Früh vom Wecker geweckt, denn ich hatte einen Termin.
Über dem Morgenkaffee erst mal auf Twitter nachgelesen, wie der Marsch der Fliehenden vom Budapester Bahnhof aus weiterging; in meiner Timeline wurden Berichterstattende vor Ort retweetet, ebenso die Koordination von Bürgerhilfe in Wien. Etwa 1200 Menschen waren zu Fuß zur Grenze nach Österreich aufgebrochen, nachdem ihnen die ungarischen Behörden die Weiterfahrt per Zug verwehrt hatten. Die sanitären und humanitären Zustände am Bahnhof waren schon seit vielen Tagen untragbar. Endlich hatte Ungarn Busse bereit gestellt. Doch die Fliehenden trauten den ungarischen Behörden nicht mehr und fürchteten, dass sie statt nach Österreich wieder in ein abgelegenes Lager gebracht werden sollten: Erst als Journalisten und Journalistinnen mit einstiegen, füllte sich der Konvoi.
Am Wiener Westbahnhof war den ganzen Freitag über Hilfe koordiniert worden: Die Tausende Menschen wurden wohl organisiert erwartet.
Während sie weiterfuhren nach München, nahm ich mir endlich mal wieder Zeit, bei Diakonia Spenden zu sortieren. (Die Frau auf dem Websitefoto ist Nicole. Sie schmeißt die Kleiderkammer, verbringt dort gerade auch ihr Wochenende, erklärt geduldig und unermüdlich, strahlt eine mitreißende Freude und Energie aus.) Ich hatte mich vor zwei Wochen angemeldet, da war die Helfendenliste für den Tag schon fast voll gewesen.
Im Januar war die Sammel- und Sortierstelle der Diakonia noch an der Dachauer Straße gelegen, im Nordwesten Münchens. Inzwischen ist sie umgezogen, ich radelte weit hinaus in den Osten nach Trudering. Zu meiner großen Erleichterung regnete es nicht wie angekündigt, sondern war nur kühl und bedeckt.
Wir Helfenden wurden diesmal zackig angeleitet: Wir hätten einen Notfall, Tausende Flüchtlinge würden noch am selben Tag am Münchner Hauptbahnhof erwartet. Dringend benötigt würden Oberteile und Hosen für Männer in den Größen S und M, deshalb wurden wir gebeten, die Kleiderspenden danach zu sortieren. Alles andere wurde grober sortiert, Kleidung in sofort verwendbar oder nicht, Schuhe, Hygieneartikel, Kuscheltiere, Gürtel, Spiele und Weiteres in extra Behälter. Auch diesmal wurden hohe Ansprüche an die Kleidungsstücke gestellt, die den Fliehenden angeboten wurden: Nichts Beschädigtes oder Verschmutztes (sie haben kein Flickzeug und keine Möglichkeit Wäsche zu waschen), nichts Abgetragenes (Ärmel-, Kragen- und Hosenkanten!) und Ausgewaschenes – eine Frage von Respekt und Würde. Die bei der Prüfung ausgemusterte Kleidung, so wurde uns immer wieder versichert, würde anderer Weiterverwertung zugeführt, von Reparatur und Verkauf bis Faserverwertung, zum Teil durch andere Stellen der Diakonia, zum Teil durch Partner. Die finanziellen Einnahmen dieser Verwertung würden für den Zukauf von dringend Benötigtem verwendet, gestriges Beispiel war Herrenunterwäsche.
Es war wieder ein sehr fröhliches Sortieren, Hand in Hand mit unterschiedlichen Menschen, in einer sehr produktiven Atmosphäre, in der sich jeder verantwortlich fühlte, volle Säcke zu schließen und weiterzutransportieren, neue zu besorgen und zu beschriften, den anderen nicht im Weg herumzustehen. Unter den Helfenden einige, denen deutlich anzuhören war, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache war – wenn das mal keine perfekte Integration ist.

Immer wieder öffneten wir Spendensäcke und Koffer, die die Hilfeaufrufe eindeutig zum schlichten Kellerausmisten genutzt hatten: Dreckige Schuhe, verschimmelte Schuhe, völlig verdreckte Kleidung, ein originalverpacktes Hundebett, Stofffetzen kamen uns entgegen (Koordinatorin Nicole deutete noch weniger appetitliche Funde in der Vergangenheit an). Es fiel mir schwer, auch dahinter guten Willen zu sehen.
Dann wieder ganze Ladungen offensichtlich kaum getragener Kleidung, frisch gewaschen duftend und liebevoll zusammengelegt. Wenn sie dann noch die gestern gesuchten Größen hatten, ging schon mal ein Freudenjuchzer durch die Halle.
Am Nachmittag radelte ich wieder trocken zurück. Die 20-Uhr-Tagesschau meldete, dass am Samstag bislang 2700 Fliehende am Münchner Hauptbahnhof eingetroffen waren, nochmal so viele erwartet würden.
Es ist so großartig, wie viele Menschen helfen wollen – ich habe die Hoffnung, dass in unserer Gesellschaft gerade wirklich etwas passiert. Aber es wäre auch klasse, wenn die Hilfe in erster Linie hilft und nicht in erster Linie dem Hilfeimpuls der Helfenden folgt. Einfach an den Hauptbahnhof zu fahren und zu erwarten, mit anpacken zu können, ist zum Beispiel keine gute Idee (auch wenn die Dutzenden Münchnerinnen und Münchner, die den Ankommenden applaudieren, wirklich wichtig sind).
Hier ein Appell auf Facebook:
Wenn die Lager also zum Bersten voll sind, macht es keinen Sinn die eigene Spende mit Gewalt noch irgendwo unterbringen zu wollen. Das hilft nicht, sondern macht Arbeit und stiehlt Zeit.
Wenn Helferlisten voll sind, braucht man nicht anrufen oder einfach vor der Tür stehen um die Verantwortlichen zu überzeugen, einen doch noch “mitspielen” zu lassen. Auch das verursacht nur unnötigen Stress und nimmt Zeit in Anspruch, die sinnvoller genutzt werden könnte.
Privates Verteilen von Spenden etc. vor Unterkünften mag einem selbst ein tolles Gefühl bescheren, weil man in die “strahlenden Augen” Einzelner blickt, ist aber im Normalfall nicht fair und verursacht oftmals große Probleme.
Wenn Sie in München helfen wollen: Unter anderem das Portal muenchen.de aktualisiert laufend Hinweise und Tipps.
(Ich habe noch einen Freund im Ohr, der Anfang des Jahres seine Management- und Organisationsexpertise Hilfsorganisationen ehrenamtlich anbot und vergnatzt war, dass man diese nicht annahm: “Ich geh doch nicht Kleider sortieren!” Es mag meine innere brave Befehlsempfängerin oder meine innere Kibbuznik sein: Ich lasse mir gerne von den Organisatoren mit Überblick sagen, wo Anpacken gerade am dringendsten gebraucht wird und stelle mich zur Verfügung.)
Wie es weitergeht? Nein, ich glaube nicht, dass die Zukunft mit Tausenden Geflohenen und Entwurzelten in Europa einfach wird. Aber ich bin überzeugt, dass sie für alle bereichernd zu schaffen ist.
Was diesmal niemand behaupten können wird: Sie hätten nichts gewusst.
Und wie die hiesigen Geschehnisse der vergangenen Wochen wohl bei den Fliehenden ankommen? Sie sehen meiner Einschätzung nach in erster Linie Freiheit und Demokratie. Sie sehen: Selbst wenn Behörden versagen wie in den ersten Wochen mit einer anscheinend unerwartet großen Anzahl von Ankömmlingen, helfen Bürger. Weil sie frei sind, weil sie gewohnt sind, dass sie eigenständig handeln dürfen, weil sie nicht in Gewalt und Unterdrückung leben.
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Auf dem Heiweg kaufte ich noch ein wenig ein. Herr Kaltmamsell ist auf Reisen, so probierte ich abends das Rezept “One Pot Pasta” aus, das seit einiger Zeit durch mein Internet geht. Zumal @vinoroma gute Erfahrungen damit gemacht hatte.
Bei mir war das Ergebnis ein Desaster, schon nach drei der neun Kochminuten begannen die Spaghetti beim Umrühren zu verpomfen, bei gleichzeitig dunkler (=roher) Farbe. Zum Schluss hatte ich Nudelbrei.

