Stand des Hexenschusses: Ich kann wieder die Bauchmuskeln und den Beckenboden anspannen, ohne dass Lendenwirbelsäule und Iliosakralgelenk aufbrüllen, hurra!
Morgens war es bewölkt, aber warm genug für Kaffee auf dem Balkon.
Ich freute mich nach fast einer Woche Pause über eine Runde Crosstrainer-Strampeln mit Filmmusik auf den Ohren.
Familientelefonate: Auf allen Seiten Medizinisches, zumindest in meiner Generation waren wir uns einig, dass der Körper um den 50. Geburtstag sehr deutlich signalisiert, dass evolutionär nach 45 Jahren das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. You’re on your own now, mate.
Einkaufsrunde unter sich verdunkelndem Himmel. Beim Betten Rid bestellte ich nach ausführlicher Beratung und Probeliegen neue Lattenroste und eine neue Matratze für mein Bett – erstere, weil seit Jahren Latten aus den Halterungen brechen, Matratze, weil sie nach ebenfalls 22 Jahren erneuert werden sollte (ohne dass ich mich als Marketing-Opfer fühle). Kostet alles zusammen im Gegensatz zu den Vorläufermodellen von Ikea fast ein Monatsgehalt, ist aber auf die nächsten 22 Jahre runtergerechnet in meinen Augen vertretbar. UND wird geliefert, die Vorläufermodelle werden mitgenommen. (Die neue Taschenfederkernmatratze lag sich so gut Probe, dass sich die alte Latexmatratze danach geradezu gammlig anfühlte.)
Auch auf meiner Einkaufsliste: Nicki-Tücherl aka Bandanas, die ich mir beim Sport um den Kopf binde, damit mir Vielschwitzerin der Schweiß nicht ab Minute 10 in die Augen rinnt. Mittlerweile sind aus meinem Altbestand (so alt, dass ich bei keinem wusste, woher ich es hatte) alle bis auf eines zerrissen. Da ich diese Baumwolltücher aus der Bergsteiger-Welt kannte, lief ich erst mal ins Sportkaufhaus. Zu meiner Verdutzung hieß es, man führe “nur so Schläuche zum Überziehen”, vielleicht ist mein Bergsteigerbild schlicht in den 1960ern hängengeblieben. Ansonsten kenne ich Bandanas an Musikern, aber auch die sind ein paar Jahrzehnte her, also ging ich nicht als nächstes in einen Musikinstrumenteladen, sondern fragte Twitter. Die Lösung sind wohl Kaufhäuser! (Wie bin ich als begeisterte Kaufhaus-Kundin bloß nicht selbst draufgekommen?)
Obst und Brot holte ich beim Eataly (sehr voll), da begann es bereits gischtig zu nieseln. Zum Glück regnete es erst richtig los, als ich heimgehumpelt war, das blieb dann aber die nächsten Stunden so, inklusive deutlicher Abkühlung.
Zum Frühstück Tomaten-Gurken-Salat aus Ernteanteil (so gut!) mit italienischem Weizensauerteigbrot, ein Pfirsich. Ich legte mich eine Runde flach, um die Hüftschmerzen zu mildern.
Nachmittags las ich, unter anderem die Wochenend-SZ. Als Snack ein Stück Käse mit Brot. Dann holte ich doch den Arbeitsrechner hervor und schaute die E-Mails der drei Urlaubswochen durch, in der Hoffnung, dass der erste Arbeitstag so ein weniger großer Horror wird. (Am Sonntag bin ich unterwegs.) Klappte nur so mittel, weil die beiden akuten großen Brocken, von denen ich wusste, halt wirklich akut, groß und brockig sein werden.
Nachtmahl war von Herrn Kaltmamsell zubereiteter Gazpacho.
Danach teilten wir uns ein gebratenes Entrecôte, zum Nachtisch frische Feigen und Eis. Kein Alkohol, weil Medikamente.
Vermisst irgendwer im Norden zwei Mauersegler? Gestern flatterten sie zu unserer Überraschung am Abendhimmel, gut drei Wochen nach der letzten Sichtung.
§
Die Reihe “Reden wir über Geld” der SZ-Wirtschaftsredaktion mag ich besonders gern. In ganzseitigen Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen (und in sonst für den Wirtschaftsteil ungewohnter Diversität) beleuchtet sie das Thema Geld aus immer wieder neuen Blickwinkeln. Am Freitag war der Gesprächspartner der Soziologe Aladin El-Mafaalani, geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet, heute Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Osnabrück (€).
“‘Verzichten kann nur, wer hat'”.
Zum einen erläutert er, wie das Aufwachsen in Armut die künftige Einstellung zu materiellem Besitz prägt.
Ich bin in Waltrop aufgewachsen, ein Ort, den man ohne Auto schlecht verlassen kann, und da gab es zwei Gruppen, die Hip-Hopper, die Graffiti cool fanden, und die Punks, die Skateboard gefahren sind. Ich mochte Graffiti und Skateboard – deshalb hatte ich mit beiden viel zu tun. Interessant ist im Nachhinein der Umgang dieser beiden Freundeskreise mit Geld.
(…)
In der Hip-Hop-Kultur sind Statussymbole wichtig. Die Punkkultur ist das genaue Gegenteil davon. Meine Eltern stammen aus Syrien, mein Vater ist Arzt, meine Mutter hat Psychologie studiert, ich bin sehr privilegiert aufgewachsen. Ich hatte zu beiden Gruppen eine gewisse Nähe, habe aber auch zu beiden Differenzen gespürt. Bei den Punks war ich lange Zeit der einzige, der nicht blond war, und in der Hip-Hop-Gruppe war ich der einzige, der aus einer wohlhabenden Familie kam.
(…)
Wer wenig Geld und Anerkennung hat, will reich und berühmt werden und orientiert sich an Statussymbolen. Und wer Geld hat, hat einen selbstverständlichen Umgang damit und kann sich die Haltung leisten, Statussymbole abzulehnen.
(…)
Warum gibt es diese Milieugrenzen schon bei Jugendlichen?
Einer der Hauptfaktoren ist Geld. Das trennt und prägt. Wenn man in einer Familie mit sehr viel Geld aufwächst, dann ist der gesamte Alltag darauf ausgerichtet, mit diesem Überfluss umzugehen. Man muss also selektieren. Hat man kaum Geld, muss man den Mangel managen. Schon Kinder entwickeln eine Strategie: Die ärmeren müssen jeden Tag kurzfristige Knappheitsprobleme lösen. Sie fragen: Was bringt das genau, ist das wirklich notwendig? Sie denken funktional, denken kurzfristig, gehen kein Risiko ein und vermeiden Unsicherheiten. Die reicheren Kinder hingegen probieren viel mehr aus, sie gehen Risiken ein, weil sie auch viel weicher fallen. Sie orientieren sich langfristig, entwickeln eine Abstraktionsfähigkeit, denken in Alternativen. Dass die alternative Szene relativ privilegiert ist, kann man alleine an diesem Begriff festmachen. Ob Geld da war oder nicht, wird Teil der Persönlichkeit.
Auch hier erkenne ich wieder einmal, dass ich die zweite Generation des sozialen Aufstiegs bin: Mein spanischer Vater wuchs noch in echter Armut auf, da ging es darum, genug Essen für die Familie zu beschaffen (deshalb auch die Verschickung der Kinder im Sommer zu den Verwandten aufs Land, wo zwar die Arbeit hart war, sie aber ein paar Monate durchgefüttert wurden). Selbst aber hatten meine Eltern die Chance, sich durch enormen Fleiß und kluges (bis halb-legales) Wirtschaften ein Eigenheim zu erarbeiten.
Mindestens so interessant fand ich El-Mafaalanis Gedanken zur Auswirkung von Bildung:
Bildung ist kein Allheilmittel gegen soziale Probleme, sondern eine Grundlage, auf der man nach Lösungen suchen kann und streitet. Klimawandel hat zum Beispiel viel mit Gebildeten zu tun: je gebildeter, desto mehr Einkommen, desto tiefer der ökologische Fußabdruck.
(…)
Wenn Menschen von Bildung sprechen, missverstehen sie sich oft. Dabei gibt es mindestens zwei Begriffsfamilien. Einmal ist Bildung das, was gesellschaftlich verwertbar ist, man spricht oft von Kompetenzen oder von Humankapital. Dann gibt es noch die Persönlichkeitsbildung, also das humboldtsche oder humanistische Bildungsideal: Von Kindheit an bildet man sich ein Selbst- und ein Weltbild, Bildung ist hier Selbstzweck. Wer Bildung in diesem Sinne meint, der denkt, dass ein gebildeter Mensch doch vernünftig ist, das Klima retten muss und nicht rechtsradikal sein darf. Recht romantisch. Die Idee der Persönlichkeitsbildung tut so, als gäbe es keine Gesellschaft, sie ist blind für soziale Ungleichheit. Denn die Motivation von armen Kindern ist relativ gering, Bildung als Selbstzweck zu verstehen. Das wäre ja das Gegenteil von anwendungsorientiert.
Er beleuchtet auch die Fallen von Unterrichtsmodellen, die auf den ersten Blick fortschrittlich wirken:
Offene Bildungsansätze sollen Schülern das selbstorganisierte Lösen von komplexen Problemen beibringen. Ist das Bildung, wie Sie sich das vorstellen?
Ich habe meine Haltung zu solchen Projekten grundlegend geändert. Die Forschung zeigt, dass solche Unterrichtsansätze Ungleichheit derzeit eher verstärken. Das Potenzial ist zwar enorm, aber die Umsetzung ist offenbar nicht gut: Leute aus einem höheren Milieu – Lehrkräfte – überlegen sich Probleme, die Kinder aus einer völlig anderen Lebenswelt als anregendes Problem erkennen sollen. Lehrkräfte finden Probleme sehr spannend, für die man Risiken eingehen und langfristig denken muss. Ein benachteiligtes Kind hat diese Denkweise nicht gelernt. Ärmere Kinder lernen oft keine Selbstorganisation, weil sie in einem Umfeld aufwachsen, das sie diszipliniert. Sie sind im Alltag fremdbestimmt. Der Umgang mit Freiheit muss systematisch gefördert und gelernt werden. Derzeit wird das zu stark vorausgesetzt.
(Erwähnte ich, dass ich als nächstes Studienfach unbedingt Soziologie wählen würde?)