„Meine Tochter möchte unbedingt Altgriechisch lernen“ schreibt mir ein Leser Stefan und bittet mich, den Fragebogen, den ich hier mal erfunden habe, selbst zu beantworten.
Aber gerne!
Zuvor: Stefan, bitte knutschen Sie mir Ihre Tochter ganz fest. „Möchte unbedingt Altgriechisch lernen“! Guuuute Tochter!
– Wie beurteilst Du im Nachhinein Deine Kurswahl? Gut / schlecht / irrelevant
Altgriechisch war das beste an meiner gesamten Schulzeit. Ich tauchte in eine Welt der Intellektualität ein, die mein geistiges und ethisches Heranwachsen prägte. Von den Begründern unserer abendländischen Kultur lernte ich zu fragen und zu hinterfragen.
– Hast Du in Deinem weiteren Leben von diesem Kurs profitiert? Nein / ja, privat, nämlich … / ja, beruflich, nämlich …
Ja, ja.
Privat durch die Freude am Debattieren und Nachdenken. Und ich behaupte immer noch, dass wir Altgriechen uns bereits nach wenigen Sätzen gegenseitig erkennen.
Beruflich: Bereits in meinem ersten Semester Nebenfach-Geschichte bot mir der Lehrstuhl Alte Geschichte einen Hiwi-Job an. Zudem weiß ich, dass in manchen Manager-Seminaren mit Platos Höhlengleichnis gearbeitet wird. Scheint also was für die Karriere herzugeben.
– Würdest Du Deinen Kindern Altgriechisch empfehlen? Ja / nein / egal.
Ich habe keine Kinder und würde diese Empfehlung sehr vom einzelnen Kind abhängig machen. Einem Menschen, der am glücklichsten ist, wenn er aus Metallabfällen einen Hubschrauber baut, würde ich es nicht empfehlen. Wohl auch keinem, der sich noch nie für die Hintergründe dessen interessiert hat, was er so sieht und hört.
Aber jemandem, der schon als Kind fragt: „Mama, warum IST was?“ – ja. Einem Menschen, der „unbedingt Altgriechisch lernen“ möchte – ja!
– Gibst Du Altgriechisch im Fächerkanon bayerischer Gymnasium langfristig eine Chance? Ja / nein.
Ich fürchte nein. Wenn von Bildung immer mehr ein direkt wahrnehmbarer praktischer Nutzen erwartet wird, steht ein Fach, das im Endeffekt Grundlagen des lebenslangen Lernens vermittelt, auf verlorenem Posten.
In welchem Umfang (Grund- oder Leistungskurs) weiß die angehende Altphilologin dann selbst am besten.
Warum habe ich selbst damals eigentlich Altgriechisch statt Französisch genommen? Zum einen sicher, weil der gute alte Herr Graßl, Fachbetreuer Altgriechisch, heftig dafür warb, bei Schülern und Eltern. Seine Argumente gingen wohl in die Richtung, dass man mit Altgriechisch-Kenntnissen viel besser Medizin studieren und überhaupt ganz viele Fremdwörter aufschlüsseln könne. Halte ich für Blödsinn, aber das kapierten die Leute wenigstens.
Zum anderen war es vermutlich blanker Snobismus. Altgriechisch war etwas Besonderes, das lernte so gut wie niemand, außerdem hatte es eine Geheimschrift. Die Faszination der griechischen Mythologie mag für mich auch eine Rolle gespielt haben. Und ich sagte mir, dass ich Französisch später auch noch lernen könne, Altgriechisch aber jetzt oder nie. Wie schon bei der Wahl des Gymnasiums ließen meine Eltern mir freie Wahl.
Habe ich schon die Geschichte von der Altgriechisch-Enthusiastin in Madrid erzählt? Erst in Spanien lernte ich vor 15 Jahren endlich mal coole Altphilologen kennen. Was ich bis dahin an deutschen Lehrstühlen gesehen hatte, lag an Verstaubtheit nur knapp über Priesterseminaristen. Die Gruppe Studenten von der Madrider Complutense, auf die ich während eines Übersetzungsjobs traf, brachten ihrem Fach die gleiche Leidenschaft entgegen, mit der ich Englische Literatur studierte. Außerdem konnten sie singen. Da war diese Nacht in Cáceres, als wir mit einer Gitarre unterwegs waren und aus einem Fenster ein Saxophon erklang. Wir sangen hoch, und die Sax-Spielerin sah aus dem Fenster….. andere Geschichte.
Unter diesen Altphilologen war eine junge Frau von der Schönheit einer persischen Prinzessin; nennen wir sie Isabel. Sie kam aus ärmsten Verhältnissen, war aber eine so überragende Studentin, dass sie auch ihren Vater mit ihren Stipendien durchfüttern konnte.
Nach ersten Abschlussprüfungen unterrichtete Isabel ein Jahr an einer Schule Latein, zusätzlich Altgriechisch als rege besuchtes Wahlfach. Doch dann strich die Schulleiterin das Griechisch-Angebot zugunsten eines moderneren Faches und behauptete, die Nachfrage sei zu gering gewesen. Isabel begann, um ihr Lieblingsfach zu kämpfen. Im Lateinunterricht nahm sie griechische Mythologie durch und lockte mit mehr. Als aufgrund dessen Eltern die Schulleitung um eine Wiedereinführung des Faches baten, verbot die Direktorin Isabel, Werbung für Altgriechisch zu machen. Daraufhin ließ Isabel T-Shirts mit altgriechischen Zitaten drucken und trug sie in der Schule. -¿Esto que quiere decir?- fragten die Schüler sie auf den Gängen, „was heißt das?“. Isabel sagte es ihnen, erklärte die Buchstaben und woher das Zitat stammte. Doch die Schulleitung blieb hart, und so bot Isabel Altgriechisch unentgeltlich in der Mittagspause an – vor vollen Bänken.
Spanische Altphilologen 1989 (ohne Isabel)