Kann etwas zu richtig sein?

Dienstag, 29. Juli 2008 um 12:33

Bei diesem Berlinbesuch habe ich mir das Stadtviertel Prenzlauer Berg genauer angeschaut.
Als erstes schlugen mir die Bestätigungen der Klischees entgegen: Biomärkte, Cafés, junge Feinkostgeschäfte, Innenausstattungs-, Design und Handwerkslädchen – genau meine Kragenweite. Dazu kam aber als weitere Klischee-Erfüllung das dominierende Accessoire der Einheimischen: der Kinderwagen. Mit der logischen Folge, dass all die wunderschönen Cafés am Sonntag völlig baby- und kinderverseucht waren, und zwar in einem Maß, für das mir in München nichts Vergleichbares einfällt.

Die Gegend sieht genau so aus, wie ich es mir wohl vor 15 Jahren erträumt hätte: „Guck mal das Haus da, da könnte man richtig was draus machen – nicht so steril und totsaniert wie die westdeutschen Innenstädte in den 80ern, sondern sorgsam und ganz auf den Charakter und die Historie des Hauses abgestimmt, so, dass die Vergangenheit durch das Ergebnis noch durchscheint.“ Ich und Leute wie ich hätten sich nämlich auf keinen Fall sauberes und abwaschbares Stadtviertel erträumt, sondern ein lebendiges – lieber den ursprünglichen Straßen- und Gehwegbelag erhalten und dafür Schlaglöcher in Kauf genommen; das viele Grün erhalten, gerne ein paar runtergeschraddelte Häuser dazwischen stehen lassen. Und genau so wirkte das Viertel heute auf mich. Hat sogar noch das Quäntchen Graffiti, Vandalismus, Angeknackstheit, das die Idylle perfekt macht.

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Kann etwas zu richtig sein?“

  1. Rüdiger meint:

    Alles nur eine Frage der Zeit. In den nächsten Jahren werden Sanierungssatzungen gecancelt und der Rest auch noch luxus-saniert, dann können sich Familien den Stadtteil nicht mehr leisten und Ruhe kehrt ein. Schön heute verlassen Familien den Prenzlauer Berg.

  2. Kai meint:

    Schon mal daran gedacht, dass ein “lebendiges Stadtviertel” und kein “sauberes und abwaschbares” daher kommt, dass dort LEBEN herscht? Sprich: Kinder! Dass das Leben von der Mischung der Generationen herkommt? (Ich kenne nichts lebloseres, als Gesellschaften reiner Erwachsener. Statisch und tot, nur ums eigen Zentrum kreisend)

    Naja, bald sind ja wie angesprochen die Eltern wieder weg und Kinder “verseuchen” auch die Cafés nicht mehr und das kinderlose Gesocks kann schön still und ungestört darin langsam verwesen. Viel Spaß? :-P

  3. Lesabendio meint:

    Ich weiß ja nicht, wo ihr so wohnt oder was ihr so über den Prenzlauer Berg wisst … das ist eine Hochverdienersiedlung, die extrem angesagt und hipp ist. Nix mit “da ziehen die Familien weg” – die Familien sind ausreichend wohlverdienend, um sich da gemütlich einzukaufen. Wer wegzieht, gehört im Normalfall zur “Altbevölkerung” aus DDR-Zeiten – die Mieten sind nämlich inzwischen so hoch, dass sich das ein Normalsterblicher teilweise kaum noch leisten kann. Gut, mag sein, in München würde man darüber lachen, aber so weit ich weiß, hat München das in Deutschland mit Abstand teuerste Pflaster.

    Wie auch immer, im Prenzlauer Berg ist ein Kinderwagen ein Statussymbol und man sollte tunlichst den richtigen haben …

  4. Greenbay meint:

    Baby- und kinderverseucht, ts ts ts, sie kann es nicht lassen. Für mich genau so verabscheuenswürdig, als hätte sie “ausländerverseucht” geschrieben.

  5. muzz meint:

    Sie hat “Jehova” gesagt!

  6. Rüdiger meint:

    Sicher ändert sich das. Wenn man die heutigen Probleme mit denen vor 10 Jahren vergleicht:

    berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/0506/none/0016/index.html

    Wie wird es in 5-6 Jahren aussehen? Wer dort wohnt, ist mobil. Anders als in München ist die Entwicklung in Berlin nicht stabil. Ich habe mal gelesen, dass Berliner deutsche Meister im Umziehen sind. Das mit den Familien im Prenzlauer Berg ist eine Sondersituation – auch weil die Mieten vor 10 Jahren erschwinglich waren.

    Der Trend geht woanders hin:

    morgenpost.de/printarchiv/berlin/article705245/Familien_verlassen_die_Innenstadt.html

    Was München anbelangt: Dort sind die Einkommen erheblich höher. Prenzlauer Berg? Relativ zum Rest der Innenstadtviertel sicher – aber “Wohlverdienend” ist was anderes. Sihe München.

  7. die Kaltmamsell meint:

    Herr Greenbay, bitte kommentieren Sie hier nicht mehr. Sie äußern hier seit Jahren Ihre Abneigung, tun Sie das künftig in einem eigenen Blog.

  8. Modeste meint:

    Dieser Artikel kursierte vor einigen Monaten bei meinen – samt und sonders in P’berg oder Mitte ansässigen – Freunden und Kollegen. Das dürfte es ungefähr treffen. Indes – die Perfektion mag etwas Schauerliches haben, aber woanders zieht’s einen dann doch auch nicht hin.

  9. Sebastian meint:

    Lass uns mal in Haidhausen zu Mittag essen, beim Stehitaliener am Eck vom Bordeauxplatz. Und dann zur Latte-Macchiato-Stunde eine Runde Cafe Solo, Kinderküche, Cafe Sirup. Du wirst staunen, wieviele schicke Kinderwägen es in München geben kann. Mehr noch, zumindest präsenter als in den Kaufmannsladenvierteln Glockenbach und Gärtnerplatz.

  10. mediokra meint:

    In Ergänzung zu Sebastian: Preysinggarten Sonntagspätmorgen … man versteht sein eigenes Wort nicht vor lauter Kindergeschrei. Überhaupt stelle ich mir den Prenzlauer Berg so ähnlich wie genau diese Ecke in München vor.

  11. die Kaltmamsell meint:

    Interessanterweise war Haidhausen tatsächlich die eine Münchner Ecke, an die mich Prenzlauer Berg am ehesten erinnerte. Allerdings kenne ich diese Gegend nur unter der Woche und damit mit weniger Babys und Kindern.

  12. 2nd, female meint:

    Sehr interessante Beobachtungen, war lange nicht mehr in Berlin. Der von Frau Modeste empfohlene Artikel nicht minder. Tolerant sein, wo keine Toleranz nötig ist, Kinderwagen als Mitte der Welt, obwohl gar nicht viele Kinder: passt wohl in jeder europäischen Stadt auf mindestens ein Quartier.

    Wenn wir die Kompostchübeli-Segregation, wie ich unsere solchen Quartiere zu nennen pflege, weil man sie in der Schweiz anhand der putzigen Kopostbehälter auf den Fenstersimsen erkennt, verhindern wollen, müssen wir mittelfristig die Städte und langfristig die Menschen anders bauen. Leicht wird das nicht.

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