Journal Dienstag, 7. Mai 2024 – Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England

Mittwoch, 8. Mai 2024 um 6:27

Nachtschlaf in Etappen, nach halb fünf schlief ich nicht mehr richtig ein.

Draußen hatte sich die Trübe des Vorabends gehalten, es war kühl.

Begrünter Platz, im Vordergrund ein Haufen ausgerissener Pflanzen, im Hintergrund ein Reiterdenkmal

Schichtwechsel in den Blumenrabatten des Kaiser-Ludwig-Platzes.

Wieder ein sehr emsiger Vormittag. Doch auch im Trüben zog es mich mittags hinaus auf einen Cappuccino im Westend. Große Freude: Mauersegler am Himmel auch hier.

Das Mittagessen wurde wegen Querschläger wieder spät:

Selbst gefärbtes Osterei von der griechisch-orthodoxen Kollegin, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Arbeitsreicher Nachmittag, der Feierabend wegen eines kurzfristigen Anliegens wieder später. Aber langsam halte ich es für möglich, dass mein System sich in absehbarer Zeit an die neuen Büroumstände gewöhnt und ich nicht mehr 24/7 an die Arbeit denken muss.

Der Tag war düster und kühl geblieben, ich mochte meinen Fußmarsch nach Hause dennoch. Beim Vollcorner holte ich die Einkäufe vom Montag nach.

Daheim eine Einheit Pilates “Move with Nicole” für Anfänger, nochmal die erste Folge, die mir dieses Mal einfacher fiel und richtig gut tat.

Brotzeitvorbereitung, als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell gefüllte Kartoffeltaschen (Kombination aus mehreren Rezepten, Füllung aus Salsicce und Frühlingszwiebeln) mit Sauerrahm.

Eine flache Kartoffeltasche, aufgeschnitten, auf Glasteller

Schmeckte sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Sehr früh ins Bett zum Lesen, ich war gespannt auf meine nächste Lektüre (die Vormerkung in der Stadtbibliothek war wieder punktgenau eingetroffen): Didier Eribon, Sonja Finck (Übers.), Eine Arbeiterin.

§

Bereits Montagabend hatte ich Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England ausgelesen. Das Sachbuch erschien 2020, und Nele Pollatschek berichtet darin von ihrer eigenen Studienzeit in Oxford und Cambridge, wie sie sich da hingekämpft hat, und was sie daraus über Großbritannien lernte. Das fand ich spannend, interessant und gut geschrieben, und selbst wenn ich einigen ihrer Argumente nicht folge (zum Beispiel ihrer Begründung, warum sie immer im männlichen Genus von sich schreibt, Schriftsteller, Student – das hatte sie auch mal in einem SZ-Artikel erläutert), mochte ich sie gerne lesen. Die britische Art der Gedankendarlegung und Argumentation ist sehr wahrscheinlich ohnehin, warum ich Pollatscheks Texte immer schon gern las. Wie sie das System Oxbridge als Schlüssel für die Analyse der britischen Gesellschaft verwendet und daraus die Schwierigkeit ableitet, die inhärente Ungerechtigkeit zu bekämpfen, fand ich nachvollziehbar.

Und viele ihrer Studienerlebnisse hatte ich auch gehabt, wenn auch an der im Vergleich unendlich popligeren Swansea University in Wales: Zum Beispiel set text courses, die aus einer Hand voll Studierender plus Dozent bestanden und für die wir jede Woche einen Roman lasen – der im Kurs 18th-century British novels auch mal über 1000 Seiten haben konnte (siehe Camilla von Fanny Burney). DAS FAND ICH SO SUPER! Endlich wurde in Literaturwissenschaft auch mal so richtig gelesen, deshalb studierte ich das doch, um endlich hemmungslos und ohne Entschuldigung lesen zu können! Vorher in Augsburg waren in Seminaren drei übersichtliche Romane pro Semester das Höchstmaß gewesen. Allerdings musste ich, anders als Pollatschek in Cambridge, nicht über jeden dieser Romane pro Woche zusätzlich einen Aufsatz schreiben. Das hätte meinen Spaß möglicherweise getrübt.

Worüber ich stolperte: Pollatschek berichtet, Studiengebühren seien in Großbritannien erst 1998 eingeführt worden. Das bestätigt die Website studying-in-uk.org. Mich überraschte das, denn schon meine einheimischen Kommilitoninnen in Swansea (working class) hatten 1991/92 Kredite für ihr Studium aufgenommen, erzählten von regelmäßigen Terminen mit ihrem Bankberater, schlossen ihr Studium mit einem Berg Schulden ab – ich war deshalb immer von Studiengebühren ausgegangen, doch offensichtlich hatten sie schlicht für ihren Lebensunterhalt während des Studiums Kredite aufgenommen, die sie mit ihrem späteren Gehalt abstotterten.

§

Gabriel Yoran erzählt bei Krautreporter:
“Wie ich versuchte, mich vom Konsum freizukaufen”.

Waschmaschinen aus den 1970ern funktionieren klaglos 30 Jahre lang, bei den Nachfolgegeräten aber gibt nach zehn Jahren die Pumpe auf. Die neuen Maschinen sind leiser und sehen eher nach Unterhaltungselektronik als nach Militärtechnik aus, vor allem aber verbrauchen sie viel weniger Strom und Wasser, was für ihre Nachhaltigkeitsbilanz spricht. Dafür gehen sie oft früher kaputt. Das ergab eine Langzeitstudie des Umweltbundesamtes. Der Anteil der untersuchten Elektrogeräte, die schon in den ersten fünf Jahren kaputtgehen, hat sich zwischen den Jahren 2004 und 2012 mehr als verdoppelt (von 3,5 auf 8,3 Prozent). Und während viele Geräte in der Benutzung immer sparsamer werden, sieht die Studie praktisch keine Fortschritte bei der trivialsten Nachhaltigkeitsmaßnahme: der schieren Lebensdauer eines Produkts. Die nimmt nämlich nicht zu.

Wir erleben eine merkwürdige Scheinnachhaltigkeit.

Den Begriff werde ich mir merken.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Dienstag, 7. Mai 2024 – Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England

  1. N. Aunyn meint:

    Das griechisch-orthodoxe Osterei mit Petersielienmuster schaut super aus.
    Unsere WG – Waschmaschine, die viel in Gebräuch ist, haben wir seit Mai 2016. In dieser Zeit hat sie eine Reparatur gebraucht. Sie wäscht, und wäscht und wäscht …
    Das ist vermutlich ein Glücksgriff gewesen, was man sonst so von diesen Geräten hört.

  2. Kecks meint:

    Aber das ist doch nicht erstaunlich, sondern sehr erwartbar, die Scheinnachhaltigkeit – letztlich geht es um Profit, und was wirklich nachhaltig wäre, kann nicht zugleich profitabel sein (im Sinne von Proftmaximierung), wenigstens nicht in einer kapitalistischen Gesellschaft und bei Produkten, die industriell produziert werden (vs. andere Sektoren: Landiwrtschaft, Dienstleistungen… Nachhaltigkeit ist nur ein weiteres Attribut fürs Brandingaus der Abteilung für Greenwashing. Wenigstens bei Waschmaschinen.

  3. Sandra meint:

    N. Aunyn: Unsere läuft seit 2018. Die Heizstäbe waren aber schonmal durch und wurden erfolgreich durch uns selbst getauscht.
    Vielleicht sind Waschmaschinen ja einfach nicht immer gleich kaputt, sondern können mit geringem, preiswerten Aufwand repariert werden. Wahrscheinlich lohnt es sich genau dann nicht, wenn man dafür einen Helfer braucht. Aber es gibt ja auch tolle Repair-Cafés!
    Ists die Pumpe, war’s das aber wahrscheinlich.

  4. Croco meint:

    Und ich las Scheinträchtigkeit. Mannomann, bin ich durch.

    Der Haushalt hier ist ein Gnadenhof für alte Geräte. Letztes Jahr ist der Kühlschrank von 1985 kaputt gegangen, die Waschmaschine aus dem selben Jahr funktioniert noch richtig gut. Und laut Elektriker gibt es in der Zentrale von Miele immer noch Ersatzteile für das Modell.
    „Des duat‘s no“ ist der schwäbische Ausdruck für Nachhaltigkeit.

    Jede Woche ein Buch lesen zu müssen, klingt sehr verlockend.

  5. Dörte meint:

    Ich habe 1997 in England studiert und musste Studiengebühren entrichten genau so wie meine englischen Kommilitonen*innen auch.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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