Journal Sonntag, 9. Februar 2020 – Was in der Pause geschah
Montag, 10. Februar 2020Bov Bjergs Deadline von einem Leser geschenkt bekommen. Rührung, Überwältigung und Dankbarkeit.
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Ein Tag mit Komplettüberforderung, Elend und Siechtum, den ich mit mittäglicher Krankmeldung abbrach, um heimzufahren und mich ins Bett zu legen. Wenn sich der Anblick von Zeitungsschlagzeilen so unerträglich anfühlt wie ein Martinshorn im Tunnel direkt neben mir.
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An den Kammerspielen Die Räuberinnen gesehen.
Ausverkaufte Vorstellung (Publikum in der üblichen Zusammensetzung aus hauptsächlich älteren und alten Menschen). Ich hatte vorher wieder nichts über die Inszenierung gelesen, fand keinen Ansatz, was das alles sollte, hatte aber eine mords Gaudi – das gesamte Publikum noch viel mehr. Zwar ahnte ich, dass ein großer Teil improvisiert war (diesem Eindruck habe ich ja zu misstrauen gelernt, da herausragende Schauspielerinnen auch Improvisation überzeugend spielen können), doch erst das Hinterherlesen des Programmhefts verschaffte mir Gewissheit. Das Publikum wurde von Anfang an angesprochen und einbezogen (auch das kann ja inszeniert sein – Bernd Noack schreibt im Spiegel von “vorgegaukelter Improvisation”), es ging von Anfang an fröhlich und begeistert mit. Unter anderem nahm uns Gro Swantje Kohlhof auf eine “Traumreise” (“Sind Waldorfschüler im Publikum?”) in einen Wald, das Publikum sorgte selbsttätig für Tierstimmen, so dass Kohlhof ganze Schwärme Käuzchen einbaute (ein besonders penetrantes musste sie dann aber doch zum Schweigen bringen, “Ruhe im Wald!”), außerdem 700 Rehe. Klar, es sind Schauspielerinnen – aber ich hatte dann doch den Eindruck, dass auch sie eine Gaudi hatten.
Nachträglich stufe ich das ganze als eine Improvisation über Schillers Räuber ein, die nicht mal zu einer Deutung kommen möchte, sondern frei assoziiert.
Manche finden das fürchterlich:
“Mädelsabend in der Schulschwimmhalle”.
“Party ohne Schiller”.
Manche super:
“Leonie Böhm macht aus den ‘Räubern’ von Schiller ‘Die Räuberinnen'”.
“Spiellust und vollkommene Befreiung”.
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Körperliches:
Eine leichte Erkältung und eine heftige Menstruation mit – neuestes Feature – zwei Tagen Krämpfen, die mich zudem eine sonntägliche Schwimmrunde kostete, weil ich auch an Tag 6 noch so stark blutete, dass ich mich nicht ins Schwimmbad traute.
Viel Nachdenken über ein künstliches Hüftgelenk. Jedes seriöse Rechercheergebnis nach dem idealen Zeitpunkt für die Operation ergibt in diesen oder anderen Worten: Das kann nur die Patientin beurteilen. Ruheschmerz bin ich derzeit durch die Spritze los, doch Gehen funktioniert nach einer Woche mit stetiger Besserung jetzt wieder nur unter Schmerzen bei jedem Schritt – ich war auf meinem gestrigen Sonntagsspaziergang im Tempo einer nicht besonders rüstigen 90-jährigen unterwegs. Viel hadernde Grübelei, die ich leider nicht abstellen kann (aber auf dem Röntgenbild haben zwei Dr. Orths nicht mal eine Arthrose gesehen! vs. soll ich ernsthaft erst mal durchgehend Ibu nehmen und zu Krücken greifen, bevor ich reif für die OP bin? vs. jetzt zehre ich noch von meiner Fitness und Beweglichkeit aus vielen Jahren Sport, nach ein paar Jahren Sportunfähigkeit ist davon nichts mehr übrig und die postoperative Reha wird viel schwieriger vs. das ist aber fei schon ein ganz schon brutaler Eingriff vs. all die Ausweichbewegungen, die ich mir jetzt angewöhne – also das Hinken, könnten Folgeschäden verursachen). Dabei habe ich doch in zwei Wochen den nächsten Orthopädentermin, bei dem ich die nächsten Schritte diskutieren kann. (Wenn sich der Arzt dafür Zeit nimmt.) (Ach MIST!)
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Yoga mit Adriene entdeckt, auf Empfehlung gefühlt meines gesamten weiblichen Internets mit und ohne Hang zu Bewegung.
Und tatsächlich kriegt mich das zum ersten Mal Yoga-mäßig, also nicht nur die sportliche Seite: Alle paar Morgen gehört zu Adrienes kontinuierlichen Anweisungen und Hinweisen ein freundliches “trust me” oder “I got your back” – was ich so ernst nahm, dass es mich zu Tränen rührte. Nachdem ich mich bei einer Yoga lehrenden Bekannten erkundigt hatte, wie wichtig die Präszision von Haltung und Bewegung bei Yoga ist und erfahren hatte, dass eine gute Vorturnerin immer darauf hinweist, wenn sie wichtig ist. Dass mich die Ansage immer zum Fokus einer Bewegung leitet.
Gekriegt hat mich dieses Yoga überhaupt durch seine Freundlichkeit und Unverbissenheit: “Move like you love your body” und “Stand up tall, like you love yourself” sind halt zugänglicher als “Love your body” oder “Love yourself”, was mir deutlich zu enorme Aufgaben wären. Zudem ist mir Adriene ungemein sympathisch (sie bringt es fertig, dass ich ihren Dank für meine Zeit und meine Energie ernst nehme, dass ich ihr glaube, wenn sie das als Geschenk bezeichet), außerdem hat ihr Yoga-Programm eine unschlagbare USP: Benji, den Hund. Er taucht immer wieder auf, oder liegt rum, bekommt einen kurzen Zwischenstreichler oder ein freundliches Wort – was dem ganzen Programm eine entspannte Note gibt, die anders nur schwer zu erreichen wäre.
Bislang schönster Moment war an Tag 5: Meine rechte Hüfte lässt mich ja nicht wirklich schneidersitzen, das rechte Bein liegt eher Schürhackl-artig vor dem angemessen angewinkelten linken. So auch am Anfang der 30-Minuten-Einheit an diesem Morgen. Sie endete in derselben Position – und ich sah mich in echtem Schneidersitz, auch das rechte Bein machte mit. Irgendwas hatte dieses Yoga bewirkt.
https://www.youtube.com/playlist?list=PLui6Eyny-UzzFFfpiil94CUrWKVMaqmkm
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Fotos aus der Pause:
Schöne Überschrift.
Das Pissoir in der Isarvorstadt hat endlich einen neuen Zweck: Erinnerungsort für drei Gast-Isarvorstädter.
Die drei amtlichen Frühlingsboten Schneeglöckchen, Krokanten, Winterlinge gestern im Alten Südfriedhof und am Westermühlbach.
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Die Pause hat nicht gereicht, dass ich mir endlich NetflixAmazonAppleTV geholt hätte und dann doch HandmaidsTaleGoodOmensPicard angesehen hätte.