Archiv für Oktober 2019

Journal Donnerstag, 10. Oktober 2019 – Nachklappe

Freitag, 11. Oktober 2019

Nach einer guten Nacht sah der Himmel zwar düster aus, es war Regen angekündigt, doch ich kam trockenen Fahrrads in die Arbeit.

Über den Tag regnete es immer wieder. Mittags Butterbrot aus Selbstgebackenem, nachmittags eine kleine Papaya und ein halber Eiweißriegel.

Besprechungsaussicht in die andere Richtung (die Alpenkette links war noch zu sehr im Gegenlicht).

Abends sollte in meiner Nach-Reha die erste Einheit Progressive Muskelentspannung stattfinden, doch ein Anruf der Rehastation sagte diese ab. Ich wurde auf weitere Gruppengymnastik umgebucht, die diesmal von einer aufmerksamen und kompetenten Vorturnerin geleitet wurde (Übungen mit Sitzball zur Stabilisierung).

Ich radelte durch herbstfrische Luft unter mondhellem Nachthimmel heim, dort gab es Ernteanteilsalat mit weiterem Butterbrot und Schokolade.

Wohltuendes Entspannungsbad vor dem Schlafengehen. Das Einschlafen allerdings empfindlich behindert durch eine große Gruppe Menschen, die auf der Straße irgendeine Gaudi mit lautem Rufen inszenierten. (Als ich nach einer Viertelstunde angezogen einschreiten wollte und runterging, sah ich sie nur noch weggehen, auch gut.)

Nachklappe:

1. Durch den Gerichtsprozess am Dienstag war mir aufgefallen: Plädoyers können ein hervorragendes Beispiel für Framing sein. Die Fakten und Aussagen liegen ja vor, in ihren Plädoyers stellen Staatsanwaltschaft und Verteidigung diese aber unterschiedlich dar, wählen aus, priorisieren, zeigen sie in verschiedenem Licht, verschiedenen Bezügen zueinander. Am Dienstag zum Beispiel gab es in den Plädoyers kleineres Gehackel um das Etikett “luxuriös” für einen bestimmten Umstand des Sachverhalts – nicht strafrechtlich relevant, doch ein bestimmtes Framing.

2. Downton Abbey. Ich nehme meine Kritik an der historischen Schieflage der verwendeten Sprache zurück. Diesen Anspruch habe ich ja auch nicht bei Filmen, die im Alten Rom spielen oder im Bayern zur Zeit der Welfen.

§

Gestern in jetzt:
“‘Und zu diesem deutschen Volk gehöre ich dazu?’
Nach dem rechtsradikalen Terroranschlag in Halle haben wir mit Jüdinnen und Juden über Antisemitismus in Deutschland gesprochen.”

§

Interview in der New York Times:
“‘I’m Too Old to Be Scared by Much’: Margaret Atwood on Her ‘Handmaid’s Tale’ Sequel”.

via Bingereader

Sie sagt wieder Weises:

Both Offred in “The Handmaid’s Tale” and Aunt Lydia in “The Testaments” wonder if anyone will ever read the words they set down, if their stories will matter. I wondered if that reflected your own views on writing and your desire to connect with readers, and your fear that maybe your work won’t have an impact.

That’s true of every writer. Every writer. Even as you write, I see you writing away there, what if your editor kills your piece? Then you will never have a reader. Every time when you set implement to surface, I won’t even say pen to paper, because it could be a stone, it could be a tree, you’re implying a reader, and it’s always a future reader, unless the person’s standing looking over your shoulder. The writer is always in that position because you’re always separated in time and place from whoever’s reading your book. It’s always a leap into the unknown future to write anything.

Aber lieben tue ich Margaret Atwood hierfür:

It sounds like you don’t feel a lot of pressure to write more, like you’ve got nothing left to prove.

It’s just that there isn’t a lot of time left. And that’s why they’re going so wild over the promotion of this book. I know what they’re thinking. They’re thinking, What if she dies? Ooh, we better do it now. Go all out. Last chance. I say that and they just sort of blush and shuffle their feet. They can’t deny they’re thinking of it.

§

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https://youtu.be/3jSD-8F5AzY

via Joël

(Oh bittebitte lass das gut sein! Ich brauche dringend einen Nachfolger für Love Actually – leider hat sich nämlich in meiner Wahrnehmung in den Vordergrund geschoben, wie ungut praktisch alle Beziehungen darin sind. Ausnahme vielleicht grad noch die Freundschaft Daniel-Karen.)

Journal Mittwoch, 9. Oktober 2019 – Regentag mit Busgeschichten

Donnerstag, 10. Oktober 2019

Gute Nacht mit wenig Schmerz und tiefem Schlaf.
Ich wachte zu Regenrauschen auf. Also nahm ich wieder den Bus – diesmal mit dem Highlight des stillen, freundlichen Busfahrers in XXL-Format, der eine aufgeregte Auswärtige mit bekrakeltem Zettel in der Hand zur richtigen Haltestelle lotste und ihr nachsah, bis sie auch wirklich in die richtige Richtung lief, der der Mutter mit Kind vor mir aber auch mir beim Aussteigen sanft einen schönen Tag wünschte. (Alles künftige Figuren in dem Roman, den ich nie schreiben werde.)

Einerseits war es nur eine Frage der Zeit, andererseits erstaunt mich, dass das erst jetzt kommt: Ich fuhr an Werbeplakaten vorbei, die Körperpflegeprodukte speziell für tätowierte Haut anpriesen. (Dann wieder: Seit vielen, vielen Jahren tragen junge Mädchen und junge Frauen ihr Haar fast ausschließlich lang – und erst seit ca. zwei Jahren werden gezielt Langhaar-Pflegeprodukte beworben. Vielleicht ist die Kosmetikbranche so geeicht darauf, körperliche Makel und Probleme zu erfinden, gegen die es dann Produkte verkaufen kann, dass sie erst lernen muss, dass Menschen auch darauf anspringen könnten, Schönes durch Pflege wertzuschätzen?)

Es regnete den ganzen Tag durch, in nassen Gardinen.

Die gute Nacht hieß gar nichts, diesmal war es am Tag, dass mich die Schmerzen am meisten plagten, diesmal ausnahmsweise hauptsächlich im Sitzen.
Ich sehe langsam einen roten Faden. Wenn ich weiterhin der Aussage meines Körpers vertraue, dass es a) die Hüfte ist, b) massive Verspannungen der dortigen Muskulatur – dann waren ja Vorläufer Schmerzen beim Gehen und in der LWS-Muskulatur, die ich versucht habe durch Körperspannung zu kompensieren, vor allem durch Anspannen der unteren Bauchmuskulatur. Wie ich ja grundsätzlich seit vielen, vielen Jahren auf Körperspannung geeicht bin, im Grunde seit meinem ersten Tanzkurs mit 16. Das wurde schließlich in jeder Sporteinheit als Basis vorgegeben und kam meiner hochtourigen, angespannten Grundhaltung entgegen. Dass das als Gegenspieler sozusagen Dehnung und Entspannungstechniken erfordert, ist an mir vorbeigegangen oder wurde von Vorturnerinnen und Vorturnern nicht betont.

Stehen tat meinen Schmerzen gestern nicht gut, aber jetzt habe ich doch diesen höhenverstellbaren Schreibtisch, der mich stündlich erinnert, 5 Minuten im Stehen zu arbeiten, sonst leuchtet ein Licht böse gelb, also stand ich halt jede Stunde. Mehr muss man wahrscheinlich über mich nicht wissen.

Mittags eine Breze und Hüttenkäse mit einer Birne aus Ernteanteil – letztere zwar nicht so saftig, wie ich meine Birnen gerne habe, aber eine Geschmacksbombe.

Wilder Arbeitstag, ich war an Feierabend erschöpft. Da es einerseits weiterhin regnete, andererseits der Süßigkeitenbestand im Hause bedrohlich niedrig lag, nahm ich eine U-Bahn zum Stachus und kaufte dort reichlich Supermarktsüßigkeiten.

Daheim gabe es restlichen Cocido und aufgewärmte Quitte vom Vorabend, dann passten gar nicht mehr so viele Süßigkeiten hinterher.

Die Heißwasserlage war weiterhin unsicher, zum einlaufenden Entspannungsbad kochte ich vorsichtshalber zwei Töpfe Wasser. Bad tat gut, anschließendes Dehnen bleibt nahezu unmöglich.

§

Wie war das nochmal mit Geschlechtsunterschieden bei kleinen Kindern, die hormonell bedingt sein sollen?
“Das Märchen vom frühen Testosteron-Anstieg”.

via @fraeulein_tessa

Daten aus einer großen kanadischen Studie, für die Hormonspiegel von 1234 Heranwachsenden zwischen null und 18 Jahren gemessen wurden, belegen: Nach dem ersten Lebenshalbjahr ist bis zur Pubertät auch bei den Jungs erst einmal Testosteron-Flaute. Der Testosteron-Spiegel liegt während dieser gesamten Hauptphase der Kindheit nahe null.

(…)

Etwas anderes ist für die Neurowissenschaftlerin dafür umso klarer: „In einer Welt, die im Baby zuallererst ein Mädchen oder einen Jungen sieht, verstärken sich Geschlechterdifferenzen, so subtil sie zunächst auch sein mögen, sehr rasch.“

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Hilflosigkeit und Trauer: Gestern wurde in Halle eine Synagoge brutal angegriffen. Für den Spiegel erklärt Veronique Brüggemann
“Ausgerechnet Jom Kippur”.

Antisemiten wollen jüdisches Leben in Deutschland unmöglich machen:

Journal Dienstag, 8. Oktober 2019 – Nachdenken über Zusammennehmen

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Ungute Nacht, Aufwachen mit migränoidem Kopfweh. Krankmelden war aus verschiedenen Gründen nicht drin, also eine weitere Übung in Zusammennehmen. (Wäre ich spirituell veranlagt, interpretierte ich meine schmerzhaft verknoteten Hüftmuskeln vielleicht als körperliche Manifestation eines jahrzehntelangen Zusammennehmens, das ja nichts anderes ist als Bekämpfung meiner angeborenen Faulheit und Schlechtigkeit, nichts anderes als Im-Zaum-Halten von Schlamperei und Schlendrian. Dann wäre jetzt die ideale Medizin eine Spritze Schlendrian intramuskulär.)

Zum Glück regnete es nicht mehr, ich konnte radeln.

Ein Besprechungstermin verschaffte mir einen seltenen Anblick die Hansastraße runter.

Das Rad brauchte ich nämlich am Nachmittag: Ich war wieder als Schöffin zum Amtsgericht vorgeladen. (Die Kopfschmerzen waren bis dahin zum Glück weg.) Am Eingang wurde ich ungewohnt streng kontrolliert – fand gestern irgendein besonderer Prozess statt? Vorm Verhandlungssaal traf ich wieder auf die Schöffin, mit der ich bereits zweimal verhandelt hatte. Wir musste eine ganze Weile warten, denn unsere war die letzte Verhandlung in einer Reihe seit dem Vormittag, es hatte wohl Verzögerungen gegeben.

Herr Richter erklärte uns, worum es gehen würde: Betrug, der Beschuldigte hatte Hotelübernachtungen nicht gezahlt (“Eingehungsbetrug”) und war mit der Bahn schwarzgefahren – beides in vielen, vielen Fällen. Doch schon die erste Schilderung der Sachlage machte klar, wozu die Verhandlung dienen würde: Der Herr hatte von scheinbar nichts auf gleich fast zwei Jahre lang Betrug an Betrug gereiht – was war nur passiert?

Das erwies die Verhandlung tatsächlich, und ich war wieder davon berührt, wie sehr es in Strafgerichtsverhandlungen um Menschen geht. Klar ist da eine Straftat, klar wird sie nach dem Strafgesetzbuchs strukturiert und eingeordnet, gemäß Prozessrecht untersucht. Doch dabei steht immer Menschenliches im Vordergrund: Welche Aspekte des Menschlichen waren bei all dem relevant? Ein Richter, eine Richterin muss sich in enorm kurzer Zeit ein Bild von dem/der Beschuldigten machen – und bislang war ich sehr beeindruckt, wie nachvollziehbar das Ergebnis jeweils war, wie geschickt, einfühlsam und offen der Richter/die Richtern fragten. Gestern war es sehr schnell allen Beteiligten inklusive der Staatsanwältin ein Anliegen, dem Beschuldigten neben einer Strafe auch eine Zukunft mitzugeben.

Beim Heimradeln in milder Luft dachte ich an dem Zusammennehmen und Verknoten und dem Schlendrian weiter: Eigentlich hatte ich seit Monaten geplant, gestern Abend die halbjährliche Infoveranstaltung eines bestimmten, in Arbeitsnähe gelegenen Qi-Gong-Anbieters zu besuchen. Denn Qi Gong hatte mir in der Reha gefallen und gut getan, außerdem hatte ich Herrn Kaltmamsell dafür interessiert, der mitkommen wollte. Ein Anfängerkurs mit wöchentlichen Qi-Gong-Stunden hätte dann am Mittwoch der kommenden Woche begonnen. Doch nun überlegte ich, ob ich mir da nicht zu viel aufhalste: Schließlich bin ich noch bis Anfang nächsten Jahres an die wöchentliche Reha-Einheit abends gebunden, Physio-Termine müssen untergebracht werden, noch habe ich große Hoffnungen, mein Theaterabo in dieser Spielzeit wirklich wahrzunehmen – und dann eine zusätzliche wöchentliche Verpflichtung? Vielleicht würde mir Qi Gong bei einem Start in einem halben Jahr noch viel besser tun. Ich plante um. (Zudem stellte sich heraus, dass auch Herr Kaltmamsell in einem halben Jahr besser Zeit dafür haben würde.)

Also statt Programm ein gemütlicher Restabend. Herr Kaltmamsell hatte Jamón-Brühe (Sie erinnern sich an den ganzen Jamón von vergangener Weihnacht? Brühe hat er aus dem Knochen gemacht) aufgetaut und damit schlichten Cocido madrileño gemacht, also ohne zusätzliches Fleisch, sondern nur mit geschmacksgebendem Tocino, Chorizo, Morcilla. Köstlich.

Zum Nachtisch garte ich die Riesenquitte in Alufolie im Ofen und servierte sie mit Joghurt und Honig – genauer je ein Viertel für jeden, weil bereits die tellerfüllend waren. Und wenn ich schon am Schwänzen war, schwänzte ich auch das abendliche Entspannungsbad (zudem war das Heißwasser noch nicht wieder zuverlässig hergestellt).

§

Nochmal der Ossi.
Ich finde es ziemlich naheliegend, dass mich zerstörerische, antidemokratische Bewegungen in dem Staat bewegen, dessen Pass ich an Grenzen vorweise – ob in meiner Geburtsstadt Ingolstadt (letztes Jahr verlinkte ich diesen Artikel) oder in Leipzig.

Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung schreibt im Kreuzer:
“Die Tiefe der DDR
Warum wählen Ostdeutsche besonders oft rechts?”

via @holgi

Verbissen werden positive Bilder gegen den ignoranten Westen verteidigt, heftig wird die Zurücksetzung nach 1989 beklagt, intensiv wird am möglichst widerspruchsfreien Bild des Ostdeutschen gebaut. Der Grund dafür ist recht simpel und verweist zugleich auf die Virulenz, aber auch Aufgeladenheit der Debatte: Sie dockt eben nicht unmittelbar an die ostdeutsche Freiheitsrevolution von 1989 an, sie beginnt nicht mit dem Niederringen von Diktatur, Mauer und Stacheldraht, sondern sie setzte bereits 2015 ein, als im Osten der Bundesrepublik, insbesondere in Sachsen, die rechte Regression in einer neuen (alten) Qualität zu wüten begann. Ist der Osten, der Ossi besonders rechtsextrem?

(…)

Der Kern des ostdeutschen Rechtsrucks nahm seinen Ausgang ausgerechnet in den Stadien des DDR-Fußballs, breitete sich vom Berliner BFC Dynamo auf weitere Stadien aus. Nicht zufällig jedenfalls ist die lange Geschichte rechter Fankultur bei Lokomotive Leipzig bis in die Jetztzeit, etwa im Umfeld von Legida, dem Sturm auf Connewitz oder den gewalttätigen Angriffen auf einen Türsteher auf Mallorca in jüngster Zeit lokalisierbar und historisch eingeordnet verlängerbar. Auch der ostdeutsche Antifaschismus stammt, mit etwas zeitlichem Versatz, noch aus den Tiefen der DDR. In Potsdam, Halle und anderswo entstand im antifaschistischen Staat eine staatsunabhängige Antifa. Der im Angesicht rechter Übergriffe etwa auf die Berliner Zionskirche auch längst sichtbare gewalttätige Rechtsradikalismus hatte das Entstehen einer staatsunabhängigen Antifa hervorgerufen und wirkt, als Gegenwehr gegen rechte Hegemonieversuche, bis heute spezifisch fort.

Auch die Revolution von 1989, die lange – und von ihrer Intention her auch zu Recht – als friedliche Freiheitsrevolution gefeierte Erhebung gegen die Herrschaft der SED, zeugt von jener frühen Teilung. Natürlich war der Ruf »Wir sind das Volk« zunächst ein emanzipatorischer, ein Aneignungsruf, der das »Wir« der Bevölkerung gegen das »Die« der Obrigkeit im Arbeiter-und-Bauern-Staat zurückforderte. Aber es gab eben auch 1989 jene, und Peter Richter berichtet davon in seinem wunderbaren Roman »89/90«, die schon 1989 das »Wir« mit dem »Volks«gedanken zu einen suchten – durchaus in einem völkischen Sinne: »Die Vorstellung eines ethnisch homogenen Volkes war an der Oberfläche zunächst kaum sichtbar, zeigte ihre Virulenz aber schon in den rassistischen Pogromen der frühen 1990er Jahre und jüngst in der Welle fremdenfeindlicher Hetze und Gewalt gegen Migranten sowie in den Wahlerfolgen der AfD«, so kürzlich der Historiker Ralph Jessen.

(…)

Es ist dies eine unbequeme Sicht auf die Lage in Ostdeutschland, die dreißig Jahre nach 1989 natürlicherweise zur Einordnung herausfordert. Und es ist, mit Blick auf Aufarbeitungs- und historische Verarbeitungsprozesse, auch ein normaler Effekt. Belastete Vergangenheiten, davon zeugt der beiderseitige Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte, werden erinnerungslogisch häufig abgespalten, Schuldigkeiten delegiert, Vorwürfe umgedreht. Das ist ein normaler Prozess der Erinnerungskultur, der am Anfang solcher Debatten steht. Aber um das zu brechen, ist es wichtig, sich mit offenem Visier der Vergangenheit zu stellen, sie anzunehmen, die sprichwörtlichen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Das aber findet im selbstethnisierenden Teil der Diskussion um Ostdeutschland nicht statt, im Gegenteil, an ihren Extrempunkten gemeindet die AfD die »Wende« ein und in der populären Debatte wird der ostdeutsche Opferdiskurs gepflegt und mit einer westdeutschen Schulddebatte angereichert.

Apropos:

Zum Thread.

Noch aproposer:
Christian Gesellmann ist mit seinem Buch Ostdeutschland verstehen auf Lesereise und berichtet auf Krautreporter aus dem Osten:
“Die DDR war eine extreme Leistungsgesellschaft, das wird heute oft vergessen”.

Auf was die Verkäuferin hier so subtil anspielt, ist ein offensichtlich extrem präsentes Konzept davon, was ein „ordentlicher Mensch“ macht, und was nicht. Dazu gehört zum Beispiel zeitig Aufstehen und Abendbrot um sechs, und wer sich nach acht noch Bier im Konsum kauft statt zu Hause dem Schlaf entgegen zu fernsehen, mit dem muss ja irgendwas faul sein. Wer um 11 Uhr vormittags beim Bäcker immer noch Guten Morgen sagt, obwohl doch „schon beinah Mittag ist“, der muss ein Lotterleben führen. Wer in seinem Beruf nicht genug verdient, der ist selber schuld, wenn er nicht lieber was anderes macht. Wer seinen Zug verpasst, der ist nicht rechtzeitig aufgestanden. Wer müde ist, der ist nicht rechtzeitig ins Bett gegangen. Wer nach zehn noch Musik hört, ist ein Assi. Wer dick ist, kann sich nicht beherrschen. Wer auf die Fresse kriegt, der wird es schon irgendwie verdient haben, und wer vergewaltigt wird, hat sich wahrscheinlich wie eine Schlampe angezogen.

Journal Montag, 7. Oktober 2019 – Abenteuer Busfahrt

Dienstag, 8. Oktober 2019

Es regnete gestern Morgen in Strömen. Normalerweise hätte ich mich in meine Gummstiefel gestellt und wäre unter einem Schirm in die Arbeit gegangen, doch diese drei Kilometer traue ich mir und meiner schmerzenden Hüfte derzeit nicht in guter Zeit zu. Ich hatte bereits meinen Regenponcho zu dem Gummstiefeln hervorgekramt, um missmutig darunter in die Arbeit zu radeln und überlegte, ob ich mich überhaupt schminken sollte, wenn der Regen gleich sowieso die ganze Kunst verwischen würde – als mir die Buslinie 62 einfiel: Anders als die U-Bahn erfordert diese Verbindung zwischen Sendlinger Tor und Heimeranplatz kein Umsteigen, und ich wollte sie eh mal ausprobieren.

Ergebnis: 30 Minuten von Tür zu Tür und damit fünf Minuten weniger als fit zu Fuß. UND es gab Abenteuer, die damit begannen, dass mit mir an der Haltestelle ein paar Oktoberfestreste warteten. Dann verhalf mir der weitschweifende Verlauf der Linie zur Entdeckung der Schlachthof-Friseure (mutige Benamsung – und genau das Gegenteil der typisch launigen Friseurnamen sonst), außerdem finde ich jetzt zur Alten Utting (hatte ich durchaus auf dem Stadtplan lokalisiert, aber mich immer gefragt, wo genau das sein sollte). An der Haltestelle Poccistraße stieg ein großer Pulk sehr diverser Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 13 und 16 ein, die alle Französisch sprachen (die beiden direkt neben mir machten schnell noch Spanisch-Hausaufgaben). Für einen Rollifahrer klappte der Busfahrer die Rampe aus. Ein kleines Mädchen lief mit dem Duft frisch eingepackter Brotzeit an mir vorbei. Kurz: Ich bekam wirklich etwas geboten für mein Geld.

Anstrengender Arbeitstag.

Der Regen hörte am Nachmittag auf. Da ich auf dem Heimweg noch ein wenig einkaufen wollte, versuchte ich ihn zu Fuß und langsam, mit viel Hüfteausschütteln und Beinaushängen vorher. Beim Vollcorner holte ich Milch aus der stählernen Kuh (die heutzutage nicht mehr so heißt, aber in den 1980ern unter diesem Namen vorerst vergeblich versucht worden war): Wegen Schlepperei werden wir zwar sicher nicht dauerhaft unseren Milchbedarf so decken, aber zumindest hin und wieder einen Teil. Außerdem besorgte ich Tomaten und Obst, darunter eine mächtige, sehr schiefe, aber angemessen duftende Quitte.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell um den Broccoli aus Ernteanteil Orecchiette.

Vor dem Schlafengehen ließ ich mir brav wieder mein Entspannungsbad ein – und stellte fest, dass es kein wirklich heißes Wasser in der Wohnung gab. Das hätte ich sonst gar nicht bemerkt, denn zum Geschirrspülen und Duschen war es warm genug. Doch ein Vollbad in lediglich warm ist zu kühl. Da ich den Heißwassermangel erst bemerkte, als die Wanne schon halb voll war, begann ich Wasser Wasserkocher-weise zu kochen und anzugießen, aber das war zu wenig: Ich setzte Töpfe mit Badewasser auf. Wie meine Oma seinerzeit.

§

Reporterin Michelle McQuigge lernt ihren neuen Blindenhund kennen:
“Hello Lucy! A reporter shares the emotional story of bonding with her guide dog”.

Lucy was born at the Seeing Eye, the oldest guide dog school in North America located in Morristown, N.J.

She spent 16 months learning basic commands and good behaviour in a home environment, then went through four months of specialized training to master commands only guide dogs need to know.

By the time I meet her in June 2019, Lucy has proven herself fully capable of keeping me safe. She’s passed tests requiring her to signal flights of stairs, flag upcoming street crossings, manoeuvre around both moving and stationary obstacles, even disobey commands that could put either of us in danger.

via @Christiane

Journal Sonntag, 6. Oktober 2019 – Ein schöner 75.

Montag, 7. Oktober 2019

Der 75. Geburtstag meiner Mutter fiel auf den gestrigen Sonntag, sie feierte mit einem ausführlichen Brunch in einem schönen Hotel.

Herr Kaltmamsell und ich fuhren durch einen kalten grauen Tag nach Ingolstadt.

Fußweg vom Nordbahnhof zum Hotel. Dort gerieten wir erst mal in die falsche Veranstaltung – ich hatte mich schon gewundert, dass wir vor einem Kellerraum von zwei Frauen an Stehtisch empfangen wurden, die unseren Namen wissen wollten.

Die richtige Geburtstagsfeier fand in einem schönen Raum mit Türen zu einer Terrasse statt. Ich freute mich sehr, den alten Freundeskreis meiner Eltern mal wieder zu sehen: In den letzten Jahren feierten meine Eltern Feieranlässe immer separat einmal mit Familie und einmal mit Freunden – ganz große Gesellschaften mochten sie nicht mehr so gern. Diesem alten Freundeskreis geht es erfreulich gut, auch wenn die ältesten bereits die 80 überschritten haben. Klar gibt es Erkrankungen und Verletzungen, doch es ist weiterhin ein fröhlicher Haufen (und alle gehen ohne Hilfe).

Es gab Feines zu essen: Erst Frühstücksbuffet, dann ein warmer Gang (Ente mit Blaukraut und Knödeln), schließlich Kuchen. Dazwischen brillierte die Bruderfamilie mit A-capella-Gesang – erst die drei Enkel (18, 16, 14) mit “Only you”, ein weing später alle fünfe mit einem umgedichteten “Don’t worry be happy” (-> “Die Oma hat Geburtstag”). Es war so schön, die Jubilarin vor Stolz strahlen zu sehen.

Draußen regnete es seit einiger Zeit ernsthaft und ausdauernd. Wir hatten keinen Schirm dabei, zurück zum Bahnhof ließen wir uns fahren.

Die Unterführung des Nordbahnhofs ist seit Kurzem professionell mit Nennung und Motiven der Ingolstädter Partnerstädte bemalt.

Und mit dem blauen Panther aus dem Ingolstädter Wappen (der im 14. Jahrhundert den Hl. Mauritius gefressen hat?).

Rückfahrt durch noch grauere Landschaft.

Da ich gestern besonders stark humpelte (Zefix!), nahmen wir die Tram nach Hause und sparten uns den letzten Slalom durch Oktoberfest-Cosplayer – jetzt ist endlich Schluss.

Daheim Räumen und Kruschen, Vorbereitungen für die Arbeitswoche. Ich raffte mich wieder zum Entspannungsbad mit anschließenden Dehnversuchen auf, meine Hoffnung auf den Nutzen schwindet. (Aber wie immer muss ich unbedingt sicherstellen, dass es nicht an mir liegt!)

Auf der Zugfahrt hatte ich den Friedrich Ani ausgelesen (na ja), im Bett las ich hinein in Daniel Mendelsohn, Matthias Fienbork (Übers.), Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich.

Journal Samstag, 5. Oktober 2019 – #WMDEDGT

Sonntag, 6. Oktober 2019

Am 5. jedes Monats möchte Frau Brüllen wissen: #WMDEDGT Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Gesammelt wird hier. Und so gibt es heute noch mehr Alltagsdetails als sonst.

Ausgeschlafen bis halb acht – das tat gut. Gleich nach dem Aufstehen die eine Qi-Gong-Schulterübung, die ich seit der Reha jeden Morgen versuche zu machen. In einen von meinen beiden Nicky-Hausanzügen geschlüpft, jetzt ist es morgens kalt genug dafür. Wie immer hatte ich am Vorabend die Cafetera gefüllt und auf den Herd gestellt, so dass ich ihn nur anschalten musste. Milch dazu mit dem Brummsummsel geschäumt, daraus große Tassen Milchkaffee für Herrn Kaltmamsell und mich bereitet, den wir wie immer an unseren jeweiligen Rechnern tranken, er an seinem Schreibtisch, ich am Esstisch.

Während der Espresso durchlief, hatte ich eine Waschmaschine mit dunkler Wäsche gefüllt und angeschaltet. Ich war mit Kopfweh aufgewacht, doch es verschwand mit einer Aspirin.

Gebloggt, dann noch die Twitter-Timeline seit Vorabend nachgelesen. Die Waschmaschine gab piepend bekannt, dass sie durchgelaufen war: Ihren Inhalt hängte ich zum Teil auf einem Klappständer im Wohnzimmer auf, zum Teil lud ich ihn in den Trockner.

Zähneputzen, Sportzeug angezogen: Erst nutzte ich ausführlich die Faszienrolle, dann wärmte ich mich zehn Minuten auf und turnte eine halbe Stunde Bauch- und Rückenübungen mit einer vertrauten Fitnessblender-Routine. Ca. 20 Prozent der Übungen hätten Hüfteinsatz erfordert, den mir die Schmerzen verwehren, während der Zeit dehnte ich ein bisschen herum.

Duschen, Schminken, Anziehen. Da es draußen greislich war, dunkel und regnerisch, wählte ich sehr praktische Kleidung: Jeans, bügelfreies T-Shirt, alten schwarzen Baumwollpulli. Für draußen schlüpfte ich in meinen Ledermantel und legte ein Halstuch um, zog feste Schuhe an.

Einkaufsrunde zu Fuß durch die Innenstadt: Nachdem ich Altglas in die Container am Nußbaumpark geworfen hatte, marschierte ich durch heftigen Regen unterm Schirm zu Hugendubel wegen einer Geburtstagsidee, holte Laugenzöpferl beim Zöttl, dann Lebensmittel (gemeinsame Einkaufsliste mit Herrn Kaltmamsell in der Smartphone-App Wishlist) beim Alnatura: Croissants und Semmeln, Kresse, Zwiebel, Zitrone, Bananen, Käse, Mehl 405, Milch, Hüttenkäse, Sahne, Feta, Räucherlachs, Kapern.

Es regnete jetzt weniger, ich machte noch einen Abstecher zum Sendlinger Tor, weil ich beim Vorbeigehen die vertraute Blumenstandlfrau gesehen hatte: Blumen für die schönste Vase.

Daheim lud ich alles ab und huschte nochmal schnell raus zum Briefkasten: Ich hatte die Post vergessen (u.a. Feedbackbogen zur Reha von der Deutschen Rentenversicherung – der mir zumindest ermöglicht hatte auch durchzugeben, dass es mir nach der Reha recht steil schlechter ging und dass nicht auf meine Bedürfnisse eingegangen worden war).

Die Blumen in die Vase drapiert.

Frühstück! Croissant mit Kirschmarmelade, Laugenzöpferl mit Chorizo, dann eine kleine Banane und eine noch vorhandene Mandarine mit Joghurt.

Eine Weile bastelte ich am Rechner Geburtstagsgeschenk, bis alles zu meiner Zufriedenheit gelöst war. Die Wäsche vom Morgen war weit genug getrocknet – oder ganz trocken aus dem Trockner -, dass ich sie gleich wegbügeln konnte.

Ich setzte mich in einen Sessel unter eine Lampe (durch die Fenster kam an diesem Regentag zu wenig Licht zum Lesen) und las die SZ vom Wochenende. Für Herrn Kaltmamsell als Leseempfehlung hob ich das Buch zwei zum Stand der deutschen Wikipedia auf, außerdem die Feuilletonseite über die vertraute Münchner Nußbaumstraße.

Beim Lesen aß ich noch eine Kürbissemmel mit Himbeermarmelade. Mir war kalt, ich wechselte in meinen neuen Kashmir-Hoodie. (Schlafzimmertür bleibt zu, Schlafzimmer ungeheizt. Was bei meiner Oma jahrzehntelang ohne Schimmelproblem funktioniert hat, sollte auch in unserer Wohnung klappen – ihr Wohnblock und der, in dem ich jetzt wohne, wurden zur fast gleichen Zeit kurz nach dem Krieg mit Ziegeln gebaut.)

Internet gelesen.

Das Abendessen wurde diesmal wieder von Herrn Kaltmamsell serviert: Chinakohl-Lachs-Nudeln.

Pflichtteil des Abends: Das Entspannungsbad. Ich hatte am Freitag einen muskelentspannenden Badezusatz gekauft, den wendete ich erstmals an. Und da ich eh schon nass und durchweicht war, zog ich Rasieren und Haarewaschen vom Sonntagmorgen vor.

Direkt zu Bett, dort noch ein wenig Buchlesen.

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Nachruf auf Karel Gott in der New York Times (auf Englisch funktionieren zum Glück keine “Gott”-Kalauer):
“Karel Gott, Pop Singer Called ‘Sinatra of the East,’ Dies at 80”.

via @AnkeGroener

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Interessantes Thema, über das ich noch nie nachgedacht habe:

Unser Autor arbeitet als Psychiater in Brandenburg und trifft öfter auf Patienten mit rechter Gesinnung. Wie soll er als Therapeut damit umgehen?

Der Artikel dazu in der taz (gestern mal wieder einen Fünfer rübergeschoben):
“Rechts im Stuhlkreis”.

via @antjeschrupp

§

Kleine Erinnerung, wo wir mit dem Brexit derzeit stehen (Ja, ich weiß: Auch mein Hirn versucht umgehend sonstwohin zu fliehen, sobald das Thema erwähnt wird. Blöderweise steckt es in meinem Kopf auf meinem Körper, und der gehört zur EU, sogar aus Überzeugung.) von Michael Spicer:
“the room next door – Liz Truss and Brexit”.

§

Ein Interview mit der wundervollen Maggie Smith von 2017:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/detAlTL9sbM

Journal Freitag, 4. Oktober 2019 – Warmschwumm und Puckfrühstück an St. Brück

Samstag, 5. Oktober 2019

Obwohl ich St. Brück feierte, stand ich früh wie immer auf: Es hätte mich geschmerzt, Herrn Kaltmamsell keinen Milchkaffee kochen zu können.

Ernsthafter Beginn der Heizperiode. Nachdem mehrere Analysen der Klimafreundlichkeit meines Lebensstils ergeben haben, dass meine weitaus größte Schwachstelle die Wohnung ist, versuche ich dieses Saison mal bewusst weniger zu heizen. Das wird bedeuten: Die Tür zu nicht genutzten Räumen zu schließen – und damit auf das Gefühle der Großzügigkeit und Fülle zu verzichten, das ich bei durchwegs offenen Türen zu allen Räumen (außer Klo) in unserer großen Wohnung immer genossen habe. Es bedeutet auch: Noch ein Pulli und noch ein Paar Socken statt Höherdrehen der Heizung. Mal sehen, ob das funktioniert, denn an manchen Wintertagen, nicht mal unbedingt den eisigsten, war das Wohnzimmer nur mit beiden voll aufgedrehten Heizungen plus dickem Pulli warm zu bekommen. (Und ich halte mich wirklich nicht für verfroren.)

Der früher Start in den Tag ermöglichte mir einen verhältnismäßig frühen Aufbruch zu ein bisschen Bewegung nicht lange nach neun: Ich radelte wieder ins warme Dantebad. Da das Wetter grau und kalt war, wählte ich den direkten Weg über die Dachauerstraße. Am leicht dampfigen Schwimmbecken Enttäuschung: Die Bahnen waren noch voller als vergangenen Sonntag. Doch ich war vermutlich in die Schnittmenge zweier Schwimmschichten geraten, das Becken wurde bald leerer, ich schwamm meine wieder nur 2000 Meter relativ ungestört.

Danach versuchte ich nochmal das mit den Entspannen im warmen Strömungsbecken. Es war kaum genutzt, so konnte ich tatsächlich ein wenig herumwabern, auf der Wasserliege auslockern (derzeit arbeitet es um meinen Hüftbeuger und die obere Gesäßmuskulatur herum – ich hoffe innig, dass das ein Besserungsprozess ist).

Beim Radeln hinüber in die Maxvorstadt stieß ich wiederholt auf ein weiteres Ärgernis, das beweist, wie wenig die Verkehrsplanung für Radler und Fußgängerinnen denkt: Fahrradwege an Ampeln. Wenn drei bis 13 Radln auf dem Radweg an einer roten Ampel warten, blockieren sie mehrere Meter – und Fußgänger, die an der Querstraße gerade grün haben, kommen nicht durch. Oft blockieren bei Rot wartende Radler auch die Wege für Fahrräder, die gerade grün haben – ohne Alternative. Ich träume davon, dass man bei größeren Straßenbauarbeiten in der Stadt zumindest als Planspiel mal durchkonstruiert, wie die Kreuzung mit Priorität Nicht-Autos aussehen müsste. Zum Beispiel die Kreuzung am Sendlinger Tor, die gerade wegen Umbaus des U-Bahnhofs völlig neu gebaut wird. Wenn sich da mal Fachleute hinsetzten und eine Kreuzung mit Lebensqualität daraus erträumten?

Zum Frühstück steuerte ich das Café Puck an – und war verdutzt, dass sich darin die Gäste drängten, viele davon Cosplayer. Zum ersten Mal kam ich für ein Wochentagsfrühstück nur in dem Raum hinter der Theke zu sitzen, den es erst seit dem Umbau gibt.

Ich bekam Käsefrühstück und las Zeitung, umgeben von jungen Gesprächen in verschiedenen Sprachen.

Daheim häusliche Geschäftigkeit. Zwei offene Aufgaben lasteten ein wenig auf mir: Für beide fand ich Lösungen, auf einmal hatte ich wirklich frei.

Das Nachtmahl bestand hauptsächlich aus Ernteanteil, den Herr Kaltmamsell frisch geholt hatte – wegen des Feiertags erst gestern.

Grüner Salat mit Mandarinen-Tahini-Dressing und schwarzen Oliven; Tomaten mit Basilikum und Feta. Und danach ein großes Stück Schokoladenkuchen.

Abends ein paar Symptome, die mich befürchten ließen, ich könnte mir die derzeit grassierende Erkältung eingefangen haben; unter anderem spürte ich Muskelkater-ähnliches Ziehen vom Schwimmen. Nun, die nächsten Tage werden zeigen, ob meine Abwehrkräfte ausreichen.

Kein Bad vor dem Schlafen, einmal in warmem Wasser entspannen am Tag musste reichen.

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Die große Titelgeschichte des gestrigen SZ-Magazins ist die 1,99 Euro fürs Tagesabo wert:
“Sie waren das Volk” – über die Protagonisten der Ostberliner Demo am 4. November 1989. (Sonderapplaus für die Überschrift.)

Auch in Ostdeutschland, fürchte ich, haben die Menschen vergessen, worum es der friedlichen Revolution in der DDR ging. Wer die Kräfte und welche die Ideen dahinter waren. Beides ist weit, ganz entfernt von dem, was als Gründe fürs AfD-Wählen angegeben wird.

Ich würde ja gerne ein paar Leserinnen und Lesern – sagen wir 50 – die Lektüre des Artikels spendieren. Also 20 Mal 1,99 Euro, denn auch die Print-Ausgabe wird ja von mehr als einem Menschen gelesen, und es sind ja die Verlage, die alles Digitale an den Lesegewohnheiten in Print festmachen. Aber ein Spendieren von digitaler Zeitungslektüre ist halt technisch nicht vorgesehen. Hier habe ich meinen Spendier-Wunsch nach dem Weihnachtskripperl-Modell schon vor vielen Jahren erläutert. (Heftiger Rempler in die Rippen des Süddeutschen Verlags.)