Journal Sonntag, 21. September 2025 – South Downs Way 1: Von Winchester nach Exton

Montag, 22. September 2025 um 8:20

Ich schlief gut und lang, erst der Wecker weckte mich: Auf meine alten Tage werde ich gegenüber Schlafzimmerverhältnissen (kein offenes Fenster möglich!) anscheinend sogar toleranter. Erstmal Kaffee, in England kann ich mich zum Glück auf Wasserkessel und zumindest löslichen Kaffee auf dem Zimmer verlassen. Frühstück hatte ich zwar mitbuchen (und -zahlen) müssen, aber morgens geht halt nix. Hoffentlich schaffe ich es wenigstens in dem einen oder anderen B&B zu fragen, ob ich mein Frühstück als Sandwich zur Brotzeit mitnehmen darf (hatte damit schon schlechte Erfahrungen, z.B. letztes Jahr auf Mallorca, deswegen kostet mich das Überwindung).

Vielversprechende Hotelzimmeraussicht.

Wanderkleidung bei Vorhersage von eher niedriger Temperatur ohne Regen: zur langen Wanderhose langärmliges Shirt unter Fleecejacke. War genau das Richtige, um die Mittagszeit war fast eine Stunde lang die Jacke sogar zu warm, ich band sie um den Bauch.

Da die erste Etappe eine der kürzesten war, wollte ich mich vorher noch ein wenig in Winchester umsehen. Was dadurch ausgebremst wurde, dass die Innenstadt gestern für den jährlichen Halbmarathon blockiert war – ich spazierte halt durch ein paar ungesperrte Straßen.

DIE Kathedrale. Es fand gerade ein Gottesdienst statt (der Chor klang weit überdurschnittlich gut), aber ich hatte eh keine Ruhe für eine Besichtigung. Also spazierte ich lediglich einmal drumrum.

Frühstücksvolk im Café an einem Sonntag vor zehn – das ist hier eine komplett andere Kultur als bei uns. (Die Temperatur, nur wenig über 10 Grad, traue ich den Müncherinnen allerdings inzwischen fürs Draußensitzen zu.)

Um zehn startete ich die eigentliche Wanderung, den South Downs Way, am Flüsschen Itchen in Winchester.

Hinter Winchester ging es aufs freie Land. Die Büsche links hingen voller überreifer Brombeeren – und obwohl es mir zu früh für echten Appetit war, kam ich nicht an ihnen vorbei und aß Dutzende.

Den live GPS-Track schaltete ich bald aus: Wanderbüchl (von der Agentur gestellt, über die ich die Wanderung mit Übernachtungen und Gepäcktranport gebucht hatte) und reichlich Beschilderung führten mich genügend, und die App zog sehr viel Strom in meinem Handy – da ich gewohnt bin, dass ich den Akku bei Alltagsgebrauch nur alle drei Tage laden muss, habe ich keine Powerbank dabei.

Mehr als respektables Baumhaus.

Ab hier gab es die schönen Ausblicke, die das Wanderbüchl angekündigt hatte.

Wie in England gewohnt führte mich die Route immer wieder durch Privatgelände (siehe rechtlicher Hintergrund public footpath).

Beim Kreuzen eines ausgedehnten Bauernhofs sah ich, dass wohl auch viele Einheimische nicht damit vertraut sind, dass sie wirklich nur diesen einen Weg betreten dürfen; das waren nur drei von vielen Absperrungen und Schildern.

Nach zwei Stunden machte ich brav Pause, auch ohne Müdigkeit: Ich hatte mir vorgenommen das zu üben, unter anderem um für die FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! fit zu bleiben. Was ja hier leider ganz fehlt, ist jegliche Bankerl-Kultur, auch um die Dörfer steht nichts – anscheinend gibt es hier keine Menschen, die sich gern wo hinsetzen und in eine schöne Aussicht schauen. Für meine Pause und zwei Stunden später zur Brotzeit (Nüsse, Trockenfeigen und -pflaumen) musste ich mich halt auf den Boden setzen.

Auch hier scheint ein gutes Apfeljahr zu sein (Streuobstwiesen sind aber sicher auch hier nur etwas fürs Privatvergnügen und lohnen sich nicht für den Großmarkt – vielleicht erwische ich einen Bauernmarkt oder Dorfladen).

Der erste von sehr vielen Fasanen, die ich im letzten Abschnitt auf den riesigen, abgeerneteten Feldern dieser industriellen Landwirtschaft erst hörte, dann auch sah. Tut mir leid: Damit ich schlechteste aller möglichen Tierfotografinnen sie erwische, müssen sie halt tot sein. Weitere Tiersichtungen: Ein graues Eichhörnchen (doppelt so groß wie unsere zierlichen – ich weiß, die hiesigen wurden von amerikanischen Einwandererhörnchen verdrängt), viele Greifvögel am Himmel (Rotmilane identifiziete ich eindeutig, sonst eventuell Bussarde), einmal saßen drei sehr helle so tief über mir auf einer Thermik, dass ich sie lange ansehen konnte. Außerdem Kaninchen – aber keine einzige Kuh, kein einziges Schaf.

Menschen beim Spazieren oder Wandern begegneten mir sehr wenige, obwohl doch Sonntag war, mehr noch auf Mountain Bikes (nur sehr wenige mit Motorantrieb): Der gesamte Abschnitt gestern war auch für sie freigegeben, auf besonders schmalen Pfaden bereitete es Mühe, aneinander vorbei zu kommen.

Sehr spät das erste kissing gate – und ich hatte niemand dabei zum Küssen, vermisste auch sonst Herrn Kaltmamsell.

Weg hinunter zu meinem Zielort Exton. Jetzt hatte sich der Himmel verdüstert, doch es fiel kein Regen – einen von sieben Wandertagen habe ich schonmal trocken bekommen. Im Moment wird für die ganze Woche Regenfreiheit und Sonne vorhergesagt, doch ich erinnere mich, dass die Wettervorhersage in England so schnell wechselt wie das Wetter.

Das waren dann 21 gemessene Kilometer in sechs Stunden mit zwei Pausen (plus Spaziergang in Winchester), wobei ich am Ende getrödelt hatte, um nicht zu früh in meiner Unterkunft anzukommen. Für meine FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! am Dienstag werde ich mindestens zehn Stunden einkalkulieren müssen.

Es war noch ein Stück zusätzlicher Weg zu meiner Unterkunft, einem Landgasthof. Wieder meldete ich mich gleich mal fürs Abendessen an – auch wenn ich online auf der Speisekarte gesehen hatte, dass man hier am allerstolzesten auf die Sauerteig-Pizza ist.

Angenehmes Zimmer, über die Waschbecken-Entscheidung denke ich noch nach. (Und das Rhabarber-Waschgel daneben enthielt die Geruchskomponente Männerschweiß.)

Der Körper hatte gut mitgespielt, abends dehnte ich noch ein wenig durch.

Da ich mich nicht sehr aufnahmefähig gefühlt hatte, hatte ich den Eindruck, ich hätte nicht so viel fotografiert wie sonst auf Wanderungen. Der Download auf meinen Computer sagte etwas anderes.

Abendessen im angeschlossenen Pub.

Touristinnenpflicht in dieser Gegend: Real Ale trinken. Ich hatte schon vergessen, wie süffig die Kohlensäure-Armut das Bier hier macht.

Auf Pizza hatte ich überhaupt keine Lust und bestellte etwas Traditionelles. Dass bei “Ham, Eggs and Chips” der Ham schlicht aus einer kalten Scheibe Kochschinken bestand, konnte mich allerdings überraschen. Ich werde hier unterwegs ohnehin deutlich mehr Fleisch essen, als mir lieb ist, bislang war die vegetarian option Pasta oder Pizza – in der Gegend, die ich als historischen Ursprung des Vegetarismus abgespeichert hatte, dann doch unerwartet. Selbst unter den Beilagen, die man hier extra bestellen kann, sind Kartoffeln das einzige Gemüse – nix kl. gem. Salat. Am Nebentisch bekam ich eine unwillige Nachfrage beim Servicepersonal mit, die vegetarian options seien ja schon ganz schön übersichtlich.

The Bucks Head im Abendlicht. Während meines Abendessens hatten einige weitere Wander*innen für die Übernachtung eingecheckt; ich kann mir vorstellen, dass das B&B-Angebot hier nicht allzu groß ist: Einheimische machen den South Downs Way eher in Abschnitten als Tageswanderung, das hier ist ansonsten kein Urlaubsgebiet, alternativ gibt es laut meinem Wanderbüchl Camping-Möglichkeiten (die eher zu den echten Wander-Fans passen).

Zurück auf dem Zimmer gab es noch ein wenig Schokolade.
Bloggen und die mir wichtigen Menschen im Internet nachzulesen (deutsche Timeline voll von zauberhaften Sommerabschiedsfotos), dauerte dann so lange, dass ich nicht mal prüfte, ob es auch hier echtes Fernsehen gab (vielleicht passend zum überholten Speisenangebot).

Die Erwachsenenkarte ausgespielt und so früh ins Bett gegangen, wie ich wollte (sehr früh).

§

Fikri Anıl Altıntaş ist Schriftsteller und in der politischen Bildungsarbeit aktiv. In der taz spricht er mit Karlotta Ehrenberg über seine Schul-Workshops zu Männlichkeitsbildern, Gewalt und Feminismus.
“Ein Gespräch über Geschlechterrollen
‘Ich hätte gern Ballett getanzt'”.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Sonntag, 21. September 2025 – South Downs Way 1: Von Winchester nach Exton“

  1. adelhaid meint:

    jaaa, waschbecken in neu renovierten (modernen (TM)) bädern können sehr strange sein. wir haben uns vor 6 jahren für ein klassisches (altmodisches (TM)) becken entschieden und wurden ein bisschen schräg angekuckt dafür. ich wollte mir aber beim besten willen nicht vorstellen, die nächsten 25 jahre in einen eimer zu spucken nach dem zähneputzen. und das auch noch für sehr viel geld.

  2. Vinni meint:

    Vielleicht wird es ja noch mit der Speiseauswahl – wir hatten im Sommer bemerkenswert viele und gute vegetarische Optionen auch in kleinen Dorf-Pubs. Ich drück die Daumen und freu mich über die Wanderberichte und Bilder :)

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