Journal Mittwoch, 25. Oktober 2023 – Start in die Kammerspiel-Saison mit Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann
Donnerstag, 26. Oktober 2023Vom Wecker aus dem Schlaf gerissen worden, dabei war der bis dahin reichlich und gut gewesen. Ich stand müde auf (kommt selten vor), der Gedanke an den bevorstehenden langen Tag machte mich noch müder.
Der Regen hatte aufgehört, der Morgen wurde sogar sonnig und nahm diesen Sonnenschein in den Tag mit.
Nur eine kleine Alternativabzweigung auf meinem Weg in die Arbeit, und schon kam ich in der Ligsalzstraße im Westend an einem interessanten wegen Haus vorbei.
Auch dieses Jahr spendierte mein Arbeitgeber Grippe-Impf, und ich hatte mich schnell genug angemeldet. Diesmal hatte ich sogar an meinen Impfpass gedacht, seit gestern Vormittag ziert ihn ein frisches Einkleberchen.
Zu Mittag gab es Pumpernickel mit Butter, Kerne von zwei Crowdfarming-Granatäpfeln. Auch diesmal enthielt das Paket aus Spanien neben der bestellten Sorte zwei süße Granatäpfel; die kenne ich seit ein paar Jahren, habe sie damals auch gleich verkostet: Schmecken nur süßlich und nicht nach Granatapfel, meiner Meinung nach eine Fehlentwicklung. Für die gestrige Brotzeit mischte ich helle, süße Kerne unter die dunklen aromatischen.
Ich machte Feierabend mit Unterstunden, denn gestern Abend startete meine neue Kammerspiel-Saison – und ich weiß seit ein paar Jahren, dass ich mich nicht ins Theater aufraffe, wenn ich den Tag voll gearbeitet habe. In weiterhin schönem und mildem Wetter (bald legte ich mein Halstuch ab, kurz darauf öffnete ich den Mantel) spazierte ich für Besorgungen in die Fußgängerzone.
Die Sightseeing-Motive nicht den Auswärtigen überlassen.
Unter anderem im Kaufhaus (ich liebe Kaufäuser) eine Ein-Personen-Cafetera besorgt: Herr Kaltmamsell wird übers Wochenende verreisen, und die alte kleine Alu-Cafetera ist nicht Induktionsherd-tauglich, mit Zwischenboden kocht sie nicht verlässlich.
Daheim war noch Zeit für Yoga-Gymnastik (wieder zu lang), Brotzeit-Herrichten, dann servierte Herr Kaltmamsell Orecchiette mit Butter und Salbei, gleich darauf brach ich ins Theater auf. Wirkliche Vorfreude empfand ich nicht, allein schon weil die Stücklänge mit 3 Stunden 20 angekündigt war. Aber wieder machte ich mir klar, dass der Theaterbesuch mir gut tun würde, eine Bereicherung sein – so wie halt andere sich zum Sporttreiben überreden. (Ich erwähnte glaube ich schonmal, dass es neben Fitness- auch Kulturtracker geben sollte, die eine*n daran erinnern, wenn man auf diesem Gebiet zu wenig für sich getan hat.)
Da ich in hohen Schuhen unterwegs war, nahm ich die U-Bahn für eine Station Richtung Kammerspiele. Aufgeführt wurde Im Menschen muss alles herrlich sein nach einem Roman von Sasha Marianna Salzmann, Theaterfassung von Jan Bosse und Viola Hasselberg.
Und sieh an: Die fast dreieinhalb Stunden mit einer Pause wurden mir gar nicht lang. Denn nachdem ich mich in den vergangenen 20 Jahren daran gewöhnte, dass zeitgenössische Theateraufführungen bildende Kunst sind, keine erzählende, wurde mir gestern überraschenderweise eine Geschichte erzählt. In nur einem Bühnenbild (Bühne: Stéphane Laimé), eine Art Kneipenraum, das über den Abend nur wenig verändert wurde, erzählte mir der Abend am Leben zweier Frauen aus der Ukraine von den Umbrüchen durch die Auflösung der Sowjetunion, von Familien, in denen keine echten Gespräche stattfinden, vom Auswandern, von Freundschaften, Verlust, Liebe. Das interessierte mich, das wollte ich wirklich wissen.
Ich freute mich über Wiebke Puls in der Rolle einer dieser beiden Frauen, lernte begeistert Johanna Eiworth in der Rolle der anderen kennen. Die Töchter dieser beiden wurden mit beachtlicher Schauspiel- (und Sportleistung) von Edith Saldhana und Maren Solty gespielt.
Die Inszenierung enthielt viel Musik live auf der Bühne, ich befürchtete auf dem Heimweg, die drei Gitarrenakkorde, die praktisch durchgehend im Hintergrund gespielt wurden, nie wieder aus dem Hirn zu bekommen. Ebenfalls auf der Bühne fand Kostümwechsel statt (allerdings nicht jeder, Kostüme: Kathrin Plath), die Garderobenhaken an der Kneipenwand wurden genutzt.
In der Pause spazierte ich ein wenig durch die Foyers. Der Zuschauerraum war zu ca. 2/3 besetzt. (Mir als Theater-Abonnentin mit Provinz-Abstammung, die jetzt auf die 60 zugeht, müsste doch langsam eine silberne Häkelstola wachsen?)
Nach dem lang anhaltenden Schlussapplaus war ich nicht mal besonders müde, ich kürzte meinen Heimweg dennoch mit einer U-Bahnfahrt ab. Sehr spät ins Bett, ich freute mich darauf, am nächsten Tag Rezensionen zu dem eben gesehenen Stück zu recherchieren.