Journal Mittwoch, 12. November 2014 – Wessen Toleranz?
Donnerstag, 13. November 2014Das Morgenlicht war ganz klar, schuf schon in der Dämmerung viel Farbe und Kontraste – alte niederländische Malerei.
Gemütlicher Morgenkaffee mit Internet.
Arbeitsweg zu Fuß.
Arbeitsgefüllter Tag, ich nahm mir aber Zeit für eine Mittagspause mit Zeitungslesen.
Abends ins Theater geradelt (es ist zum Glück immer noch nicht richtig kalt): Schande nach J. M. Coetzee.
Eine sehr verstörende Geschichte. Ich sah, wie ein menschverachtendes System durch ein anderes menschenverachtendes System ersetzt wird. Am untersten Ende der Hackordnung dabei die Frauen, die vorher so wenig selbstbestimmt waren wie sie nachher sind. Bedrückend.
So sehr, dass ich mehr die Geschichte sah als die Inszenierung – ging mir im Theater schon lange nicht mehr so.
Gleichzeitig aber Freude über den überragenden Hauptdarsteller. Stephan Bissmeier als zynischer Uni-Dozent David war bedrückend gut (ich bin ja immer auch beeindruckt von schauspielhandwerklichen Details wie Nuscheln, das gleichzeitig glasklar verständlich ist). Interessant und vielversprechend: Zwei Schauspielschülerinnen auf der Bühne, Lorna Ishema und Barbara Dussler.
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Die Werbemotive für die ARD-Themenwoche Toleranz sorgen weiter für Aufruhr in meiner Ecke des Internets.
Auch ich habe erstmal scharf eingeatmet bei dem Anblick. Da braucht man wirklich nicht Theorie-gestählt sein, es reicht eine einfach Übung: Stellen Sie sich vor, Sie gehörten zu der abgebildeten Bevölkerungsgruppe. Und über Sie würde unter diesen Slogans verhandelt.
Jedes Motiv eine Ohrfeige.
Mir gefällt der Kommentar auf der NDR-Website (so viel übrigens dazu, die Öffentlich-Rechtlichen seien gleichgeschaltet):
“Zwischen gut gemeint und gut gemacht”.
Dass Angehörige der stigmatisierten Gruppen eben nicht die Wahl haben, welches Maß an Ausgrenzung oder “Toleranz” der Mehrheitsgesellschaft sie erdulden wollen – diese Erkenntnis scheint den Programmverantwortlichen der beworbenen Sendung noch nie gekommen zu sein.
(…)
Dass Stigmatisierung und Ausgrenzung dennoch stattfinden, ist das eigentliche Problem – und nicht die Existenz von Schwulen, Schwarzen, Behinderten oder anderen “Randgruppen” nach Wahl, die vermeintlich “unsere” Toleranz strapazieren.
Ich bin ganz sicher, dass die Absichten hinter den Motiven gute waren. Doch Schaden wird durch andere Absicht nicht geringer. Es muss eine bessere Form für die Bewerbung dieses Themas geben. Zum Beispiel ist mir eingefallen: Den Spieß umdrehen (genau: den Spieß – denn ein Spießrutenlaufen ist es, was diese Mitmenschen mit Alltag erleben). Toleranz aus der Perspektive der ausgegrenzten Gruppen zeigen:
– Das Frauenpaar Arm in Arm, das gefragt wird: “Und wer ist bei euch der Mann?” (Dazu passt wunderbar “normal oder nicht normal?”)
– Menschen, die nicht nach Vorfahren in Bayern aussehen, und Englisch angesprochen werden. (An “Belastung oder Bereicherung?” müsste man hier vielleicht noch arbeiten.)
usw.
Im Fernsehen dazu Talkshows, in denen ausschließlich diese Menschen zu Wort kommen und erzählen, wie viel Toleranz sie jeden Tag aufbringen.
Hintergrundlektüre aus eben dieser Perspektive: