Archiv für August 2020

Journal Montag, 24. August 2020 – Ereignisloser erster Arbeitstag

Dienstag, 25. August 2020

Nur eine halbe Stunde vor Wecker aufgewacht, in milder Luft in die Arbeit geradelt.

Beherztes Anpacken im Büro, zwischen Pflügen durch Post und Aufgaben gleich mal eine Schulung, Kennenlernen neuer Menschen.

Mittags hatte sich die Panik bereits so weit gelegt, dass ich richtig Pause machte, mit einem Stück Brot, Feigen, Pfirsichen, Nektarinen und Zeitungslektüre. Jetzt war auch ins Panikzentrum gesickert, dass ich all die anstehenden Brocken ja nicht an diesem Tag abarbeiten musste.

Am Nachmittag war es richtig sonnig geworden, weiterhin ohne Hitze. Blöderweise knüppelte mich heftiges Kopfweh nieder, ich konnte kaum geradeaus schauen. Auf dem Heimweg radelte ich beim Vollcorner vorbei, unter anderem mussten festes Haarshampoo und Handseife nachgekauft werden, dann nahm ich auch gleich noch Brotzeit für die nächsten Tage mit.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl einen italienischen Ziegenkäsefladen mit Olivenöl-Mürbteig, köstlich. Zum Dessert gab’s abgefahrenes Eis. Früh ins Bett zum Lesen.

§

Jan Kutter liest seit einem Jahr hauptsächlich E-Books und hat seine Erkenntnisse fürs Techniktagebuch festgehalten – die meinen ähneln:
“Lesen in der Hartschale”.

Das Lesen eines Buches auf einem Reader ist von vollendeter Nüchternheit. Hier ist der Text ganz bei sich. Der Lektüre muss das nicht abträglich sein. Noch das selbstverliebteste Werk der Fabulistik ruft dir aus der Plastikhartschale genervt entgegen: «Hey, ich bin auch bloß eine verdammte Datei!» Und damit wir das nie vergessen, sind die Gestaltung und Programmierung von E-Books oft so entsetzlich schlampig und fehlerhaft. «Der Mischer hat wohl wieder Boxhandschuhe an!», hieß es früher, wenn der Sound auf Konzerten mies war. Der Mischer baut heute EPUBs beim Verlag.

Journal Sonntag, 23. August 2020 – Grillen bei Eltern

Montag, 24. August 2020

Nachtschlaf mit einer Unterbrechung, weil die Schmerzen dann doch zu stark waren. 600 mg Ibu halfen.

Der Morgen war zu meiner Überraschung trotz Wolken warm genug für Balkonkaffee. Und ich war früh genug aufgewacht, dass vor der Abfahrt zu meinen Eltern noch Zeit für eine Runde auf dem Crosstrainer blieb.

Vom Zug aus Holledau-Check: Gut steht er da, der Hopfen.

Bei den Eltern freudiges Wiedersehen und ausführliches Grillen ohne Anfassen und mit Draußensitzen: Auberginen, Zucchini, Lammkoteletts, Salsicce, Kalbsfilet, geröstetes Brot, Tomaten, sensationelle selbst gemachte Tomaten-Grillsoße – es war köstlich. Ich bedauerte allerdings sehr, dass ich keinen Wein dazu trinken konnte (genauer: wollte, denn ich möchte eine neue Medikation möglichst schnell möglichst sauber einstellen, damit sie zum OP-Termin funktioniert). Erzählungen aus Mutters Kindheit, die ich noch nie gehört hatte, Gang durch den schönen Garten.

Zum späten Dessert gab es wundervoll aromatische Honigmelone.

Ereignislose Rückfahrt (ich habe ein kleines Mädchen über den Maskenrand angelächelt, Ereignis genug) (sie war mir wirklich sympathisch, strahlte genau die Art freundlicher Gewitztheit aus, auf die ich Alters-übergreifend anspringe), Warten auf die Vor-Arbeits-Panik nach Urlaub. Aus dem Freibandschwimmen war dann auch im Urlaub nichts geworden: Die Slots im Schyrenbad waren immer bereits ausgebucht, anscheinend gleich bei Buchbarkeitsbeginn.

Zum Nachtmahl hatte ich bereits wieder genug Hunger für eine Portion Pasta. Abendunterhaltung:
“Django Asül live! – Höhepunkte aus ‘Letzte Patrone'”. (Das war sein vorletztes Programm bis 2019.)

Ich werde die griechische Mythologie nie mehr anders erzählen. Außerdem werde ich das Phänomen künftig nur noch “Golobalosierung” aussprechen.

Früh ins Bett, um genug Zeit zu haben, mich verrückt zu machen.

Journal Samstag, 22. August 2020 – Bett-Investitionen

Sonntag, 23. August 2020

Stand des Hexenschusses: Ich kann wieder die Bauchmuskeln und den Beckenboden anspannen, ohne dass Lendenwirbelsäule und Iliosakralgelenk aufbrüllen, hurra!

Morgens war es bewölkt, aber warm genug für Kaffee auf dem Balkon.

Ich freute mich nach fast einer Woche Pause über eine Runde Crosstrainer-Strampeln mit Filmmusik auf den Ohren.

Familientelefonate: Auf allen Seiten Medizinisches, zumindest in meiner Generation waren wir uns einig, dass der Körper um den 50. Geburtstag sehr deutlich signalisiert, dass evolutionär nach 45 Jahren das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. You’re on your own now, mate.

Einkaufsrunde unter sich verdunkelndem Himmel. Beim Betten Rid bestellte ich nach ausführlicher Beratung und Probeliegen neue Lattenroste und eine neue Matratze für mein Bett – erstere, weil seit Jahren Latten aus den Halterungen brechen, Matratze, weil sie nach ebenfalls 22 Jahren erneuert werden sollte (ohne dass ich mich als Marketing-Opfer fühle). Kostet alles zusammen im Gegensatz zu den Vorläufermodellen von Ikea fast ein Monatsgehalt, ist aber auf die nächsten 22 Jahre runtergerechnet in meinen Augen vertretbar. UND wird geliefert, die Vorläufermodelle werden mitgenommen. (Die neue Taschenfederkernmatratze lag sich so gut Probe, dass sich die alte Latexmatratze danach geradezu gammlig anfühlte.)

Auch auf meiner Einkaufsliste: Nicki-Tücherl aka Bandanas, die ich mir beim Sport um den Kopf binde, damit mir Vielschwitzerin der Schweiß nicht ab Minute 10 in die Augen rinnt. Mittlerweile sind aus meinem Altbestand (so alt, dass ich bei keinem wusste, woher ich es hatte) alle bis auf eines zerrissen. Da ich diese Baumwolltücher aus der Bergsteiger-Welt kannte, lief ich erst mal ins Sportkaufhaus. Zu meiner Verdutzung hieß es, man führe “nur so Schläuche zum Überziehen”, vielleicht ist mein Bergsteigerbild schlicht in den 1960ern hängengeblieben. Ansonsten kenne ich Bandanas an Musikern, aber auch die sind ein paar Jahrzehnte her, also ging ich nicht als nächstes in einen Musikinstrumenteladen, sondern fragte Twitter. Die Lösung sind wohl Kaufhäuser! (Wie bin ich als begeisterte Kaufhaus-Kundin bloß nicht selbst draufgekommen?)

Obst und Brot holte ich beim Eataly (sehr voll), da begann es bereits gischtig zu nieseln. Zum Glück regnete es erst richtig los, als ich heimgehumpelt war, das blieb dann aber die nächsten Stunden so, inklusive deutlicher Abkühlung.

Zum Frühstück Tomaten-Gurken-Salat aus Ernteanteil (so gut!) mit italienischem Weizensauerteigbrot, ein Pfirsich. Ich legte mich eine Runde flach, um die Hüftschmerzen zu mildern.

Nachmittags las ich, unter anderem die Wochenend-SZ. Als Snack ein Stück Käse mit Brot. Dann holte ich doch den Arbeitsrechner hervor und schaute die E-Mails der drei Urlaubswochen durch, in der Hoffnung, dass der erste Arbeitstag so ein weniger großer Horror wird. (Am Sonntag bin ich unterwegs.) Klappte nur so mittel, weil die beiden akuten großen Brocken, von denen ich wusste, halt wirklich akut, groß und brockig sein werden.

Nachtmahl war von Herrn Kaltmamsell zubereiteter Gazpacho.

Danach teilten wir uns ein gebratenes Entrecôte, zum Nachtisch frische Feigen und Eis. Kein Alkohol, weil Medikamente.

Vermisst irgendwer im Norden zwei Mauersegler? Gestern flatterten sie zu unserer Überraschung am Abendhimmel, gut drei Wochen nach der letzten Sichtung.

§

Die Reihe “Reden wir über Geld” der SZ-Wirtschaftsredaktion mag ich besonders gern. In ganzseitigen Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen (und in sonst für den Wirtschaftsteil ungewohnter Diversität) beleuchtet sie das Thema Geld aus immer wieder neuen Blickwinkeln. Am Freitag war der Gesprächspartner der Soziologe Aladin El-Mafaalani, geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet, heute Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Osnabrück (€).
“‘Verzichten kann nur, wer hat'”.

Zum einen erläutert er, wie das Aufwachsen in Armut die künftige Einstellung zu materiellem Besitz prägt.

Ich bin in Waltrop aufgewachsen, ein Ort, den man ohne Auto schlecht verlassen kann, und da gab es zwei Gruppen, die Hip-Hopper, die Graffiti cool fanden, und die Punks, die Skateboard gefahren sind. Ich mochte Graffiti und Skateboard – deshalb hatte ich mit beiden viel zu tun. Interessant ist im Nachhinein der Umgang dieser beiden Freundeskreise mit Geld.

(…)

In der Hip-Hop-Kultur sind Statussymbole wichtig. Die Punkkultur ist das genaue Gegenteil davon. Meine Eltern stammen aus Syrien, mein Vater ist Arzt, meine Mutter hat Psychologie studiert, ich bin sehr privilegiert aufgewachsen. Ich hatte zu beiden Gruppen eine gewisse Nähe, habe aber auch zu beiden Differenzen gespürt. Bei den Punks war ich lange Zeit der einzige, der nicht blond war, und in der Hip-Hop-Gruppe war ich der einzige, der aus einer wohlhabenden Familie kam.

(…)

Wer wenig Geld und Anerkennung hat, will reich und berühmt werden und orientiert sich an Statussymbolen. Und wer Geld hat, hat einen selbstverständlichen Umgang damit und kann sich die Haltung leisten, Statussymbole abzulehnen.

(…)

Warum gibt es diese Milieugrenzen schon bei Jugendlichen?

Einer der Hauptfaktoren ist Geld. Das trennt und prägt. Wenn man in einer Familie mit sehr viel Geld aufwächst, dann ist der gesamte Alltag darauf ausgerichtet, mit diesem Überfluss umzugehen. Man muss also selektieren. Hat man kaum Geld, muss man den Mangel managen. Schon Kinder entwickeln eine Strategie: Die ärmeren müssen jeden Tag kurzfristige Knappheitsprobleme lösen. Sie fragen: Was bringt das genau, ist das wirklich notwendig? Sie denken funktional, denken kurzfristig, gehen kein Risiko ein und vermeiden Unsicherheiten. Die reicheren Kinder hingegen probieren viel mehr aus, sie gehen Risiken ein, weil sie auch viel weicher fallen. Sie orientieren sich langfristig, entwickeln eine Abstraktionsfähigkeit, denken in Alternativen. Dass die alternative Szene relativ privilegiert ist, kann man alleine an diesem Begriff festmachen. Ob Geld da war oder nicht, wird Teil der Persönlichkeit.

Auch hier erkenne ich wieder einmal, dass ich die zweite Generation des sozialen Aufstiegs bin: Mein spanischer Vater wuchs noch in echter Armut auf, da ging es darum, genug Essen für die Familie zu beschaffen (deshalb auch die Verschickung der Kinder im Sommer zu den Verwandten aufs Land, wo zwar die Arbeit hart war, sie aber ein paar Monate durchgefüttert wurden). Selbst aber hatten meine Eltern die Chance, sich durch enormen Fleiß und kluges (bis halb-legales) Wirtschaften ein Eigenheim zu erarbeiten.

Mindestens so interessant fand ich El-Mafaalanis Gedanken zur Auswirkung von Bildung:

Bildung ist kein Allheilmittel gegen soziale Probleme, sondern eine Grundlage, auf der man nach Lösungen suchen kann und streitet. Klimawandel hat zum Beispiel viel mit Gebildeten zu tun: je gebildeter, desto mehr Einkommen, desto tiefer der ökologische Fußabdruck.

(…)

Wenn Menschen von Bildung sprechen, missverstehen sie sich oft. Dabei gibt es mindestens zwei Begriffsfamilien. Einmal ist Bildung das, was gesellschaftlich verwertbar ist, man spricht oft von Kompetenzen oder von Humankapital. Dann gibt es noch die Persönlichkeitsbildung, also das humboldtsche oder humanistische Bildungsideal: Von Kindheit an bildet man sich ein Selbst- und ein Weltbild, Bildung ist hier Selbstzweck. Wer Bildung in diesem Sinne meint, der denkt, dass ein gebildeter Mensch doch vernünftig ist, das Klima retten muss und nicht rechtsradikal sein darf. Recht romantisch. Die Idee der Persönlichkeitsbildung tut so, als gäbe es keine Gesellschaft, sie ist blind für soziale Ungleichheit. Denn die Motivation von armen Kindern ist relativ gering, Bildung als Selbstzweck zu verstehen. Das wäre ja das Gegenteil von anwendungsorientiert.

Er beleuchtet auch die Fallen von Unterrichtsmodellen, die auf den ersten Blick fortschrittlich wirken:

Offene Bildungsansätze sollen Schülern das selbstorganisierte Lösen von komplexen Problemen beibringen. Ist das Bildung, wie Sie sich das vorstellen?

Ich habe meine Haltung zu solchen Projekten grundlegend geändert. Die Forschung zeigt, dass solche Unterrichtsansätze Ungleichheit derzeit eher verstärken. Das Potenzial ist zwar enorm, aber die Umsetzung ist offenbar nicht gut: Leute aus einem höheren Milieu – Lehrkräfte – überlegen sich Probleme, die Kinder aus einer völlig anderen Lebenswelt als anregendes Problem erkennen sollen. Lehrkräfte finden Probleme sehr spannend, für die man Risiken eingehen und langfristig denken muss. Ein benachteiligtes Kind hat diese Denkweise nicht gelernt. Ärmere Kinder lernen oft keine Selbstorganisation, weil sie in einem Umfeld aufwachsen, das sie diszipliniert. Sie sind im Alltag fremdbestimmt. Der Umgang mit Freiheit muss systematisch gefördert und gelernt werden. Derzeit wird das zu stark vorausgesetzt.

(Erwähnte ich, dass ich als nächstes Studienfach unbedingt Soziologie wählen würde?)

Journal Freitag, 21. August 2020 – Neue Körperlichkeiten, Ausflug nach Dießen am Ammersee

Samstag, 22. August 2020

Ächz. Diese Zeit im Jahr ist eh nie einfach, dann auch noch diese gesundheitliche Durchschüttelung. Vielleicht soll mich das eine jeweils vom anderen ablenken?

Ganz gut geschlafen (weiterer Beweis, dass der Schlaf bis fünf am Vortag Migräne war), früher Wecker, damit ich zu Praxisöffnung die letzte anstehende Blutabnahme erledigen konnte. Angekündigt war der letzte Hochsommertag, der Morgen richtete sich danach. Weiterhin die Morgengymnastik bleiben lassen – auch wenn es mich sehr drängt, sollte ich den Hexenschuss wahrscheinlich deutlicher abklingen lassen (sehen Sie! ich kann auch supervernünftig!).

In der Arztpraxis also Blut abnehmen lassen, danach verschriebene Medikamente geholt: Ein Blutwert der Analyse vom Dienstag hatte die behandelnde Ärztin am Vortag telefonisch Alarm schlagen lassen (Herr Kaltmamsell ging ran: Frau Doktor hätte mich am liebsten sofort an eine Infusion gehängt, aber ich schlief ja gerade meine Migräne aus), er stellte sich als Eisenmangel heraus. Von mir aus auch das noch, also erst mal Tabletten, künftig gerne mehr Linsen und getrocknete Aprikosen (denn den klassischen Hauptlieferanten rotes Fleisch wollen wir ja weiterhin für rare Festmähler aufheben).

Trübsal bei der Aussicht auf Arbeitsbeginn am Montag. Lichtblick: Beim Heimkommen gab es nach drei Tagen wieder Milchkaffee! (Auf den Kastanien vorm Balkon lustiges Eichkatzerljagen zwischen einem jungen dunkelbrauen und einem jungen orangen).

Nachdem die Urlaubswoche reichlich verkackt war, wünschte ich mir dringend noch einen Ausflug. Auf meiner Mal-im-Urlaub-machen-Liste standen verschiedene Ziele, zusammen mit Herrn Kaltmamsell überlegte ich, bei welchem ich mich am meisten ärgern würde, den Ausflug nicht gemacht zu haben (und wir sind uns alle einig, dass wir wirklich, wirklich vermeiden wollen, dass ich mich ärgern muss): Dießen am Ammersee wurde es. Zumal ich herausfand, dass die Schiffe auf dem Ammersee jetzt wieder alle Zwischenhalte anfahren.

S-Bahn nach Herrsching, im gleichnamigen Raddampfer kauften wir Tickets für die “große Runde”, auf der man auch zwischenaussteigen darf. Das taten wir gleich am ersten Halt in Dießen.

Möwen in der Sonne, Enten im Schatten.

Die Marktgemeinde ist sehr auf Fremdenverkehr ausgerichtet, aber auf die angenehme, herzliche Art: Viel Gastronomie (Herr Kaltmamsell holte sich eine Fischbratwurst in Semmel), Schnickeldi- und Fischereiläden, liebevoll geschmückte Winkel, überall ungemein freundliche Menschen. (Der Bemerkung eines anderen Besuchers entnahm ich, dass es normalerweise deutlich voller Menschen ist.) Wir fremdenverkehrten also, sahen uns in den Gassen und Wegen um, besichtigten die Hauptattraktion: das Marienmünster.

Zum Betrachten der superbarocken Deckengemälde steht ein rollbarer Spiegeltisch bereit.

Wir spazierten auch ein wenig in die Ufernatur zum Aussichtsturm.

Ausruhen auf einem schattigen Bankerl mit Blick auf den See, es war heiß geworden. Trotz Appetitlosigkeit sah ich gegen drei ein, dass ich etwas essen sollte. Wir setzten uns in ein Eiskaffee, ich aß einen Eisbecher mit Früchten.

Dann traten wir den Rest unserer “großen Runde” auf dem Ammersee an: Drei Stunden lang ließen wir uns von der Herrsching nach Herrsching fahren, dann nach Riederau, Utting, Breitbrunn, Stegen, Buch, Schondorf, Utting, Holzhausen und wieder zurück nach Herrsching.

An Deck hatten wir uns ins Freie unter ein Dach gesetzt, wurden aber eine Stunde lang doch von der Sonne eingeholt. Das Hygienekonzept hatte sich seit unserem letzten Besuch im Juni geändert: Jetzt galt durchgehend Maskenpflicht überall auf dem Schiff, dafür waren keine Plätze gesperrt, es wurden auch keine Kontaktdaten aufgenommen. Zum Glück war wenig genug los, dass man auf den Plätzen Abstand halten konnte, das Einhalten der Maskenpflicht wurde immer wieder mit Durchsagen angemahnt.

Wir fuhren vorbei an Ruderbooten, Segelbooten (mit hängenden Segeln, es war windstill), Stehpadlern, Schlauchbooten, Tretbooten, Motorbooten, Badegästen an Stränden, Strandbädern (das beeindruckendste in Utting), Möven, Enten, Blesshühnern, vielen Schwalben, beim Anlegen in Stegen sahen wir sogar Flussseeschwalben. Eine Weile hatten wir Gesellschaft von einer kleinen Hochzeitsgruppe, später von einer kleinen Geburtstagsgesellschaft in Dirndln. Das Sonnenlicht wurde immer goldener.

Strandbad Utting (allein schon der hölzerne Sprungturm!).

Kurz nach sieben kamen wir zurück nach Herrsching. Nach dem vielen Schifferlfahr’n wurde uns die S-Bahn-Fahrt zurück nach München recht lang. Ich hatte zwar auf dem Raddampfer eine Hand voll Nüsse gegessen, aber jetzt bekam ich Hunger.

Daheim, es war bereits dunkel geworden, gab es den zweiten großen Salatkopf aus Ernteanteil, außerdem die Ernteanteil-Aubergine in Scheiben gebraten, als Nachtisch das Aprikosenkompott vom Vortag.

§

Der englische Lyriker Jay Hulme erzählt in einem Twitter-Faden, wie er eine bezaubernde mittelalterliche Kirche entdeckte, mitten im absoluten englischen Nirgendwo.

Journal Donnerstag, 20. August 2020 – Kranker Urlaubstag

Freitag, 21. August 2020

Damit sich’s lohnte, war ich dann gestern ganz ausgeschaltet. Nach neun Stunden eigentlich guten Schlafs stand ich völlig erschlagen und mit weiterhin Kopfweh seit Mittwochnachmittag auf. Und nach Bloggen und Tee fühlte ich mich so elend, dass ich mich mit einer Ibu wieder ins Bett legte.

Dort verbrachte ich denn Rest des Tages, erst frierend und mit zusätzlichen Decken, dann in ein- bis zweistündigen Abschnitten schlafend. Das Kopfweh war nicht wegzukriegen, auch nicht nach einer weiteren Ibu nach einem Schüsselchen Pfirsich mit Joghurt gegen zwei. Wieder war ich erleichtert, dass ich mich dank Urlaub wenigstens nicht mit einem Arbeitstag arrangieren musste. Den nächsten Urlaub aber gerne wieder mit vollem Geh-Vermögen und ohne Migräne.

Draußen wurde der bewölkte Morgen zum angekündigten heißen und sonnigen Hochsommertag. Herr Kaltmamsell sah nach mir und gab bei meinen Zwischenaufstehen für ein Glas Wasser oder Klogang durch, was er eingekauft und erledigt hatte. (Konnte mir allerdings nicht alle Erledigungen abnehmen, die ich gestern eigentlich geplant hatte.)

Um halb sechs war ich soweit wiederhergestellt, dass ich nicht mehr im Bett bleiben musste. Für Duschen und Anziehen war es mir jetzt zu spät, ein echter Krankheitstag. Ich telefonierte mit meiner Familie (eigentlich bereiten nämlich im Moment andere Familienmitglieder Gesundheitssorgen), während Herr Kaltmamsell Ernteanteil-Salat fürs Nachtmahl wusch. Den gab es mit Tomaten und Tahini-Dressing. Der dieswöchige Ernteanteil ist der Jahreszeit angemessen überbordend, wir werden gut planen müssen. Ich aß mit Appetit.

Herr Kaltmamsell verschwand zu einer Verabredung – auch ich hatte mich auf dieses Wiedersehen gefreut, sah mich aber außer Stande. Erst an der Euophoriewelle, als es mir gegen 20 Uhr besser ging (aber immer noch Kopfweh), merkte ich, dass das wohl schlicht Migräne gewesen war. Meinen Kreuz- und Hüftbeschwerden schien das viele Liegen sogar gut getan zu haben.

Produktive Leistung des Tages: Das Pfund Aprikosen zu Kompott gekocht, das mir am Standl als “süß” verkauft worden war, sich dann aber als grün, knallhart und sauer herausgestellt hatte.

Früh mit Buch ins Bett, ich war schon wieder müde.

Journal Mittwoch, 19. August 2020 – Kränklicher Urlaubstag

Donnerstag, 20. August 2020

Die Nacht war ja eh gestört durch das Dauerblutdruckmessgerät, da war es fast schon egal, das sich morgens die Migräne meldete. Triptan half gegen das Schlimmste, aber ich blieb den ganzen Tag eingeschränkt – und war froh, dass ich nicht auch noch in die Arbeit musste.

Morgens statt Milchkaffee also auf ärztliche Anweisung zwei große Tassen entkoffeinierten Earl Grey, nicht gerade eine Aufmunterung. Kurz vor Mittag brachte ich das Messgerät zurück zur Arztpraxis, kaufte auf dem Rückweg Obst ein. Zum Frühstück etwas Weißbrot, außerdem einen Pfirsich und zwei Feigen mit Joghurt, dazu die Lektüre der gestrigen Süddeutschen.

Die Schmerzen im Kreuz und in der Hüfte plagten mich so, dass ich kaum sitzen, stehen, gehen konnte: Ich legte mich flach und schlief auch ein wenig ein. Danach war ich deutlich beweglicher.

Nächste Sabotage meines Körpers: Beim Abknabbern eines Hautfetzens brach ein Stück Schneidezahn ab (er hatte schon vor Jahren ein wenig gebröselt und war damals lediglich abgeschliffen worden). Jetzt reicht’s aber wirklich. Wenig überraschend ist die treue Zahnärztin noch die nächsten zweieinhalb Wochen in Urlaub.

Der Tag war gemischtwolkig und warm, ich las auf dem Balkon. Nachmittagssnack war ein Becher Hüttenkäse mit Johannisbeergelee.

Fürs Abendessen spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell zum Flaucher-Biergarten. Wehmut beim Hinktrippeln entlang einer meiner früheren Standard-Laufstrecken.

Im Biergarten war wenig los, es gab die übliche leichte Kost.

Ich schaffte nur den Knödel nicht, die Schweinshaxe war besonders saftig und knusprig.

Zurück nahmen wir die U-Bahn, auch der Weg zur Station Thalkirchen war wunderschön in der späten, goldenen Sonne.

Journal Dienstag, 18. August 2020 – Arztpraxisvormittag, Spaziergang und Cocktails

Mittwoch, 19. August 2020

Wieder Wecker auf sieben, diesmal für einen eigenen Arzttermin am mittleren Morgen. Der sich dann wegen des einen oder anderen Befunds hinzog und mit Überweisungen, zwei Folgeterminen und einem Langzeit-Blutdruckmessen endete (aus Kassenpatientinnen holen die halt alles… Moment). Das Blutdruckmessgerät bestand aus der vertrauten Manschette mit Schlauch in ein keines Kästchen, dieses Kästchen war an einem Gurt um meine Taille befestigt. Beim anschließenden Einkaufen erschrak ich immer fürchterlich, wenn das Gerät alle 15 Minuten ansprang und die Manschette aufpumpte. Vorbereitung auf einen der Folgetermine ist, dass ich drei Tage lang bestimmte Lebensmittel meiden soll, darunter Kaffee und Schokolade – ich möchte das bitte auf eine eventuelle Fastenzeit gutgeschrieben haben.

Arrangement an der Lederwerkstatt Antonetty.

Vom regenbetröpfelten Einkaufen kam ich mit Frühstück zurück: Ich hatte beim Bäcker Schmidt Walnusslaiberl mitgenommen – und dabei gleich mal vergessen, dass auch Nüsse zu den drei Tage lang zu meidenden Lebensmitteln gehörten. Frühstückte ich halt statt dessen vom ebenfalls besorgten Weißbrot, außerdem Gemüsereste vom Vorabend und Nektarinen mit Joghurt.

Nach einer Weile Lesen wurde ich sehr müde: Wie schön, dass ich Urlaub hatte und mich zu einer Stunde Siesta hinlegen konnte (die Nacht war ziemlich schlaflöchrig gewesen). Das Wetter war gestern sehr gemischt und wechselte zwischen knallblauem Himmel mit Sonnenschein, Regentröpfeln und heftigem Regen – englisch halt. In einer Sonnenphase machte mich zu einem Spaziergang auf, nahm aber einen Taschenregenschirm mit, und sei es als Talisman.

Alter Südfriedhof. Aus anderen Gegenden Deutschland lese ich bereits Meldungen von Herbstanzeichen – es mag der bayerische Rhythmus mit den späten Sommerferien sein, der mir das für Mitte August undenkbar macht. Ich sehe sattesten Sommer, in dem Kornelkirschen, Äpfel und Birnen reifen, die Hollerbeeren erst vereinzelt Farbe bekommen, das Laub der Bäume sein intensivstes Dunkelgrün.

Isar mit überraschend niedrigem Wasserstand – war sie nicht erst vor zwei Wochen überschwemmt?

Fast zwei Stunden war ich unterwegs. Als ich heim kam, war fast schon Zeit für meine Verabredung mit Herrn Kaltmamsell: Wir wollten endlich mal wieder Cocktails im Auroom trinken.

Auch vorm Auroom sind die Parkplätze zum Gastgarten geworden, wir saßen zum ersten Mal draußen. Die Cocktails waren gewohnt köstlich.

Zurück zuhause servierte Herr Kaltmamsell ein Fischcurry nach Goa-Art, das er schon lange auf seiner Liste gehabt hatte. Es war sehr scharf (nur ein klein wenig zu scharf) und sehr aromatisch.

§

Ausgelesen: James Baldwin, Axel Kaun, Hans-Heinrich Wellmann (Übers.), Giovannis Zimmer. Sprache und Duktus des schmalen Romans um einen jungen Amerikaner im Paris der 1950er unterschieden sich so grundlegend von denen in If Beale Street Could Talk, dass ich der Übersetzung durchgehend misstraute – aber das Buch stand im Regal (keine Erinnerung an Erwerb), also las ich halt die Übersetzung. Mich erinnerte das Setting an die vielen US-amerikanischen Romane, die unter ziellosen Amerikanern aus mittelguten bis besseren Kreisen in Frankreich spielen (F. Scott Fitzgerald, Hemingway) – und die mag ich sehr. Besonders ist der Handlungshintergrund Schwulenmilieu, in vielen Details gezeichnet. Die ständigen melodramatischen Gefühlsausbrüche des Protagonisten, aus dessen Sicht personal erzählt wird, waren allerdings schon anstrengend.
Aus heutiger gesellschaftlicher Sicht wurde mir klar, mit wie viel Selbsthass das verfemte Schwulsein bis vor wirklich Kurzem fast immer verbunden war – und oft immer noch ist. Und ich kann mir jetzt das Klischee erklären, nach der die Schwulen ja eh nur immer kurze und rein auf Körperliches ausgerichtete Affären hätten: Wenn eine offizielle Partnerschaft gesellschaftlich unmöglich ist (wenn nicht sogar illegal), gehört schon viel dazu, sich auf mehr einzulassen.

Aus einem Artikel im New Yorker:

Baldwin (…) stated that his book was “not so much about homosexuality, it is what happens if you are so afraid that you finally cannot love anybody.”

Und Garth Greenwell in seiner sehr erhellenden und empfehlenswerten Besprechung im Guardian:

The whole novel is a kind of anatomy of shame, of its roots and the myths that perpetuate it, of the damage it can do.