Journal Sonntag, 21. April 2024 – Isarlauf: Von Trägershirt zu Handschuhen in 7 Tagen

Montag, 22. April 2024 um 6:29

Diese Nacht etwas unruhiger, Arbeits-Ängste verhinderten tiefen Schlaf.

Aufgewacht zu saukalter Düsternis draußen. Erstmal heizte ich den Backofen auf zum Brotbacken.

Kleiner Brotlaib, oben aufgerissen, auf Abkühlgitter

Hm, auch beim wiederholten Versuch wollte es mir nicht so großporig wie gewünscht gelingen.

Um zehn machte ich mich fertig für einen Isarlauf: Eine Woche nach Trägershirt, Sonnencreme, Sonnenbrille schlüpfte ich in meine Winterausstattung mit langer Hose, langem Shirt, Winterjacke und Handschuhen. Die Winterjacke, die ich seit etwa 15 Jahren habe, ging beim Packen kaputt – na ja, der Reißverschluss der einen Tasche, der aber gründlich. Mal sehen, ob sie es damit nach langem Gebrauch und eigentlich nicht mehr Passen in die Wegwerfzone schafft. Oder ob ich entscheide, dass eine verschließbare Tasche an einer Laufjacke eigentlich reicht. (Zumal ich auf die Schnelle online auch keine in dieser Kombination Vorderseite regenabweisend Hardshell, Rückseite Fleece als Ersatz fand.)

Ich nahm eine U-Bahn zum Odeonsplatz und lief über den Hofgarten und Englischen Garten zum Tivoli und an die Isar. An der Baustelle Unterföhring waren die Isarwege weiterhin beidseitig gesperrt, ich kehrte um und lief denselben Weg bis zum Odeonsplatz zurück.

Mein Körper machte wunderbar mit, ich sah die ersten Schwalben am Föhringer Wehr, und der angekündigte Regen, gegen den ich eine Schirmmütze trug, dauerte nur zehn Minuten gegen Ende und war nicht stark – wunderbar.

Reihen frühlingsgrüner Bäume leuchten in Sonnenschein, der Himmel darüber dunkel, links sieht man ein wenig den Pavillon des Hofgartens, zwischen den Bäumen in der Ferne eine Joggerin

Im Vorergrund eine Parkbank von hinten, vor ihr Bäume, dazwischen sieht man hinaus auf den Fluss, ganz am Ende ein Gebäude

Blick nach oben in einen Fliederbusch mit rosa Blüten, dahinter ein Baum mit noch wenigen Blättern, der Himmel voll dunkler Wolken

Blick von einer Brücke auf einen Fluss, rechts und links hellgrüne Bäume, im Hintergrund eine Brückenbaustelle

Weg sperrende Baustelle von der Emmeramsbrücke aus.

Angeschnittene Brücke über Fluss vom linken Ufer aus, auf dem Brückenpfeiler Graffiti eines grünen Gesichts mit heraushängender Zunge

Parkansicht mit Wiese im Vordergrund

Blick über den Englischen Garten, Wiesen im Vordergrund, ganz im Hintergrund die Silhouette von München, darüber dunkelgrauer Himmel

Der Unterschied zwischen mir und Streetfotograf*innen (neben nahezu komplett fehlender Fachkenntnis bei mir): Die gehen raus auf Fotojagd, suchen nach dem besten Motiv, Licht und Winkel. Ich bin draußen und sehe etwas, das ich festhalten möchte, und zwar möglichst genau in der Perspektive und Beleuchtung, wegen derer es mir auffiel.
Was allerdings immer wieder durch den natürlichen Zoom des Auges erschwert wird: Auf dem Kamera-Display ist das, was ich festhalten möchte, gerne mal kaum zu finden.

Aufgeschnittener Brotlaib mit einigen Scheiben davor

Frühstück gegen zwei: Selbstgebackenes Brot (Geschmack gut, Kruste etwas zu hart) mit Marktbutter und italienischem gekochten Schinken, Orange.

Draußen mischten sich immer mehr Schneeflocken in den Regen. Und es soll noch kälter werden – mal sehen, ob wir in unserer Gegend Bayerns dieses Jahr Kirschen, Zwetschgen, Äpfel bekommen.

Nachmittag mit Lesereien, unter anderem las ich Ruth Klüger, Katastrophen. Über deutsche Literatur aus. Sie schreibt diese literaturwissenschaftlichen Aufsätze so gut, dass ich mitdenken konnte und wollte, selbst wenn ich die Primärwerke nicht gelesen hatte. In zwei der Texte ging es um Lessings Nathan; da Herr Kaltmamsell das Stück gern und oft in der Schule verwendet, konnte ich mich mit ihm dazu austauschen.

Yoga-Gymnastik gestern angenehme Dehnungen, genau das Richtige nach der langen Laufrunde.

Weißer tiefer Teller auf grünem Set, darin Karottenscheiben, Linsen, Petersilie

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die Ernteanteil-Karotten als Türkische Karotten mit Linsen, sehr gut.

Herr Kaltmamsell hatte auch Nachtisch gekocht: Er wollte endlich mal Grieß-Flammerie ausprobieren. Nicht so formschön, aber gut. Dann gab es als Nach-Dessert noch Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, neue Lektüre ist Louise Erdrich, The Night Watchman – als gekauftes E-Book, gab’s nicht in der Stadtbibliothek. Zwar wusste ich nicht mehr, wie das Buch auf die Leseliste kam, die ich seit vielen Jahren bei Amazon führe, um mich an Impulskäufen zu hindern. Ich wusste auch nicht mehr, worum es ging. Doch ich vertraue meinem früheren Ich, dass es gute Gründe hatte – und bin bislang noch nie von ihm enttäuscht worden. (Erstes Hineinlesen ergab: Der Roman spielt in den 1950er Jahren in einem US-amerikanischen Indianer-Reservat, der titelgebende Nachtwächter ist Thomas Wazhashk, Vorsitzender des Stammesrats im Turtle-Montain-Reservat, außerdem Wachmann einer Fabrik. Er kämpft gegen die damals angestrebte völlige Assimilation der First Nations.)

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Heute bin ich siebenunddreißig und hier höre ich auf, sonst würde ich noch länger erzählen, zum Beispiel von Männern in Anzügen, die mich korrigieren, belehren und belächeln oder auf das Sofa klopfen und “Setz dich her zu mir” sagen, oder von diesem einen Mann, der letzten Sommer im Gebüsch masturbiert hat, aber dieses Mal habe ich ihn angeschrien, dieses Mal habe ich ihn so laut angeschrien, dass er das Weite gesucht hat, und ich hab nicht gezittert, ich habe mich nicht gefürchtet, weil eine Freundin bei mir war, und wir haben ihn ausgelacht, diesen kleinen ärmlichen Mann. Ich könnte noch länger erzählen, und ich würde mir wünschen, dass ich es nicht müsste, dass ich davon nie wieder erzählen müsste. Ich erzähle es, weil ich mit jedem Gespräch, das ich mit anderen Frauen führe, jedes Mal wieder aufs Neue überrascht bin, jedes Mal wieder bemerke, dass all das nicht nur ich erlebt habe, dass wir auf so vielen Ebenen uns geschämt und kleingemacht haben, wie sehr wir gelernt haben, nett zu sein, nicht aufzufallen, nicht unangenehm zu sein, die Straßenseite zu wechseln, nicht zu laut zu lachen, nicht zu sehr aus der Rolle zu fallen, dass es wehtut.

Ich bin dieser Geschichten müde, ich willwillwill, dass sie weniger werden, dass sie einfach (eINfAcH) nicht mehr passieren. Und möchte am liebsten wegsehen. Aber da sind sie, und sie müssen erzählt werden, damit keine denkt, “ich hätte ja nicht” und “wäre ich halt nur” – und wenn Sie wie ich das schlichte Glück haben, dass Sie das als Frau nicht von klein auf erleben mussten und ihr ganzes Leben darauf ausrichten, dann seien Sie verdammt nochmal solidarisch mit Frauen wie Tanja Raich.
“Sexualisierte Gewalt im Alltag:
Dieses Mal habe ich ihn angeschrien”.

§

Der Ruf nach “Aufarbeitung” der Pandemie-Schutzmaßnahmen gegen Corona irritiert mich: Wären nicht eine saubere Analyse und Auswertung nützlicher? Auch @narkosedoc ist irritiert; auf Bluesky zählt er auf, was tatsächlich einer Aufarbeitung bedarf.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Sonntag, 21. April 2024 – Isarlauf: Von Trägershirt zu Handschuhen in 7 Tagen“

  1. Katrin meint:

    Am Samstag ist wieder die Aktion “Free Repairs In-Store” im Patagonia-Store München (alle Marken, wenn frisch gewaschen): https://freerepairsin-store.splashthat.com/
    Vielleicht ja eine Lösung für die Laufjacke.
    Liebe Grüße

  2. geschichtenundmeer meint:

    Ich erinnere mich an eine Busfahrt, eine ganze Weile, nachdem ich aufgehört hatte, meine Haare zu färben. Erst zu Hause wurde mir klar, dass und warum diese Busfahrt ungewöhnlich entspannt verlaufen war. Die mitfahrenden Männer hatten mich komplett übersehen. Ich weiß noch, wie ich dachte: Da muss frau erst eine grauhaarige Alte werden, damit sie genauso unbehelligt Bus fahren kann wie die meisten Männer. (Denn auch, wenn keine anzüglichen Bemerkungen oder wandernden Hände abzuwehren sind: “abgecheckt” wird eine Frau im gebärfähigen Alter meiner Erfahrung nach fast immer, und das war nicht angenehm.)

  3. Olga meint:

    Louise Erdrich liebe ich sehr. Ich kann auch “The Sentence” sehr empfehlen.
    Und wenn Sie Audiobuecher moegen: LE liest ihre Buecher selbst ein. Und ist richtig, richtig gut darin.

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