Journal Montag, 22. September 2025 – South Downs Way 2: Von Exton nach South Harting
Dienstag, 23. September 2025 um 7:50Lang geschlafen, vor Weckerklingeln aufgewacht. Für die gestrigen 27 angekündigten Kilometer wollte ich zeitig los, noch konnte ich mein Tempo auf der Strecke nicht einschätzen – und ich wollte mir genug Zeit geben für Gucken, Staunen, Fotografieren, Umwege, Pausen.
Das fragwürdig originelle Waschbecken erwies sich als unpraktisch: Natürlich pritschelte ich beim Zähneputzen und Händewaschen rundum wie Sau, und meine Wasserflaschen passten zum Auffüllen nicht darunter, ich behalf mich mit einem Wasserglas.
Wie vereinbart hatte man mir statt Frühstück ein Sandwich zum Mitnehmen vorbereitet, ich dankte herzlich. Und dann startete ich kurz nach acht in sonnigen – laut Wetter-App – sechs Grad.
Meine Unterkunft, The Bucks Head, in Morgensonne.
Waren mir schon am Sonntag reichlich am Wegesrand begegnet: Die sehen aus wie die Alpenveilchen, die bei uns im Topf verkauft werden, nur sehr klein – kann das sein?
Wunderschöner erster Streckenabschnitt entlang einem trockenen Bachbett (links).
Dann ging es hoch: Damit der South Downs Way Aussichten bieten kann, muss er oft obenrum führen.
Endlich Schafe! Auch schwarzbunte Kühe hatte man mir gestern in die Aussicht gestellt.
Wenn man eine Sehenswürdigkeit angeboten bekommt, muss man auch gucken – zumal diese Festung aus der Eisenzeit keinen großen Umweg bedeutete. Das Old Winchester Hill hillfort wurde interessanterweise nie ausgegraben: Aus meiner jüngsten Lektüre, Jens Notroffs Staub, Steine, Scherben, weiß ich, dass das eine valide archäologische Option ist: Jede Ausgrabung zerstört unweigerlich die historische Stätte und was darin liegt; am sichersten sind Funde unausgegraben.
(Wenn man den Fundort allerdings eh zerstören muss, weil etwas anderes dort gebaut werden soll, können Archäolog*innen natürlich aus dem Vollen schöpfen. Schaufeln. Spitzhackeln. Graben. Frau Brüllen hilft zum Beispiel diese Woche wieder als citizen scientist bei einer solchen Grabung, gestern ging’s los.)
An diesem Hohlweg machte ich nach zweieinhalb Stunden die erste Pause – auch wenn ich weit und breit keinen windgeschützten und wirklich angenehmen Platz dafür fand; ich zwang mich zu kurzem Sitzen und Ausruhen.
Andere Schafe.
Mein Wanderbüchl hatte auf das Sustainablility Center mit Beech Café hingewiesen: Das lag genau richtig auf meiner Strecke für Mittagscappuccino und Klo. Aber.
Mist, Montag und Dienstag geschlossen. Also wieder Pinkeln im Wald (große Blätter von Bäumen statt Klopapier, ich wiederhole den Tipp).
Nach einer Weile ging es recht steil bergab.
Ich bekam meinen ersten Meerblick – plus Aussicht auf die Autobahn A3, die schon seit einiger Zeit den Soundtrack meiner Wanderung dominiert hatte.
Um halb zwei war es wirklich Zeit für Brotzeit – ich hatte sie so lange hinausgezögert, weil die Karte des Wanderbüchls “benches with good views” angekündigt hatte. Und da war tatsächlich eine! Es gab ein Äpfelchen, etwas Kefir (am Samstag bei Tesco’s besorgt) sowie das mächtige Ham and cheese sandwich. Ich blieb nicht so lange sitzen, wie ich mir gewünscht hätte, denn in Schatten und Wind war mir kalt.
Von diesen Schilden standen einige am Weg – ich möchte nicht wissen, wie viele verunfallte Mountainbiker hier jährlich zusammengefegt werden müssen.
Sehr schöner Anblick – aber eine von zwei falschen Abzweigungen, die mir gestern durch nicht ganz eindeutige Ausschilderung unterliefen. Kamen mir jeweils rechtzeitig komisch vor, der GPS-Track brachte mich auf die richtige Spur.
Wie ich einmal sehr bedauerte, keine heimischem Münzen bei mir zu haben: Die Äpfel hätte ich gerne gekostet.
Tier-Show des Tages: Wieder viele Fasane, öfter gehört als gesehen, wie schon am Sonntag Schwalben, aber auch viele andere Vögelchen (u.a. Distelfinken, Rotschwänze), die morgens für die Jahreszeit erstaunlich variantenreich sangen. Ein paar LBBs (little brown birds – sagen angeblich Ornitholog*innen, wenn sie auch nicht wissen) sah ich eine Weile beim Baden in Pfützen zu. Am Himmel Möwen, Krähen, Greifvögel.
Menschen: Am seltensten Wander*innen, aber viele Jogger, Bergläufer, Hundegassiführer*innen, Mountainbiker, kurz vor Ende auch eine Mountainbikerin – das Gelände diente zumindest gestern vor allem als Sportgerät.
Straßen: Gestern war der Anteil an frequentierten Landstraßen, die ich entlang gehen musste, nicht ganz so hoch wie am Sonntag (mir immer sehr unangenehm), doch dreimal waren sie so eng von dichten Hecken eingegrenzt, dass ich bei entgegenkommendem Lieferwagen, Quad, Schulbus ein ganzes Stück zurückgehen musste bis zu einer Möglichkeit, den Wagen vorbeizulassen (und dann eine Weile flach atmen, weil Abgase und Staub).
Im rechten Winkel bog ich weg vom South Downs Way und nahm diesen Pfad zu meinem Ziel South Harting.
Sehr freundlicher Empfang, das zugehörige Lokal sah besonders einladend aus, ich bat um einen Tisch fürs Abendessen.
Gemütliches Zimmer, wenn mich auch leise Trauer über den Abstieg von Bücherwänden zu Tapeten überkam – ich bin ja mit schuld. (Gibt es ein Fachwort für diese Erscheinung: Dass etwas noch eine Aura transportiert, aber statt dem eigentlichen Gegenstand ein Bild davon reicht, um sie zu vermitteln?)
Das waren gut 27 Kilometer in knapp acht Stunden mit zwei Pausen: Die heutigen FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! sollten in zehn Stunden zu schaffen sein.
Körper weiterhin ok-ish: Er meldete sich unterwegs mal mit diesem (linkes Knie! Hüftbeuger!), mal mit jenem (hinterer rechter Oberschenkel!), das hörte aber jeweils von selbst wieder auf. Eher beunruhigte mich die riesige Blase an der Unterseite des linken Ringzehs, von nichts weiter verursacht als von der faltenfreien, glatten Fläche darunter. Ich beschloss, die Blase einfach Blase sein zu lassen, an dieser Stelle stört sie ja nicht sehr und kann kaum schlimmer werden (WEIL DA NICHTS IST!) – für alle Fälle aber Blasenpflaster in meinen Tagesrucksack einzustecken.
Wieder verwendete ich sofort viel Zeit fürs Bloggen (diesmal auf dem Bett: ich hatte das Bedürfnis, die Beine hochzulegen) – mit etwas schlechtem Gewissen, dass ich sie nicht für anderes NÜTZTE bei dem herrlichen Wetter. Ich musste mir aktiv klarmachen, dass acht Stunden draußen bereits reichlich NÜTZEN gewesen war.
In der Ferne übte jemand Horn – auf sehr hohem Niveau.
Das Abendessen war dann wirklich erfreulich.
Zum alkoholfreien Bier (Fitness-Erhalt durch möglichst wenig Gifte) bestellte ich das Gericht, das am meisten Gemüse versprach: Gegrillte Hühnerbrust mit Gemüse-Orzo – und zur Sicherheit noch Brokkoli als Beilage. Das schmeckte sehr gut, enthielt tatsächlich viel Gemüse, unter anderem zwei ganze Knoblauchzehen – und war ganz sicher frisch zubereitet von jemandem, der oder die das beruflich macht. Ja, dafür zahlte ich ein wenig mehr als für die vorherigen beiden Abendessen, und das gern.
Der Zugang zu meinem Zimmer, dort gab’s als Dessert die restliche Schokolade.
§
John Oliver hat Bernd das Brot entdeckt.
8 Kommentare zu „Journal Montag, 22. September 2025 – South Downs Way 2: Von Exton nach South Harting“
Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
23. September 2025 um 8:24
Eventuell ist Skeuomorphismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Skeuomorphismus) das Wort, das Sie suchen.
Und vielen Dank, dass wir Sie bei Ihrer Reise begleiten dürfen.
23. September 2025 um 8:24
Es macht so große Freude, Sie auf dieser Wanderung zu begleiten. Danke für die schönen Bilder – auch die, die vor meinem inneren Auge entstehen. Möge der weitere Weg problemlos zu bewältigen sein.
23. September 2025 um 8:28
Bei Wanderungen finde ich liberpee sehr praktisch https://liberpee.com/de/
Sogar auf Klopapier kann man damit verzichten.
23. September 2025 um 8:49
Guten Morgen,
das sind wilde Alpenveilchen (Cyclamen). Die kann man sogar bei uns in den Garten pflanzen, die wilden Sorten sind dafür geeignet und breiten sich aus.
Viel Spaß beim Weiterwandern, drücke für die heutigen FÜNFUNDDREISSIG KILOMETER die Daumen,
Eva
23. September 2025 um 9:09
War es nicht so, dass die Aura nur dem Kunstwerk selbst innewohnt, und nicht anders herzustellen sei? Wie war das nochmal, Herr Benjamin? :)
Weiterhin frohes Wandern! :)
23. September 2025 um 9:43
“Gibt es ein Fachwort für diese Erscheinung: Dass etwas noch eine Aura transportiert, aber statt dem eigentlichen Gegenstand ein Bild davon reicht, um sie zu vermitteln?”
-> Simulacrum
23. September 2025 um 11:38
Ach, die Franzosen (Barthes, Derrida) … danke, Nina!
23. September 2025 um 13:01
Kannst doch mit Euromünzen für die Äpfel zahlen? Die werden sicher schnell wieder auf dem Kontinent ausgegeben.
Viel Spaß weiterhin!