Journal Montag, 10. Oktober 2016 – Bunter Himmel

Dienstag, 11. Oktober 2016 um 6:16

Es bleibt kalt, der Himmel zeigte gemischteste Farben, regnete auch mal.

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Nach Feierabend nahm ich mir endlich die Kiste mit Winterkleidung vor, die ich am Wochenende aus dem Keller geholt hatte. Ich bin dem Ziel, meinen gesamten Kleidungsbestand auf einen Schrank voll zu reduzieren, nur wenig näher gekommen: Einige Sommerhosen müssen weiterhin ausgelagert werden (locker in die Kiste gelegt verknittern sie hoffentlich nicht sehr), der Rest quetscht sich im Schrank noch ganz schön. Winterkleidung besitze ich ohnehin bei Weitem nicht so reichlich wie Sommerliches, es besteht also kaum Hoffnung, dass der Bestand in den nächsten Monaten durch Aussortieren merklich schmilzt.

Zum Nachtmahl Kartoffel- und Mairübcheneintopf mit Einbrenne. Im Fernsehen lief eine Doku über fränkische Winzer, die begriffen haben, dass sie nur mit Individualität und gebietsbezogenem Profil überleben können (da müsste man doch auch wandern können?), dann eine über Sissi Perlinger – die ich als exzentrische Erscheinung sehr schätze.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 9. Oktober 2016 – The buried giant und die erste Gans

Montag, 10. Oktober 2016 um 6:39

Am Vorabend hatte ich im Bett Kazuo Ishiguros The buried giant ausgelesen.
Einer der besseren Ishiguros (von denen davor war ich enttäuscht gewesen). Vage in der Zeit nach Artus angesiedelt begleiten wir ein altes Ehepaar („Britons“) auf ihrem Weg von ihrer dörflichen Siedlung zu… nun, sie haben beschlossen zu ihrem Sohn, der irgendwo anders ist. Doch sie wollen auch herausfinden, wie es kommt, dass sie und mehr noch ihre Umwelt vergangene Geschehnisse zu vergessen scheinen, selbst wenn es sich um das zeitweilige Verschwinden eines kleinen Mädchens vor wenigen Wochen handelt. Als wenn sich ein Dunst („mist“) auf ihre Erinnerungen gelegt hätte. Es entspinnt sich eine Geschichte um Saxons, Artus’ Erbe, Oger und andere Monster, Drachen, Aberglauben, Krieger. Der alte Mann hat möglicherweise ein bedeutenderes Vorleben, als er es erinnert, und die Drachin eine Funktion für den brüchigen Frieden im Land, die man nicht vermutet hätte.
Die Geschichte gefiel mir gut und überraschte mich immer wieder, auch wenn sie Längen hatte. Ein wenig enttäuscht war ich von viel Informationsvermittlung durch telling statt durch Handlung – gerade wo Ishiguro in An artist of the floating world und Remains of the day bewiesen hat, wie meisterlich er showing sogar als Gegenteil des im telling Behaupteten kann.

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Vor Kurzem war ich auf die Besprechung einer Shirley Jackson-Biografie in der New York Times gestoßen und hatte mich sofort an das Leseerlebnis von “The Lottery” erinnert.
“The Case for Shirley Jackson”.

Shirley Jackson once wrote that when she went to the hospital to deliver the third of her four children, the admitting clerk asked for her occupation. “Writer,” Jackson replied. The clerk said, “I’ll just put down housewife.”

to most she was just another faculty wife, and a fat and creepy one at that, someone who drank too much and whose house stank of cat pee

Zum Glück lebe ich mit der Science-Fiction-Bibliothek des Herrn Kaltmamsell, aus der ich den einen Kurzgeschichtenband ziehen konnte, der noch zu Jacksons Lebzeiten veröffentlicht wurde.

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In der Früh gab’s Morgenrosa, dann schlagartig Nebel. Doch als ich mit Herrn Kaltmamsell mittags im Zug nach Augsburg saß, kam die Sonne raus. Die Schwiegers hatten zum ersten Gansessen der Saison geladen – langsam kann ich mich vielleicht doch auf das Ende des Sommers einlassen.

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Dazu gab es angenehmste Unterhaltung, während der sich unter anderem herausstellte, dass meine Frau Schwieger vor der Mutterschaft als Programmiererin gearbeitet hat und Mitte der 1960er Röhren-Buchhaltungsrechner mit Werkzeug (also so richtig aus dem Werkzeugkasten) dazu brachte, das zu tun, was der Kunde wollte. Sie habe sich zu diesem Zweck sogar in die Kameralistik eingearbeitet.
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(!!!)

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Abends zu Fuck Ju Göhte geschaltet, wenigstens ein bisschen wollte ich für die Allgemeinbildung davon gesehen haben. Er stellte sich als deutlich besser als erwartet heraus, viele offene Schenkelklopftüren wurden überraschenderweise nicht eingerannt.

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“Warum mich der Lokaljournalismus anekelt”.

Anders als die Überschrift vermuten lässt, ist das eine verzweifelt flammende Rede für den Lokaljournalismus. Eine, die auch ich seit vielen Jahren wiederhole, nur ist die oben verlinkte viel besser formuliert.

Lokaljournalist_innen sind die Bodentruppen der Presselandschaft. Sie können sich vor ihren Leser_innen nicht verstecken, auch nicht vor den Interviewpartner_innen oder anderen Objekten der Berichterstattung, denn die sind da, denen begegnet man auf der Straße oder sie klingeln an der Tür.

Und das bedeutet eben Nachprüfbarkeit: Die EU-Berichterstattung aus Brüssel muss die Leserin glauben (oder sich dazu Verschwörungstheorien ausdenken), doch auf dem Schulkonzert war sie dabei und kann beurteilen, ob der Bericht dazu halbwegs stimmt.

„Hömma, was denkst du eigentlich, was wir hier machen? Zeitung machen wir hier!“ habe ich früher manchmal gehört, wenn ich einen schlechten Text abgegeben habe. Mit 16 konnte ich darüber schmunzeln, denken: Ach Gott, nehmt euch nicht so wichtig mit eurer kleinen Lokalzeitung. Heute bin ich den Kolleg_innen von damals für den Anschiss dankbar, für die wütenden Tritte gegen den Türrahmen, die Schimpfworte kurz vor Andruck, fürs Anschreien. Es ist ein gutes Gefühl, ernst genommen zu werden, selbst wenn man nur Ziel des Wutanfalls oder Abladepunkt für Lästereien ist. Es ist ein gutes Gefühl, etwas zu machen, was jemand ernst genug nimmt, um sich darüber zu empören.

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Dass das Schmock in der Münchner Maxvorstadt schließt, und zwar weil dem Wirt antisemitische Angriffe zum Hals raushängen, hatte ich mit Schrecken erfahren:
“Warum ein jüdisches Lokal in München dichtmacht”.

Beim letzten Besuch vor gut einem Jahr fand ich das Essen nicht mehr so gut (und die stark riechenden Lilien als Deko wirklich störend), doch ich war immer stolz darauf, dass es in München dieses Restaurant gibt – es war oft meine erste Wahl, wenn auswärtiger Besuch kam.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 8. Oktober 2016 – Grauer Isarlauf, Karamell und Blumenkohl

Sonntag, 9. Oktober 2016 um 8:23

In der Nacht Migräne, nach angenehmen fünf Monaten ohne. Diese kam zumindest mit gutem Timing, Start nachts so, dass der komatöse Schlaf nach Anwendung des Triptans um halb neun endete und nicht der ganz Samstag mitgerissen wurde.

Den vagen Plan Wandern verschoben wir angesichts des grauen Wetters mit Regengefahr, ich ging nach über einer Woche Sportpause Laufen.

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Ich hatte mir fürs Wochenende diesen Erdnussmarmorkuchen vorgemerkt, nachdem @FrauBruellen davon geschwärmt hatte.

Karamell mache ich eigentlich viel einfacher, bin aber immer offen für das Lernen neuer Methoden. Ich folgte also der Anweisung 150g Zucker “gleichmässig in eine große (!) Pfanne verteilen und bei geringer Temperatur langsam schmelzen lassen – und zwar ohne den Zucker zu rühren”, mit dem Ergebnis, dass das Schmelzen 20 Minuten dauerte, außerdem bei aller Gleichmäßigkeit der Zucker in der Mitte der Pfanne bereits dunkelbraun war, während er am Rand noch in weißen Kristallen herumlag. Dieser Versuch war zwar nicht so verheerend wie der, Karamell mit Puderzucker herzustellen, aber warum nicht einfach einfach?

Ich versuche mich also künftig selbst daran zu erinnern, dass ich immer 150 Gramm Zucker mit 4 Essl. Wasser in einem Topf erhitze und unter Rühren bräune, fertig.

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Das Ergebnis sah gut aus, auch wenn die angegebene Menge Erdnusscrunch viel zu viel war (hier hatte ich etwa ein Fünftel davon verwendet, und das ist immer noch viel mehr, als man auf dem Bild zum Rezept sieht).

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Der Geschmack war ok, allerdings merkte ich nicht viel von der Erdnussbutter, obwohl die Mengenangabe “1,5 großzügige EL cremige Erdnussbutter” bei mir 80 Gramm waren (ich hätte allerdings auch das ganze Glas auf anderthalb Löffel bekommen – bei Konsistenzen wie Erdnussbutter sind Volumen- statt Gewichtsangaben viel zu vage).

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Größere Einkaufsrunde durch die sehr bevölkerte Innenstadt: Mir war als Muttergeburtstagsgeschenk Stevan Pauls Der große Glander eingefallen. Ein Nicht-Bestseller-Buch sofort haben zu wollen, ist ja absurd schwierig, meine einzige Chance sah ich im Bücherkaufhaus Hugendubel am Stachus. Und dieses setzte bei dieser Gelegenheit einen Stein ins Brett: Nachdem ich das leuchtend blaue Buch unter den endlosen Bücherstapeln nicht gefunden hatte, fragte ich an der Information. Wo eine Angestellte mir zwar bescheiden musste, dass sie den Roman nicht vorrätig hatten, aber anbot, ihn in der Filiale in den Fünf Höfen zurücklegen zu lassen. Telefonisch sicherte sie Vorhandensein und Zurücklegen, ich dankte ihr herzlich. Und hatte das Buch nach einem vernieselten Menschenmassenslalom durch die Fußgängerzone in der Tasche.

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Als ich den Rest heiße Hühnerbrühe in einem Becher vor mir hatte, fragte ich mich, warum der Kochsud von Pfefferminzblättern Tee heißt, der Sud von Gemüse oder Fleisch aber Brühe.

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Blumenkohl und ich haben ein Problem. Wenn er mir als Beilage serviert wird, esse ich ihn nicht ungern, doch ich nehme ihm den Geruch übel, den er in meiner Wohnung beim Kochen erzeugt.
Der aktuelle Ernteanteil enthielt zwei kleine Köpfe Blumenkohl, und Herr Kaltmamsell war beauftragt, sie unstinkig zu einem Abendbrot zu verarbeiten. Unsere Lösung:
1. Wir nennen ihn ab sofort weißen Brokkoli.
2. Wir vermeiden Kochen.
3. Zum Beispiel mit diesem Rezept bei Anke.

Das Ergebnis schmeckte ausgesprochen großartig, und jetzt freue ich mich schon auf den nächsten Blumenkohl im Ernteanteil.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 7. Oktober 2016 – Militärerinnerungen und Carbonaraunterricht

Samstag, 8. Oktober 2016 um 10:18

Zwei schöne Erlebnisse gab es an diesem kalten, grauen und regnerischen Tag:
Morgens stieß ich auf diese Geschichte von Maximilian Buddenbohm:
“Kleine Anmerkung zu Kleiderordnungen”.

Herr Buddenbohm erinnert sich an seine Militärdienstzeit, und da wir fast gleich alt sind, habe auch ich Erinnerungen daran – allerdings aus zweiter Hand, da ich als Frau keinen Wehrdienst oder Ersatzdienst leisten musste. Allein dass es mir notwendig erscheint, das zu klären, zeigt, wie vorbei diese Zeit ist. Für meine Generation gehörte der Wehrdienst zu den dominierenden Themen der Jahre ums Abitur: Jeder und jede war vertraut mit Modalitäten des Wehrdiensts und der Musterung, Möglichkeiten der Verweigerung, Militärstandorten im Umland, später mit den Details von Zivildiensteinsätzen (Altersheim, Behindertenstätten – dort vor allem legendär der Fahrdienst, Krankenhäuser, Kinder- und Jugendheime, Einzelbetreuung) und Waffengattungen. Zugfahrten am Sonntagnachmittag bis ‑abend waren immer begleitet von der einen oder anderen Handvoll Wehrdienstleistender in Uniform auf dem Weg zurück in die Kasernen.
Die einen männlichen Altergenossen veralkoholisierten und verblödeten sichtlich von Woche zu Woche beim Bund, die anderen entdeckten amerikanischen Swing der 40er und kamen mit Tommy Dorsey-Platten wieder, wieder andere erkannten eine Zukunftsperspektive in sozialen Berufen.
Und es war klar, dass die meisten Männer zwei Jahre später ihre weitere Ausbildung nach dem Abitur antreten würden als die Frauen.

Damals war ich ganz entschieden gegen Wehrdienst (und wenn schon, dann bitte für Männer und Frauen) und für eine Berufsarmee. Heute beobachte ich, wie viel größer die Distanz der Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr durch die Abschaffung des Militärdiensts geworden ist – und so richtig identifiziert hatte sich (zumindest West-)Deutschland ja noch nie mit seinen Streitkräften.

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Das zweite schöne Erlebnis war der abendliche Unterricht im Carbonarakochen – die Vorführung galt allerdings Herrn Kaltmamsell und nicht mir, meiner Überzeugung nach reicht es schließlich aus, wenn eine Person im Haushalt Spaghetti Carbonara beherrscht. (Ja, ich weiß, dass ich mich damit in die verhängnisvoll typische weibliche Abhängigkeit einer klassischen Ehe begebe, die ich nach einer möglichen Trennung noch bitter bereuen werde.)

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(Nicht zur Szene gehört der Topf auf dem Herd links hinten: Da drin ist nur restliche Hühnerbrühe.)

Beigebracht wurde die Variante, in der ein Ei durch zwei Esslöffel Sahne ersetzt wird: Der Lehrer mildert damit nach eigenen Aussagen den Geschmack roher Eier, den er nicht so gern mag.

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Johannes Kretschmar aka Beetlebum fühlt sich ins Seelenleben der Rosetta-Technik ein:
“Mehr Kultur für Astro-Nerds”.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 6. Oktober 2016 – Hühnerbrühentherapie

Freitag, 7. Oktober 2016 um 6:59

Unterm Regenschirm in die Arbeit gegangen, erstmals überlegt, wie das Pokémonfangen wohl mit Handschuhen funktionieren wird. Kommt’s mir nur so vor oder sind derzeit tatsächlich besonders viele Viecher unterwegs?

Abends wartete daheim ein großer Topf Hühnerbrühe auf mich: Herr Kaltmamsell hatte darauf bestanden, meine kleine Erkältung medizinisch zu versorgen, glückliches Huhn besorgt und gekocht. Mit Suppennudeln drin gegessen, wirklich sehr wohltuend. Der Herr selbst verbrachte den Abend aushäusig, ich sah ihn aber noch vor dem Zu-Bett-Gehen.

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Eine halbe Stunde vernünftiger, ruhiger Feminismus von Anne Wizorek im Gespräch mit einem angenehm unprovokativen Philipp Menn beim WDR:
“Einzelfall oder Massenphänomen? Sexismus in der Politik”.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 5. Oktober 2016 – Neue Runde Durchhalten

Donnerstag, 6. Oktober 2016 um 6:46

Ein sonniger Tag, knackig kalt.

Erkältung im Anzug: morgens Halsweh, über den Tag Kopfweh und langsam anlaufende Nase. Könnte aber im kleinen Rahmen bleiben, und ich hatte ja das ganze Jahr noch keine Erkältung.

Einkaufstour auf dem Heimweg.

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Im Ernteanteil war der erste Radicchio der Saison, ich freute mich sehr über den großen Kopf. Es gab ihn zum Abendessen als Salat mit Balsamicodressing und mit Bratkartoffeln. Passend zum Kälteinbruch hatte Herr Kaltmamsell zudem Lebkuchenherzensternebrezen besorgt.

Früh ins Bett, doch die Bedrückung und Angst dieser Tage nach Urlaub ließen mich lange nicht schlafen. Tiefe Hoffnungslosigkeit, was die Zukunft angeht – ich weiß nicht, woher ich die Energie für einen weiteren Neuanfang nehmen soll.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 4. Oktober 2016 – Feierabendbier

Mittwoch, 5. Oktober 2016 um 6:33

Spät und erschöpft heimgekommen – noch bin ich urlaubsausgeruht und kann Hochkonzentration durch Willenskraft zuschalten.

Das Wetter ist kalt und regnerisch, für den Heimweg zu Fuß brauchte ich einen Schirm.

Nach dem Brauereibesitzersinterview am Montag hatte ich mich umgehend mit Herrn Kaltmamsell für den Dienstagabend auf ein Bier verabredet; mir war das Red Hot mit seiner ausführlichen Bierkarte in der Amalienpassage eingefallen. Wir nahmen eine U-Bahn dorthin.

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Es gab ein Stout “Noctus” vom Augsburger Riegele, so alkoholreich und dunkel, dass es fast als Brotaufstrich durchgegangen wäre. Dazu Pulled Pork für meinen Begleiter und Short Ribs mit Mash für mich.

die Kaltmamsell