Journal Donnerstag, 13. Oktober 2022 – Radlhölle quer durch die Stadt

Freitag, 14. Oktober 2022 um 6:35

Die Nacht auf Donnerstag war zu früh vorbei, nach einem Aufwachen um halb fünf schlief ich nicht mehr ein.

Da ich nach der Arbeit entfernter einkaufen wollte, machte ich mein Fahrrad einsatzbereit. Beim Zeitung-Hochholen hatte ich eine Luftpumpe dabei und ging weiter in den Fahrradkeller, füllte Luft nach, stellte das Rad gleich raus.

Diesmal dachte ich endlich daran, auch meinen Fahrradhelm rauszukramen – UND aufzusetzen! Auch an die Warnweste über dem schwarzen Ledermantel dachte ich, in der Dunkelheit war ich schon lang nicht mehr radelnd unterwegs.

Im Büro ein emsiger Vormittag.

Mittags ging ich kurz raus für eine Erledigung, es war weiterhin mild. Mittagessen zurück am Schreibtisch: Mango und Maracuja mit Hüttenkäse.

Das größte Abenteuer gestern: Viel Büromaterial im Katalog zu bestellen (das war zuvor wegen eines anderen Prozesses unnötig gewesen). Schritt 1: Die Recherche, wie all die Sachen offiziell heißen, um sie im Katalog zu finden. (Nein, “Tacker” gibt’s da nicht.) Ein Resultat war der Wunsch, auf Briefumschlägen (aka “Versandtaschen”) möge bitte immer draufstehen, wie sie genau heißen, auf jedem einzelnen, z.B. “C4 weiß ohne Fenster Haftklebung”. Denn einige gewünschte fand ich auch nach längerer Suche nicht im Katalog, weil mir diese Angaben fehlten. Ich sollte mal einen Ausflug zum nahe gelegenen Büromarkt machen und dort einkaufen, dann die Packungsetiketten mit der Bezeichnung aufbewahren.

Nach Feierabend radelte ich unter mittelbedecktem Himmel und in milder Luft zum Ostbahnhof und zu Mittemeer: Einkäufe für ein baskisches Essen in zehn Tagen, außerdem süßen Anis für meine Eltern, auf dass sie ihn mit Schlehen zu Pacharán verarbeiten.

Das Radeln im Münchner Berufsverkehr war die Hölle: Die Verkehrsführung ist weiterhin vor allem Fahrrad-feindlich, und das bei enorm gestiegenem Fahrradverkehr. Am Stress-ärmsten ist für mich Mobilität zu Fuß oder mit Öffentlichen. Jetzt bedauerte ich, dass ich San Sebastián nie geradelt war und nie echte Fahrrad-Infrastruktur ausprobiert hatte.

Daheim eine Runde Yoga, auch die konnte mich nach der Radlaufregung (inklusive Martinhorn lang direkt neben mir – diesmal half es nicht genug, die Ohren fest zuzuhalten, ich musste auch dagegen anbrüllen, bitte um Entschuldigung, werte Umstehende) nicht richtig runterbringen.

Abendessen: Der Ernteanteil hatte den ersten Radicchio der Saison gebracht, einen schönen, großen. Den machte ich mit Balsamico-Thymiandressing an, dann gab es Käse, abschließend aus Spanien mitgebrachte Süßigkeiten.

Ich denke weiter rum an der Arbeitswelt mit jungen Menschen, die andere Ansprüche haben und die jetzt oder in der Homeoffice-geprägten Pandemie ins Arbeitsleben einsteigen. Wobei ich jetzt mal an ganz normale Bürojobs denke, nicht an besondere Jobs für hochqualifizierte und überdurchschnittlich motivierte Menschen (die dazu tendieren, ihre Arbeitssituation und ihr Erleben für repräsentativ zu halten und die Zukunft der Arbeitswelt enstprechend zu bewerten). Zumal in einer Vielzahl von unverzichtbaren Arbeitswelten Diskussionen über New Work ohnehin unmöglich sind, von Einzelhandel über Erziehung und Gebäudereinigung bis Pflege.

Ich sehe in großen Unternehmen/Organisationen auf der einen Seite Betriebsräte, die um Gleitzeit gekämpft haben und darin um eine möglichst optimal definierte Kernzeit: Damit AUSSERHALB dieser Kernzeit niemand von den Mitarbeitenden Verfügbarkeit fordern darf. Und erlebe auf der anderen Seite Neulinge im Erwerbsleben, die sich durch Kernzeit zu Verfügbarkeit gezwungen fühlen, die private Abwesenheiten ganz selbstverständlich jederzeit einschieben.

Was nicht allein ein bürokratischer (und arbeitsrechtlicher) Konflikt ist: Kernzeiten mit verpflichtender Verfügbarkeit/Erreichbarkeit (im Büro oder im Homeoffice) verhindern vor allem in komplexen Projekten aller Themen und mit vielen Beteiligten Ausbremsen – in dieser Zeit sind Absprachen, Anfragen, Nachfragen, Besprechungen am wahrscheinlichsten. Auf der anderen Seite steht das Argument, dass doch egal ist, wann eine Aufgabe erledigt wird, Hauptsache sie ist erledigt.

Ich bin sehr gespannt darauf, wie das in Zukunft ausgehandelt wird, vor allem eben in den ganz normalen Massen-Bürojobs, in denen sich Betriebsräte um solche Themen kümmern (und Betriebsräte habe ich nicht zuletzt nach meinem Agenturleben zu schätzen gelernt, in denen nicht nur jede*r einzelne seine Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber aushandeln musste, inklusive Veränderungen in Krisen, sondern in denen eine Verweigerung überbordender Überstunden nicht vorgesehen war).

§

Wie froh ich bin, dass es solche Menschen gibt – die Menschen ansprechen, deren Schilde an den richtigen Stellen durchlässig sind. Menschen wie Smilla.
“Mann mit Tretroller”.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 13. Oktober 2022 – Radlhölle quer durch die Stadt“

  1. Swuuj meint:

    Den Gedanken, dass doch nur das Ergebnis zähle, zu Ende gedacht, würde den Arbeitsvertrag von einem Dienstleistungsvertrag entgültig zum Werkvertrag wandeln. Und damit fast alle Errungenschaften der Arbeiterkämpfe zunichte machen.

  2. FrauC meint:

    Und wie heißt jetzt der Tacker im Katalog? Das Zubehör “Heftklammer” legt “Hefter” nahe, aber das wäre wegen der Schnellhefter auch verwirrend.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Ich fand ihn unter “Heftgerät, mechanisch”, FrauC.

  4. Sannie meint:

    Hatte eigentlich beschreiben wollen, wie das bei uns läuft, aber vielleicht ist ein Unternehmen, in dem Überstunden genehmigt werden müssen, weil sie ja bezahlt oder später ausgeglichen werden müssen, einfach nicht repräsentativ?

    Und abgesehen von wirklich sehr seltenen Notfällen wüsste ich gar nicht, in welchem Umfeld meine jederzeitige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit tatsächlich notwendig ist. Ist das nicht mehr ein Problem mit übergriffigen Chefs?

  5. Alexandra meint:

    Ich steh’ mit den Dingern total auf Kriegsfuß (die Magazinfeder schiebt die Klammern übereinander, überall fliegen lose Stücke herum, auch in den Vorratskartons … ) und greife lieber zu den klammerlosen Modellen.

  6. Ilka meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell,
    nicht nur die jungen Menschen haben da jetzt andere Vorstellungen, auch die älteren (ich nehme mich da nicht aus). Das wird noch massive Wachstumsschmerzen im System geben, denn das “weiter so wie vorher” wird nicht mehr einfach so akzeptiert, wenn es nicht echte Gründe für Anwesenheitspflicht usw. gibt.
    Viele Grüße
    Ilka

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