freitag. Daheim eine lange Runde Yoga. Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Spaghetti Carbonara, gut. Nachtisch Schokolade.

Neues zu VG Wort, auch als Hinweis für die dort angebundene mitlesende Bloggeria: Seit Ende Januar warte ich auf die jährliche Nachricht, dass mindestens einer meiner Blogposts 2022 die Mindestzugriffszahl für eine Ausschüttung von VG-Wort-Tantiemen erreicht hat (kurze Hintergrundinfo, weil viele Menschen dazu ein falsches Bild im Kopf haben: über diese Mindestzugriffszahl hinaus gibt es kein Geld für noch mehr Zugriffe, und seien es auch hundert Mal so viele – A-Blogs bekommen pro Blogpost nicht mehr Tantiemen als ich). Herr Kaltmamsell tat das Schlaue und guckte auf der (byzantinisch komlexen) Website der VG Wort nach: Es wurde sehr wohl bereits durchgezählt, die Links der Posts und sonstigen Angaben für Meldung sind unter “Zählmarken recherchieren” mit den entsprechenden Filtern aufgelistet (in einem überarbeiteten System, das ähnlich verwirrend ist wie das vorherige, aber bunter – und tatsächlich schneller); es wurde wohl dieses Jahr einfach keine Nachricht verschickt.

§

Dieser als “Streitgespräch” veröffentlichte Austausch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geht mir seit Lektüre vor zwei Wochen nach (€):
“Was taugt die Wärmepumpe wirklich?”

Gesprächspartner sind der Forscher und Ingenieur Marek Miara vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und der Ökonom Manuel Frondel, Leiter des Bereichs Umwelt und Ressourcen am Wirtschaftsforschungsinstitut RWI. Es geht mir deshalb nach, weil hier aus meiner Sicht zwei grundsätzliche, auch politische Perspektiven und Prioritäten aufeinanderprallen. Miara führt als Argumente Energieeffizienz und die drohende Klimakatastrophe an: “Wenn wir immer mit allem warten, bis wir ein globales Klimaschutzabkommen haben, dann wird es zu spät sein.”
Frondel immer wieder die Kosten für den Endverbraucher unter Berücksichtigung von aktuellen staatlichen Förderungen: “Nicht die Energieeffizienz zählt. Es kommt auf die Kosteneffizienz an. Und da ist es unklar, welche Technologie sich in Zukunft in Abhängigkeit von den Emissionshandelspreisen als die kostengünstigere durchsetzt.”

Die eine Perspektive priorisiert die Lösung eines globalen, gesamtgesellschaftlichen Problems, die andere den individuellen (und kurzfristigen) Eigennutzen. Ich nehme an (und werde mich mal nach Forschungsdaten dazu umsehen), dass genau dieser Blickwinkel die unterschiedlichen Wahlentscheidungen der Bürger*innen prägt – und dass diese unterschiedlichen Prioritäten in allen Altersgruppen gleich verteilt sind (selbstverständlich auch in Mischformen). Will auch heißen: Eine FDP und ein Verkehrsminister Wissing leugnen den menschengemachten Klimawandel keineswegs; sie halten lediglich kurzfristiges Eigeninteresse für wichtiger und vertreten Wähler*innen mit gleicher Haltung.

§

Ich finde es ja immer schön, wenn etablierte wissenschaftliche Grundlagen neu untersucht werden, genau das ist nämlich Wissenschaft. Selbst lasse ich zum Beispiel regelmäßig Dinge fallen, um die Erdanziehungskraft zu überprüfen (und verschenke zu Hochzeiten gerne richtig scheußliche Hinsteller, expliziter Einsatzzweck Schwerkrafttester) (Sie glauben ich scherze? ich kann Referenz-Paare nennen). Und immer wieder erweist sich die eine oder andere Grundlage bei Gegencheck als Blödsinn. Zum Beispiel, dass Wolfsrudel eine Hierarchie mit Alpha-Tier an der Spitze haben.
“Is the Alpha Wolf Idea a Myth?”

It turns out that this is a myth, and in recent years wildlife biologists have largely dropped the term “alpha.” In the wild, researchers have found that most wolf packs are simply families, led by a breeding pair, and bloody duels for supremacy are rare.

(…)

This terminology arose from research done on captive wolf packs in the mid-20th century—but captive packs are nothing like wild ones, Mech says. When keeping wolves in captivity, humans typically throw together adult animals with no shared kinship. In these cases, a dominance hierarchy arises, Mech adds, but it’s the animal equivalent of what might happen in a human prison, not the way wolves behave when they are left to their own devices.

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 2. März 2023 – Fotodiskussionen im Bürgerbüro“

  1. Micha meint:

    Ihre mitgebrachten Fotos waren natürlich hübscher, aber erfreulich immerhin, dass das Miteinander einen guten Dreh nahm!
    Und an der Kasse nicht angesehen zu werden – bei dem stolzen Preis – ist mehr als unhöflich und spricht für Ihre Sensiblität, davon gestört zu sein…

  2. Mareike meint:

    Mussten Sie dann auch ein Blatt unterschreiben, mit dem Sie bestätigten, dass die „unleserliche“ Unterschrift, mit der Sie Ihre Unterschrift bestätigt haben, wirklich Ihre ist..?

    Der Passfotoautomat scheint eine wichtige Einnahmequelle für Einwohnermeldeämter zu sein (Provision für die Angestellten?). Als ich meinen Personalausweis verlängern lassen wollte und ich freute, als ich noch ein altes Foto gefunden hatte, hätte ich auch ein neues machen sollen, weil zu alt. Dabei bin ich eindeutig zu erkennen, sogar die Frisur ist haargenau dieselbe.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Um das gleich mal geradezurücken, Mareike: Die Automaten des Münchner Bürgerbüros gehören einem Privatunternehmen, darauf wies der Sachbearbeiter ausdrücklich hin.

  4. Joel meint:

    Interessant dass man die Passfotos bei euch noch mitbringen muss. Hier werden die Fotos gleich vor Ort gemacht im Büro, sowohl für den Pass als auch für den Personalausweis. Das hat den Vorteil dass dann nichts schief gehen kann und wenn der Beamte sich verknipst hat, oder de Augen geschlossen waren, macht er das Foto gleich nochmal. Aber andererseits findet man hier kaum noch Fotoautomaten und nur sehr wenige Fotografen die noch Ausweisfotos anbieten. Denn für den Führerschein z.B. muss man schon noch welche parat haben.

  5. Croco meint:

    Eigentlich müsste man froh sein, sich nicht ähnlich zu sehen auf dem Ausweis. So laufen eventuelle Personenfahndungen ins Leere.
    Vermutlich sitzt irgendwo ein Rudi-Dutschke-Anhänger, der den Marsch durch die Institutionen absolviert hat, und jetzt durch diese Verordnung das System von innen vernichtet.
    Vielleicht arbeitet dieser Mensch aber auch unter einer Figur der Heiligen Bürokratius und huldigt ihm stündlich.

  6. Mareike meint:

    Na gut, dann doch keine Verschwörung, sondern einfach nur sehr penible Angestellte.

  7. Anne meint:

    „Wenn man beginnt, seinem Passfoto ähnlich zu sehen, sollte man in den Urlaub fahren.“
    Ephraim Kishon, Quelle: Internet.
    Weiß jemand zufällig die Original-Quelle?

  8. Frau Irgendwas ist immer meint:

    @Croco
    Ich lache gerade sehr!
    Schönes WE für Alle.

  9. Gaga Nielsen meint:

    In Berlin knipst der Automat vom Bürgerbüro das Foto, wenn das mitgebrachte nicht ok ist, kein Angestellter. Der Apparat sucht auch das passendste Foto aus, man hat kein Mitspracherecht. Der Apparat ist der Chef! Man kann aber von vorne anfangen, wenn man das Ausgesuchte extrem doof findet.

  10. Sophie meint:

    Diese Automaten sind auch ganz hervorragend, wenn man stark kurzsichtig das Foto, wie empfohlen, ohne Brille macht… Und dann nicht sieht, dass man was hätte aussuchen können.

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