Journal Mittwoch, 5. Januar 2021 – Ausflug ins Ingolstädter Medizinhistorische Museum
Donnerstag, 6. Januar 2022 um 9:27Nach gutem Schlaf vom Wecker geweckt worden – den ich gestellt hatte, um vor unserem Ausflug zum Ingolstädter Medizinhistorischen Museum noch ein wenig Ruhe zu haben. Es regnete.
Nach einer Woche Pause machte ich nach all den Unternehmungen mal wieder einen Covid-Schnelltest. Der von der Arbeit gestellte von Lepu Medical zeigte wieder einmal gar nichts an, also auch keinen Kontrollstreifen: Diese Sorte hat bei mir eine Ausfall-Quote von über 20 Prozent. Ich ließ mir einen von Herrn Kaltmamsells Tests geben.
Mit dem Zug nach Ingolstadt, draußen blieb es greislich. Ingolstadt liegt gerne mal in einer anderen Wetterzone als München, bis Ankunft gab ich die Hoffnung nicht auf, dass wir die halbe Stunde von Hauptbahnhof ins Stadtzentrum zu Fuß gehen würden. (Zur Erinnerung: Der Hauptbahnhof von Ingolstadt liegt ungefähr so zentral wie der Flughafen von München, begründet in der Geschichte Ingolstadts als wichtiger Militärstützpunkt.) Doch in Ingolstadt war schlagartig Winter: Es ging ein eisiger, schneidender Wind, in der Luft ein wenig Schneeregen. Wir nahmen also die einzige hochfrequente Busverbindung der Öffi-feindlichen Autostadt, nämlich die zwischen Hauptbahnhof und Zentrum (Busbahnhof).
Erst in der Vorbereitung auf den Ausflug hatte ich gelernt, dass es das Ingolstädter Medizinhistorische Museum erst seit 1973 gibt und dass es ohne eigene Sammlung eröffnet hatte, also Exponate aus anderen Sammlungen zeigte. Das heißt, dass mein erster Besuch als Kind mit meinen Eltern kurz nach dieser Eröffnung stattgefunden haben muss. Ich glaube mich zu erinnern, dass in erster Linie Präparate in Glaszylindern ausgestellt waren, dazu historische Geburtswerkzeuge. Dass meine Mutter mir vieles so kindgerecht wie möglich erklärte, dass ich neugierig und fasziniert war. Sicher bin ich, dass sowohl meine Mutter als auch ich die Auswirkungen aufs kindliche Seelchen komplett unterschätzt hatten: Ich erinnere mich an eine lange Phase mit schlimmen Albträumen, dass ich einmal nachts hochschreckte und im Fenster meines Kinderzimmers ein Skelett zu sehen glaubte. (Sehe ich heute als Hinweis, dass ich schon als Kind nicht gut mit mir umgehen konnte: Die meisten anderen kleinen Kinder hätten sich rechtzeitig vor Ort gegruselt und gestreikt.)
Heute zeigt das Museum einen kleinen, aber interessanten Ausschnitt der mittlerweile großen eigenen Sammlung (im Herbst 2020 fertiggestellt und mit dem Bayerischen Museumspreis ausgezeichnet). Er ist thematisch sortiert, beleuchtet auch kulturelle und soziologische Aspekte. Daraus und aus dem hilfreichen Audioguide lernte ich u.a., dass die Ingolstädter Anatomie eine der am spätesten gegründeten in Europa war (dafür eine der wenigen mit eigenem Bau), dass es fast keine historischen Zeugnisse von Einrichtung und Abläufen gibt (zur multimedialen Erläuterung wurden deshalb die anderer Universitäten gezeigt). Und mir wurde bewusst, dass im Grunde erst seit nicht mal 200 Jahren mikroskopische Betrachtungen medizinische Forschung ermöglicht, wie wir sie heute kennen, dass bis dahin alle Therapien sich auf das “Herausziehen” von Krankheiten aus dem Körper konzentrierten, in Form von Aderlass, Schröpfen, Einläufen – was so manche Pseudo-Medizin auch heute wieder verkauft, aber die bestreitet ja auch gerne, dass es sowas wie Viren überhaupt gibt.
Christus anatomicus von 1700, Mischung aus Kruzifix und Anatomie-Lehre.
Die stillende Bettlerin – uneheliche Schwangerschaft konnte eine Frau bis vor gar nicht allzulanger Zeit komplett aus der Gesellschaft werfen.
Thematisiert wurde auch die Heldenverehrung berühmter Ärzte – mit einem echten Lacher.
Info für @Mirabilia: Schöne Garderobe im Untergeschoß, schöne Toiletten. Das Café mit Ausblick auf den Kräutergarten öffnete erst nach Mittag.
Die Sonderausstellung in einem Raum im Obergeschoß des Erweiterungsbaus (der mir ebenfalls neu war) lautete “In the Name of Love – AIDS-Gedenktücher als Zeichen von Trauer und Protest”. Sie thematisierte vor allem die gesellschaftliche Seite von AIDS seit Ausbruch.
Abschließend spazierten wir durch den schönen Heilpflanzengarten.
Im Hintergrund das Liebfrauenmünster (ein Turm kürzer, weil das Geld ausging).
Klassische Ansicht der Alten Anatomie.
Fürs Mittagessen steuerten wir aus nostalgischen Gründen das griechische Lokal an, in dem ich in meiner Ingolstädter Zeit wohl am häufigsten gegessen habe, und das es möglicherweise fast 40 Jahre gibt: das Poseidon. Unsere Impf-Zertifikate wurden löblich gründlich geprüft, wir aßen Grillfleisch mit Salat (Herr Kaltmamsell) und Salatteller mit Scampi und Tintenfisch, dazu Pita mit Knoblauch. Alles gut. Hier gibt es sogar immer noch griechischen Mokka, den ich liebe, wir bekamen ein Gläschen Metaxa dazu und die Empfehlung, beides zusammen zu genießen.
Mittlerweile hatte sich das Wetter beruhigt, sogar die Sonne blinzelte ein wenig. Doch es war weiter eisig und windig, eine ausführliche Runde durch die Innenstadt (die mir schon lang fremd geworden ist, es fällt mir sogar schwer mich zu erinnern, was da früher war) verschob ich auf den Sommer. Den Fußweg zurück zum Bahnhof machten wir also möglichst direkt.
Gab es zu meiner Zeit auch nicht: Kormorane auf der Donau (auf dem Felsen im Fluss).
Auf dem Heimweg Lebensmitteleinkäufe, zu Hause erst mal eine Kanne Tee – gegen den Durst und zum Aufwärmen. Eine Runde Yoga, dann bereitete ich das Abendessen zu: Ein Teil der restlichen Meatballs vom Vortag wurde Pastasauce, ich wollte endlich mal die ikonischen amerikanisch-italienischen spaghetti with meatballs (die Susi-und-Strolch-Szene?).
Nachtisch Pralinen.
Auf der Hinfahrt nach Ingolstadt hatte ich mich mit Herrn Kaltmamsell unter anderem über seine aktuelle Lektüre unterhalten: Er liest Wolfgang Herrndorfs Sand zehn Jahre nach Erscheinen nochmal. Vor allem sein Urteil, dass sich der Roman ausgezeichnet gehalten habe, machte mir Lust darauf, es ihm gleichzutun.
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Großer Dank an Anke Gröner, die mit Überlegungen und Recherche dem manchmal bis zur Verzweiflung peinigenden gesellschaftlichen Unwohlsein nachgegangen ist, das auch mich in den vergangenen Monaten beutelt:
“Diskontinuität und Konsensfiktion”.


























































































