Journal Mittwoch, 6. Februar 2019 – Endlich wieder Theater: Toshiki Okada, No sex
Donnerstag, 7. Februar 2019Fester Vorsatz war gestern: Spätestens um 15.30 Uhr Feierabend machen, um genug Energie für den abendlichen Theaterbesuch zu erübrigen. Und wie es bei solchen Vorsätzen gerne mal ist: Ich stand unter Aufgaben- und Telefondauerbeschuss. Doch zum Glück hatte ich meine Pläne laut geäußert, so stupste mich jemand nach halb vier an: “Wolltest du nicht gegangen sein?” Das brachte mich dazu, an relevanter Stelle zu fragen, ob etwas gegen mein Gehen spräche – tat es nicht.
Noch vor vier spazierte ich in Sonnenlicht und mit Schulschwänzgefühl Richtung Zuhause. Begegnete an der vielspurigen Garmischer Straße einem flauschigen Ratz, der sich durch meine Nähe überhaupt nicht stören ließ.
Sah die Theresienwiese bei Tageslicht.
Da ich großen Nachmittagshunger hatte, kaufte ich auf dem Heimweg Krapfen, die ich mit einer großen Tasse Milchkaffee genoss.
Telefonat mit meiner Mutter: Von ihrer Schwester in Italien hat sie erfahren, dass der Christstollen angekommen ist. Diesmal hat er also zweieinhalb Monate von München nach Latio gebraucht. (Scherze mit Zu-Fuß-Gehen bitte selbstständig ergänzen.) Meine Mutter meinte, das könne ich also zukünftig lassen, doch in den Jahren davor hatte es ja gut funktioniert. Und Lassen brächte Unglück.
Abends Theater, wirklich und tatsächlich. Eigentlich wäre ich mit Doktor Alici dran gewesen, hatte die Besprechung der Uraufführung vor ein paar Wochen auch aufgehoben (lese ich lieber nachher) – doch letzte Woche war ich per Brief informiert worden, dass wegen Krankheit statt dessen No sex von Toshiki Okada gegeben werde. Auch recht, Hauptsache Theater und nicht zu lange. (Bei zehn Stunden Dionysos Stadt hatte ich gekniffen, da geht’s mir wie mit kinky Sex: Finde ich theoretisch ausgesprochen begrüßenswert, praktisch bin ich zu faul.)
Der Zuschauerraum war nur zu einem Drittel besetzt, wohl der Stückänderung geschuldet – man setzte sich einfach auf den schönsten freien Platz. Stefan Merki kam als Wirt einer Karaokebar auf die Bühne, sagte, er habe die Zukunft gesehen, und dann hatte ich einen sehr schönen Abend. Toshiki Okada, der auch Regie geführt hat, ließ vier junge Männer diese Karaokabar betreten, dabei seltsame Kleidung des Stereotyps “japanisches Modedesign” tragen und ihre Gefühle beim Singen und Bierausprobieren analysieren – in geschraubter Achtsamkeitssprache mit selbst definierten Begriffen, begleitet von ausladend gekünstelten Turn- und Sportbewegungen ohne Zusammenhang mit dem Gesagten. Das war komisch, klug und stimmig.
Die ältere Putzfrau des Etablissements, gespielt von Annette Paulmann (*Fangirlgeste*), holt die vier aus der Analysebene herunter zu ihren Erinnerungen an Love Hotels, der Wirt Stefan Merki versucht die jungen Männer zu verstehen. Alle singen Karaoke – erkannt habe ich Pointer Sisters’ “I’m so excited”, Madonnas “Like a virgin”, Nirvanas “Smells like teen spirit”, Donna Summers “I feel love” – jeweils in musikalisch interessanten Versionen und mit luziden Übersetzungen ins Deutsche.
Frenetischer Applaus, von mir Empfehlung.
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Nadia Pantel schrieb in der Südeutschen Zeitung die Reportagenseite (€):
“Frankreichs obdachloser Twitter-Star”.
Darin eine Beobachtung zum Mitschreiben (was ich hiermit getan habe):
Der Obdachlose ist zum Rorschachtest der Gesellschaft geworden. (…) Hier, dieser Mann auf der Parkbank, sehen Sie einen faulen Säufer, ein Opfer des Kapitalismus oder einen, dem von den Migranten der Platz in der Notunterkunft weggenommen wurde?
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Stephan Nollar erzählt von seinem Zivildienst 1989 (die Jahreszahl ist wichtig) beim Leiter der Klinikseelsorge an der Uniklinik Köln (der Ort ist wichtig). Ich empfehle für die Lektüre eine ruhige Minute und geborgene Umgebung.
“Als die Hölle aufging”.
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Da das Technikttagebuch von Technikfreundinnen und -freunden geschrieben wird, überwiegen Faszination und Optimismus in den Geschichten. Manchmal aber sind sie auch traurig:
“Mai 2015
‘Eine Maschine, die dich einfach ersetzt’“.