Journal Dienstag, 30. September 2025 – Brighton mit Undercliff Walk und Food for friends
Mittwoch, 1. Oktober 2025 um 10:02Wieder gut geschlafen, wieder zu einem herrlich sonnigen Tag aufgestanden.
Am Vortag hatte ich den Feierabend der 50 Meter entfernten Baustelle um fünf mitbekommen, jetzt lernte ich den Beginn des Betriebs: acht Uhr. Zum Glück, auch das lernte ich, bedeutete Betrieb keineswegs nur Wummerlärm; nach einigem Startwummern mit wackelnden Wänden blieb es ruhig.
Tagesplan 1: Laufrunde den Undercliff Walk entlang. Da ich diesmal recht weit weg von der Strandpromenade wohne, musste ich erstmal entscheiden, an welchen Punkt ich zum Starten spazierte.
In der Wohnung war mir so kalt gewesen, dass ich zum Laufen fast eine Jacke mitgenommen hätte. Doch draußen merkte ich in der Sonne sofort, dass kurze Ärmel richtig waren – unterwegs wünschte ich mir sogar kurze Hosen (Ende September in England!). Zudem halten hier die Bäume noch recht konsequent am Grün fest – wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet in England Herbst-Aufschub bekommen würde?
Übrigens werden hier (Brighton und davor auf dem South Downs Way) beim Joggen ähnlich viele Laufwesten getragen wie in München – ich hätte die Leute, die nach schlichter Morgenjoggingrunde aussahen, gerne gefragt, was sie darin um Himmels Willen alles transportierten (Wohnungs-/Autoschlüssel passt ja in kleine Hosentasche). Aber die Läufer*innen und Wandersleute der vergangenen neun Tage waren hier stoffliger als in München und auf Wanderungen in Bayern: Mein Gruß oder Lächeln wurde in der Hälfte aller Fälle nicht erwidert.
Das Royal Albion sieht schlimm aus: In dem 200 Jahre alten Gebäude hatte es kurz nach unserem jüngsten Brighton-Urlaub vor zwei Jahren gebrannt, noch ist offen, ob überhaupt etwas erhalten werden kann.
Fühlte sich ein bisschen wie Heimkommen an.
Kurz vor Rottingdean.
Das hier kannte ich noch nicht (kurz vor Marina) – ich erinnerte mich aber vage an Renovierungsarbeiten vor zwei Jahren. So ist das halt jedesmal: Mindestens eine Ecke ist kaputt, mindestens eine andere wird gerade hergerichtet, weitere sind schick und frisch erneuert.
Ich kam an der Schwimmmöglichkeit Sea Lanes vorbei (welch bezaubernder Name, der hier nicht nur Schwimmbahnen bezeichnet, sondern sich an The Lanes anlehnt, die winzigen ältesten Gässchen von Brighton), für die ich Badeanzug, Bademütze und Schwimmbrille dabei habe. Ab jetzt war ich SO aufgeregt, ob das am nächsten Tag klappen würde (Wetter, Überwindung wegen Fremdelns etc.). Auf der zugehörigen Website hatte ich schon einiges herausgefunden, unter anderem eine Wassertemperatur, die mit 19 Grad ein paar Grad unter der liegt, die mich nach spätestens 1.500 Metern zum Frieren bringt.
Was mich in Reflexionen brachte: FOMO (fear of missing out, also Angst, etwas zu verpassen) kenne ich ja nicht. Meine Motivation ist oft fear of regret, also Angst, dass ich mich später darüber ärgere, etwas nicht gemacht zu haben. Oder überhaupt die Befürchtung, mich rückblickend zu ärgern. Das führt zum Beispiel zu sorgfältiger Planung von fast allem, denn ich möchte mich nicht ärgern, weil ich etwas vergessen oder übersehen habe.
So frage ich mich auch nie, was ich eigentlich gerade will (woher soll ich das wissen?!). Statt dessen versuche ich mir vorzustellen, die Erinnerung woran, die Rückschau worüber mir Freude bereiten wird. Ich behaupte mal, dass ich damit vielleicht nicht die Mehrheit, aber sicher nicht allein bin.
Die Renovierung des Madeira Drive ist offensichtlich im Gang; bei den letzten beiden Brighton-Besuchen hatte ich die Kampagnen mitbekommen, dafür Spendengelder einzusammeln.
Die Bewegung, die Luft, das Licht, die Anblicke hatten mich richtig euphorisiert. Doch ich lief mit den alten Laufschuhen (ich hatte sie statt der neuen mitgenommen, um sie in der Ferne wegzuwerfen) – und schon hatte ich im letzten Drittel wieder die Fußschmerzen, die ich dank der neuen Schuhe mit Ultra-Hightech-Federung hinter mir gelassen hatte. Ich humpelte den Rest des Tages – und fand abends beim Ausziehen heraus, dass sich zwischen linkem Fußballen und Zehen direkt unter der Prinzessinnenzehe eine große Blase gebildet hatte, ganz sicher wieder ohne drückendes Hindernis, wieder einfach als Sonderpolster (erzählt mir nichts von “ungewohnter Druck” – Joggen und Gehen sollten meine Füße wirklich gewohnt sein und sich nicht so anstellen).
In der jetzt sonnenwarmen Wohnung trank ich viel Wasser, ging dann unter die Dusche. Um die Ecke gab’s einen Mittagscappuccino, der auch in diesem kleinen Speciality Café (mit Regalen voll para-medizinischen Heilmitteln) als Milchkaffee ausgeschenkt wurde (das Angebot, ihn durch “mushrooms” zu ergänzen, lehnte ich ab) (what?).
Tagesplan 2: Spätes Mittagessen im Brightoner Lieblingsrestaurant Food for Friends. Kurz vor zwei, so mein Kalkül, würde ich auch ohne Reservierung problemlos Tisch und Essen bekommen. Ich lag richtig und wurde am schönsten und sichtbarsten Tisch in der Spitze des Gebäudes platziert (mein Scherz, ob ich auch hübsch genug dafür sei, starb elendiglich).
Dann gab es wieder köstliches Essen, das wie immer zur Verwunderung führte, warum ich diese hervorragenden, liebevollen Teller, halt ohne Fleisch oder Fisch, nur hier bekomme. Sehen Sie sich einfach mal die Speisekarte an – das kann doch nicht so schwer sein?
Zur Vorspeise Crispy Tofu: “Tamari marinated tofu with a chilli and ginger sauce”. Ganz wundervoll, ich mag guten Tofu wirklich. (Weiß aber, wie grässlich schlechter ist.)
Hauptgericht gefüllt Champignons: “Oven-roasted Portobello mushroom filled with sautéed spinach, served with broccolini, fine beans, and a golden potato gratinate. Finished with a creamy garlic sauce, crispy capers and sun-dried tomato for a rich, savoury finish”. Hervorragend.
Spaziergang zurück übers Kino Odeon, ich wollte nach dem Programm sehen.
Oder auch nicht, das Gebäude wird einmal komplett durchrenoviert.
Also (nicht ungern) Nachmittag mit Lesen am Fenster und auf dem Sofa, eine Runde Yoga-Gymnastik.
Zum Nachtmahl gab es Apfel, restlichen Linsensalat, Brot mit Butter, eingeweichte Trockenpflaumen, sehr reichlich Schokolade/Süßigkeiten. Das war insgesamt zu viel.
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Aufwändige und lesenswerte Recherche von Reiner Wandler für die taz über die diesjährigen Waldbrände in Nordspanien: Warum Viehhaltung Brände verhindern kann, welche Rolle die Landflucht in Spanien spielt – und zum Beispiel war mir neu, wie viel Land in Galicien Almende ist, also Gemeinschaftsbesitz.
“Aufgestanden aus der Asche”.
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Ich werd’s ja nicht gucken, weil a) TV-Serie, b) Bezahlkanal, freue mich aber dennoch sehr über den Anblick von Emma Thompsons wunderschönem Faltengesicht. (Vielleicht, vielleicht, vielleicht kapiert die Filmindustrie, dass solche Gesichter spannender sind, als die Landschaft aus ewig glattgespritzten/-operierten? Wirklich junge Gesichter wachsen ja nach für die entsprechenden Rollen.)
https://youtu.be/0unUwpCfRg0?si=Fy6Q825bJh7wGKlC
Emma Thompson scheint sich ohnehin gerade auf Action-Rollen zu stürzen: Was ich sicher auch nicht sehen werde, aber in diesem Fall, weil ich solche Filme nicht vertrage:
https://youtu.be/klGRM4Qs-gk?si=PpWtzb3j50CRcxXB
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Die britische Kultur stirbt aus.
Na gut: Die Esskultur.
Na guter: Die süßen puddings, was hier nicht etwa das Dr.-Oetker-Packerl ist, das mit Milch und Zucker aufgekocht wird, sondern etwas in Dampf und heißem Wasser Gegartes. Auch hier tut der Guardian seine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen: Tim Dowling berichtet nicht nur, sondern kocht sie.
“Steam, stodge – and so much suet: I made 10 endangered British puddings. Are any actually worth saving?”
Falls Sie deutsche Vorurteile gegenüber britischer Küche bestätigt haben wollen: Bitteschön.
2 Kommentare zu „Journal Dienstag, 30. September 2025 – Brighton mit Undercliff Walk und Food for friends“
Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)
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1. Oktober 2025 um 19:03
Danke für den Serien- und Filmtipp. Genau mein Ding. ;)
Emma Thompson ist so grandios und ich bin immer wieder verblüfft, wie divers viele britische Serien und Filme besetzt sind – und mit echten Gesichtern.
1. Oktober 2025 um 20:34
Die englische Küche lernten wir 1970 kennen, in der britischen Familie und wir lieben sie seitdem und es wird auch jetzt immer wieder englisch gekocht. Vor allem die Pies.