Auszeitjournal Samstag, 25. August 2012 – Gesamtfamilie

Sonntag, 26. August 2012 um 9:40

Es war bedeckt am Morgen, in der Nacht hatte es heftig geregnet. Dennoch traute ich mich zum Laufen nicht nach Thalkirchen isaraufwärts: An einem Samstag im Sommer reicht bedecktes Wetter nicht, die Horden Mountainbiker drinnen zu halten, die ich dort fürchte. Also lief ich von der U-Bahn-Haltestelle Universität durch den Englischen Garten zur Isar und drehte Richtung Unterföhring meine Runde, nur einmal kurz angeduscht von Regentropfen.

Nach dem absichtlichen Duschen verließ ich das Haus so:

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Derzeit ist italienische Familie bei meinen Eltern zu Besuch: die Schwester meiner Mutter und deren Tochter, also meine Kusine, inklusive der nächsten Generation, des Kusinensohns. Damit wir alle einander mal anschauen konnten, hatte mein Bruder zu Kaffee und Kuchen in seinen Garten geladen. Dort herrschte im Gegensatz zu 70 Kilometern weiter südlich schönstes Sommerwetter.

Man bekundete einander, wie gut man aussah, meine Tante betonte wie bei jeder Begegnung, wie sehr ich ihrer anderen Tochter ähnelte (und jedes Mal ruft sie das aus, als fiele es ihr eben erst in diesem Moment zum ersten Mal auf – ebenso wie ich jedesmal erkläre, ich hätte noch nie eine Ähnlichkeit feststellen können), der Kusinensohn wurde auch im Alter von fünf noch gefüttert.

Ich sprach die Tante auf meine Erinnerung an, wie sie mir als Kind ein kleines bisschen Kochen beigebracht hatte. Doch es stellte sich heraus, dass sie davon nichts wusste, sogar bestritt, jemals selbst Tortellini angefertigt zu haben. Glauben Sie mir also künftig kein Wort, wenn ich von meiner Kindheit erzähle. (Allerdings war ihre eigene Kochphase wohl ohnehin ein vorübergehender Lebensabschnitt, eng verknüpft mit einer vorübergehenden Ehe und der vorübergehenden Mitgliedschaft in einer weit verzweigten, sizilianischen Familie mit vielfältigen Koch- und Esstraditionen. Heute lebt die Tante begeistert von Fertiggerichten und schwärmt für Tiefkühl-Apfelstrudel.)

1970 sah die Schwester meiner Mutter so aus:

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Auf der Rückfahrt Dorothy Parkers Best of ausgelesen. Parker beschreibt die klischeeüblichen Pärchenzickigkeiten zwischen Männern und Frauen so genau und unausweichlich, dass ich es nach der Lektüre für eine Weltrettungsidee hielt, die Geschlechter künftig getrennt zu halten.

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München empfing uns mit einem Wolkenbruch, der bis in die Nacht anhielt.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Auszeitjournal Samstag, 25. August 2012 – Gesamtfamilie“

  1. Barbara meint:

    Liebe Kaltmamsell,
    in diesem Sommer habe ich zwei ganz wichtige Dinge von Ihnen gelernt:

    1. Ich gehe trotz Wampe im BIKINI so oft wie möglich ins wunderbare und seit Jahren
    nicht mehr besuchte
    2. Maria-Einsiedel-Bad (früher von meinen Kindern aufgrund von noch mangelnden
    Sprachfertigkeiten schlicht Einzelbad genannt).

    Herrlich dieses Bad am Morgen und bis um 14 Uhr die Meute einbricht, Glücksgefühle, wenn man durch den wunderbaren Kanal schwimmt. Durch jahrelanges Badeanzug tragen gab´s natürlich den Mega Sonnenbrand auf der Plauze, aber das war es wert :-)

    Ach ja, und
    3. praktiziere ich Ihre Weltrettungsidee seit Jahren und bin damit trotz besorgter Nach-
    fragen recht zufrieden damit :-)

    Vielen Dank für Ihren bereichernden Blog und schöne Grüße
    Barbara

  2. walküre meint:

    Ich ziehe es vor, weiterhin Ihnen mehr Glauben zu schenken als Menschen, denen offenbar eine gewisse Tendenz zur Verdrängung zu eigen ist.

    Diese Anekdote hat mich sehr an ein Erlebnis in meiner Verwandtschaft erinnert. Die zukünftige Schwiegermutter eines Sohnes einer entfernten Verwandten verhielt sich diesem Sohn und seiner ganzen Familie gegenüber sehr übel, weil sie der festen Überzeugung war, dieser Sohn samt Anhang sei bei weitem nicht gut genug für ihre Tochter (was nun wirklich nicht stimmte); dieses Verhalten dauerte noch Monate nach der Hochzeit an (die Frau hatte sich sogar geweigert, der Trauung beizuwohnen). Kurze Zeit später übersiedelte ich in ein anderes Bundesland; erst ein paar Jahre später traf ich die Verwandte im Zuge einer größeren Geburtstagsfeier wieder und erkundigte mich aus echter Anteilnahme heraus bei ihr, ob sich denn die Wogen mittlerweile geglättet hätten. Sie sah mich an, als wäre ich geisteskrank und meinte dann völlig überzeugt, es hätte ja eh nie Probleme gegeben (Ich war aber sogar selber einmal Zeugin des unbestreitbar unangebrachten Verhaltens der Schwiegermutter geworden.).
    Im ersten Moment war ich sprachlos und wie vor den Kopf gestoßen, dann wütend ob dieser Verlogenheit, und im Endeffekt bin ich ihr bis zum Tod meiner Eltern aus dem Weg gegangen. Jetzt besteht ohnehin kein Kontakt mehr, und dabei wird es auch bleiben.

    (Entschuldigen Sie bitte, aber das musste jetzt offenbar raus.)

  3. die Kaltmamsell meint:

    Einzelbad! Damit haben Sie reichlich zurückgelehrt, barbara. Das Wort kommt in direkte Nachbarschaft von Kommion.

    Mich verunsichern grundsätzliche Erinnerungsunterschiede durchaus, walküre, zumal meine Mutter immer wieder mit Erzählungen von dramatischen Erlebnissen mit mir ankommt, zu deren Zeit ich schon weit erwachsen war – und von denen ich zum Schwören sicher bin, dass sie nie passiert sind.

  4. Croco meint:

    Und ich dachte, nur in meinem Genpool herrscht Vergessen.
    So befrage ich gerne auch abgelegenere Tanten über Ereignisse, die in die kollektive Familiengeschichte eingegangen sind. Es werden ganze Ehen, Affären und Streitereien schlichtweg versenkt.
    Vielleicht kann man dann besser leben damit, wer weiß.

  5. mariong meint:

    “Erinnerungsunterschiede”, sehr hübsch beschrieben. Meine Mutter und ich jedenfalls streiten uns fast bis aufs Blut um Details, die , nüchtern betrachtet, naja, man könnte es objektiv betrachtet vernachlässigen. Aber es geht nicht. Es kann doch nicht sein, dass sie ihre Untaten einfach vergessen hat und im Gegenzug mir welche unterstellt, die sie erfunden haben muss, weil, so etwas hätte ich sicher nie vergessen!

    Das muss mit dem Älterwerden zu tun haben, man erwischt sich selbst, in Schleifen gerutscht zu sein, man sagt zu den immergleichen Leuten dieselben Dinge und dann, wenn noch ein Funke Verstand aufflackert zum 1001. Mal “oh, hab ich dir das schon erzählt?” um die Antwort zu erhalten “nein, das hör ich zum 1.Mal”.

    Da steckt ein wenig “und immer grüßt das Murmeltier” in uns allen.

  6. Chris Kurbjuhn meint:

    Ich habe da ein ähnliches Problem mit Gerichten, die meine liebe, verstorbene Mutter zu kochen pflegte. Ich erinnere mich an mindestens drei verschiedene Fisch-Aufläufe, u. a. einen mit Spargel und Parmesan sowie einen mit Speck und Tomatenmark. Diese Gerichte sind meinen Geschwistern vollkommen unbekannt. Die erinnern nur einen Fisch-Auflauf, den wiederum ich niemals auf dem Teller hatte.
    Vermutlich fängt man nach einer gewissen Anzahl von Jahren an, sich die eigene Vergangenheit so zurechtzubiegen, bis sie schließlich passt.

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