Journal Freitag, 18. Oktober 2019 – Daniel Mendelsohn, Matthias Fienbork (Übers.), Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich

Samstag, 19. Oktober 2019 um 8:47

Mendelsohns Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich, übersetzt von Matthias Fienbork ausgelesen. Das Buch war ein Geschenk von Buchhändlerin und Autorin Pia Ziefle für Herrn Kaltmamsell und mich, und bei mir schon mal: Volltreffer.

Mendelsohn, studierter Altphilologe, erzählt die Geschichte seiner Beziehung zu seinem Vater anhand der Odyssee nach: Er hat dazu ein Uni-Seminar gegeben, an dem sein Vater, Mathematiker und damals schon Rentner, gebeten hatte teilzunehmen. Die Beschäftigung mit Homers Epos bringt die beiden auch dazu, gemeinsam eine Themen-Kreuzfahrt auf den Spuren der Odyssee zu unternehmen. Dabei lernt man gleich viel über antike griechische Epen, die Geisteshaltung dahinter, und über eine amerikanisch-jüdische Familie, die sich Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem Kleinbürgertum hocharbeitet.

Ich las das Buch gefesselt wie schon lange nicht mehr, es hatte mir so viel zu sagen. Zum einen rief es Erinnerungen an meinen eigenen Griechischunterricht wach, vor allem an den Leistungskurs bei Richard Nusser. Er war damals ein junger Lehrer, wir waren sein erster Leistungskurs (der größte Kurs dieses Jahrgangs, aber schon damals war Altgriechisch an Gymnasien ein rares Randgebiet – 2004 habe ich einen nostalgischen Text darüber gebloggt). Vielleicht glich der Stil, in dem Herr Nusser seinen Kurs leitet, deshalb dem universitären Seminarstil, wie ihn Mendelsohn beschreibt – weil er selbst so frisch von der Uni kam. Wir fühlten uns ernst genommen, in keiner Phase meiner Schulzeit wuchs ich so viel.

In diesem Handlunsgsstrang vermittelt Mendelsohn durch die Passagen, die er im Seminar bespricht, und durch die Unterrichtsgespräche die Struktur der Odyssee, Hintergründe über Schlüsselbegriffe, auch die heutigen Reaktionen und Lesarten, daneben seine eigene Studiengeschichte mit Homer.

Zum anderen ist das hier aber auch ein Buch über seinen Vater Jay – wie der Titel schon sagt. Ein schwieriger Mensch, geprägt durch die brutale Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das brachte mich zum Nachdenken über meinen eigenen Vater, gerade weil er in so vieler Hinsicht anders ist als der beschriebene. Parallelen sah ich in der jetzigen Lebensphase, in der die Fürsorgerichtung sich langsam von Elternfürsorge für Kinder zu Fürsorge für die alternden Eltern dreht.

Mal wieder erinnerte ich mich an den Vorsatz, mir das Leben meiner Eltern von ihnen systematisch erzählen zu lassen – am liebsten in Gegenwart ihrer Enkel, denn es geht ja nicht nur um die Erinnerungen als Familiengeschichte, sondern auch um das Erlebnis des Erzählens.

Ein weiteres Thema des Buchs: das Lehren. Mendelsohn denkt an seine eigenen Lehrerinnen, Mentoren, sinniert, dass es immer spannend ist, wer aus einem Seminar Lebensveränderndes mitnimmt. Und er ist sich dessen bewusst, dass oft der oder die Lehrende am meisten von einem Kurs profitiert.

Ich kann schlecht beurteilen, wie das Buch bei jemandem ohne jeglichen Bezug zu Homer ankommt – kann mir aber vorstellen, dass es sogar ein guter Einstieg sein kann. Also: Große Leseempfehlung. (Die deutsche Übersetzung schien mir angemessen, nur an wenigen Stellen stolperte sie, an denen ich besonders amerikanische/umgangssprachliche Ausdrücke im Original vermute).

Hier eine lesenwerte Besprechung auf Geophon mit Interview-O-Tönen.

Im Guardian lobt Emily Wilson die Meisterschaft der Erzählstruktur und die Originalität des Buchs:
“An Odyssey by Daniel Mendelsohn review – a father, a son and Homer’s epic”.

Memoirs about reading are an interesting hybrid, located somewhere between criticism and personal recollection. An Odyssey is a stellar contribution to the genre – literary analysis and the personal stories are woven together in a way that feels both artful and natural.

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Es war keine Wunderheilung über Nacht eingetreten, nach dem Weckerklingeln am Morgen meldete ich mich in der Arbeit krank. Ich stand zwar auf, um mit Herrn Kaltmamsell Milchkaffee zu trinken, doch nachdem ich ihn in den zweiten Tag seiner Fortbildung verabschiedet hatte, ging ich zurück ins Bett – und schlief nochmal ein paar Stunden (sicheres Zeichen für Krankheit, womit ich beruhigt war und meinem Körper glaubte, dass ich mich nicht nur anstellte und blau machen wollte). Um die Mittagszeit fühlte ich mich fit genug für Dusche und Straßenkleidung, auch für ein bisschen frische Luft: Draußen war nochmal ein heller, goldener und warmer Oktobertag. Ich machte eine kleine Einkaufsrunde zum Basitsch (für den Abend war mit Herrn Kaltmamsell Hiehnebriehe mit Tortellini verabredet, deren Zutaten besorgt werden mussten) und merkte, dass ich mal besser sehr langsam ging.

Daheim hatte ich dann richtig Hunger. Es gab ein Laugenzöpferl, dazu den ersten Granatapfel der Saison (Vitamin C!) mit Joghurt. Ich trank heißen Ingwer, dann war ich wieder bettmüde. Nochmal zwei Stunden tiefer Schlaf.

Erleichterung, dass meine Hüfte in den letzten Tagen zumindest beim Schlafen nicht zickte und ich mich im Bett nicht auch noch damit herumschlagen musste. Insgesamt litt ich ohnehin nicht allzu sehr, außerdem hatte ich den Eindruck, dass die Erkältung den Zeitraffer einlegt hatte: Bereits am ersten vollerkälteten Tag zeigten sich alle Phasen von Rachenweh über Rotz bis Husten.

Wieder wach buk ich Bagels und setzte das Huhn auf: Angebräunte Zwiebel, als Suppengrün nahm ich von den Gemüseresten, die wir in der Gefriere sammeln, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, Pfefferkörner, Salz.

Als Herr Kaltmamsell abends heim kam, war die Brühe fertig, ich schöpfte sie in einen eigenen Topf und erhitzte darin die gekauften Tortellini mit Ricottafüllung.

Danach gab es noch ein wenig Hühnerfleisch, außerdem Schokolade. Krankheitsgemäß früh ins Bett, ich begann die Lektüre von Margaret Atwoods The Testaments.

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In einem Interview lassen sich die Politikwissenschaftlerinnen Judith Götz und Eike Sanders fragen:
“Rechter Terror: Sind Männer das Problem?”

via @annalist

Judith Götz: Es handelt sich dabei um Männer, die an einen Maskulinismus appellieren. Frauen werden dabei als Opfer konstruiert und Männer als Beschützer, die den imaginierten Untergang aufhalten können, indem sie sich zur Wehr setzen. In diesem paranoiden Wahn scheint dann oft jedes Mittel recht. In ihrer Vorstellung hat der Krieg längst begonnen. Diese Weltsicht appelliert insbesondere an Männer.

Frau Sanders, ist diese Weltsicht neu, oder gibt es sie schon immer?

Eike Sanders: Die Figur, dass der Mann berufen ist, die Frau und damit den Volkskörper zu beschützen, ist alt. Neu ist, dass der Feminismus und Gender-Theorien und die Auflösung der Geschlechterordnung, die als „natürlich“ apostrophiert wird, als Feindbild explizit in den ansonsten sehr dünnen Manifesten der Attentäter auftaucht.

(…)

Judith Götz: Antifeminismus hat für die extreme Rechte auch viele Vorteile. Unter dieser Klammer kommen viele unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammen. Diese kommen auch aus der Mitte der Gesellschaft, sie verteidigen die Dichotomie der Geschlechterordnung. Viele Menschen erleben das als Orientierung und Beruhigung. Alles andere wird als bedrohlich wahrgenommen. Antifeminismus hat dadurch eine Brückenfunktion zwischen der Mitte und Rechts.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Freitag, 18. Oktober 2019 – Daniel Mendelsohn, Matthias Fienbork (Übers.), Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich

  1. Evi meint:

    Weiterhin schnelle Genesung.

  2. Nina meint:

    Gute Besserung!

  3. Norman meint:

    Wenn schon diese Unmöglichkeit Suppe + Glasteller, dann bitte ich um ein Foto von unten.

  4. maik meint:

    Schokolade. Hilft in allen Lebenslagen.

  5. Hauptschulblues meint:

    @Norman: Dann sehen Sie die Tischplatte, unpoliert und gelackt, von unten.

  6. Norman meint:

    Die Rückseite der Suppe, bitte, das kann doch nicht so schwer sein.

  7. vered meint:

    Die Hiehnerbrieh und die Ingwerbrieh sollen Sie rasch gesunden lassen!

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