Archiv für Juni 2009

Journal 1. Juni 2009

Dienstag, 2. Juni 2009

Ich ziehe die Bezeichnung „Journal“ vor, „Tagebuch“ impliziert zu sehr Seelenentblößung und Vertraulichkeiten.

Es ist keineswegs das Internet, das meine sozialen Kontakte beschneidet, sondern Sport. Das Pfingstwochenende bescherte mir drei freie Tage am Stück, die sich geradezu aufdrängten als Möglichkeit, Menschen zu besuchen (ich winke nach Bern, nach Wien, nach Düsseldorf, Essen, Hamburg, Berlin). Internet hätte ich ja mitnehmen können. Doch beim Aufkommen der Idee einer Reise, dachte ich sofort: Aber dann kann ich ja nicht Schwimmen, Isarlaufen, Stepaerobic-Hüpfen!

Heute also mittags Aerobic, davor in der medizinischem Muckibude ein wenig Gewichteheben. Mein Fitnessstudio schüttelt zwar den Kopf über diese Zweigleisigkeit, ich könne das Krafttraining doch auch bei ihnen absolvieren, doch in dieser Hinsicht leiste ich mir kapriziösen Aberglauben: Die medizinische Muckibude hat mich von Rückenschmerz und Bandscheibenvorfallsangst erlöst, mich zudem stark genug für eine Wiederaufnahme regelmäßigen Schwimmens gemacht – das bedeutet was.

Zu meinem großen Bedauern kam ich nicht radelnd an die Sportstätten: Am Freitag war das Bremsseil meines Fahrrads gerissen (beim Bremsen vor einer roten Ampel – mein Schreckjuchzer müsste bis zu den Alpen getragen haben), mein samstäglicher Reparaturversuch gescheitert. Und so musste ich mich daran erinnern lassen, dass feiertags die U-Bahn ganz besonders schräge Gestalten transportiert.

Ein wenig crosstrainiert (ich bevorzuge die Geräte am Fenster und genieße den Ausblick), in der Stepaerobicstunde die üblichen Meschuggenen angetroffen, die sich an einem sonnigen Feiertag nichts Schöneres als Stepaerobic denken können.

Wie geplant kam ich genau nach Ablauf der 20 Stunden Gehzeit für das Topfbrot nach Hause. Ich kann ekelhaft durchorganisiert sein.

Nahrung: Café con leche, Spargel vinaigrette, Bananen mit Joghurt, Walnusszopf, Weinbrot mit Ziegenbutter, Schokolade, Lammkoteletts mit Blattsalat und frischem Topfbrot, Crème brûlée mit Limbeck Chardonnay Beerenauslese Reserve 1995
Wetter: englisch bunter Himmel mit langen sonnigen Episoden, Jackentemperatur, trocken

Kriterien für extremistische Organisationen

Montag, 1. Juni 2009

Oh, es hat sich sehr gelohnt, dass der Mitbewohner das SZ-Magazin aus der Altpapiertonne fischte. (Ich hatte es versehentlich mit zeitungsbegleitendem Unkraut, aka Prospekten, weggeworfen.) In meiner Lieblingskolumne „Gewissensfrage“ sollte Kolumnist Rainer Erlinger beurteilen, ob in einem Fragebogen als Angabe über frühere Mitgliedschaften in extremistischen Organisationen die katholische Kirche aufgeführt werden sollte.

Nun wird die katholische Kirche in Personalunion vom Staatschef des Vatikans geführt, einer absoluten Monarchie, die ähnlich wie die Kirche selbst weder Gewaltenteilung noch Demokratie kennt – beides elementare Grundzüge unserer Verfassung. Frauen wird in Kirche wie Vatikan der gleichberechtigte Zugang zu höheren Ämtern verwehrt, sexuelle Minderheiten werden verfemt und diskriminiert. Zudem sind die hiesigen leitenden Geistlichen, obwohl aus deutschen Staatskassen bezahlt, undemokratisch zustande gekommenen Weisungen aus dem theokratischen Kleinstaat zu Gehorsam verpflichtet. Und so manche ihrer Äußerungen scheinen, wenn auch nicht direkt sicherheitsgefährdend, so doch stark polarisierend. Insgesamt zeigt sich an vielen Stellen also eine deutliche Abweichung von Gesellschaftsverständnis und Menschenbild unserer Verfassung. Letzteres gründet zwar auf dem christlichen Menschenbild, hat sich jedoch im Hinblick etwa auf Eigenverantwortung, Freiheit und Gleichheit gegenüber dem der katholischen Kirche offenbar deutlich weiterentwickelt.

Hier zur ganzen Kolumne.

Passt wunderbar zu meinem Zucken, als ich gestern Herrn Ratzingers Warnung vor der „Verschmutzung des Geistes“ hörte und mich fragte, was denn bitte Religion anderes sei.

Virtuell schmirtuell

Montag, 1. Juni 2009

Ich möchte in der linken Spalte der Vorspeisenplatte künftig anzeigen, was ich gerade lese. Also fragte ich das Blogheinzelmännchen nach Möglichkeiten, die nicht gleich ein Abtauchen in den Maschinenraum des Blogs erfordern. Wie immer biss das Heinzelmännchen sofort an, sehr wahrscheinlich geht das neue Feature noch heute online. Bei dieser Gelegenheit wies mein Helferlein mal wieder darauf hin, dass das Design der Vorspeisenplatte noch exakt das Provisorium ist, das er zum Start vor fast sechs Jahren gebastelt hatte.

Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mit der Gestaltung meines Blogs genauso umgehe wie mit der Gestaltung meiner Wohnung: Einmal alles nach hauptsächlich funktionalen Gesichtspunkten aufgebaut, und dann nur noch Details geändert. Umgestaltung, um einfach „mal was Neues“ auszuprobieren? Ach komm, in der Zeit könnte ich viel spaßigere Dinge tun. Außerdem, so rede ich mir ein, ist das ungelenke Aussehen der Vorspeisenplatte sicher bereits so bei den Lesern und Leserinnen etabliert, dass man fast schon von Marke sprechen könnte.

„Mal was Neues“ wird es also auch künftig hier nur in den Inhalten geben. Ich habe das Tagebuchbloggen von Herrn Mek Wito und Frau Modeste so sehr genossen, dass ich es ebenfalls einen Monat lang einsetzen möchte. Der Juni ist dafür vielleicht nicht der allerpassendste, weil ich einige Tage auf einem Seminar verbringen werden, aber das nehme ich eben als besondere Herausforderung. Ich bin sicher, dass ich durch echtes Tagebuchbloggen beweisen kann, wie ungeheuer langweilig und spießig mein Leben ist.