Archiv für April 2020

Journal Donnerstag, 23. April 2020 – Umgang mit Lockerungen

Freitag, 24. April 2020

Nach sehr langem mal wieder eine Nacht durchgeschlafen, nach dem Aufstehen brauchte ich lang, um im Tag anzukommen. Da war nach der sportlichen Kräftigung das halbe Stündchen Rücken-Yoga genau richtig.

Stubenfliegentag: Meine Geistesbewegung fühlte sich so unstet an wie die Flugbahn einer Stubenfliege, mit ständigen abrupten Richtungsänderungen – manche davon extern ausgelöst, manche einfach von meinem Gehirn. Viele, zum Teil auch emotional sehr anstrengende Anrufe.

Mittags wieder der neue Liebling Quark-Dickmilch-Orange-Maracuja, nachmittags schwarze Schokolade und eine Birne.

Das Wetter war wieder wolkenlos sonnig und frisch. Wie schon am Mittwoch beobachtete ich draußen an den Menschen ein sehr großes Kleidungsspektrum, das von Anorak mit Fellstiefeln bis zum ärmellosen Flatterkleid mit Sandalen reichte.

Auf dem Heimweg Einkaufsabstecher beim Vollkorner, um meine Espressovorräte aufzufüllen und Obst für die nächsten Tage zu besorgen. Die Menschen scheinen die Tage vor Maskenpflicht in Geschäften noch so richtig auszunutzen.

Daheim lungerte ich noch ein bisschen mit Jacke auf dem Balkon herum, dann machte ich mit Herrn Kaltmamsell das Abendessen: Nochmal Spargel von der Nachbarin, dazu Salat aus Ernteanteil mit Schnittlauchdressing und ein spanischer Sauvignon Blanc. Und zum Dessert viel Schokolade.

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In Echt gehört: “Wenn meine Omma im Altenheim keinen Besuch bekommen darf, kann’se ja gleich sterben”. Das kostete mich ein wenig Fassung. Fast ein Drittel der Corona-Toten in Deutschland lebte in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Großer Artikel mit schlimmen Details gestern in der Süddeutschen:
“Corona in Altenheimen:
Die Brennpunkte der Pandemie”.

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Da auch ich unvernünftig und noch dazu bockig bin (das war mir einfach nicht auszuprügeln), neige ich im Moment dazu, mich mit zusammengekniffenen Lippen unter der Schutzmaske in eine gedachte Ecke zu stellen, die Arme zu verschränken und zu denken: “Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.” Zum Glück gibt es Menschen, deren Beruf es ist, statt zu bocken zu warnen, zum Beispiel die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum (bitte ignorieren Sie ihre Äußerungen zu Datenschutz, davon muss sie als Virologin ja auch nichts verstehen):
“Zweite Covid-19-Welle
‘Regierung hat mit Lockerungen ein falsches Signal gesendet'”.

SPIEGEL: Frau Brinkmann, wie sehr hat Sie die Entscheidung überrascht, das Oktoberfest abzusagen?

Brinkmann: Gar nicht. Die Absage des Oktoberfests war für mich total klar – und absolut notwendig. Doch selbst in meinem Bekanntenkreis gab es teilweise erstaunte Reaktionen, weil es ja erst in fünf Monaten stattgefunden hätte. Offenbar dachten sie, bis dahin ist alles wieder vorbei. Das hat mir gezeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Ausmaß der Situation noch nicht realisiert hat. Jetzt sehen die Menschen, dass einige Maßnahmen gelockert werden, und das vermittelt ihnen den Eindruck, dass der Lockdown jetzt nach und nach aufgehoben wird und sie schon bald zum Alltag zurückkehren können.

(…)

Brinkmann: Das Risiko liegt darin, dass die tagesaktuellen Zahlen ja den Stand von vor zehn Tagen abbilden. Durch den Meldeverzug, die lange Inkubationszeit und die Zeit, bis ein Infizierter einen Arzt aufsucht und ein Testergebnis vorliegt, kommen die Zahlen erst zeitverzögert. Wir bemerken also viel zu spät, wenn die Neuinfektionen wieder steigen. Dann könnte ein exponentielles Wachstum schon wieder in Gang sein. Und das wird dann auch zunehmend in die ältere Bevölkerung eingeschleppt werden, was zu einer höheren Todesrate führen wird. Die Folgen für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft wären dann noch viel schlimmer als jetzt, weil wieder nur drastische Maßnahmen im ganzen Land als Lösung bleiben würden. Auch die Schulen und Kitas müssten sehr viel länger geschlossen bleiben, als wenn wir jetzt noch ein wenig durchhalten.

(…)

SPIEGEL: Und ab wann dürfen wir wieder darüber nachdenken, mit einer Gruppe von Freunden gemeinsam in den Party-Urlaub zu fahren?

Brinkmann: Wenn es einen Impfstoff gibt.

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Ballettis im Home-Office hatten wir schon, hier arbeiten Stuntmen und women im Home-Office:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/SpnQXSyfbXA

via @ankegroener

Journal Mittwoch, 22. April 2020 – Weiterhin sonnig und für die Jahreszeit zu trocken

Donnerstag, 23. April 2020

Nach wohligem Schlaf schon vor fünf aufgewacht, noch ein bisschen gedöst.

Die tägliche Sportrunde am Morgen ist über die Monate so zur Routine geworden, dass sie mich keinerlei Überwindung kostet (Voraussetzung ist natürlich meine Lerchennatur). Gestern Kraftübungen mit Bonus, Dehnen, die Crosstrainereinheit konnte ich mir dank früherem Aufstehen ein bisschen länger gönnen.

Aktualisierte Morgentoilette: Da ich jederzeit den Mundschutz aufsetzen können muss, lasse ich den Lippenstift weg.

Deutlich mehr Radverkehr auf dem Weg in die Arbeit. Auf dem vorletzten Stück, vor dem Abbiegen in die Bürostraße, lag eine beeindruckend große Ratte tot auf dem Radweg.

Zumindest im Büro wiederholte sich nicht die Menschendichte vom Montag, außerdem wird auf den Fluren auch mal Mundschutz getragen.

Mein Mittagessen geriet besonders köstlich: ein Becher Quark mit einem Becher Dickmilch gemischt, darin Orange und Maracuja – super! Nachmittags ein Apfel und eine Scheibe Kuchen.

Die Schuh-Saga bekommt ein neues Kapitel. Nachdem mein Zorn verraucht war, beschloss ich, halt nochmal 23 Euro Porto für eine erneute Sendung aus England zu zahlen und zu beten, dass sich GLS diesmal zu einer Lieferung herablässt. Wenn nicht, habe ich 46 Euro Frachtkosten für keine schönen Schuhe gezahlt.

Das Wetter weiterhin sonnig mit der Jahrezeit angemessenen Temperaturen unter 20 Grad. Kein Regen in Sicht.

Kurzer Einkaufsumweg nach der Arbeit für die Brotzeit der nächsten Tage und für Drogerie-Artikel. Die Maske ist durchaus ungemütlich, vielleicht bringt sie mich dazu, meine Einkäufe besser zu planen und zu bündeln, damit ich sie seltener aufsetzen muss.

Abendbrot war wieder Unterstützung der Nachbarschaftsgastronomie, diesmal von der Cooperativa im Glockenbachviertel. Ich hatte ein Kichererbsengericht, Herr Kaltmamsell eines mit gebratenem Tofu (Der Müll, der vom Abholessen immer übrig bleibt! Ich werde beim nächsten Mal fragen müssen, ob ich eigene Gefäße mitbringen darf.)

Überall werden selbst genähte Community-Masken angeboten, auch an unerwarteten Stellen: Zum Beispiel in der Cooperativa, dort war ein großes Sortiment ausgelegt, laut Schild von einer Mitarbeiterin genäht.

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Keine der offiziellen Stellen und keine der Entscheidenden machen es sich einfach mit dem Umfang mit der Pandemie. Und einige der zuständigen Behörden schuften besonders, zum Beispiel beim detaillierten Herunterbrechen der Vorschriften, um möglichst große Transparenz und Klarheit herzustellen, wie auf dieser hervorragend gestalteten Website des Bayerischen Innenministeriums:
“Informationen zum Coronavirus”.

via Frau Brüllen, die zurecht anmerkt: “Nein, da gibt es keinen Interpretationsspielraum, so sehr sich das mancher auch wünschen mag.”

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Gestern schickte ich einem Krawatten-begeisterten Freund diesen Hinweis, vielleicht interessiert er auch andere: Auf instagram stellt Stephen Fry derzeit als Quarantäne-Unterhaltung jeden Tag ein Stück aus seiner Krawattensammlung vor. Das ist sein Account.

Es gibt zu jeder Krawatte eine interessante Geschichte – persönlich, historisch oder gesellschaftsgeschichtlich, Stephen Fry ist schließlich die wandelnde Wikipedia.

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Ich lasse mal kurz diesen Filmausschnitt von einer Pressekonferenz Bayerische Staatsregierung hier, der nicht in der Berichterstattung verwendet wurde. (Ich bin zum Glück nicht die einzige, die sofort dies hier assoziierte.)

Journal Dienstag, 21. April 2020 – Mundschutz von der Schneiderin, dringend nötig

Mittwoch, 22. April 2020

Gute Nacht, und ich glaube, ich habe eine neue Lieblingsbettwäsche – die schon seit Jahren im Schrank lag: Aus weißem Baumwoll-Damast, die sich wundervoll anfühlt und der ich nach der nächsten Wäsche ein Bügeln gönnen werde, damit man das Webmuster schön sieht (oder ich recherchiere, ob es eine erreichbare Mangelstube gibt).

Schönstes Rosa.

Morgensport war nach Kräftigung und Dehnung eine Runde Mady-Yoga, sehr wohltuend.

Das wohlige Gefühl endete mit Eintreffen am Arbeitsplatz. Die Menschen waren ins Büro zurückgekehrt, es erleicherte mich, dass ich Aussicht auf mehr Community-Masken hatte (siehe Mittag): Mein Eindruck, dass der Münchner Berufsverkehr fast wieder Februar-Niveau hatte, war also kein Zufall. Zur ohnehin großen Arbeitsemsigkeit gesellte sich also die Störung durch Live-Menschen. Zum ersten Mal überhaupt schloss ich meine Bürotür ohne Arbeitsanlass, auch weil das Gefühl der Sicherheit weg war: Unbefangen bewegen kann ich mich jetzt wohl nur noch daheim.

Brotzeit wie am Vortag, nur in kleineren Mengen: Rote-Bete-Salat und Perdinkelgericht vom Samstag. Spätnachmittags zwei Birnen.

Mittags Verabredung in Untergiesing zur Übergabe der von Schneiderinnenhand gefertigter Atemschutzmasken. Ich genoss das Radeln in sonnigem Wind und entdeckte, dass der Flieder bereits blüht.

Zurück in der Arbeit verschanzte ich mich wieder in meinem Büro, für die Wege zu Drucker oder Klo setzte ich eine Maske auf: Die Flure waren nicht mehr leer. Wie schon seit morgens hohe Schlagzahl an Arbeit, ich konnte fast nichts in einem Zug beenden, was ich anpackte. Entprechend spät wurde der Feierabend.

Beim Heimradeln am Bavariapark Kinder- und Elternrummel, dazwischen Gruppe Jugendlicher. Mein Eindruck nach diesem Tag: Die Leute scheinen davon auszugehen, dass dieses Corona-Dings rum ist.

Daheim begrüßten mich die Hasenglöckchen – bluebell season!

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Spaghetti Cacio e Pepe – der kann die wirklich!

Journal Montag, 20. April 2020 – Beifang aus dem Internetz

Dienstag, 21. April 2020

Frisch aufgewacht, freudlose Kraftübungen, sehr fröhliches Crosstrainerstrampeln.

Beflügeltes Radeln durch einen kühl-sonnigen Morgen in die Arbeit.

Doch über den Vormittag bekam ich immer stärkere Kopfschmerzen mit migränoiden Nebensymptomen, Aspirin hielt ich mich wenigstens arbeitsfähig. Was ausgesprochen nötig war, es ging ganz schön zu.

Es gibt dann doch eine Corona-bedingte Einschränkung, unter der ich leide: Weil die Cafeteria geschlossen ist, bekomme ich vormittags keinen von deren köstlichen Cappuccinos, das fehlt mir überraschend sehr.

Mittags Ernteanteil-Rote-Bete als Salat, Reste der Römertopf-Graupen vom Samstagabend. Ein wenig spürte ich vom Vortags-Training Muskelkater, hätte aber schlimmer sein können.

Ungemütlicher Nachmittag: Bauchgrimmen machten mich schwach und müde, aber es half halt nichts. Zum späten Feierabend ging es mir dann schon besser. Ich machte auf dem Heimweg einen Einkaufsabstecher im weitläufigsten Supermarkt am Weg und war dort auch nicht die einzige Mundschutzträgerin.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell Gemüse (z. T. letzter Ernteanteil) chinesisch gebraten/gewürzt mit Reis.

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Kürzlich verlinkte jemand auf Twitter diesen Text von katatonik über das erste große Bloggertreffen in Deutschland, die Blogmich 2005, gleich danach aufgeschrieben:
“The Blogmich protocol”.

Wie anders damals alles war, wie neu, wie nicht sicher man war, über welchen Teil von diesem Neuen man sich lustig machen sollte, welchem vertrauen, welchen wertschätzen. Und wie saukalt die Halle.

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Ein bisschen Wissenschaftsgeschichte bei BBC Scotland News:
“The woman who discovered the first human coronavirus was the daughter of a Scottish bus driver, who left school at 16.”

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Menschen sind nicht nur heute bescheuert. Ein Twitter-Thread über die Anti-Masken-Bewegung in San Francisco 1919 während der Spanischen Grippe.

History doesn’t repeat itself, but it rhymes: a thread about the **Anti-Mask League** of 1919.

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Die weltweite Quarantäne bringt auch das Schlechteste im Menschen zum Vorschein. Zum Beispiel werden jetzt wieder Hunderennen veranstaltet.

Journal Sonntag, 19. April 2020 – Ein Arm Abstand

Montag, 20. April 2020

Kurz nach sechs ausgeschlafen in einen wundervollen Morgen mit köstlichen Düften aufgewacht – allerdings war ganz offensichtlich der nächtliche Regen ausgeblieben, auf den die Wettervorhersage hatte hoffen lassen. Es ist viel, viel zu trocken.

Vormittags Staubwischen (die Überleitungen sind immer das schwerste), im Buchregal mit Nebenwirkungen: Zum einen fand ich Bücher zum Weggeben (wie kommt das bloß hierher?), zum anderen stieß ich auf gern gelesene Autorinnen, die ich vergessen hatte, und recherchierte gleich mal, was es Neues von ihnen gibt (Astrid Paprotta, die seinerzeit auch interessant bloggte, hat leider tatsächlich nach dem großartigen Feuertod von 2007, nach vier Bänden um ihre Kommissarin Ina Henkel, keinen weiteren Roman veröffentlicht).

Und sollte ich nochmal umziehen, gibt’s Bücherregale mit Glastüren. (Außer natürlich ich ziehe aus Armutsgründen um, dann fliegen halt alle Bücher außer den ideell kostbaren raus.)

Sporteinheit: Nachdem ich mir ohne Schwimmöglichkeit Sorgen um meine Gesamtmuskulatur mache, nahm ich mir ein bewährtes Rundumtraining mit Hanteln von Fitnessblender vor. Bis auf Ausfallschritte links (vor und zur Seite) ging alles, strengte mich auch ziemlich an. Versuche ich künftig wöchentlich einzuschieben, ich muss mir irgendwie bis zur weiterhin nicht planbaren OP so viel wie möglich Muskulatur erhalten, auch um die kaputte Hüfte.

Highlight beim Semmelholen: Wie ich auf die Straße ausweichen musste, um zur vierköpfigen Familie Abstand zu wahren, die auf dem Gehweg radelte. Das gab mir den Mut, beim nächsten entgegenkommenden und raumgreifen Paar einen Arm auszustrecken, um es zum Abstand zu zwingen, dabei heiter fragend: “Na? Schaffen wir das?” (Auch anstrengend.)

Ich machte wieder einen Schlenker über den Alten Südfriedhof.

Wer hätte gedacht, dass die derzeit dominierende Blume auf dem Südfriedhof, die ich so gut kenne, eine Münchner Spezialität ist? Ranunculus monacensis, Goldhahnenfuß.

Semmeln mit Käse zum Frühstück (da war es noch nicht mal zwei!).

Auf dem Balkon Internet und Zeitung gelesen. Es war kühler geworden, ich brauchte Socken und Jacke. Nachmittagssnack Apfelkuchen vom Vortag.

Gefühlt überwiegen in den Medien bereits die Corona-Artikel im Futur II: Wie es gewesen sein wird. Mir ist schon klar, dass damit die Sehnsucht befriedigt wird, auf das weiterhin unabsehbare Geschehen zurückzublicken, doch ich bin sicher, dass die Stehsätze der Zeitungen (und wie auch immer das beim Fernsehen heißt) Interessanteres bieten.

Das Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf den selbstgeriebenen Meerrettich von meinem Bruder abgestimmt: Gekochter Tafelspitz mit Meerrettichsoße und Kartoffeln – köstlich.

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Helen Macdonald, die Autorin des großartigen H is for Hawk, erzählt auch auf Twitter meist von Vögeln (u.a. dem hinreißenden kleinen Papagei, mit dem sie zusammenlebt). Gestern packte sie den Kampf, den sie gegen die Holzmäuse in ihrer Wohnung führt, in einen Twitter-Faden.

This mouse and I … it’s like a fucking hemingway novella.

(Auch die Kommentare lesen, dort mehr Mäuse-Epen.)

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Ballettis im Home-Office:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/NiM-x4fPFRI

Journal Samstag, 18. April 2020 – Der zweite Haarschneideversuch meines Lebens

Sonntag, 19. April 2020

Der Tag ging spät los: Nach angenehm langer Pause erwischte mich in den Morgenstunden wieder eine Migräne. Ich haute mit dem Triptanhammer drauf und schlief bis neun, dann waren nur noch leichte Benommenheit davon übrig.

Putzplan: Gestern Klo, Bad, Küche, am Sonntag Staubwischen und Möbelpflege. Ich ließ mir Zeit für Gründlichkeit, und obwohl ich wirklich ungern putze, brachte ich mich in geduldige Stimmung. Es ist aber auch zu erstaunlich, was alles in einer Wohnung schmutzig werden kann: Alles! Und praktisch von allen Seiten! Mit meiner ausgesprochenen Putz-Unlust kollidiert leider, dass ich gerne sauber wohne – keineswegs in klinischem Maß, aber halt ohne sichtbaren oder fühlbaren Dreck.

Dauerte also zwei Stunden. Anschließend noch – ohne vorheriges Krafttraining – ein Stündchen Crosstrainer mit Musik. Wirklich keine Lust hatte ich allerdings nach dem Duschen auf einen Gang zum Semmelholen, zumal bei dem wunderbar warmen Frühlingswetter wieder viel zu viele Menschen ohne Abstand unterwegs sein würden. Ich entschied mich fürs Frühstück um 15 Uhr für ein Stück Käse, dann Quark und Joghurt mit Orange.

Dabei beobachtete ich das Vogelgeschehen auf dem Balkon. Buntspechte sind seltsam: einerseits total schreckhaft – die geringste Störung vertreibt sie vom Meisenknödel -, andererseits machen sie sich ständig durch ihren TSCHECK-Ruf bemerkbar. Zum Beispiel würde ich ich den Buntspecht an der Vogeltränke wahrscheinlich gar nicht bemerken, wenn er mich nach dem Anflug nicht mit seinem TSCHECK! TESCHECK! auf sich aufmerksam machte. Doch dann schaut er nach jedem Schluck furchtsam um sich und stiebt bereits bei einem sich bewegenden Blatt davon. Vielleicht sind Buntspechte einfach nicht besonders schlau?

Der schmale und elegante Hausamslerich hingegen benimmt sich wie ein Gutsbesitzer. Als ich mit Herrn Kaltmamsell auf dem Balkon stand, um ihm etwas auf der Wiese davor zu zeigen, landete Herr Amsel keine Armlänge von mir entfernt auf den Balkonsims, beäugte uns und bewegte sich erst weiter, als wir ihm den Balkon ganz überlassen hatten. Dann trank er und besang ausführlich sein Revier (dafür musste er nicht mal den Schnabel öffnen).

Nachmittagssnack: Herr Kaltmamsell hatte ein historisches irisch-walisisches Rezept für Apple Pie mit Kartoffelteig ausprobiert.

Schmeckte gut, aber den Teig kann ich mir vor allem für herzhafte Füllungen vorstellen, für irgendwas Pilz- und Petersilielastiges.

Weitere Alltagsänderungen durch die Corona-Einschränkungen:

Mein erstes und bisher einziges Mal selbst Haareschneiden war mein Versuch, aus dieser Puppe irgendeine interessante Spielmöglichkeit herauszuholen:

(Lieb gemeintes Geschenk der spanischen Verwandtschaft zu meinem zweiten Geburtstag, doch ich konnte mit Puppen einfach nichts anfangen – man beachte den Transportgriff auf dem Foto.)

Gestern gab es ein zweites Mal: Herr Kaltmamsell hatte gedroht, sich selbst die Haare zu schneiden, weil er seit Wochen dringend einen Friseur braucht, Friseure aber seit Wochen geschlossen sind. Außer ich würde das erledigen.

Mir standen ein elektrischer Langhaarschneider sowie eine Nagelschere zur Verfügung. Ich ging vorsichtig vor, nahm mit dem Langhaarschneideaufsatz vor allem Menge, schnitt die untere Kante in fransige Zacken, wie ich es meinen Friseur machen hatte sehen, schnitt die Ohren frei, ganz oben ließ ich alles, wie es war. Das Ergebnis hatte lustige Ecken und Kanten, war aber insgesamt eindeutig kürzer als vorher. Ziel erreicht, bis zur Wiedereröffnung der Friseurläden Anfang Mai sollte das reichen.

Vorher:

Nachher:

Definitiv besser als der Crew Cut, den ich der Puppe seinerzeit verpasste (nicht dokumentiert). Kurz nach Foto brach ein Gewitter mit Regen los – vielleicht kann ich mit Haareschneiden auf dem Balkon Regen machen? (War aber nur eine kleine, tapfere Wolke: Sie gab zwar alles, aber das reichte nicht mal für 15 Minuten. Der Geruch war dennoch sensationell.)

Außerdem Bettwäsche (zum Einwintern, jetzt gibt’s die Sommerüberzüge) und Handtücher gewaschen, da ich aber gerade mal Twitter gelesen hatte und noch nicht mal die Wochenendzeitung, hatte ich trotzdem abends das Gefühl, zu nichts gekommen zu sein.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aus dem Römertopf Perldinkel mit Gemüse und ein wenig Lamm, dazu eine Gurken-Apfel-Limetten-Salsa, die ein ausgezeichnetes Salätchen war.

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Und dann war da noch die Musiklehrerin, die den ultimativen Song zur Verarbeitung der Corona-Scheiße schrieb.

via @spreeblick

Journal Freitag, 17. April 2020 – Spargelgewissen

Samstag, 18. April 2020

Als der Wecker klingelte, freue ich mich trotz guter Nacht auf das wochenendliche Ausschlafen.

Nach Kraftübungen eine halbe Stunde Crosstrainern: Das ging gestern besonders geschmeidig, ich hatte gestern auch kaum Hüftprobleme beim Radeln oder Gehen (und weiß ja, dass das bloß momentanes Glück ist, “ein guter Tag”).

Freude über das Wachsen der Hasenglöckchen. Ich verstehe euch begeisterte Gärtnerinnen und Gärtner ja schon – wenn ein Garten so wenig Arbeit machte wie dieser Topf, wäre das genau mein Hobby, wenn ich also nur regelmäßig gießen müsste (und das natürlich nicht etwa täglich und stundenlang), und den Pflanzen beim produktiven und korrekten Wachsen und Entwickeln zusehen: Super Sache.

Sonniger Tag, es wurde immer wärmer. In der Arbeit emsige Arbeit, ein kleiner Lichtblick. Mittags gab es Käse, eine kleine Avocado und eine Orange.

Anruf von meinem Friseur zur Terminkoordination, jetzt wisse er ja, wann er wieder loslegen könne. Und er sei schon SO gespannt, was nach so langer Zeit wohl aus seinen Schnitten geworden sei.

Nach Feierabend fand ich keinen Einkaufsanlass für eine Verlängerung meines Heimwegs, also suchte ich einen willkürlichen Umweg: Ich radelte zu weiten Teilen die Busroute entlang, und bog dann zur Isar ab. Das Radeln in warmer Frühlingsluft war tatsächlich herrlich – aber unter zahlreichen anderen Radeln mit Abstandhalten nicht völlig entspannt. An der Isar das gewohnte Bild: Es war vielleicht nicht ganz so bevölkert wie sonst bei diesem Wetter und diesen Temperaturen, aber geschätzt nur 30% weniger, Abstand so lala.

Daheim freute ich mich darüber, Herrn Kaltmamsell in die Arme schließen zu können. Und ich freute mich, dass er den Balkon sauber gemacht hatte! (Mein schlechtes Gewissen beruhigend, dass ihn das echt ehrlich gar keine Überwindung gekostet habe.)

(Die Schale auf dem Tisch ist unsere Vogeltränke, die auch regelmäßig genutzt wird.)

Während er das Abendessen zubereitete, machte ich uns Cocktails. Ich suchte nach einem Rezept mit Kirschlikör und stieß auf Cherry Daiquiry. Wir hatten alles dafür im Haus, und das Ergebnis war eine echte Entdeckung: Köstlich kirschig und frisch.


Abendessen Spargel – weil die Nachbarin uns am Donnerstag welchen geschenkt hatte. Bei diesem Anlass stellten Herr Kaltmamsell und ich nämlich fest, dass wir unabhängig voneinander beschlossen hatten, diese Spargelsaison auszulassen: Die Umstände der Ernte und die abscheulich verstärkte Ausbeutung der Saison-Arbeitskräfte dort hatten uns beiden den Appetit darauf vergehen lassen. Schon die Jahre zuvor war mir unangenehm aufgefallen, wie niedrig der Preis für den heimischen Spargel geworden war: In meiner Kindheit war Spargel – und ich wuchs in einer Spargelgegend auf – ein kostbares Festmahl, das meine Familie sich ein-, zweimal in der Saison leistete (all die Rezepte, die sogar die Schale des Spargels noch verwerten, sind kein Zufall), selbst im Studium noch legte mein Freundeskreis für ein großes Spargelessen Geld zusammen. In den Medien ist zwar immer noch von “Luxusgemüse” die Rede, doch dass der heimische Spargel mittlerweise günstiger verkauft werden konnte als Paprikaschoten im Januar, war nur durch die Ausbeutung der Erntarbeiter möglich.

Aktueller taz-Artikel dazu:
“Ausbeutung in Corona-Krise:
Spargel unser”.

Ebenfalls aufgefallen war uns in den vergangenen Jahren, dass die klassische Begleitung von Spargel in Form von Frühkartoffeln eigentlich seltsam war: Zur Spargelzeit gibt es bei uns noch lang keine Kartoffeln, die müssen von weit her eingeflogen werden. Wir hatten also nach anderen klassischen Beilagen gesucht und waren auf die badischen Kratzete gestoßen, ein herzhafter Kräuter-Kaiserschmarrn (Herr Kaltmamsell wendete sie allerdings vor dem Zerreißen). Dazu ein Glas Riesling Terra Rossa – der sich mit den Kratzete besser vertrug als mit dem Spargel. Nachtisch Karamelleis.

§

Ein Artikel von Christos Lynteris im Kunstmagazin Apollo darüber, in welchen Bildern wir die aktuelle Pandemie festhalten. Da sind ja schon einerseits die Grafiken der Entwicklung (hier herrlich aufgespießt von Randall Munroe: “Coronavirus Charts”), aber Fotografinnen und Fotografen auf der ganzen Welt versuchen Motive einzufangen, die etwas über die Situation und ihre Entwicklung aussagen. Womit sie in einer langen Tradition stehen:
“How photography has shaped our experience of pandemics”.

What is rarely considered is that the ways in which we visualise epidemics – and as a consequence, the way we experience them – were established in the late 19th and early 20th centuries in the course of an event that is all but forgotten in most parts of the world: the third plague pandemic.

§

Bester Corona-Tipp des gestrigen Tages:


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