Journal Samstag, 27. Mai 2023 – Nierstein: Laufstrecken aus aller Welt, kaputter Wanderweg, Gartyparty

Sonntag, 28. Mai 2023 um 7:54

Mittelgute Nacht, weil ich kein passendes Kopfkissen hatte: Eines war riesig und dick, widerstand jedem Versuch des Zusammenpressens – es knickte meinen Seitenschläferinnenhals in einem schmerzhaften Winkel ab. Das andere war nur 30×30 Zentimeter groß und dünn – bei jedem Umdrehen lag ich ohne Kissen unter dem Kopf da. Ich wechselte in der Nacht mehrmals.

Nach dem Bloggen mit ordentlich Wassertrinken ging Herr Kaltmamsell zum Frühstück und ich auf eine Laufrunde. Am Vorabend waren wir an einem Wander-Wegweiser “Nie2” vorbeigekommen, Recherche hatte eine 10-Kilometer-Rundwanderung ergeben, die sehr schön aussah und die ich joggen wollte.

Gleich der erste Abschnitt verlief wunderschön einen Weinberg hoch und eröffnete Blicke über Nierstein und den Rhein.

Im Folgenden lief ich ein paar Extrarunden wegen vermeintlichem oder tatsächlichem Verlaufen – die Wanderung war nicht ideal ausgeschildert.

Ein Weinstock-Kindergarten!

Illustration, warum einige Weine hier “vom Rotliegenden” heißen.

Die Robinien blühen! Ich sah den ganzen Weg über Unmengen Dohlen, Saatkrähen, Schwalben, Tauben und Greifvögel in der Luft, von denen ich nur Falken und Milane identifizieren konnte, helle mächtige Mäusebussarde lediglich vermutete. Vor mir flüchteten zwei mutmaßliche Fasane in einen Wingert, die ich auch zu hören glaubte. Und einmal schreckte ich ein Kaninchen auf, dass sich vom Weg ins Gebüsch schlug. Allerdings fiel mir auf, wie wenig hier summte und flog, ich sah nur zwei Schmetterlinge.

Und dann hörte der Wanderweg einfach auf. Als ich auf der Hälfte der Route an eine Gabelung ohne Wegweiser kam, war mir klar, dass ich zuvor falsch abgebogen sein musste und kehrte um. Doch der letzte Wegweiser war nicht völlig klar. Ich lud die GPS-Karte der Wanderroute auf mein Smartphone und probierte alle Wege ab Wegweiser aus: Keiner war der auf der Karte. Wenn ich den Pfeil auf dem Wegweiser ganz ernst nahm, hätte ich hier links durchgehen müssen.

Hinter einer befestigten Erdaufschüttung mochte mal ein Weg gewesen sein, jetzt sicher nicht mehr. Nicht schlimm, ich lief einfach denselben Weg zurück.

Es war herrlich.

Nach Duschen und Anziehen ging ich mit Herrn Kaltmamsell auf einen Morgen-Cappuccino zu einem Café am Marktplatz. Dann besorgten wir in einem Supermarkt restlichen Proviant für den Tag und machten uns auf zum Treffen: Zur Gartyparty, organisiert von Frau Mutti, die auch Location und Getränke spendierte.

Zwischen Gesprächen mit neuen und alten Bekanntschaften und in herrlichstem Sonnenschein aß ich Tomaten (ich hatte wieder zu denen mit grün-roter Schale gegriffen, die mir in Spanien so gut geschmeckt hatten – Volltreffer), Paprikaschoten, Pumpernickel. Gegen acht verabschiedeten wir uns, jetzt wurde es langsam kühler.

Später Tagesschau hinterhergeguckt: Acht von 15 Minuten über deutschen Männerbundesliga-Fußball. Das halte ich für sehr falsch: Menschen, die sich für dieses Thema interessieren, haben sicher genügend andere, auch öffentlich-rechtliche Quellen dafür.

Im Bett las ich Granta 136, Best of Young British Novelists 5 aus. Diesmal war ich bei Weitem nicht so angetan und bereichert wie vor zehn Jahren. Ich las hauptsächlich leise Geschichten, bekam wenige neue Einblicke, sei es erzähltechnisch, sprachlich oder inhaltlich. Daraus hervorstechend in meinen Augen; Tom Creeve, “The Room-Service Waiter”, die Geschichte eines älteren Manns in Paris, der einst einem jetzt berühmten Maler Modell gestanden hat. Außerdem Anna Marcalfe, “Circles”, ein entstehendes Paar, das sich über eine Online-Plattform findet. Ich begrüßte auch einige Ansätze nicht-realistischen Erzählens. Auffallend und bemerkenswert: Das wiederkehrende Thema Armut.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Samstag, 27. Mai 2023 – Nierstein: Laufstrecken aus aller Welt, kaputter Wanderweg, Gartyparty“

  1. iris meint:

    genau, die tagesschau, das hat mich auch gewundert.

  2. Beate meint:

    Oh ja, mein pet peeve seit Jahren schon: Die Aufmerksamkeit, die die Herren-Fußball-Bundesliga in der Tagesschau bekommt. Unglaublich!

  3. Chris meint:

    Ein Reise-Kopfkissen ist die Lösung für derartige Probleme. Man kommt sich bei der Anschaffung ein wenig schrullig vor, aber das vergeht.

  4. Dörte meint:

    Die Tagesschau hat mich auch sehr verwirrt zurück gelassen. Andererseits: wenn das die Nachrichten Deutschlands sind, geht es uns doch sehr gut!

  5. chatts meint:

    Wenn ich im Hotel kein passendes Kopfkissen vorfinde,
    nutze ich ein auf angenehme Höhe zusammengelegtes Handtuch.

  6. Anne meint:

    Aber sind Fußball-Ergebnisse denn wirklich Nachrichten, @Dörte?
    Für mich sind das vergeudete Sendeminuten, die manchmal durchaus bei anderen Nachrichten über das Weltgeschehen fehlen.
    Für mich ein veraltetes Konzept, eigentlich auch die Lottozahlen, aber deren Vorlesen dauert wenigstens nicht 8 Minuten…

  7. mareibianke meint:

    Fußball interessiert ja durchaus einen erklecklichen Anteil der Bevölkerung. In diesem Fall war es ein außerordentlich knapper Abschluss der Bundesligasaison mit offenem Ausgang bis zur buchstäblich letzten Sekunde. Und weil die Senderechte bei Sky liegen, hatten die Fans ohne Pay-TV und ohne Platz in den Stadien in der Tagesschau erstmalig die Chance, Szenen der Spiele zu sehen.

    Natürlich gibt es ohne Frage jede Menge andere wichtige Nachrichten.
    Aber wer hält es schon aus, immer nur von Krisen zu hören? Manchmal braucht doch jeder ein bisschen Zerstreuung, ohne damit gleich die übrige Weltlage zu ignorieren.

  8. Florian meint:

    Das stimmt so nicht. Direkt vor der Tagesschau lief die Sportschau und praktisch alle Interessierten konnten es dort sehen.

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