Journal Montag, 29. September 2025 – Brighton durchschnürt
Dienstag, 30. September 2025 um 9:05Gut und ausgeschlafen, mehr als siebeneinhalb Stunden brauche ich wohl nicht. Der erste Vogelruf, den ich beim Aufwachen hörte, war eine Krähe statt einer Möwe – alles wird anders!
Es tagte wolkenlos.
Wieder setzte ich mich warm angezogen zu meinem Morgenkaffee: Das von den Vermietern angekündigte Heizen morgens und abends war nicht eingetreten. Zumindest ist die Wohnung nicht so kalt wie einige der B&B-Zimmer vorher.
Ich saß mit Laptop an dem Tisch im Bay Window der Wohnung, sah immer wieder raus in den herrlichen Sonnentag. Mein Blick fiel zum Beispiel auf einen weißhaarigen, sonnengegerbten alten Mann in hellen Bermudas, blauem Pulli und Deckschuhen, der mit Einkäufen in der Hand die Straße hochging und so typisch küstenortig aussah, dass ich mich nun wirklich am Meer angekommen fühlte.
Blick aus der Ferienwohnung – u.a. auf die Baustelle, von der noch die Rede sein wird und die aus der gesamten Ecke des Häuserblocks besteht.
Mein gestriges Programm war Herumlaufen in Brighton für Einkäufe. Erstmal spazierte ich mit Liste zum großen Supermarkt Waitrose, sah mich dort auch gründlich um.
Ich habe solch ein Scheißglück mit dem Wetter!
Diese Einkäufe brachte ich in die Wohnung, dann nächste, größere Runde: Über Boots (Zahnpasta, Zahnbürste – das war so geplant), Ikea (für Geschirrtücher – waren aber gerade aus), Marks & Spencer (Geschirrtücher, schwarze Baumwollunterhosen – der spontane Fünferpackenkauf vor zehn Jahren hatte sich beeindruckend bewährt), Schaufenstergucken, Western-Road-Bummeln, Brotkauf, gründliches Mäandern durch die Gässchen zwischen Western Road und Strandpromenade.
I see dead shops: An vielen Stellen ergänzte mein Hirn Ansichten aus vergangenen Jahrzehnten, das zum Beispiel war das letzte große Antiquariat gewesen. (Für die Chronik: Aktuell werden geschlossene Läden im Zweifelsfall durch Coffee Shops ersetzt, “Speciality Coffee”.)
Brunswick Square.
Die Moschee ist schön renoviert.
Das chinesische Lieblingslokal (mit den lackierten Enten im Fenster), in dem ich vor vielen Jahren meine erste Peking-Ente aß, wurde aufgegeben.
Doch das Lokal, in dem ich Dim Sum kennenlernte, gibt es noch. Dahinter der verfallende West Pier.
Deutlich nach eins kam ich zurück in die Ferienwohnung und zum Frühstücken: Apfel, Tomatenbrote, Joghurt mit (seit Vortag eingeweichten) Trockenpflaumen.
Die Wäsche war am Sonntag so schlecht geschleudert aus der Waschmaschine gekommen (hatte ich nicht rechtzeitig gemerkt), dass sie sehr langsam trocknete. Ich nutzte jeden Sonnenstrahl in Wohnzimmer und Hinterhof (!), um besonders feuchte Stücke darin auszubreiten.
Gleich nochmal raus in die kurzärmlige Milde, jetzt ging ich zu North Laine mit seinen vielen kleinen Gässchen und immer noch großteils Inhaber-geführten Läden. Der mit offenen Süßigkeiten nach Gewicht war auch nach über 35 Jahren noch da, ich stellte mir eine große Tüte zusammen.
Jetzt machte ich es mir in der Ferienwohnung gemütlich mit Lesen. Tatsächlich ungemütlich allerdings: Die Baustelle nebenan. Manche Baustellengeräusche finde ich durchaus erträglich, lautes Wummern und Bohren weniger, am Nachmittag vibrierte die ganze Küchenzeile. Zum Glück wurde um fünf Feierabend gemacht.
SIE sehen hier wahrscheinlich nur einen Bettvorleger. Ich sah eine potentielle Yogamatte und trug den Teppich ins Wohnzimmer: Yoga ging darauf tatsächlich auch nicht schlechter als auf meiner Reise-Matte.
Nachtmahl: Ich kochte eine Packung Puy Linsen (hey, ich hantiere mit diesem Gasherd wie eine Alte! ist mir sogar sympathischer als Induktion, bei Gas habe ich einen direkteren Bezug zu Hitzequelle und Hitzemaß), schnippelte in einen Teil davon rote Paprika, Gurke, Tomate, Frühlingszwiebeln, machte mit reichlich Olivenöl daraus Salat.
Zum Nachtisch gab es eine große Portion aus der Tüte Süßigkeiten.
Das Wetter soll erstmal so bleiben, ich ging mit dem Plan einer Laufrunde den Undercliff Walk entlang ins Bett. Dort neue Lektüre: Gaea Schoeters, Lisa Mensing (Übers.), Trophäe – die sehr fremde Welt der Großwildjagd in Afrika, aus sofort fesselnder Perspektive.
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Eine Blog-Empfehlung für Typografie-Nerds und -Fans wie mich (ich bringe es ja immer höchstens zum Fangirl): Thomas Pfeiffer hat einen Blick für die Form und Aussage von Buchstaben, seit ich ihn kenne (und das ist lang); an diesem Ort im Web sammelt er jetzt seine Entdeckungen und was er darüber herausfindet.
Das Typographische Fundstück.
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Am Oktoberfest verstehe ich ja Vieles nicht. Dass es aber seit vielen Jahren eine Schwulen-Hochburg ist, liegt bei so viel geballtem Camp meiner Ansicht nach total nahe. Und so gibt es natürlich auch die Schwuhplattler, die Süddeutsche stellt sie vor – mit u.a. sehr schönen Fotos (€):
“Queeres Platteln”.
Zum weltweit größten Volksfest gehören die Münchner Schwuhplattler mittlerweile dazu wie das Teufelsrad, der Toboggan oder die Tracht. Sie sind auf dem Weg, ein Wiesn-Klassiker zu werden.
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Fährt eigentlich noch jemand per Anhalter? Die späten Ausläufer dieser Form der Mobilität machte ich Ende der 1980er / Anfang 1990er als junge Frau noch mit (ganz selten, aber doch): Während meines Auslandsstudienjahrs in Südwales hätte ich sonst mangels Geld so gut wie nichts außer Swansea gesehen – und auch für die vier einheimischen Freundinnen, die ich dort gleich von Anfang an fand, war das die übliche Form, von A nach weiter entferntem B zu kommen.
Doch schon lange sind die meist jungen Menschen mit Pappschild in der Hand oder auch nur gerecktem Daumen an Autobahnauffahrten verschwunden. Umso interessierter las ich in der Süddeutschen den Artikel von Christin Lesker (€):
“Warum ich per Anhalter fahre”.
1 Kommentar zu „Journal Montag, 29. September 2025 – Brighton durchschnürt“
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30. September 2025 um 9:23
Ich hätte gedacht, dass das Trampen inzwischen über Mitfahrzentralen besser organisiert ist. :-) Oder gleich Uber.