Auszeitjournal Freitag, Samstag, Sonntag, 17. bis 19. August – Kreuzberg, Rudel

Montag, 20. August 2012 um 21:28

An den vergangenen Tagen machten mir andere Tätigkeiten mehr Spaß als Bloggen, deshalb erst jetzt eine Zusammenfassung.

Freitag sahen der Mitbewohner und ich uns in Teilen Kreuzbergs um (bitte um Verzeihung, wenn ich die Abgrenzung der einzelnen Stadtteile nicht einhalte). Da es vormittags noch ausgesprochen frisch war, machte ich mich so auf den Weg.

Wir starteten unseren Rundgang mit dem Türkenmarkt am Maybachufer. Wie erhofft traf ich auf einen Markt, wie ich ihn in München nicht mal ansatzweise kenne: Nicht nur Obst, Gemüse, orientalische Feinkost, sondern auch Stoffe, Kurzwaren, Backwerk, frische Kräuter, Fisch, Schuhe, Fleisch, Haushaltsgeräte – ich war begeistert von dieser Mischung aus Wochenmarkt und Dult.

Den Landwehrkanal hatte mir im Winter vor zwei Jahren creezy nahegebracht; es war sehr angenehm, in der langsam auch wärmenden Sonne sommers daran entlang zu schlendern.

Auf dem Weg zur Oranienstraße stolperten wir in den Prinzessinnengarten. Erneute Begeisterung, diesmal über die Idee, eine Brache mit ungeheurer Ausdauer in Gemüsegärten zu verwandeln, und über ihre Umsetzung.

Die Pflanze im Vordergrund trägt Artischocken!

Zu Mittag wünschte sich der Mitbewohner Chinesisches in der Mingh Dynastie, Brückenstraße gegenüber der Chinesischen Botschaft. Es gab Auberginen mit Hackfleisch aus dem Tontopf (köstlich), “Duft-Wurst” mit Zuckerschoten (vorzüglich, wenn auch deutlich weniger exotisch als erwartet), gedämpften Rinderpansen mit schwarzen Bohnen (der Pansen für meinen europäischen Geschmack reichlich bissfest – da das bei meinen beiden vorherigen Bestellungen in chinesischen Restaurants in Deutschland und England ebenso war, nehme ich an, dass das so gehört).

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Abends begann ein zweitägiges Treffen mit drei Bloggerinnen aus verschiedenen Teilen der Republik, im Weiteren “Rudel” genannt. Es war so großartig, Frauen, deren Texte ich seit Jahren lese, deren Lebenswege ich so lange verfolge, zwei Tage am Stück zu erleben. Zu beobachten, ob sie ihren Kaffee als Espresso oder Soja-Latte trinken. An welchen Stellen sie lachen. Wie sie gehen. Und wie ungeheuer viel sie wissen und können neben den Fragmenten, die sie auf ihren Blogs, auf Twitter sichtbar machen (eine Folge ist, dass ich mit einer langen Linkliste und zahlreichen neuen Apps auf dem Smartphone heimkam). Dass sie sich aus ganzem Herzen einander zuwenden und unterstützen. Es war ungeheuer flauschig. (Außerdem habe ich erlebt, wie gestandene Frauen den Ausdruck “Alta” treffsicher einsetzen.)

Den ersten Abend verbrachten wir mit gemeinsamem Trinken, Kochen, Essen.

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Am Samstagmorgen verschaffte mir ein Teil des Rudels mein erstes Erlebnis in Bikram-Yoga. Die Trainerin wies mich gewissenhaft ein und betonte, Ziel dieser Kennenlernstunde sei lediglich, die gesamten 90 Minuten im Raum zu bleiben. Ich ahnte nicht, wie schwer allein schon dieses Ziel zu erreichen war: Nach 20 Minuten begann in der feuchten Hitze mein Kreislauf zu protestieren, und zwar schon bald in einer Deutlichkeit, die ich zuletzt mit 16 erlebt hatte. Kurz darauf war mir schwindelig und übel, und obwohl ich mich setzte und nur noch wenige Übungen mitmachte, donnerte mein Puls mit einer Vehemenz gegen meine Schädeldecke, dass ich eigentlich lieber sterben wollte. Im Raum zu bleiben, war nicht wirklich schwierig – ich war mir eher nicht sicher, ob ich es je wieder hinaus schaffen würde. Was mich noch mehr beeindruckte: Sonst bekomme ich als recht gut trainierter Mensch meinen Puls nach 90 Minuten selbst heftigem Ausdauertraining innerhalb weniger Minuten auf Ruhe; diesmal dauerte es fast eine halbe Stunde, bis das Herzschlagdonnern gegen die Schädeldecke aufhörte. Ohne mich in irgend einer Weise mit medizinischen Hintergründen befasst zu haben: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gute Zeichen sind.

Meine Bikram-Initiatorin kümmerte sich sehr um mich, lud mich auch auf mein erstes Kokoswasser ein: Überraschend unsüß, dafür frisch und völlig frei von der leicht seifigen Note, die Kokosprodukte meist haben.

Yoga allerdings interessiert mich jetzt. Um herauszufinden, ob das etwas für mich ist, werde ich mich darum bemühen, eine Stunde bei normaler Temperatur mitzumachen.

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Das Gesamtrudel traf sich zu Morgenkaffee und Picknickeinkauf in Friedrichshain bei Proviant. Diese Ecke sieht genau so aus, wie ich mir vor 20 Jahren das wilde Berlin vorstellte (niedelich!), entsprechend hoch war die Touristendichte. Das Proviant stellte sich als ganz hinreißendes Feinkostgeschäft heraus, das uns ein atemberaubendes Picknick zusammenstellte: Pestos und Sößchen, Butter, Salamis, Käse, verschiedene Oliven, Antipasti, das Brot gleich in Scheiben geschnitten. Frisches holten wir uns zusätzlich am Markt auf dem Boxhagener Platz. Mit all diesen Köstlichkeiten ließen wir uns nachmittags im Treptower Park nieder – und schlemmten, bis die Sonne schräg stand.

Wandschmuck im Proviant.

Abschluss des Parknachmittags wurde der Besuch des Sowjetischen Ehrenmals – wie so viele totalitäre Monumentalistik gleichzeitig beeindruckend und gruslig (ich fühlte mich arg an das Valle de los caídos erinnert).

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War der Samstag schon hochsommerlich warm gewesen, versprach der Sonntag echte Brüllehitze. Der Plan deshalb: Besuch des Badeschiffs, und zwar ganz früh am Morgen vor dem Ansturm der Massen, gleich bei Öffnung um acht.

Auf dem Weg dorthin (als ich am Vorabend ins Hotelbett gestiegen war, hatte der Mitbewohner bereits geschlafen, als ich das Hotel verließ, schlief er noch – das hatte ich auch noch nie) stellte ich fest, dass Berlin wirklich rund um die Uhr belebt ist: Bereits um 7.30 Uhr saßen Menschen Zeitung lesend in den Straßencafés am Mehringdamm.

Das Badeschiff war sensationell: In einem poolblauen Becken auf der Spree zu schwimmen, gegenüber die Halle, in der das Blogmich 2005 stattgefunden hatte (mittlerweile schick renoviert), die Spree runter Monumentalkunst. Wir schwammen und sonnten uns und schwammen wieder – großartig.

Frühstück gab es am nördlichen Prenzlauer Berg, bevor der erste Teil des Rudels sich verabschieden musste. Der Rest spazierte in immer heftigerer Hitze über den Flohmarkt auf dem Arkonaplatz. Und verschaffte mir ein weiteres BOAH-Erlebnis: Cappuccino bei Bonanza. Es ist wirklich keine Modeerscheinung, dass sich Menschentrauben vor einem kleinen Laden bilden, der eigentlich nur Kaffee verkauft (in einer Kiste werden ein paar süße Teilchen dazu angeboten). Der Cappuccino war so kräftig, aromatisch, mild und rund (inklusive einer leichten Rumnote), dass ich mir sofort ein Pfund der Kaffeebohnen holte, mit denen er zubereitet war.

Schon gestern Abend war ich traurig darüber, wieder nur über Twitter mitzubekommen, wie es dem Rudel gerade geht, nicht mehr per Blick ins Gesicht.

die Kaltmamsell

17 Kommentare zu „Auszeitjournal Freitag, Samstag, Sonntag, 17. bis 19. August – Kreuzberg, Rudel“

  1. Usul meint:

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  2. Gaga Nielsen meint:

    Das ist sehr schön zu lesen. Die Picknickbilder sind ganz wunderbar.

  3. iv meint:

    … es gibt wohl noch ein anderes Berlin als das, das ich seit zweieinhalb Jahren mit wachsender Verachtung bewohne. Manchmal stehe ich sogar vor dem Spiegel, durch den man da wahrscheinlich schlüpfen müsste (Türkenmarkt, yes…), aber irgendwie habe ich doch nie den Eingang gefunden.

  4. Mel meint:

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    Gerne gelesen

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  5. Micha meint:

    Urlaub in Deutschland kann so schön sein – man muß es nur wie Madame Kaltmamsell machen! Der Rudel bleibt namenlos?

  6. Lu meint:

    ah- auf dem kreuzbergmarkt war ich letztes jahr auch noch. da flippte der hund am stand mit den natürlichen schaffellen aus und blaffte die gerüche an :)

  7. die Kaltmamsell meint:

    Ich nehme an, iv, dass der Unterschied zwischen Besuchen und Wohnen liegt. Als Bewohnerin käme ich vermutlich mit Seiten der Stadt in Kontakt, die meine Berlin-Rüschen schnell zerstörten.

    Es waren diese Damen, Micha.

  8. leilalena meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell,

    ein schnelles Wort an Sie: ich lese Ihren Blog schon seit Jahren – eine Dozentin an der LMU hat Sie in einem Seminar über Blogkultur an uns weiter gegeben und seitdem (und seit meiner Seminararbeit damals spätestens!) bin ich treue, aber stumme Leserin.

    Der eigentliche Grund meines Schreibens: normalerweise kein Berlinfan, sondern mit gesundem Skeptizismus gegenüber all der Größe bringen mich die letzten Blogeinträge sehr zum Staunen und Schmunzeln und machen mir Lust auf eine Berlinreise.

    Danke für die inspirierenden Einträge bisher und weiterhin!

  9. claudia meint:

    also ich würde es ja nochmal versuchen mit dem bikram yoga.in münchen gibt es sicher auch das 10 tage angebot und mit der hitze lernt man wirklich umzugehen(mit der zeit)
    ansonsten vielleicht ein gutes iyenga yoga studio suchen.iyenga ist schön präzise und wenig”eso”.viel spass beim yogen!

  10. Berliner Göre meint:

    @iv: Ich kann dazu nur sagen, wie man sich bettet, so schläft man.
    Wenn man die Stadt doof finden will, hat man sicherlich reichlich Gelegenheit dazu (wie in anderen Städten übrigens auch). Meckern ist eben einfacher als sich etwas anzustrengen. Denn das Berlin ein wunderschöner Ort zum Leben ist (wie in anderen Städten übrigens auch), zeigt doch der nur kurze Besuch der Kaltmamsel.
    Vielen Dank für das Aufzeigen der schönen Seiten der Stadt, und wer es möchte, der wird noch tausend andere schöne Orte und Oasen in Berlin finden (und das nicht nur als Tourist).

    Hauste!

  11. Alice meint:

    @Berliner Göre
    In Berlin kommt es extrem auf das Stadtviertel an, in dem man wohnt (“Kiez” hat für mich immer noch einen abwertenden Klang). In der Regel sehe ich morgens die U-Bahn/S-Bahn für die Fahrt von 15 Minuten ins Regierungsviertel und abends zurück, meist nicht vor 19.00 Uhr. Viel Zeit zum Finden und Besuchen der Oasen bleibt da nicht. Um so wichtiger ist, dass man sich in seinem Wohnumfeld wohlfühlt und alle Dinge findet, die einem wichtig sind. Denn die Wege sind in Berlin lang, zu lang. Leider ist das Wohnen in den besseren, weil interessanteren, Gegenden auch preislich sehr gestiegen.

  12. Mareike meint:

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    Gerne gelesen

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  13. philine meint:

    Das Ehrendenkmal wirft groteske Erinnerungen hervor: Februar1990, also kurz nach derWende war ich dort. Der Platz war entgegen heute nur Plattenbeton, kein Busch, Baum oder sonstwas weit und breit.Allerdings stand inmitten eines sehr strengen Ostwindes ein Verkaufswagerl mit Soljanka und einer Brühwurst, die wir probierten, nicht um des Probieren willens, sondern aus Hunger. Und wir hätten es besser sein lassen. Die Brühwurst bestand zu 99 % aus Fett, die Soljanke war scheußlich….

  14. Allabouteve1950 meint:

    War das Ihr erster Yoga-Versuch? Wenn ja, dann haben Sie sich mit Bikram-Yoga aber auch gleich eine Hardcore-Version ausgesucht.

  15. Berliner Göre meint:

    @Alice: jaja, so kann man sich auch rausreden. Die anderen haben es immer schöner als ich etc.
    Mir gehen nur langsam diese ganzen Berlinnörgler auf den Senkel. Aber meist sind das eh die Leute, die sich bespaßen lassen wollen und nicht selber aktiv werden. Nun gut. Wie ich schon im obrigen Artikel schrub, wer was zu meckern in Berlin sucht, der findet garantiert schnell was. Das will ich nicht abstreiten, aber es gibt einfach zu wenige, die die schönen Seiten darstellen. Und von diesen gibt es jedenfalls jede Menge (in jedem Stadtteil/Stadtviertel)… sachichma.

  16. Barbara meint:

    Dieses besonders hübsche Kleid war mir schon beim happyschnitzel aufgefallen. Wer auch immer es getragen hat – große Verneigung!
    Und als Münchner Schwimmbadbesucherin kann ich kaum glauben, dass ein derart attraktives Schwimmbecken wirklich sooo leer war. Beneidenswert.
    Danke für diesen schönen Eintrag.

  17. maike meint:

    Liebe Kaltmamsell,

    ich komme erst jetzt dazu, den Text zu lesen. Beim Anblick des Picknicks und vor allem der Bilder vom Badeschiff, treibt es mir die freudige Gänsehaut auf die Arme. Es war wunderschön.

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