Theater

Journal Mittwoch, 3. Mai 2023 – Theaterstückvermissung in den Kammerspielen

Donnerstag, 4. Mai 2023

Gut geschlafen, puh.

Als es hell wurde, Überraschung vor dem Fenster: Nebel. (Ähnlich in St. Gallen.)

So ganz wiederhergestellt nach der brutalen Nacht auf Dienstag fühlte ich mich aber nicht, mir war immer noch ein wenig schwach und schwindlig. Für Deutschland hatte die Tagesschau am Dienstagabend warmes Sonnenwetter angekündigt, die heiteren Wölkchen im Süden auf der Karte manifestierten sich in einer geschlossenen Hochnebeldecke, wie ich sie sonst von den Endmonaten des Jahrs gewohnt bin.

Mittags aber wurde es endlich wirklich hell, sogar mit ein paar Sonnenstrahlen.

Mittagessen: Pumpernickel mit Butter, eine Birne.

Ganz früh Feierabend gemacht, sogar mit Unterstunden, denn ich hatte abends einen Theatertermin. Auch wenn ich es mir mal wieder nicht vorstellen konnte und mich um halb vier noch voller Energie fühlte: Wenn ich normal Feierabend mache, schaffe ich es nicht mehr ins Theater. Ich vertraute also meiner eigenen Empirie und ging. (Das geht! Geht doch!)

Erst mal spazierte ich im jetzt wirklich warmen Sonnenschein in die Maxvorstadt.

Typoliebe.

Im St. Lucas kaufte ich Espresso, auf dem Weg weitere Lebensmittel.

Daheim Yoga-Gymnastik: Nach 14 Einheiten Anstrengung (in Adrienes Programm “Move” turnte ich wieder jede Folge zweimal) kam mir diese halbe Stunde Ausruhen entgegen – wiederholen werde ich sie allerdings nicht.

Herr Kaltmamsell war aushäusig, fürs Nachtmahl hatte ich mir Rahmspinat besorgt, es gab ihn mit zwei gekochten Eiern. Danach war noch Zeit für Schokolade, bevor ich zu den Kammerspielen spazierte, um Der Sprung vom Elfenbeinturm zu sehen.

Ein Abend gegen deine spießbürgerlichen Phantasien, deine Lebenslügen und deine Kompromisse
Nach Texten von Gisela Elsner
In einer Fassung von Pınar Karabulut und Mehdi Moradpour

Dass die Kammerspiele Theaterstücke inszenieren, ist ja mittlerweile die Ausnahme; eher kommt alles andere auf die Bühne.

Ein Publikumsmagnet war dieser “Abend” schonmal nicht, nur etwa ein Viertel des Zuschauerraums war besetzt. In zweieinhalb Stunden (ohne Pause – was bei dieser Spiellänge immer den Verdacht erzeugt, man wolle die Leute davon abhalten zu gehen) sah ich wilde Kostüme, interessante Konstellationen, spannende Darstellungseinfälle (ein Teil wurde als Film gezeigt, Dialoge mit Tanz- oder Pferdebewegungen untermalt), großartige Schauspieler*innen (Highlight: Annette Paulmann rappte! und es war nicht peinlich). Mit Texten, die auf mich zum Teil ein wenig angestaubt wirkten – angestaubt in derselben Art wie der Begriff “spießbürgerlich” im Untertitel der Inszenierung. Noch muss ich die anstrengenden zweieinhalb Stunden wirken lassen, doch ich nehme schon mal mit, dass der Blick Gisela Elsners (1937-1992) auf die Nazis der Nachkriegszeit repräsentativ für den einer ganzen Generation ist – aber mittlerweile erklärungsbedürftig.
Nachtrag: Ich empfehle Maximilian Sippenauers Besprechung der Uraufführung 2021, “Leuchtendes Düsterland”.

§

Im New Yorker schreibt Kathryn Schulz über Jeanne Manford, die Anfang der 1970er Vorreiterin für Schwulen- und Lesbenaktivismus war:
“How One Mother’s Love for Her Gay Son Started a Revolution”.

via Bingereader

What made Jeanne Manford different—and what made her actions so consequential—is that, until she started insisting otherwise, the kind of child she had was widely regarded as the kind that not even a mother could love.

(…)

There was no mystery about what that kind of traditional, law-abiding woman was supposed to think about gay people in 1968. At the time, homosexual acts were criminal in forty-nine states, with punishments ranging from fines to prison time, including life sentences. Same-sex attraction was classified as a mental illness by the American Psychiatric Association and routinely mocked and condemned by everyone from elementary-school kids to elected officials. Those who lost their jobs, homes, or children owing to their sexual orientation had no legal recourse. Political organizing was virtually impossible—one early gay-rights group that attempted to officially incorporate in New York was told that its mere existence would violate state sodomy laws—and positive cultural representation was all but nonexistent; there were no openly gay or lesbian politicians, pundits, religious leaders, actors, athletes, or musicians in the mainstream.

§

Mal wieder interessante Überlegungen von Antje Schrupp: Sie untersucht das Thema Leihmutterschaft aus feministischer Sicht.
“Die Freiheit, über den eigenen Körper zu bestimmen”.

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Special interest: Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik über 5 Irrtümer zur Kernfusion.

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https://youtu.be/PR2PaqHmh8g

Ganz ohne Gimmicks, mit nur einer Grafik, dafür nüchtern und praktisch – gut verständlich.

Journal Mittwoch, 1. März 2023 – Kleine Scheiterungen

Donnerstag, 2. März 2023

Auch diese Woche fühlt sich durch zahlreiche außerarbeitliche Termine durcheinander an, ich musste mehrfach über den aktuellen Wochentag nachdenken.

Wieder eine gute Nacht, ich hätte den Schlaf gern länger genossen. Und wieder ein frostiger, grauer Morgen, sehr bald werde ich mit Mosern anfangen und Frühling einfordern.

Mittags raus auf einen Cappuccino.

Zurück am Schreibtisch Mittagessen: Schwarzrettich-Karotten-Salat (Ernteanteil), Pumpernickel mit Butter, Orangen.

Ich machte sehr früh Feierabend, wieder mit Unterstunden, diesmal wegen eines Theaterabends, vor den ich einen Friseurtermin gesetzt hatte. Und es begann eine kleine Reihe des Scheiterns, alles ging ein wenig daneben – wie ich beim Einschlafen verdutzt feststellte, als auch diese Pläne nicht geklappt hatten und es deutlich später als geplant worden war.

Nach dem Haareschneiden hatte ich im Supermarkt Blumen besorgen wollen (wo sie mich doch in der Wohnung immer so freuen), außerdem Chicoree für einen Chicoree-Orangensalat (Herr Kaltmamsell war aushäusig), von dem für Donnerstag gleich Brotzeit übrigbleiben würde: Es gab keinen Chicoree und keine auch nur annähernd akzeptablen Blumen in der sehr kleinen Auswahl.

Daheim guckte ich in den Spiegel und stellte fest, dass ich mir mit dem frischen Haarschnitt nicht gefiel, anders als beim abschließenden Friseurspiegelblick – ich hoffte, das würde sich nach dem ersten Haarewaschen ändern.

Ich machte ich mich ans Backen, es sollte aus Crowdfarming-Mandeln und -Orangen Acetani geben, die ich schon mal mit köstlichem Ergebnis ausprobiert hatte. Ihnen war im Grunde bereits ein Scheitern vorausgegangen: Die Nussmühle, die ich als Aufsatz für unsere Kenwood-Küchenmaschine gebraucht gekauft hatte, mahlt viel zu grob (ja, ich hatte mich mehrfach versichert, dass das der richtige Einsatz war), das Ergebnis sind gehackte Mandeln. Ich hatte für fein gemahlene Mandeln mit der vorhandenen Gewürzmühle nacharbeiten müssen. Und nun wurde der Teig diesmal zu Brei.

Während der Kühlphase des Teigs turnte ich eine kurze Yogafolge (ok), buk dann die Orangen-Mandel-Kekse: Sie flossen auseinander statt aufzugehen, wurden außen bereits dunkelbraun, als sie innen noch roh aussahen.

Nachtmahl vor dem Theaterbesuch: Ein Stück Gemüsequiche vom Vorabend, dazu machte ich mir Ruccolasalat mit Orangendressing (Saft der Orange, deren Schale ich für die Acetani gebraucht hatte) statt Chicoree, schmeckte gut. Bei der Schokolade zum Nachtisch hielt ich mich wohl zu lange auf, auf dem Weg zum Theater musste ich mich ganz schön beeilen.

In der Kammerspielen gab es Wer immer hofft, stirbt singend, “Reparatur einer Revue, nach Geschichten und Motiven von Alexander Kluge (UA)” – und das war nach vielversprechendem Anfang so lala. Das Stück erzählte fast eine Geschichte, allerdings nicht durch die Handlung (die zum Teil live in der Kantine der Kammerspiele stattfand und gefilmt auf eine Leinwand vor der Bühne übertragen wurde), sondern durch eine Off-Stimmme. Leni Peikert ist die Tochter eine Zirkusdirektors, der vor Beginn des Stücks ums Leben gekommen ist, und überlegt daran herum, ob und wie der Zirkus weiterzuführen ist. Dazu sah ich viele schöne Dinge auf der Bühne, aber nichts wirklich Fesselndes.

Sehenswert wie immer Schauspielerinnen und Schauspieler, die gestrige Entdeckung war für mich Johanna Kappauf, die personifizierte königliche Anmut. Auffallend und wirklich besonders: Einige zentrale Schauspieler*innen hatten sichtbare Behinderungen, ich zog anfangs innerlich die Schultern hoch, weil das gerade beim Thema Zirkus Anklänge an die furchtbaren Freak Shows von Wanderzirkussen hat. Funktionierte aber, ich entspannte mich.

Was mich wirklich freute: Der Zuschauerraum war sehr gut besetzt. (Um mich wie fast immer Theatervolk, wie ich den Gesprächen entnahm.) Ja, ich trug wieder Maske (wie auch weiterhin in Öffis und im Zug): Wer morgens als Team-Assistenz derzeit immer erst mal einen kleinen Stapel Krankmeldungen verarbeitet und täglich viel Zeit damit verbringt, Termine wegen Erkrankungen komplex zu jonglieren, hat vielleicht eine spezielle Sicht auf die Infektionslage, nicht nur die mit Corona. Und mir verhagelt ja schon eine gewöhnliche Erkältung die Laune, selbst ohne Fieber und Arbeitsunfähigkeit, mehr Krankheit möchte ich bitte vermeiden.

Als ich heimkam, das nächste kleine Scheitern: In der Geschirrspülmaschine, die ich vor Verlassen des Hauses eingeschaltet hatte, war das Fach mit dem Spülmittel nicht aufgegangen. Ich sortierte, welcher Inhalt dennoch sauber geworden war, steckte den schmutzigen wieder zurück. Brotzeit und Kleidung vorbereiten – es war bereits nach elf, als ich ins Bett kam.

§

Catatonique urlaubt auf den kanarischen Inseln und blogt Lesenwertes darüber:
“Von Geschichte, Reibeisen und Höllenqualen”.

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Fuchsbrom hat eine der vielen nützlichen Anwedungen von Texterstellung der KI ChatGPT durchgespielt: Foodblogs müssen endlich die “endlosen Labertextfahnen vor den eigentlichen Rezepten” nicht mehr selbst erfinden.
“Künstliche Zusatzstoffe”.

Journal Mittwoch, 4. Januar 2023 – Nora an den Münchner Kammerspielen

Donnerstag, 5. Januar 2023

Am zweiten Arbeitstag des Jahres war ich nicht mehr völlig allein auf dem Büroflur, es wurden gute neue Jahre gewünscht.

Die Schlagzahl war allerdings bereits wieder so hoch, dass ich zügig wegarbeitete, um nicht durch Querschießendes in Hektik zu geraten. Zumal ich gestern besonders früh gehen wollte (also so richtig mit Minusstunden), um abends das Wahrnehmen meines Theaterabotermins wahrscheinlicher zu machen.

Der Tag startete mit Sonne und wärmte mein Büro, bewölkte aber mittags immer mehr.

Mittagessen Mango mit Joghurt, Pumpernickel mit Butter.

Danach legte ich einen Zahn zu bei der Arbeit, um auch wirklich schon um halb vier zu gehen. Das klappte dann wegen eines Querschusses nur um eine Viertelstunde nicht.

Heimweg im Hellen mit einem Einkaufsabstecher für Drogeriewaren und Lebensmittel. Zu Hause las ich alte Zeitungen auf, zog mich dann um (“Hop into something comfy”) für das diesjährige 30-Tage-Yogaprogramm von Adriene, “Center”. Aus Erfahrung mit den anderen Programmen checkte ich erst mal den Anfang – und übersprang die ersten fünf Minuten Sitzen und besinnliches Geplapper. Danach bekam ich eine halbe Stunde Dehnen und Halten mit immer noch genug Yoga-Besinnlichkeit.

Frühes Abendessen, Herr Kaltmamsell servierte spanische Tortilla und hatte dafür auf meinen Wunsch erstmals mit gekochten Kartoffeln gearbeitet, wie es viele zeitgenössische spanische Rezepte tun. Schmeckte gut und nach Tortilla. Davor hatten wir uns eine Dose callos a la madrileña geteilt, danach gab es nur ein wenig Süßigkeiten.

In Milde und Wind marschierte ich zu den Kammerspielen, auf dem Spielplan stand Nora. Als Herr Kaltmamsell das erfahren hatte, bewarf er mich umgehend mit dem angestaubten Witz
“Mögen Sie Ibsen?”
“Keine Ahnung, ich habe noch nie geibst.”
(Im Englischen funktioniert er mit Kipling.)

Für diese Inszenierung werden als Autor*innen allerdings angegeben: Sivan Ben Yishai, Henrik Ibsen, Gerhild Steinbuch, Ivna Žic. Der Website entnehme ich auch, dass die Theaterwelt mittlerweile nicht mehr dekonstruiert, sondern interveniert; mal sehen, wann auch dieser Begriff bis in die Speisekartenwelt verwässert (“an drei Interventionen vom Rosenkohl”).

Der Zuschauerraum war so voll, wie ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte, fast jeder Sessel besetzt.

Ich sah gut zwei Stunden spannendes Theater. Vor dem Ibsen-Teil setzten sich die Darsteller*innen am Bühnenrand an einen Tisch, erklärten als Darstellende der Rollen dem Publikum, wessen und welche Geschichte das Stück eigentlich erzählt, hinter ihnen projiziert das Bild eines Puppenhauses, das langsam verschneit, der Tonfall war kommödiantisch. In diesem Prolog wurden die Inhalte thematisiert, die heutigen Betrachter*innen sofort auffallen – und gleich mal abgefeiert, unter anderem mit einem fulminanten und brutalst überzogenen Ausbruch der Nora-Darstellerin inklusive “FUCK PATRIARCHY!”

Dann erst begann Ibsens Nora, doch auch darin Selbstgeschriebenes wie eine Szene, in der die Kinder auf die Ereignisse zurückblicken, Lieder, die Hauptdarstellerin Katharina Bach singt (die auch das großartig und in verschiedenen Musikstilen konnte, Highlight “S.O.S” von ABBA als düsteres Industrial-Stück, wie sie an diesem Abend ohnehin atemberaubend schauspielte und körperliche Artistik bewies). Außerdem eine Szene, die mir sehr nach Improvisation aussah: Ich mache meinen Verdacht daran fest, dass die eine oder andere Minute lang weder Licht noch Ton oder Filmprojektion eingesetzt wurden – wo ich doch seit Jahren einen tiefen horror vacui in Theaterinszenierungen diagnostiziere.

Diese Anreicherungen von Dramen bin ich vor allem bei Klassikern gewohnt und sie funktionieren oft sehr gut, auch hier. Überrascht bin ich, dass die Anreicherinnen hier als Co-Autorinnen auftauchen, im Grunde sind das doch fast immer die Dramaturgin oder der Dramaturg einer Inszenierung.

Eine sehr dominante Rolle spielte das Bühnenbild: Eine schräge Ebene in Form eines auf den Kopf gestellten Hauses, die Oberfläche mit griffigen Matten bedeckt. Darauf turnten und liefen die Darstellenden raumgreifend (oder eben nicht wie der tastend unsichere Krogstad, gespielt von Thomas Schmauser) – mir kam es vor, als hätte Bühnenbildnerin Viva Schudt ein Stück im Stück geschrieben (und mag das eigentlich nicht).

Alle Darstellenden beeindruckten mich sehr, Svetlana Belesova als Frau Linde merke ich mir besonders.

Viel Schlussapplaus. Den ich auch für mich beanspruche, weil ich es bereits in meine ersten beiden Abo-Abende der Spielzeit 2022/23 geschafft habe. (Immer noch kein Fitness-Tracker für Kultur auf dem Markt? Für bewegungsfreudige Leute mich mich, die keinen inneren Schweinehund für Sport kennen, aber für Theater- und Ausstellungsbesuche? Obwohl sie – parallel zum inneren Sport-Schweinehund – doch wissen, dass sie sich danach immer besser fühlen?)

Heimweg durch weiter milden Sturm, aufgekratzt vom Abend schlief ich nur schwer ein.

Journal Mittwoch, 14. Dezember 2022 – Freier Tag mit Schwimmen, Eisregen und Theater

Donnerstag, 15. Dezember 2022

Wohlig ausgeschlafen bis fast sieben, ich hatte ja freigenommen.

Nach Bloggen zu Milchkaffe gab es eine Kanne Tee und Internetlesen.

Zum Schwimmen wäre ich am liebsten geradelt. Doch es war überfrierender Regen angekündigt, die nassen Straßen sahen auch genau so aus. Also erfüllte ich den explizit getwitterten und getröteten Wunsch medizinischen Personals aus zusammenbrechenden Kliniken, sich bitte, bitte nicht zu verletzen und nicht auf glatten Wegen zu radeln (die Bitte lautete tatsächlich: “Bleibt daheim!” – aber ich hatte doch einen freien Tag!): Ich kaufte eine MVV-Tageskarte und nahm die U-Bahn Richtung Olympiabad (der zuverlässigste Transport, auch Trambahnen und Busse waren durch das Eis beeinträchtigt).

Erster Blick vor die Haustür: Eis.

Die Wege waren gut gestreut, ich ging trotzdem in weiterem Regen vorsichtig.

Das Schwimmen fühlte sich nach erster Anstrengung im nicht sehr warmen Wasser gut an. Doch wieder fröstelte mich, ich beließ es bei 2.500 Metern, machte dafür auf den letzten 500 Metern Tempo.

Aufwärmen unter der Dusche und beim Haarefönen – die Zeiten, in denen ich dampfend aus dem Hallenbad kam, sind (vorübergehend?) vorbei.

Aber es ist schon ein besonders schönes Bad.

Draußen schmolz das Eis auf den Wegen, es regnete aber weiter unangenehm. Tram in die Maxvorstadt und zum Frühstück im Café Puck. Ich kam ziemlich durchfeuchtet an, wurde auch dort trotz Schneestiefeln, langem Shirt und Kaschmirpulli nicht richtig warm (auch hier Heizungsparen?).

Ich aß alles auf. Dann Zeitunglesen und Nachdenken über Geschenke.

Das Wetter blieb supergreislich und regnerisch, statt dem geplanten Bummel über die Hohenzollernstraße zum Christkindlmarkt an der Münchner Freiheit ging ich nur (wärmend schnell, half aber nicht wirklich) für Espressobohnen zum San Lucas und nahm dann eine U-Bahn nach Hause. Ich bin die, die auch nach Wegfall der Maskenpflicht in diesen dichten Menschenmengen Maske trägt, gar nicht mal so wegen Corona, sondern wegen all der superekligen Atemwegs-Infekte, die gerade einen beeindruckenden Anteil der Bevölkerung mit beeindruckender Wucht ins Bett fegen. Dieses Jahr hatte ich bereits Magen-Darm (2x), Corona und Erkältung: Danke schön, das reicht. Und da leiderleider keine Lehre aus der Pandemie ist, dass kranke Menschen eine Maske aufsetzen, schütze ich mich.

Daheim wärmte ich mich mit weiteren Socken, Jacken, heißem Tee und an der Heizung.

Gegenstück zum Schwimmen sollte eine Runde Yoga sein, drittletzte Folge des 30-Tage-Programms “Dedicate” von Adriene (ich hatte noch bei keiner einzigen Folge das Bedürfnis nach Wiederholung, aber Durchziehen will ich es aus Prinzip). Als das besinnliche Anfangs-Geplapper im Schneidersitz wieder kein Ende nehmen wollte (bei mir kommt es an wie die Lehrerinnen-Laute in den Peanuts), spulte (schob) ich einfach vor zur Bewegung in Minute 6.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aus Erntanteil Lauchnudeln mit Thymian und Zitrone. Und dann – nahm ich zum ersten Mal seit Februar 2020 mein Kammerspiel-Abo wahr: Erst hatte mich die Corona-Schließung abgehalten, dann Verwirrung über Termine, zuletzt spontane Trägheit. Doch der gemütliche Tag gestern erhielt meine Aufnahmefähigkeit, außerdem schien mir der Weg mit U-Bahn-Fahrt und vorsichtigem Gehen in Turnschuhen unfallsicher.

Dreimal oben: Foyer und Bühnenraum.

Um Maskentragen wurde gebeten, Garderobe und Programm jetzt gratis. Dennoch nahmen viele ihre dicken Mäntel mit rein, behielten sie zum Teil auch an – dabei war ausreichend geheizt (endlich!), ich musste ohne Mantel nicht schon wieder frieren.

Der Zuschauerraum war nur zu höchstens einem Drittel besetzt. Gegeben wurde die Uraufführung Like lovers do von Sivan Ben Yishai, deutsch von Maren Kames. Ich bekam erst mal ein wirklich hässliches Bühnenbild und fünf Darsteller*innen in Kostümen, die mich heftig Flash Gordon von 1980 assoziieren ließen, es wurde getanzt und sich vielsagend bewegt. Schließlich kam aber Text dazu, Beschreibungen von Sex und sexualisierter Gewalt, von Liebes- und Sexphantasien in immer neuem Rahmen – mal als Erinnerung an Kindheit und Jugend in einem Freundinnenkreis, mal als Empfindungen, monumental gegen Ende der Monolog einer weiblichen Stimme mit Forderungen an einen männlichen Partner, gesprochen und gespielt von einem Mann, Bekim Latifi. Wie ohnehin das Geschlecht der Stimmen nicht dem der Darstellenden zugeordnet wurde (alle beeindruckend). Dazwischen in Passagen auch Reflexion über das eben Geschehende, wie Anprangern und Trigger-Warnungen voyeuristische Haltungen erst erzeugen können. Viel Musik dazu, aber ohne kommt wohl keine Inszenierung mehr aus.

Auffallend: Die Bewegungen (oft tänzerisch) und Kostüme in Kontrast zu den Texten völlig ent-sexualisiert.

Ich fühlte mich angeregt und unterhalten, in der Süddeutschen bringt Christine Dössel den Abend in eine Struktur: “Dieses Lied den Liebenden”.

§

“Steinkäuze im Main-Taunus-Kreis:
Wo ist der Kauz aus Röhre sechs?”

Von der Autorin Andrea Diener getrötet mit der Erkenntnis: “Besser wird es dieses Jahr beruflich nicht mehr.”

Wenn von den Eulen gesprochen wird, die man nicht nach Athen tragen soll, dann ist eigentlich der Steinkauz gemeint.

§

Deutschungshoheit.*

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https://youtu.be/yp-Q2FRVwcY

via @sixtus

* Welch großartige Wortschöpfung. Genau das meinte ich, als ich schon vor Jahrzehnten darauf hinwies, dass auch Leute mit Namen wie meinem z.B. als Guides in der KZ-Denkstätte Dachau normal sein sollten, denn wenn wir (selbstverständlich) zu Deutschland gehören, gehört auch dieser Teil zu uns und wir zu ihm – ich beanspruche die Deutschungshoheit.
(Gleichzeitig macht mich das Video aus einem ganz abwegigen Grund fertig: Alle essen Bananen in einem Reifegrad, in dem ich sie nur noch in Form von Bananenmilch oder -kuchen ertrage – GAH!)

Journal Samstag, 18. Juni 2022 – Augsburg mit Wassertürmen und Kiss me Kate auf der Freilichtbühne

Sonntag, 19. Juni 2022

Morgens holte ich mir nach dem Duschen und Anziehen in der Hotel-Lobby einen Automaten-Cappuccino, auf den mich mein Vater am Vorabend hingewiesen hatte: Bloggen also in Morgenkaffee-Begleitung.

Es war ein heißer Tag angekündigt, Herr Kaltmamsell und ich machten uns mit meinen Eltern kurz nach neun zu unserem geplanten Spaziergang durch die Augsburger Innenstadt auf. Und wie es halt so ist, wenn Menschen, die sonst nie Öffentliche Verkehrsmittel nutzen, mit Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind: Es gab eine Panne. Die Straßenbahn von Haunstetten blieb nach wenigen Halten kaputt liegen, auch ein Neustart der Systeme half nicht. Wir stiegen alle aus und liefen zehn Minuten zu einer anderen Straßenbahnlinie.

Die brachte uns endlich zum Königsplatz, ab da glichen Herr Kaltmamsell und ich ab, was sich wie in den vergangenen 23 Jahren verändert hatte, seit wir fortgezogen waren.

Erstes Ziel war der Stadtmarkt, auf dem wir uns ausgiebig umsahen. Ich erkannte Vieles wieder, freute mich aber auch über Veränderungen.

Metzgerhalle.

In der Fischzeile kauften wir Räucherfisch, in der Feinkosthalle beim Stand von damals Kleinigkeiten. Spaziergang Richtung Fuggerei.

Nach einem weiteren fehgeschlagenen Versuch, online eine passende Manomama-Jeans zu kaufen, nutzte ich die Gelegenheit, den einzigen Offline-Manomama-Laden zu besuchen und Jeans anzuprobieren. Jetzt weiß ich: Derzeit gibt es kein Modell, das mir passt, irgendwas steht immer seltsam weg. Vermutlich wären für mich die Herren-Schnitte geeigneter, aber die gibt es nicht in meiner derzeit so niedrigen Größe. (Völlig in Ordnung, ein solch kleiner Hersteller kann ja nicht für alle Körperformen produzieren.)

Maximilianstraße mit Rathaus.

Meine Eltern waren mit Herrn Kaltmamsell schon mal vorgegangen Richtung Elias-Holl-Platz, an dem meine Studentinnenwohnung gelegen hatte. Ich traf sie an im Gespräch mit dem Wirt, der mittlerweile das Lokal führt, über dem ich gewohnt hatte: Seit zehn Jahren ist das sein spanisches Restaurant mit Feinkostverkauf. Er konnte mir einiges Interessantes erzählen über die Leute von damals und wie sich das Lokal warum verändert hatte (und warum nicht).

Meine Eltern wollten die Fuggerei besichtigen, die dieses Jahr 500. Geburtstag feiert, also gingen wir dorthin und sahen uns um.

Ich kannte diese erste Sozialsiedlung schon, doch mir gefiel aktuell sehr gut, wie die beiden Museen den Blick darauf richteten, dass Bedürftigkeit keine Schande ist, dass sie viele Gesichter hat, dass sie nicht übersehen werden darf.

In einem Schaufenster an der Jakoberstraße gesammeltes (durchaus gewöhnungsbedürftiges) Augschburgerisch.

Für den frühen Nachmittag hatten wir Tickets zu einer Führung durch den wichtigsten Teil des Augsburger UNESCO Weltkulturerbes: Zu den Wassertürmen des Jahrhunderte-alten Wassermanagement-Systems.

Vorher gab es Mittagessen: Wir ließen uns im zauberhaften Gastgarten der Wolfsklause nieder, die derzeit als italienische Osteria Albero Verde bewirtschaftet wird. Ich aß ganz ausgezeichnete Rigatoni mit Salsicce und Pilzen, trank eine große Flasche Wasser dazu.

Die Führung durch die Wassertürme war superspannend, ich hatte davor keine Ahnung gehabt, wie technisch ausgefeilt Ausburg schon in der Rennaissance zu sauberem Trinkwasser gekommen war.

Start am Brunnenmeisterhaus.

Blick nach oben in den kleinen Wasserturm (das eigentliche technische Gerät war nach der Stilllegung Ende des 19. Jahrhunderts leider entfernt worden, Zeichnungen und Modelle machten die Abläufe nachvollziehbar).

Blick in den Handwerkerhof.

Originale Stuckdecke im großen Wasserturm. Das Gestell deutet das verschwundene oberste Geschoß mit Wasserbecken an.

Graffiti gab es immer schon.

Abschließend sahen wir auch Wasser: Dieser Bach war damals zweigeteilt in Trinkwasser (aus Quellen im Siebentischwald) und Antriebswasser aus dem Lech für die Schaufelräder, die das Trinkwasser hochpumpten.

Jetzt war es richtig böse heiß geworden. Wir fuhren mit einer (problemlosen) Tram zurück zum Hotel und schnauften aus.

Abendprogramm: Die Premiere von Kiss me Kate in der Freilichtbühne am Roten Tor – die mir aus meinen Augsburger Jahren vom Vorbeiradeln vertraut war, in der ich aber möglicherweise noch nie eine Vorstellung gesehen hatte.

Bereits feingemacht spazierten Herr Kaltmamsell und ich mit meinen Eltern zu Schwiegers – die als Vor-Theater-Snack kalte Platten auffuhren, dass sich der Tisch schier bog, von Vitello tonnato über Schinkensortiment, Schmalz und Eiern bis Tomaten, Gürkchen, Karotten bis zu einer ausladenden Käseplatte samt Birne und Trauben. Zu ein paar Gläsern Bitter Lemon (hatte ich ewig nicht mehr getrunken, schmeckte mir gestern ganz ausgezeichnet) aß ich große Mengen vielerlei Käse, knabberte Gemüse, schloss mit Trauben ab.

Fahrt zum Roten Tor mit Bus und Tram, uns blieb nach Ankunft noch reichlich Zeit, Theaterpublikum zu gucken. Für die Chronik festgehalten: Die Kleidung für solch eine Freiluftpremiere hatte ein großes Spektrum von Strand-Outfit inklusive Flipflops oder Wander-Funktionsoutfit mit kurzen Hosen über Alltagskleidung bis (kurze) Abendgarderobe mit glänzenden bis glitzernden Materialien (Damen) und Anzug mit offenem Hemdkragen (Herren).

Frau Schwieger hatte als geübte Freiluftbühnen-Besucherin Weiches für die Eisengittersitze dabei – zum Glück für alle, es wäre sonst wirklich unbequem geworden. Und dann verbrachten wir zweieinhalb ausgesprochen vergnügliche Stunden mit durchwegs hochklassigen und enthusiastischen Darsteller*innen, liebevollem Bühnenbild (alle Elemente zum Drehen für die jeweilige Erzählebene), perfektem Sound (das Orchester saß im linken Kulissenteil, man sah es durch den Torbogen). Dass die Handlung des Musicals heute schmerzlich aus der Zeit gefallen wirkt (ein Mann muss widerspenstige Frauen nur so lange schlagen und einsperren, bis sie sich in ihn verlieben), versuchte ich einfach auf die unrealistische Ebene von sprechenden Tieren wie in König der Löwen zu stellen.

UND! Wir bekam zu meiner großen Überraschung und Freude sogar Steptanz zu sehen! Deswegen hier der Abschluss mit der unvergleichlichen Ann Miller (Schauspielen? nein, nicht für ein Fünferl – aber meine Güte konnte die Frau TANZEN) in der ikonischen Verfilmung von genau diesem Cole-Porter-Musical mit “It’s too darn hot” (das man auch in der Augsburger Inszenierung mitgenommen hatte).

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/usM3w18Fdtw?t=77

Am Klavier übrigens in dieser Szene Cole Porter selbst, den Ann Miller zum Schluss mit Namen anspricht.

Journal Dienstag, 31. August 2021 – Berlin 2: Von Spätgothik bis Revuebeine

Mittwoch, 1. September 2021

Von Herrn Kaltmamsell habe ich ja eigentlich gelernt: Auf Reisen jeden Tag nur eine Unternehmung, der Rest ergibt sich. Gestern ging das halt nicht und es wurden vier Unternehmungen daraus.

1. Schwimmen im Stadtbad Oderberger

Darauf hatte ich mich seit Buchung des Hotelzimmers gefreut und hatte lange gebangt, ob das Bad bis zu unserer Reise reaktiviert sein würde – schließlich ist das der Clou an einem Hotel, das mal ein Stadtbad war. War es, und so duschte ich mich nach dem Aufstehen kurz und trank ein Glas Wasser, schlüpfte dann in Badeanzug und den bereitgestellten Bademantel. An der Rezeption ließ ich mir eine Zugangskarte geben und ging in die herrlich renovierte alte Schwimmhalle. Das Becken (20 Meter) war in zwei Bahnen geteilt, die im Oval beschwommen wurden, anfangs hatte ich eine Bahn für mich. Nach zehn Minuten Kraulen kam aber ein halbes Dutzend weiterer Schwimmerinnen dazu – mir war von vornherein klar gewesen, dass ich hier keine Trainingseinheit absolvieren würde. Dennoch tat die gute halbe Stunde Schwimmen gut.

2. Gemäldegalerie

Nachdem wir bei unserem ersten Besuch vor lauter Faszination nicht über die ersten drei Räume hinausgekommen waren, wollten wir nochmal die Gemäldegalerie besuchen. Das Wetter war grau, aber trocken, also machten wir uns zu Fuß auf den Weg, blieben unterwegs in einem Café in der Choriner Straße hängen und tranken dort unseren Morgen-Cappuccino.

Federfund im Tiergarten.

In der Gemäldegalerie kamen wir zu früh für unseren gebuchten Eingangstermin an, leider war die Cafeteria geschlossen, dann saßen wir halt rum. Wir ließen uns Audio Guides geben und sahen uns erst mal ausführlich in der Sonderausstellung Spätgothik um (Audio-Erläuterungen gelesen von Regierungssprecher Steffen Seibert).

Die Ausstellung fand ich ganz hervorragend aufgebaut und erklärt, unter anderem weil sie eingangs klar machte, was der rote Faden der Zusammenstellung war (technischer Fortschritt in der Kunst der Zeit): Mit dem im Hinterkopf konnte ich die ausgestellten Werke einordnen. Ich lernte eine Menge, sah hochinteressante Kunst, der Audioguide wies mich immer wieder auf Details und Zusammenhänge hin, die mir sonst entgangen wären. Und Fotografieren war ausdrücklich erwünscht.

Anschließend machten wir noch einen Abstecher in die ständige Ausstellung, waren aber beide nicht mehr wirklich aufnahmefähig.

Für einen Besuch im Museumsshop reichte die Aufmerksamkeit noch: Ich kaufte nicht nur Postkarten, sondern gab mir einen Ruck, als eine Halskette von Georg Jensen meinen Blick nicht mehr losließ: Ich kaufte sie, auch weil sie perfekt zu dem Kleid für die Abendverabredung passte.

Essengehen zählt nicht als Unternehmung.
Zum Essen wollten wir eigentlich ins Mogg in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule, ich hatte Herrn Kaltmamsell Reuben Sandwich versprochen. Doch dann bogen wir am Eingang nicht rechtzeitig ab und landeten statt dessen im Garten des House of Small Wonder. Die Speisekarte sah sehr interessant aus, mischt Japanisches mit dem Rest der Weltküche. Und so aß ich Mentaiko Spaghetti mit Kabeljaurogen, Nori-Algen und Jakobsmuscheln, Herr Kaltmamsell bestellte geschmorten Schweinebauch.

Satt und zufrieden spazierten wir zurück ins Hotel, mittlerweile war sogar die Sonne herausgekommen.

Erst mal organisierten wir zur Beruhigung unsere Heimreise: Auch der umgebuchte Zug fällt wegen Streiks aus, wir reservierten Sitzplätze in einer alternativen ICE-Verbindung mit Umsteigen in Nürnberg – drücken Sie mit uns Daumen, dass das klappt.

Bis zum Abendprogramm war ich mit der Zusammenstellung der Lieblingstweets August beschäftigt.

3. Eine Show im Friedrichstadtpalast

Seit sehr langem wollte ich mal solch eine klassische Tanzrevue sehen mit aufwändigen Kostümen und bombastischen Spezialeffekten. Herr Kaltmamsell als Freund der alten MGM Musicals war schnell dafür gewonnen. Vor diesem Berlinbesuch dachte ich rechtzeitig daran Karten zu buchen und freute mich sehr auf schöne Frauen mit endlosen Beinen und Federbuschen auf dem Kopf. Die aktuelle Show heißt Arise, die Vorstellung war noch eine Vorpremiere.

Noch geübt wurde auch das Eintrittsprozedere: Mit der aktuellen Regelung mussten wir vor Betreten des Gebäudes nicht nur Ticket, sondern auch Impf-Zertifikat plus Identifikation vorzeigen, es bildeten sich lange Schlangen. Leider hatte uns unser Ticket zum falschen Eingang geschickt – das erfuhren wir natürlich erst, als wir endlich drankamen und es vorzeigten. Also nochmal an einer neuen Schlange angestellt, wir schafften es aber pünktlich zum Vorstellungsbeginn auf unsere Sitze.

Und was für eine Vorstellung! Wir saßen recht nah an der Bühne, so sah ich nicht nur die sensationellen Kostüme, sondern in den Gesichtern auch die wirklich unterschiedlichen Persönlichkeiten. Tolle Choreografien, darin auch eine unerwartet ernste Nummer ganz glitzerfrei, die Inszenierung arbeitete großartig mit der riesigen Bühne, auch das Orchester war zu sehen. Und es gab artistische Einlagen inklusive Trapez – das hatte ich zuletzt vor 30 Jahren live gesehen. Zudem bekam ich ganz viele lange Beine: Ich lernte, dass “die Reihe” mit allen Tänzerinnen, die untergehakt ihre Beine hochwerfen, ein fester Bestandteil jeder Revue ist.

4. After-show-Drinks mit Frauen aus dem Internet

Schon in der Pause waren wir auf zwei Bloggerinnen der ersten Stunde gestoßen, Frau Indica und Creezy, die sich nach Absprache mit uns spontan um Karten für die Show bemüht hatten. Mit ihnen zogen wir in Café Nö, wo eine befreundete Maskenbildnerin der Show zu uns stieß, die ich seit Jahren von Twitter kenne (aber nicht gewusst hatte, dass sie dort arbeitet). Sie versorgte uns mit vielen spannenden Hintergrundinfos zur Inszenierung, ich erfuhr unter anderem, dass während der Show zehn Maskenbildnder*innen im Einsatz sind und dass der ständige Kostümwechsel genau so viel exakte Planung und Orga erfordert, wie ich mir das so vorgestellt hatte.

Dazu gab es Wein (bei mir zu viel – es war eine dumme Idee nachzubestellen), die Herrschaften um mich stillten ihren Hunger. Ein wenig Update mit den vertrauten Bloggerinnen.

Nach Mitternacht (!) nahmen Herr Kaltmamsell und ich eine U-Bahn von der Mohrenstraße zurück zum Hotel.

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Sie erinnern sich, wie am Anfang der Pandemie nach und nach Probleme mit den globalen Lieferketten auftauchten? Sie sind immer noch da. Die New York Times schildert, wie viele Bereiche weit entfernt von vorherigen Zuständen sind, unter anderem das britische Gesundheitssystem, das bestimmte Bluttests nicht durchführen kann, weil Teile dafür fehlen.
“The World Is Still Short of Everything. Get Used to It.”

Ich finde durchaus interessant, wie jetzt die so umjubelte lean production mit Just-in-time-Lieferung der benötigten Teile zurückschlägt, die Lagerkosten und -raum sparen sollte – und das Risiko auf die Zulieferer schieben (ich habe seinerzeit detailliert mitverfolgt, wie José Ignacio López de Arriortúa dieses System bei Volkswagen einführte).

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Ausdruckstanz am Limit.

via @Klugscheisser

Journal Freitag, 6. August 2021 – Antrittsbesuch neues Volkstheater

Samstag, 7. August 2021

Früher Wecker wegen Arztbesuch, ich war sogar schon davor wach.

Ich musste selbst ohne Termin gar nicht lang in der Praxis der Hausärztin warten. Sie untersuchte mein Schienbein und konnte mich schnell beruhigen: Reizung des Tibialis-Muskelansatzes am Schienbein, kein Zusammenhang mit Mückenstichen. Frau Doktor überlegte ausführlich mit mir, wie es dazu wohl hatte kommen können (wahrscheinlich ein kleinerer Umknicker des Fußes gepaart mit ein, zwei Kilometer zu viel Wanderung). Therapie: Diclofenac-Salbe (die gereizte, entzündete Stelle liege dicht genug unter der Hautoberfläche, dass der Wirkstoff sie erreichen könne), bei abendlicher Schwellung Lymphflüssigkeit sanft Richtung Herz ausstreichen, Schonung (mmmh…), für den Wanderurlaub empfahl sie Tape (mit genauer Anleitung dafür) zur Unterstützung – und nachdem sie mein Urlaubsziel erfahren hatte, bekam ich auch noch Tipps für ihren geliebten Bayerwald (u.a. auf den Lusen zu gehen).

Auf dem Heimweg besorgte ich Frühstückssemmeln und Brot für abends, in der Apotheke Salbe und Tape. Freude über die Balkonvögelchen.

Auch Kleiber und Baumläufer habe ich dort schon gesehen.

Den Vormittag mit dem Besuch verplaudert und verfrühstückt. Es regnete immer wieder, doch um zwölf schien sich das Wetter zu fangen: Wir wagten uns raus (nach Anwendung der Salbe probierte ich gleich mal das Tapen nach Anleitung der Ärztin aus).

Ich lenkte den Besuch ins Schlachthofviertel, denn ich wollte nach dem neuen Volkstheater schauen. Das Feuilleton der Süddeutschen hatte einen langen Artikel über die Fertigstellung veröffentlicht und recherchiert, welche schwarze Magie dafür gesorgt hatte, dass das Projekt nicht nur fristgerecht, sondern im veranschlagten Budget fertiggestellt wurde (€): “Das Wunder von München”. Kurzfassung: Sehr sorgfältiges und ausführliches Leistungsverzeichnis, keine Änderungen unterwegs, respekt- und vertrauensvoller Umgang von Bauunternehmer, Architekt und Baureferat, außerdem waren alle beteiligten Personen von Anfang bis Ende die gleichen. Hier das Blog zum Neubau mit vielen Details. Mir gefiel der Bau schon mal von außen sehr und ich freue mich auf den ersten Besuch einer Vorstellung.

Von hinten.

Von der Seite (die Werkstätten haben Türen direkt zur Straße, eine war offen, darin saß jemand und machte gerade Pause).

Detail an der Eingangstür mit Besuch.

Durch Glockenbachviertel und Gärtnerplatzviertel mäanderten wir zum Viktualienmarkt, Einkäufe für den Abend beim Herrmannsdorfer und im Tölzer Käsladen – die Käseeinkäufe wieder mit umfassenden Hintergrundinformationen, ich weiß jetzt unter anderem, warum es den Manchego-artigen Vilstaler gerade nicht gibt, dass immer mehr handwerkliche Käsereien direkt vermarkten, dass der Donauwörther Landkäs der eigentlich typischste ursprüngliche bayerische Käse ist und wodurch sich die Herstellung des Tegernseer Camenberts von dem Rohmilch-Camenmbert unterscheidet, den ich kaufte. (Und ich wusste wieder, warum ich so gern dort einkaufe.)

Zwar hatte ich immer noch keinen Appetit, doch die Leberkässemmel, auf die mich der Besuch einlud, schmeckte.

Über ein paar Einkäufe beim Eataly gingen wir heim. Das wehe Schienbein war nach drei Stunden zu Fuß deutlich weniger geschwollen als in den zwei Wochen zuvor – meine innere Forscherin hätte ja lieber Salbe und Tape einige Zeit getrennt ausprobiert, um herauszufinden, was von Beidem wirkt, aber das würde halt zu lange dauern.

Inzwischen hatte die Sonne für Wärme gesucht, ich konnte die Fenster wieder offen lassen.

Den Nachmittag verbrachte ich mit Lesen und einer kleinen Siesta, bis es Zeit fürs Abendbrot war: Käse, Wurst, Berliner Balkontomaten, frische Salzgurken, die Herr Kaltmamsell am Vortag eingelegt hatte. Der Besuch trank Bier, Herr Kaltmamsell teilte sich mit mir eine Flasche Pouilly-Fumé. Zum Nachtisch Espresso mit herrlich aromatischen Amaretti, die der Besuch stellte.

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Enno Park schlüsselt auf, warum der Protest aus Sachsen-Anhalt gegen das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Rundfunkbeitrag so gefährlich ist und an den Grundfesten des Grundgesetzes rüttelt.