Archiv für November 2021

Journal Montag, 8. November 2021 – Bayern muss Pandemiemaßnahmen verschärfen

Dienstag, 9. November 2021

Mittelunruhige Nacht, aufgewacht mit Aussicht auf eine harte Arbeitswoche. Aber auch auf eine mit Abendvergnügen.

Morgens Corona-Selbsttest. Der erste funktionierte nicht (kein Kontroll-Strich), ich brauchte einen zweiten.

Weg in die Arbeit durch kalte Feuchte.

Meine üblicherweise morgendliche geistige Top-Form nutzte ich im Büro für einen besonders anstrengenden Job, den ich fast vor der ersten Besprechung fertig bekam.

Es ging mit hoher Schlagzahl weiter. Mittagessen war eine Körnersemmel und ein Glas voll Granatpfelkernen.

Nachmittags die Meldung, dass in Bayern so viele Corona-erkrankte Intensivbetten in Krankenhäusern belegen, dass weitere Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus ergriffen werden:

– 3G am Arbeitsplatz und bei zehn oder mehr Beschäftigten regelmäßig Tests bei Kontakt mit anderen Personen
– 3G plus für Gastronomie und körpernahe Dienstleistungen
– 2G ausgeweitet auf Veranstaltungen, Kultur und Sportveranstaltungen.

Kurz darauf bekam ich Nachrichten vom Sportverein dazu sowie vom Veranstalter des Kabaretts am Dienstagabend, für das wir Karten haben: Zugang nur für Geimpfte und Genesene, wer deshalb die Veranstaltung nicht besuchen kann, bekommt den Eintritt erstattet.

Das RKI meldete einen neuen Höchststand für Deutschland seit Ausbruch von Corona: Die 7-Tage-Inzidenz liegt über 200. Ich schaffe es tatsächlich, mich nicht mehr aufzuregen.

Zwar hatte ich mir im Sommer von Christian Drosten vorrechnen lassen, dass bei unserer deutlich zu niedrigen Impfquote und mit der noch infektiöseren Delta-Variante die Wucht der vierte Welle im Herbst unausweichlich war, aber an mir selbst erlebt, wie ich annahm, dieser eindeutigen Rechnung Hoffnung und Optimismus entgegensetzen zu können. Lächerlich – wenn auch nicht mit so verheerenden Folgen wie irrationale Hoffnung und Optimismus an den Entscheidungsstellen der Regierungen.

Sie wissen ja eh, welchen Unterschied Impfen macht, aber vielleicht mögen Sie sich’s nochmal in grafischer Darstellung angucken: 7-Tage-Inzidenz in Sachsen-Anhalt nach Impfstatus und Altersgruppe.

Auf dem Heimweg Einkäufe beim Vollcorner: Obst, Milch, Käse, Zutaten für Weihnachtsstollen.

Zu Hause eine Runde Yoga, ich begann das 30-Tage-Programm “True” von Adriene.

Abendessen: Der Rest Eintopf war noch ein Teller voll für jede*n von uns, dann gab es ein wenig Käse, dann Schokolade.

Früh ins Bett, um Parallel von Matthias Lehmann auszulesen – das mir gut gefiel (schöner aquarelliger Malstil), aber in seiner Repräsentation eines ganz normalen Schwulenlebens der 1940er bis 90er halt auch sehr deprimierend war.

Journal Sonntag, 7. November 2021 – Seltene Laufrunde in Herbstbunt und Kleidungsgrau

Montag, 8. November 2021

Richtig schlechte Nacht, diesmal mit Lücke. Da ich Herrn Kaltmamsell, der neben mir schlief, nicht stören wollte und nicht von ihm gestört werden, zog ich um in sein Bett. Ich schaffte es bis sieben.

Nach Morgennebel strahlte nochmal ein herrlicher Herbsttag, allerdings zapfig kalt. Nach Wochen hatte ich mal wieder eine Laufrunde geplant, in der Kälte nahm ich gegen halb elf eine angenehm leere Tram zum Tivoli.

Mit einmal Umschlagen hielt der Bund der zu weiten langen Laufhose, deren gedeckte Farbe und ausgestelltes Bein sie ebenso wie den Rest meines Outfits als modisch veraltet entlarvten (verräterisch auch das eigene Fach an der Weste für den mp3-Player, den man zur Zeit des Kaufs vor ca. 15 Jahren noch hatte): An den vielen Läuferinnen und Läufern (ich habe ja deren Vermehrung während der Pandemie-Ausgangsbeschränkungen nicht miterlebt, weil ich selbst wegen kaputter Hüfte laufunfähig war) sah ich Schwarz kombiniert mit Schreifarben.

Ich lief leicht und unbeschwert, genoss die Luft und die Ausblicke, gönnte mir etwa 75 Minuten gemütlichen Trab, bis ich für den Rest der Strecke auf Gehen umstellte.

Ärgernis beim Fotografieren: Mein iphone produziert immer häufiger unscharfe Aufnahmen, eigentlich hatte ich noch mehr Herbstpracht eingefangen.

Ich spazierte zurück ein ganzes Stück die Tram-Strecke der Linie 27 entlang durchs Lehel, weil ich Schaufenster gucken wollte – vor allem das eines Möbelladens, dessen Sofas mir auf Fotos besonders gut gefallen. Gute Nachricht: Sie gefallen mir auch in Echt sehr gut. Schlechte Nachricht: Sie kosten sehr viel Geld. Es wird überlegt werden müssen.

Unterwegs kaufte ich auch Semmeln, die es daheim nach ausführlicher Körperpflege als Frühstück gab, zudem einen Rest Apple Crumble.

Gemütlicher Nachtmittag mit Zeitunglesen und Siesta, draußen zog der Himmel zu.

Bei Crowdfarming bestellte ich wieder in Spanien ein Kistlein Granatäpfel (auch in dieser Wintersaison mein Lieblingsobst) – die sauren; seit ein paar Jahren werden ja auch süße angeboten, derzeit auch bei Crowdfarming, die ich fad finde. Außerdem vereinbarte ich die erste Lieferung von meinem adoptierten Orangenbaum, ich bin schon sehr gespannt.

Fürs Abendessen war ich zuständig: Ich kochte einen Eintopf aus Ernteanteil-Wirsing und -Kartoffeln sowie Grünkern, mit Anbraten in Entenfett vom jüngste Braten sowie mit ordentlich Einbrenn. Schmeckte gut. Nachtisch Schokolade.

Im Fernsehen ließen wir den Münchner Tatort “Dreams” laufen. Haarsträubend hanebüchene Handlung, aber zum einen hatte ich gelesen, dass die Filmmusik, komponiert von David Reichelt, vom Münchner Rundfunkorchester eingespielt worden war (gut!), zum anderen überstrahlte, wie ja gerne mal in Tatorten, vor allem in denen aus München, die Schauspielkunst einer Nebenfigur alle anderen: Katrin Röver als Dr. Deah war eine Liga für sich.

§

Samstagabend erhielt Clemens Setz den Büchnerpreis und hielt dazu diese kluge, zarte Rede:
“Büchnerpreis für Clemens J. Setz: Seine Rede im Wortlaut”.
(Ich erwähnte, dass ich mit ihm schon mal im Wörthersee – in einer großen Gruppe, ok – um die Wette geschwommen bin? Mehr als einmal?)

Journal Samstag, 6. November 2021 – Zurück zu alter Schwimmform

Sonntag, 7. November 2021

Unruhige Nacht, immer wieder mit einem Schlag glockenwach geworden. Mühsam aufgestanden mit der beruhigenden Aussicht auf Siesta-Möglichkeit.

Ich hatte mich seit der vorherigen Schwimmrunde aufs Dantebad gefreut, und dann schien auch noch die Sonne!

Als ich um halb elf ankam, empörte sich vor dem Eingang gerade jemand darüber, dass am Montag die Zugangsanforderung 3G+ wird, weil das bedeute, dass auch Geimpfte und Genesene nur mit PCR-Testergebnis reinkämen, und der koste ja 70 Euro – das habe ihr eine Bad-Angestellte so erklärt. Meinem Widerspruch, das bedeute lediglich, dass man ohne Nachweis von Impfung oder Genesung einen frischen PCR-Test vorzeigen müsse und Schnelltests nicht mehr akzeptiert würden, glaubte sie nicht. Bei dieser Gelegenheit gebe ich einen Hinweis weiter, der gestern zurecht in meinem Twitter kursierte: Bei der derzeit explodierenden Infektionsrate ist es auch für Geimpfte und Genesene sinnvoll, regelmäßig einen Schnelltest durchzuführen, um sich bei unbemerkter, weil symptomfreier Infektion sofort zu isolieren.

Das Schwimmen im warmen Wasser war herrlich. Erstmals seit über zwei Jahren kam ich auf meine davor gewohnten 3.000 Meter – kraftvoll, mühelos und zudem in einer Zeit fast wie vor kaputter Hüfte (weniger als 80 Minuten), weil das Becken sehr belebt war mit eher langsameren Schwimmerinnen und Schwimmern, die ich immer wieder mit Zwischenspurts überholte. Von der tiefen Herbstsonne sieht man jetzt leicht die Ausschnitte meines Schwimmanzugs auf dem Rücken.

Auf dem Rückweg besorgte ich Frühstückssemmeln, die es daheim mit Kräuterfrischkäse vom Augsburger Stadtmarkt (mitgebracht von Herrn Kaltmamsell) gab. Über Internet- und Zeitungslesen wurde ich müde, doch draußen schien derart lockend die Sonne, dass ich doch nochmal raus in die Herbstbuntheit ging.

Nußbaumpark.

Alter Südfriedhof.

Unter der Braunauer Eisenbahnbrücke (praktisch alljährlich wird auf der Bürgerversammlung beantragt, sie als Fußgängerüberweg zu nutzen, nämlich das stillgelegte Rangiergleis des Schlachthofs, und jedesmal blockiert die Deutsche Bahn).

Ausblick von der Reichenbachbrücke nach St. Maximilian kurz bevor mir auf der Brücke Udo Wachtveitl entgegengeradelt kam. Jetzt ist es schon vor fünf so dunkel.

Es war viel los auf den Isarwegen, doch es herrschte entspannte gute Laune – mich lächelten mehrere Menschen an (nein, Ü50-Frauen sind nicht unsichtbar).

Zu Hause machte ich mir Tee und las die Wochenend-SZ aus. Während Herr Kaltmamsell zum Nachtmahl auf meinen Wunsch ein Rehgulasch mit Böhmischen Knödeln zubereitete, sorgte ich für den Nachtisch: Apple Crumble aus Kartoffelkombinats-Äpfeln, mit Mandel-Streuseln.

Zum Aperitif nutzte ich die letzte Meyerzitrone für einen Whiskey Sour – der damit ganz hervorragend schmeckte.

Mit einem Glas jungem Bordeaux, der auch schon in der Soße steckte, und von einem Kollegen des Herrn Kaltmamsell handgepflückten Moosbeeren.

Warmer Apple Crumble, englisch serviert mit flüssiger Sahne.

Zur Abendunterhaltung ließen wir im Fernsehen Ghostbusters von 2016 laufen – der vielleicht sogar besser ist, als ich ihn aus dem Kino in Erinnerung hatte.

Journal Freitag, 5. November 2021 – Sehnsucht nach 2G

Samstag, 6. November 2021

Vor Wecker aufgewacht. Emsiger Morgen daheim, strammer Marsch in frostiger Kälte in die Arbeit.

Die Linden um die Theresienwiese sind bereits kahl.

In der Arbeit sofort Hochdruck – die Tasse Tee, die ich geschickt dazwischen eingefädelt aufgebrüht hatte, wurde kalt. Und das, wo ich wusste, dass es ein langer Arbeitstag werden würde (durch Einflüsse, die deutlich schlechter prognostizierbar sind als das Wetter). Ich musste abarbeiten, was sich physisch durch meinen Homeoffice-Tag aufgehäuft hatte – mein Job ist nunmal nur zu einem kleinen Teil kompatibel mit dem Konzept Telearbeit. Was mir bei der Entwicklung der Infektionszahlen bei gleichzeitig steigendem Leichtsinn immer egaler wird.

Erst um halb zwei kam ich zum Mittagessen: Pumpernickl, Rest Fenchel-Mandarinen-Salat, Weintrauben.

Am Nachmittag konnte ich strukturierter arbeiten, doch der ohnehin späte Berufstermin verschob sich wie befürchtet immer weiter nach hinten. Es wurde spannend, ob ich es rechtzeitig zur Abendverabredung mit Herrn Kaltmamsell schaffen würde.

Es klappte dann ganz exakt, ich kam genau um die verabredeten 19 Uhr am Restaurant an, in dem ich uns einen Tisch reserviert hatte. Doch der Abend wurde angespannt: Unsere Impf-Zertifikate wurden nur mit Seitenblick geprüft, der Laden war gesteckt voll ohne Abstand zwischen den Tischen, und das Personal konnte keine Nachfragen zum kulinarischen Angebot beantworten. Wir wurden satt, schauten aber, dass wir da schnell wieder rauskamen.

Spaziergang nach Hause und Beschluss, bis Ende Pandemie höchstens noch in Gastronomie mit ernsthaft überprüfter 2G-Regelung einzukehren, also nur unter verlässlich Geimpften/Genesenen (dass es 2G-Lokale in München gibt, weiß ich aus dem Lokalteil der Süddeutschen – eigentlich sehe ich da auch ein lukratives Geschäftsmodell).

Aber der Zweck der Verabredung hatte sich erfüllt: Wir waren dazu gekommen, einander von den vergangenen beiden Wochen zu erzählen. Daheim noch ein wenig Süßes und ein Limoncello, früh ins Bett.

§

Adrian Daub, Germanist und Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University in Kalifornien, schreibt über die Verdrehung und Instrumentalisierung eines US-amerikanischen Begriffs in deutschsprachigen Medien:
“Der kurze Weg von der Lappalie zur Cancel Culture”.

Gruselige Anekdoten für die Boomerseele: Unter dem Schlagwort «Cancel Culture» ist in den deutschsprachigen Feuilletons ein regelrechtes Ökosystem entstanden.

(…)

Cancel Culture reiht sich in ein Muster ein: Aufregung unter Rechten in den USA wird Futter fürs liberale deutschsprachige Feuilleton. Man fühlt sich an den alten Marx-Satz erinnert, Deutschland habe die Restaurationen gehabt, selbst wenn es die Revolutionen übersprungen habe. Europa mag Entwicklungen unter US-Campus-Linken – wie die Gender Studies und Critical Race Theory – zwar verschlafen haben. Für die Ängste seitens Konservativer über Gendern ist es aber hellwach.

Der britische Soziologe Stanley Cohen hat dafür schon in den siebziger Jahren den Begriff der moralischen Panik geprägt: Moralische Panik ist immer ein Stück Aufmerksamkeitsökonomie, eine Art kollektiver Konzentration auf scheinbar marginale Dinge, von denen auf eine gesamtgesellschaftliche Gefahr geschlossen wird. Bestimmte Ereignisse sollen plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit verdienen als andere, äusserlich sehr ähnliche. Moralische Panik macht uns hypersensibel für die einen und blind für andere. Cohen hat auch darauf hingewiesen, dass bei moralischer Panik immer irgendeine Form der Jugendkultur im Zentrum der Projektion stehe: Mods, Rocker, Heavy-Metal-Fans – und jetzt eben «woke» Student:innen. Die Angst vor der jeweiligen Nichtigkeit ist immer auch eine Angst davor, selber obsolet zu werden.

(…)

Immer wieder werde ich von europäischen Kolleg:innen mit angehaltenem Atem gefragt, was ich mich denn überhaupt noch trauen würde. Ganz so, als flüsterte ich meine Vorlesungen zu Stefan George nur noch und als würde ich meine Kant-Gesamtausgabe irgendwo vor studentischen Spitzeln verstecken. Interessant ist aber auch, dass mir diese Frage genau so, im gleichen besorgten Ton, seit ungefähr fünfzehn Jahren gestellt wird. Die Fragesteller:innen scheinen auf einen neuen McCarthyismus von links in den USA zu warten wie Estragon und Wladimir auf Godot.

Die Tendenz, anhand einer kleinen Anzahl Vorgänge an Liberal Arts Colleges und Ivy-League-Universitäten eine angebliche Welle linker Intoleranz diagnostizieren zu wollen, ist mittlerweile sogar vierzig Jahre alt, fast so alt wie ich. Die Warnung vor drohenden Denkverboten und so viel anderem mehr wurde schon 1985 von Allan Bloom in seinem Bestseller «The Closing of the American Mind» ausgebreitet, 1990 von Roger Kimball in «Tenured Radicals», 1991 von Dinesh D’Souza in «Illiberal Education» und 1992 von Robert Hughes in «Culture of Complaint». 1995 prangerte auch Peter Thiel in «The Diversity Myth» die «politische Intoleranz» an US-Unis an. Und das sind nur die erfolgreicheren Titel. Jedes Jahr bringt ein weiteres Dutzend solcher Menetekel.

Unabhängig vom Erscheinungsdatum hatten diese Bücher alle dieselbe Masche. Die dystopische Zukunft, die sie entwarfen, erfüllte sich nie. Alles, was man «bald» nicht mehr würde unterrichten dürfen: Man unterrichtet es noch heute. Diese historische Dimension fällt bei der Aufbereitung im Feuilleton weg: Von den genannten wurden offenbar nur die Bücher von Allan Bloom und Robert Hughes überhaupt ins Deutsche übersetzt. Das Zeitungswesen ist schnelllebiger als die akademische Welt. Was sich in den USA also als jahrzehntelange Kampagne präsentiert, wird im deutschsprachigen Feuilleton als immer wieder neue Erregung erlebt.

§

ABBA hat wieder gemeinsam Musik veröffentlicht und eine neue Show vorbereitet. Ein ausführliches Interview mit den beiden ABBA-Komponisten Ulvaeus and Andersson im Guardian:
“Super troupers! Abba on fame, divorce, ageing backwards – and why they’ve returned to rescue 2021”.

Erst dadurch habe ich mich daran erinnert, dass ABBA Anfang der 1990er eigentlich Vergangenheit waren; auch ich kannte sie vor allem als ein Detail, mit dem ich als Teenager nichts anfangen konnte: ABBA war was für Pferdemädchen. Doch dann:

A jokey Australian tribute band, Björn Again, began to do surprisingly good business, progressing from playing colleges to performing at Reading festival at the behest of headliners Nirvana: today, Björn Again is a global franchise, with umpteen versions of the band performing in different territories.

Genau diese Band spielte auf dem Summer Ball der Swansea University, den ich 1992 besuchte – und auf dem ich mich überraschenderweise leidenschaftlich zu ABBA mitgröhlend und tanzend in der Menschenmenge wiederfand.

Both [Ulvaeus and Andersson] profess bafflement as to what happened – “It’s difficult to fathom, you know, I really don’t get it,” Andersson shrugs – but the truth is probably quite prosaic: a generation who had grown up with Abba’s music as young children, at an age when the alleged coolness or otherwise of music has no bearing on your tastes, had come of age.

Richtig lieb gewonnen habe ich ABBA-Schlager dann durch den herzzerreißenden Film Muriel’s Wedding.

Journal Donnerstag, 4. November 2021 – Abenteuer Homeoffice

Freitag, 5. November 2021

Alles anders weil Homeoffice – während für viele derzeit Bürotage langsam wieder zum Arbeitsleben gehören, versuche ich in dieser immer höher werdenden vierten Pandemie-Welle öfter Daheimtage einzulegen. Die Zeit für den wegfallenden Arbeitsweg nutzte ich gestern für zehn Minuten späteren Wecker und eine gute halbe Stunde Krafttraining rundum – anstrengend und schweißtreibend.

Die Arbeit begann gleich mal intensiv, außerdem hatte ich vergessen, dass ich in einer Besprechung etwas präsentieren sollte – war zum Glück bereits alles vorbereitet, ich musste mich lediglich für besseres Bild über Laptopkamera umsetzen und den Laptop mit dicken Kochbüchern aufbocken (sonst Kinnperspektive).

An Balkontisch und auf Balkonbank ist das Arbeiten nicht komfortabler als am eben verschenkten Esstisch, ich nutzte die Bank als Ablage. Doch ich strengte mich an, möglichst viele Vorteile aus dem Daheimarbeiten rauszuholen: Guten Milchkaffee, schöne Aussicht (gestern Mischung aus Sonne und Regen, dazwischen viel Wind), Herrn Kaltmamsell zwischenküssen, versuchsweise Musikhören (nee, geht einfach nicht – entweder arbeiten oder Musik, ich kann nur eines davon wahrnehmen), Paket annehmen.
PAKET ANNEHMEN! (Wie so häufig hatte ich nach der Bestellung eines Paars roter Turnschuhe, die heutzutage Sneakers heißen, um sie von funktionalen Turnschuhen abzugrenzen, die heutzutage Trainers heißen, zu jedem Schritt des Transports eine Nachricht erhalten. Und nachdem diese am Mittwoch noch gelautet hatte, das Paket werde am Freitag eintreffen, war sie am Donnerstagmorgen flugs auf “heute”, also Donnerstag umgesprungen. Ich genoss das Triumphgefühl, dass ich durch dieses kurzfristige Vorziehen nicht etwa wie sonst den Boten verpassen würde, sondern öffnete dem Boten höchstselbst die Tür. HA!)

Die erwartete Herausforderung war das Homeoffcie-typische Frieren. Noch ein Paar dicke Socken, noch ein dicker Pulli, außerdem stand ich so oft es ging auf. Lustig: Bei jedem Aufstehen vom Arbeitsplatz (Klo, Wasserholen, Teekochen) hatte ich den Impuls, mir eine Maske aufzusetzen – eindeutig Arbeitsmodus.

Mittagessen zur gewohnten Zeit: Mango und Granatapfel mit Joghurt.

Und dann war es schon zwei, als ich endlich zu dem kam, was ich fürs Homeoffice an Jobs gesammelt hatte – auch hier nichts anders als im Büro.

Ich machte pünktlich Feierabend, weil ich mit einer alter Schulfreundin, die ich beim Klassentreffen wiedergesehen hatte und die in der Nähe arbeitet, im Stadtcafé verabredet war (gründliche Kontrolle des Impf-Zertifikats, aber kein Scannen oder Kontakthinterlassen). Mit ihr und zwei Klassenkameraden hatte ich in der 11. Klasse, also mit 16, in den Ferien (wahrscheinlich Pfingst-) eine mehrtägige Radtour in den Bayerischen Wald unternommen und mir gestern von ihr Details zu meinen vagen Erinnerungen erhofft. Doch es stellte sich heraus, dass sie nicht mal die Tatsache selbst mehr wusste, sondern meine inneren Bilder anderen Radtouren zuordnete: Sie hatte bereits viel früher unbegleitete Radtouren mit Gleichaltrigen unternommen und das Unternehmen war wohl nur für mich etwas so Besonderes gewesen (Routenplanung mit möglichst Luftlinie zwischen den Etappen, weil ja am kürzesten – Überraschung, dass uns diese auf die anstrengendsten, hügeligsten Sträßchen führte / Budgetierung unserer Verpflegung und Einkauf im Discounter mit genauem Durchrechnen, was auf abgepacktes Brot und Salami hinauslief / die Erkenntnis, dass ich nach dem Essen nicht gut sportle also radle / die Jugendherbergen am Ende unserer Etappen, die alle oben lagen und eine nochmalige anstrengende Steigung erforderten / ich glaube, ich hatte die Satteltaschen dabei, mit der schon meine Mutter als Jugendliche Radtouren unternommen hatte).

Doch auch ohne diese gemeinsame Erinnerung wurden das zwei angeregte Stunden Austausch, viel über Familiengeschichte und Familienstatus über Generationen hinweg. Ich würde mich freuen, wenn wir das wiederholen.

Der gestrige Ernteanteil enthielt zu meiner Überraschung keinen Salatkopf. Also schnippelte ich mir (Herr Kaltmamsell war aushäusig) den Fenchel mit viel Grün zu einem Salat; statt der kanonischen Orangen nahm ich vorhandene Mandarinen – geht auch sehr gut! Davor gab’s den Rest Waldorfsalat, danach Schokolade.

Ernteanteil dieser Woche waren auch die ersten Kartoffeln aus eigenem Kartoffelkombinat-Anbau dieser Saison: Späte Ernte, weil der Boden dafür zu nass gewesen war. Der viele Regen hatte auch eine Erntemenge deutlich unter der Erwartung verursacht: Laut beigelegtem Infobrief hatte sich sogar in einer Senke so viel Wasser gesammelt, dass die Saatkartoffeln verfault waren.

Journal Mittwoch, 3. November 2021 – Tagesvermischungen

Donnerstag, 4. November 2021

Beim morgendlichen Fensteröffnen einen Herbstfortsauger gesichtet.

Wie schon am Vortag beim Theresienwiesenbild freute ich mich daran, wie hervorragend sich das Straßenreinigungs-Orange auf Großstadtansichten macht. Oft sind es Gruppen von Reinigungsmännern (in München immer Männer) – plaudernd, rauchend, diskutierend, scherzend, kehrend – die mir ästhetisch ins Auge fallen, aber ich habe zu große Hemmungen, die zu fotografieren. Die kleinen Fahrzeuge mit ihren Besenhaltern hinten habe ich besonders ins Herz geschlossen: Ich male mir immer aus, dass sie auf dem Weg nach Hogwarths sind, ihre Besen mit orangem Plastik-Reisig das allerneueste Modell an Renn-Besen.

In der Arbeit ging’s derart zu, dass ich zwei Tage in meinem Kopf vermischte und gleichzeitig Sportzeug für Abendsport dabei hatte (Mittwoch), Herrn Kaltmamsell im Zug nach Augsburg sah und ihm Grüße an seine Eltern auftrug (Donnerstag), mich auf abendliche Pasta freute (Mittwoch) und gleichzeitig Ernteanteil-Abholung sowie eine große Schüssel Salat aus Ernteanteil plante (Donnerstag). Raum-Zeit-Kontinuum, pft. Herr Kaltmamsell sortierte mich wieder.

Mittagessen: Von Herrn Kaltmamsell zubereiteter Waldorf-Salat (Sellerie und Apfel aus Ernteanteil), Mandarinen, Trauben.

Aufgeschobenen unangenehmen Job angepackt und erledigt, weil ein noch unangenehmerer reinkam, der den anderen schlagartig attraktiv machte – der Zauber funktioniert immer wieder.

Gegen Feierabend stellte ich fest, dass ich doch keine Lust auf Crosstrainerstrampeln hatte, sondern lieber daheim Yoga machte, um schmerzhaft verspannte LWS-Muskulatur zu lockern.

Alles für einen Tag Homeoffice eingepackt. Dass ein Restaurant und mein Sportverein durch sorgältigen 3G-Check Infektions-geschütztere Orte sind als mein Büroarbeitsplatz, weil der Arbeitgeber halt nichts Gesundheitliches über Angestellte fragen darf (aus guten Gründen!) – macht mich fertig. Bei einer aktuellen 7-Tage-Inzidenz in Bayern von über 260 (in München 124) soll jetzt für den Arbeitsplatz 3G eingeführt werden – ich bin wirklich gespannt, wie das rechtskonform umgesetzt werden soll.

Auf dem Heimweg weitete ich meine Suche nach der weihnachtlichen Süßigkeit Baumstamm aus, die ich bislang nirgends finden konnte: Ich ging in einen Lidl. Dort wurde zwar etwas unter dem Namen angeboten, doch korrekt müsste er natürlich so aussehen, die dicke, knackige Schokoladenhülle ist essenziell.

Daheim eine schöne Runde Yoga mit Adriene, die tatsächlich so gut tat wie erhofft.

Herr Kaltmamsell kochte zum Nachtmahl ein weiteres Rezept aus Rachel Roddys A-Z of Pasta: Fettuccine mit Hühnerleber und Salbei – weil wir noch so viel Salbei von Dienstag hatten.

Köstlich.

§

Doña Donnerhallen hat strukturiert auf den Tisch gehauen:
“Agiler Feminismus oder – was der Impfstatus von Joshua Kimmich mit dem Patriarchat zu tun hat”.

Sie beginnt mit:

Meine berufliche Vita ist so seltsam, dass ich erst im aktuellen Job in einem a) wirklich großen Unternehmen und b) einer deutlichen weiblichen Minderheit arbeite. Und obwohl ich die Feminismus-Fahne schon lang vor mir her trage, führe ich erst oder eigentlich immer noch bei Kollegen aller Altersstufen und jeden Bildungshintergrundes bizarre Grundlagengespräche. Weil Frauen werden nicht mehr diskriminiert, das war früher. Jetzt müssten wir nur endlich alle Vollzeit arbeiten und halt ordentlich netzwerken, dann klappt das mit der Karriere auch. (Der Kollege fand sich selbst für seine 6 Monate Elternzeit quasi einen Superhelden.)

Auch die Quote, oh Gott, so überzeugt man doch Männer nicht, so schafft man nur Ressentiments. Wirklich, das war das Argument.

(Der erste, der mit “not all men” kommt, wird… ausgelacht.)

Journal Dienstag, 2. November 2021 – Turbulenter Arbeitstag mit schmackhaftem Ende

Mittwoch, 3. November 2021

Kurz vor Wecker wachgeworden, mein System hat sowas von kein Problem mit der Zeitumstellung.

Corona-Schnelltest beim Morgenkaffee. Die Inzidenz steigt weiter steil: Ich nahm mir vor, mal wieder Arbeit zu sammeln, die ich von daheim aus erledigen kann (das ist bei meinem Jobprofil ja nur ein kleiner Teil), um Kontakte zu reduzieren.

Vergoldende schräge Morgensonne. Mir kommt es vor, als hätte ich selten einen Herbst so intensiv in seinem Voranschreiten erlebt.

Im Büro erst mal hektische Emsigkeit: Ich musste die Vorgänge der vorherigen drei Tage anhand von E-Mails nachlesen und nachvollziehen, daraus folgende Aufgaben erledigen. (NAHAHAHAIN, ich werde auch künftig nicht vorsichtshalber meine beruflichen E-Mails an Wochenenden und Feiertagen checken.)

Erkenntnis beim Spiegelcheck auf dem Klo: Mit korrekt sitzendem BH sitzt auch die Drüberkleidung bedeutend besser, selbst wenn sie eigentlich zu groß ist. Aber: Rückkehr der großen Körpertemperatur-Schwankungen, Drecks-Klimakterium, scheiß Östrogen.

Mittags Pumpernickel, Hüttenkäse, Birne.

Der Arbeitsnachmittag war turbulent (die Kollokation dieses Worts ist laut Fernsehzeitschriften eigentlich “Komödie”, dafür hätte ich deutlich mehr lachen müssen) mit einigen Noten von Wahnsinn. Noch ein Glück (NOCH EIN GLÜCK) stehe ich dabei nur in dritter Reihe.

Es wurde spät, doch ich hatte Einkaufsaufgaben auf dem Heimweg: Im Süpermarket kaufte ich neben Obst auch Salbei für meinen liebsten Herbstsalat, um den ich Herrn Kaltmamsell gebeten hatte. Zu Hause stellte ich fest, dass ich auch für den Ruccola im Rezept zuständig gewesen wäre und das vergessen hatte. Ich zog nochmal los.

Er bleibt mein liebster Herbstsalat. Nachtisch Schokolade.

Was schön war: Ich habe eine Quelle gefunden, die mir mit langjähriger Expertise erklären kann, warum ich keine Horrorfilme oder auch nur sehr spannende Filme sehen kann, warum ich mich zu sehr fürchte (oder mir zumindest Literatur zu diesem Phänomen liefern kann).