Archiv für Juli 2023

Journal Dienstag, 4. Juli 2023 – Von Bath nach Brighton, unerwartet anstrengend

Mittwoch, 5. Juli 2023

Leider eine sehr unruhige Nacht. Da mochte mein Körper die zehn Stunden Auf- und Abgehen problemlos weggesteckt haben, doch wie Herr Kaltmamsell immer betont: “Man wandert ja mit dem Kopf, nicht mit den Beinen!” – mein Kopf kam einfach nicht zur Ruhe und wanderte weiter. So konnte ich das Schnarchen im Zimmer bemerken und das durchgehende Möwengeschrei davor, es war viel Wälzens.

Geschlafen habe ich natürlich auch, ich wachte mit völlig zugeklebten Augen auf – wahrscheinlich eine Folge des heftigen Winds am Vortag.

Herr Kaltmamsell hatte herausgefunden, dass das Frühstück in unserem wunderschönen B&B mehrfach ausgezeichnet worden war (“award winning”), und das Angebot sowohl an warmen Speisen auf der Karte als auch am Buffet war wirklich ausgesprochen liebevoll. Doch leider musste ich wieder passen: Nicht mal Joghurt lockte mich, ich suchte mir nur auf der Teekarte (!) einen aus, genoss das Servieren in Silberkännchen mit Sieb zum Abgießen und heißem Wasser für zweiten Aufguss. (Zudem musste ich feststellen, dass mein Spießerinnen-Magen in dieser Stimmung besonders schwummrig auf Essnachbarn reagiert, deren Tischmanieren nicht mal für geschlossenen Mund beim Kauen und für Schmatzfreiheit reichen. Ich halte es wirklich für komplett wumpe, ob jemand einen Brot- von einem Kuchenteller unterscheiden kann, ein Fisch- von einem Steakmesser, selbst Ellbogen auf dem Tisch kommen halt vor – und doch ist meine Manierentoleranz offensichtlich niedriger, als ich bisher dachte.)

Doch ich genoss den wunderschönen Frühstücksraum. In einem der Bilderrahmen wurde erklärt, dass hier im 18. Jahrhundert die Küche gewesen sei, dass die drei Bogennischen noch davon zeugten. Die jetzige Küche, in der das Frühstück zurbereitet wurde, habe damals als Speisekammer fungiert.

Gemütlicher Spaziergang zum Bahnhof, unsere Ferienwohnung in Brighton durften wir eh erst ab 16 Uhr beziehen.

Auf dem Avon wurden angeschwemmte Baumteile zerkleinert.

Herr Kaltmamsell hatte extra eine Zugverbindung gebucht, die zwar etwas länger dauerte, aber von uns mit den schweren Koffern nur einmal Umsteigen verlangte. Nur dass der zweite Zug in Havant liegen blieb und wir alle in eine alternative Verbindung nach Brighton umsteigen mussten. Brotzeit im Zug gegen eins: Apfel, Eiweißriegel, getrocknete Feigen.

Viereinhalb Stunden Zugfahren, so stellte ich fest, erschöpften mich körperlich deutlich mehr als viereinhalb Stunden Wandern. Andererseits: Wie soll man beim Zugfahren Pause machen?

Im vertrauten Brighton rollkofferten wir über einen Umweg zu unserer Unterkunft in einem denkmalgeschützten Regency-Haus an der Grenze zu Hove: Wir gingen erst mal runter zur Uferpromenade und holten uns die erste Portion steife Meeresbrise inklusive Niesel.

Dann aber hätten wir gerne unsere Wohnung bezogen, was nicht funktionierte: Der Schlüssel dazu war in einer Schlüsselbox mit Zahlencode hinterlegt, wie man sie immer häufiger sieht, und der Zahlencode, den ich von der Ferienwohnungsagentur zwei Tage zuvor bekommen hatte, funktionierte nicht. Nein, in solchen Situationen werde ich sehr wahrscheinlich nie gelassen bleiben.

Ich stellte per Download eines Anleitungs-Videos sicher, dass wir die (ohnehin idiotensichere) Schlüsselbox richtig benutzt hatten, schickte eine E-Mail über die Ferienwohnungs-Plattform, sprach der Kontakt-Telefonnummer auf den AB, setzte Herrn Kaltmamsell auf die Stufen vorm Haus und machte mich auf den Weg zum nicht zu weit entfernten Büro der Agentur. Unterwegs rief ich nochmal an – und erwischte eine Angestellte. Stellte sich heraus, dass, “ah ja richtig”, ein house manager den Code nach Abschicken der E-Mail geändert hatte. Nach einer weiteren Runde Hin und Her verstand ich den neuen korrekt, wir kamen endlich an den Schlüssel. Diese Agentur hatte ich mir bereits aus anderen Gründen gemerkt, um sie künftig zu meiden, ich sah mich bestätigt.

Die erste Maschine schmutzige Wander-Wäsche konnten wir nicht vor der Einkaufsrunde starten, weil Waschmittel auf die Einkaufsliste musste (hatte ich auch noch nicht in einer Ferienwohnung, zefix). Doch nach dem Auspacken und der Bestandsaufnahme in den Küchenschränken begann der Urlaubsspaß wirklich: Einkaufen im großen Waitrose-Supermarkt an der Western Road.

Fürs Nachtmahl war ich zuständig und muss meiner polnischen Oma wirklich mal danken, weil ich von ihr etwas fürs Leben gelernt habe: Beim Versuch, den Schnittlauch für ein Joghurt-Dressing in feine Röllchen zu schneiden, erwies sich das Ferienküchenmesser (wenig überraschend) als brutal stumpf, ich hätte gradsogut den Messerrücken verwenden können. Da erinnerte ich mich, dass eben diese Oma ihre Messer immer am unglasierten unteren Rand von Tassen schärfte – und probierte das. Das Ergebnis war umwerfend: Ich hatte ein brauchbar scharfes Messer. Danke Oma!

Es gab Salat und Tomätchen mit Joghurt-Dressing (auf Teller angerichtet statt gemischt, weil keine Salatschüssel vorhanden – ich hätte sogar wie in der einen oder anderen Ferienwohnung zuvor eine billige große Schüssel gekauft, wenn ich im Supermarkt oder auf dem Weg eine gesehen hätte, war aber nicht so) drei britische Käsen (Bath Blue, Räucherkäse, Cheddar mit Nüssen und Beeren), dazu Ploughman’s Pickle, Brot, gesalzene Butter, außerdem ein hiesiger Wein: Bolney Estate Dark Harvest aus dem Anbaugebiet West Sussex – beeriger, würziger Geschmack aus den Sorten Rondo und Regent, beides recht neue Hybrid-Züchtungen.

Zum Nachtisch Erdbeeren und reichlich Schokolade, auch dafür hatte der Supermarktbesuch gesorgt.

Journal Montag, 3. Juli 2023 – Cotswold Way 7 von Old Sodbury nach Bath, mit Pub-Kultur-Erschütterung

Dienstag, 4. Juli 2023

Ich will ehrlich sein: Die eigentliche Überraschung war gestern nicht, dass wir dann doch auf über 30 Kilometer Wanderung kamen (Herr Kaltmamsell hatte 28 angekündigt) und knapp 130 Stockwerke. Sondern wie locker ich das schaffte. Da ich echt nichts dafür kann, weil Veranlagung und in meinem Alter einfach Glückssache, klopfe ich meinem 56-jährigen Körper hiermit erstaunt auf die Schulter: Respekt, vor allem wenn ich daran denke, wie zerschlagen er sich manchmal schon nach 100 Minuten Joggen an der Isar anfühlt.

Unsere letzte Etappe Cotswold Way war so lang, weil sie zwei zusammenfasste, dazwischen hatten wir keine Unterkunft mehr bekommen – was übrigens nicht nur an unserer überstürzt späten Buchung im April lag: Der Landlord unserer Unterkunft in Old Sodbury erzählte, dass sich die Zahl von Zimmern auf der Strecke über die Corona-Zeit halbiert habe, von etwas über zweistellig auf deutlich einstellig.

Das mit dem Frühstück ließ ich Appetit-gemäß wieder bleiben, Herr Kaltmamsell orderte Full English – die Köchin hatte freundlich darauf hingewiesen, dass alles nach seinen Wünschen zubereitet werde, er möge also nur bestellen, was er wirklich essen wolle. Es war ohnehin ein sehr erfrischender und aufschlussreicher Plausch mit den Gastgeber*innen.

Wir brachen eine halbe Stunde früher auf als sonst, wir hatten schließlich Einiges vor uns – nämlich nicht nur die Doppeletappe, sondern auch eine Schlossbesichtigung. Gestern erst, am Ende unserer Wanderung, stellte sich bei mir endlich der Augenblicksgenuss des Wanderns ein; aus wahrscheinlich teuflischen Gründen war ich an den Tagen davor nie richtig aus dem Modus des (durchaus freudigen) Hinter-mich-bringens gekommen.

Old Sodbury.

Eingang zu Dodington Park. Hier machte der Besitzer James Dyson (ja, genau der) sehr klar, noch viel klarer als vor sechs Jahren, nämlich mit massiven Zäunen samt Stacheldraht und vielen bösen Schildern: Ich muss Sie aus rechtlichen Gründen durchlassen, aber ich möchte Sie hier wirklich, wirklich nicht haben.

Während der halben Stunde, die wir wie im Käfig durch sein Anwesen wanderten, stellte ich mir vor, wie man mit so einem public footway durchs eigene Gelände auch umgehen könnte, zum Beispiel freundlich und willkommend, bei eh viel Geld zum Beispiel mit Personal, das statt Stacheldraht aufs Gelände aufpasst, und mit Bewirtschaftung der Flächen – der Park sah mittlerweile sehr steril aus (ordentlich durchgesaugt, was?).

Fasane hörten wir auf der ersten Hälfte unseres Wegs gestern immer wieder, sahen aber keinen einzigen.

Wir machten Halt bei Dyrham Park. Vor sieben Jahren hatten wir nur die Außenanlagen ausgiebig besichtigt, diesmal konnten wir rein.

Da wir bis zur Öffnung des Schlosses um halb zwölf noch ein wenig warten mussten, machten wir im schönen tea room Rast mit Tee und Cappuccino.

Interessante Art des Informationsangebots auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Medien: Pro Raum eine Porzellantafel (Delfter Porzellan war ein Hauptthema) mit dem Allernötigsten, ein Pult mit einer Tafel, die mehr Info-Text lieferte, dazu Materialien aus dem Raum zum Anfassen, im Pult eine Mappe “Room Book”, das Zeichnungen und ganz tiefe Infos zu Details lieferte. In einigen Räumen standen auch Personen, die bereitwillig Dinge erklärten – oder Spinett mit Musik aus der Zeit spielten.

Der Schwerpunkt der Erzählung lag zum einen auf der Person des Erbauers um die Wende 17./18. Jahrhundert William Blathwayt, seiner damalige Rolle in Gesellschaft und Politik. Zum anderen wurden historische Hintergründe und zeitgenössische Bewertungen genannt.

Küche aus dem frühen 19. Jahrhundert mit der vielfältigen Nutzung einer einzigen Hitzequelle. Besonders gefiel mir auch ein Raum, in dem die Renovierungs- und Wartungsarbeiten am und im Haus erklärt wurden.

Während unserer Schlossbesichtigung hatte es geregnet, wir warteten den letzten Ausläufer des Schauers ab. Im Folgenden regnete es noch das eine oder anderem Mal sehr kurz, sonst war das Wetter des Tages geprägt von starkem Wind, der uns auch große Äste über den Weg geworfen hatte.

In Cold Ashton hatte diese Etappe 2016 geendet, gestern wanderten wir weiter.

Kurz nach drei machten wir auf dieser raren Bank Brotzeitpause – recht windumtost, aber bequemes Sitzen mit Lehne war uns das wert. Ich aß aus dem Lunchpaket eine Banane, eine Vollkornsemmel mit Schinken und eine mit Käse.

Herr Kaltmamsell hatte nicht so viel Glück mit seinem Körper wie ich: Ihn plagte ein Fuß, er wechselte hier in Turnschuhe, die er vorsichtshalber eingesteckt hatte. (Mit Fitness hatte aber auch er keinerlei Probleme.)

Selfie vor den letzten Meilen, Bath bereits im Hintergrund.

Gegen 17 Uhr meldete sich unsere Unterkunft in Bath telefonisch bei Herrn Kaltmamsell, wann wir denn nun kämen. Da hatten wir aber noch eine gute Stunde vor uns.

Dass es selbst nach Überschreiten der Stadtgrenze von Bath nochmal ordentlich bergauf und -ab ging, nahm ich dann aber persönlich (jajaja, alternativ hätten wir wahrscheinlich Straßen langgehen müssen, was ich noch viel weniger mag).

Vor der Kathedrale in Bath der offizielle Endpunkt des Cotswold Ways – 160 Kilometer geschafft! (Kommen wir jetzt in den Himmel? Ich war auf dem Weg eh ständig versucht, entgegenkommenden Wander*innen “buen camino!” zuzurufen.)

Über den Avon spazierten wir zu unserem zentral gelegenen B&B in wunderschönem historischen Haus, ruhten uns aber nur kurz aus.

Denn Hunger hatten wir jetzt sehr, wir spazierten zehn Minuten in den Pub, den wir auf Empfehlung auch vor sieben Jahren besucht hatten: The Salamander.

Hier bestätigte sich, was wir mehrfach in der vergangene Woche erlebt hatten, eine erschütternde Veränderung in der britischen Pub-Kultur (also Kultur): Man zahlt im Pub nicht mehr gleich beim Bestellen an der Theke, man bekommt auch Getränke an den Tisch serviert. Auch gestern wurde ich beim Bestellen von Bier und Essen gefragt: „Shall I leave that open?“ Ich konnte also abschließend alles zusammen bezahlen.
(Das hätt‘s unter der Queen nicht gegeben.)

An Bier ließ ich mir erst ein helles Stout empfehlen (Prognose der Chefin: wird man diesen Sommer noch öfter sehen), außerdem ein IPA (ich hatte um etwas Hopfiges, Bitteres gebeten) mit deutlichen Hollerblüten-Anklängen. Herr Kaltmamsell schloss sich jeweils an.

Zu Essen gab es Lamb Pie mit Gemüse und chips für den Herrn, ich hatte Auberginenröllchen mit Tofu-Füllung bestellt (deren Geschmack in der eingekochten Tomatensauce leider unterging) – zu meiner Freude auch als kleine Portion angeboten, denn ich wollte unbedingt noch Dessert schaffen.

Herr Kaltmamsell bekam frittierte Pudding-Schnitten mit Rhabarber-Dip, ich hatte Banana STP (Sticky Toffee Pudding), genauso knallsüß wie erhofft.

Ordentlich angetrunken und satt spazierten wir in unsere Unterkunft, bei mir passte noch ein wenig Schokolade hinterher.

Journal Sonntag, 2. Juli 2023 – Cotswold Way 6, Wotton under Edge nach Old Sodbury / Anne Rabe, Die Möglichkeit von Glück

Montag, 3. Juli 2023

Nach guter Nacht überredete ich mich wieder zu Frühstück: Toast mit Butter und Marmelade, Joghurt. Aber diesmal lag es mir beschwerlich im Magen, vielleicht nicht immer eine gute Idee?

Gestern als sechste unseres Cotswold Ways nochmal eine kürzere Etappe mit knapp 22 Kilometern in sechs Stunden – dabei hatten wir im letzten Drittel extra getrödelt, um nicht zu früh an unserem B&B anzukommen. Doch uns erwischten beide dann doch Blasen an den Füßen – ohne dass eine Druckstelle im Stiefel zu identifizieren war. In meinem Fall ist es eine kleine Blase an der linken großen Zehe links neben dem Zehennagel, da war aber in all den Tagen nichts außer der Nebenzehe, ich checkte gestern beim ersten Zwicken extra nochmal auf Falten im Socken. Aber ich hatte in der Vergangenheit ja auch schon Blasen an der Unterseite von Zehen vom schieren Druck des Gehens, auf so lange Strecken an so vielen Tagen hintereinander sind meine Prinzessinnenfüßchen halt nicht ausgelegt.

Das Wetter wurde prima: Anfangs hatte ich noch gefröstelt und war in meine Jacke geschlüpft, doch schon nach dem ersten Aufstieg brauchte ich sie nicht mehr. Wie angekündigt wurde es gestern recht windig, doch die meiste Zeit wärmten sonnige Abschnitte.

Abschied von unserer Unterkunft in Wotton under Edge.

(Foto: Herr Kaltmamsell)

In die Kirche, in der ich beim letzten Besuch die vielfältigen Knie-Kissen fotografiert hatte, linsten wir nur kurz rein, wurden sofort von der Sonntagsgemeinde darin eingeladen, dankten herzlich und flohen.

Argument gegen kurze Hosen – und Zeichen, dass so viele Leute dann doch wieder nicht auf dem Cotswold Way unterwegs sind, sonst könnten die Wege nicht derart zuwachsen. Am gestrigen Sonntag begegneten wir besonders vielen Spaziergänger*innen, die meisten mit Hund unterwegs, aber auch jugendlichen Wandergruppen mit Übernachtungsmatten an ihren Rucksäcken, auch am Samstag waren uns schon solche entgegen gekommen (Ferienaktionen?).

Das hier sind genau die Wegabschnitte auf Straßen, vor denen ich mich fürchte: Wenn mir hier ein SUV begegnet, ist praktisch kein Platz zum Ausweichen. Was ein Radler wie der auf dem Foto machte, kann ich mir gar nicht vorstellen.

Monument für einen Robert Edward Somerset (?).

Schicke Häuser hier.

Weil wir so schnell gewesen waren, machten wir schon um halb zwei Brotzeitpause in dieser windgeschützten Senke. Es gab die Sandwiches aus dem Lunchpaket, das wir in der Unterkunft bekommen hatten, und die sich als ausgezeichnet herausstellten: Dicke Scheiben brown bread, darauf einmal dick Schinken und Käse sowie Pickle, einmal dick Käse und Zwiebelmarmelade – wir teilten uns beide. Davor je ein Apfel, danach Ingwerkekse.

Zum Trödeln sahen wir uns die Kirche und den Kirchhof von Little Sodbury an (19. Jahrhundert, aber exakt im Stil der tausendjährigen Kirchen). Darin viel Geschichte zum Ersten Weltkrieg, der in England deutlich lebendiger gehalten wird als in Deutschland. Das Besondere in Little Sodbury, “Thankful Village”: Alle sechs Dorfbewohner, die in den Krieg zogen, kehrten lebend zurück.

Unsere Unterkunft für die Nacht.

Ein gutes Zimmer. Die Kriterien:
1) Platz für offenen Koffer (bei täglichem Wechsel wird nicht ausgepackt)
2) Schreibtisch
3) Aussicht
4) Badewanne (nicht im Bild)
Ordentliches WLAN gab’s auch, großartig.

Wir nutzten beide die Badewanne, eine las, einer guckte englisches Fernsehen (“Das perfekte Dinner” auf Englisch: Hier sind die Ansprüche an die Gerichte deutlich niedriger, dafür wird mehr über die menschliche Seite gesprochen, und es werden party games gespielt).

Fürs Abendessen war im örtlichen Pub reserviert.

Ich hatte mich auf die lamb shanks gefreut, bei all den Schafen auf den Weiden hatte ich ungeheuer Lust auf Lammfleisch bekommen (ich fürchte, “wie kann man diese niedlichen Tiere töten und essen?” hat bei mir noch nie funktioniert, auch nicht zu Kinderzeiten). Schmeckte hervorragend, auch wenn ich keine Illusionen habe, dass es sich um lokales Lamm handelte, war aber zu viel. Davor ein Pint Guiness, das ich sehr genoss, das mich aber recht betrunken machte.

§

Samstagabend hatte ich Anne Rabe, Die Möglichkeit von Glück ausgelesen, von Anfang an gefesselt (auch auf unangenehme Art), sehr interessiert, aber durchgehend irritiert von der Einsortierung “Roman” auf dem Buchtitel, also Fiktion. Dieser Roman also erzählt aus der Perspektive einer Frau, die fast alle biografischen Eckdaten mit der Autorin teilt, vom Aufwachsen in einer ostdeutschen Seestadt als jemand, die wenige Jahre vor dem Fall der Mauer geboren wurde, als jemand, die aus einer stramm linientreuen DDR-Familie stammt. Außerdem erzählt er von der Suche nach der Biografie des geliebten Großvaters, vor allem nach seiner Rolle im Nazi- und im SED-Regime.

Klar kann die ganze Geschichte ausgedacht sein, doch in der Danksagung (ja, ich lese Bücher wirklich von ganz vorne bis ganz hinten) dankt Rabe Archivaren und Archivarinnen, und sie hat genau beschrieben, unter welchen Voraussetzungen man Einsicht in biografische Details von Verstorbenen wie den Romanfiguren nehmen darf: als nahe Angehörige.

Also entscheide ich hiermit, dass weitgehend Nicht-Erfundenes erzählt wird, wenn auch Vieles anonymisiert (mich würde sehr interessieren, wie es zum Verkaufen als “Roman” kam), und dann ist das Buch besonders lesenswert: Ich lernte eine Menge über diese Generation von Menschen aus Ostdeutschland, wie, womit und mit wem sie nach der Wende Schulunterricht hatten, wie vormals kadertreue Menschengruppen die neue Welt wahrnahmen.

Und ich kam durch Rabes Schilderung der Härte bis Brutalität ihrer Mutter, ihrer eigenen bodenlosen Einsamkeit dabei, mal wieder ins Nachdenken darüber, wie unterschiedlich die Sicht auf Kindergroßziehen und Erziehung aus Elternperspektive (vor allem Mutter-) und aus der Perspektive der betroffenen Kinder ist. Wie entsetzlich Maßnahmen und Haltungen angekommen sein können, die aus Elternsicht wohlüberlegt, das Allerbeste und wunderbar waren. Mich gruselt deshalb manchmal, wenn ich Eltern erzählen höre oder lese, wie großartig sie das mit ihren Kindern machen, und ich frage mich, was diese Kinder wohl in 20 bis 30 Jahren darüber erzählen.

Jounal Samstag, 1. Juli 2023 – Cotswold Way 5, Leonard Stanley nach Wotton under Edge

Sonntag, 2. Juli 2023

Eine gute Nacht, doch morgens gab es kein warmes Wasser in der Dusche. Ich kalkulierte durchaus ein, dass wir uns beide mit diesem schon wieder neuen Armaturen-Konstrukt gleich blöd anstellten, doch beim Frühstück hörte ich einen anderen Hotelgast auf dasselbe Problem hinweisen.

Seit dem Vorabend hatte ich mich darauf vorbereitet, an diesem Morgen etwas zu essen, ein bisschen was würde doch wohl gehen. Dass dieser Plan auf das mit Abstand liebloseste Frühstücksangebot unseres ganzen bisherigen Aufenthalts traf, war halt Pech (wie überhaupt diese Unterkunft Lieblosigkeit atmete – was mich vor allem in der Gastronomie und Hotelerie richtig runterziehen kann): Das Buffet-Angebot bestand vor allem aus aufgerissenen Packungen Gastro-Großgebinde, die Breakfast-Lady war mit dem kleinen, sich jetzt aber schnell füllenden Frühstücksraum komplett überfordert. Herr Kaltmamsell wagte sich dennoch ans Full English: “War ok.”

Ich aß zwei Scheiben Toast mit Butter und Marmelade, sowas wie Muesli (die Aufschrift auf dem Glas war fast nicht mehr zu lesen) mit sowas wie Pfirsich-Joghurt (wenn ein fettfreies Diät-Fabrikprodukt mit Pfirsich-Aroma diese Bezeichnung verdient). Das machte mich bis deutlich nach Mittag satt. Meinem Bauch geht’s wieder gut, er ist zurück bei der gewohnten Reiseverstopfung (Augenroll-Emoji).

Eigentlich hatten wir Lunch-Pakete gebucht, man hatte uns bei der Ankunft gesagt, wir sollten einfach die Breakfast Lady darauf ansprechen – doch wir wollten ihren Stress nicht noch vergrößern und verzichteten.

Abschied von Leonard Stanley.

Es war für den Tag Sonne angekündigt, zunächst merkten wir das vor allem an mehr Wärme. Angenieselt wurden wir trotzdem am Anfang. Doch dann wurde das Wetter tatsächlich besser, ich hatte die Sonnencreme nicht umsonst aufgetragen. Obwohl es gestern sehr oft auf und ab ging, fühlte ich mich fit und gelassen, das Frühstück mag wirklich eine gute Idee sein.

Archäologie-Schilder-Archäologie.

Und echte Archäologie: Das eisenzeitliche Grab Nympsfield.

So viele verschiedene Blumen!

Nach knapp drei Stunden kamen wir ins Städtchen Dursley.

Auch in England gibt’s Friseurhumor. Wir spazierten durch die Fußgängerzone, blieben besonders lang vor der Auslage einer Metzgerei stehen – an einem Samstag besonders reichhaltig (ein Schild bot auch Ziegenfleisch an).

In einem empfohlenen Pub trank Herr Kaltmamsell ein Pint Bitter, Tee gab’s dort nicht, also sah ich ihm nur zu.

Blick zurück auf Dursley.

Auf Stinchcombe Hill, hauptsächlich als Golfplatz genutzt, gab’s sogar ein steinernes Schutzhäuschen.

Im Hintergrund der Turm ist Tyndale Monument, dort gingen wir hin.

Angekommen. Schon seit fast zwei Stunden hatten wir es gehört, jetzt sahen wir es auch (rechts unten): Nibley Festival, mit Musik, Commedy, Familienvergnügen, Camping.

Hier machten wir gegen halb drei Brotzeit, jetzt hatte ich wieder Hunger: Gemischte Nüsse, getrocknete Feigen.

Auf dem letzten Stück bis Wotton under Edge wurden wir immer wieder von Joggern mit Wettkampfschildchen überholt, offensichtlich fand auf dem Cotswold Way ein Rennen statt.

An dieses eigentümliche Denkmal mit eingezäunten Kiefern erinnerte ich mich noch gut von 2016. Seit gestern Mittag sind wir ja auf der Südhälfte des Cotswold Way, die wir schon kennen, gleichen immer wieder unsere Erinnerungen ab.

Hier das 2022 erneuerte Erklärungschildchen.

Nach knapp 25 Kilometern in gut sieben Stunden und über 150 Stockwerken auf und ab kamen wir an unserem Ziel an. Vor Beziehen der Unterkunft besorgten wir in einem mittelgroßen Coop-Supermarkt Abendessen.

Unterkunft diesmal von der aufmerksamen, liebevollen Sorte, sogar unsere Koffer waren bereits in das Dachzimmer des schön renovierten, sehr alten Inn getragen worden. Dass es klein ist und ohne Schreibtisch, war da unwichtig. Nach unseren Lunchpakt-Wünschen wurden wir bereits beim Einchecken gefragt, das stimmte mich zuversichtlich.

Füße hoch. Weil ich mich klebrig verschwitzt auf dem frischen Hotelbett seltsam fühlte, ging ich unter die Dusche. Sie tat richtig gut: Sauberes, geschmackvolles Bad, warmes Wasser, wohlriechendes Shampoo und Shower Gel.

Nachtmahl: Hummus mit Schnitzen von gelber Paprika als Löffel, Nudelsalat mit Spinat und Pinienkernen, englische Erdbeeren, Schokolade. Dabei lief im Fernsehen, BBC Sport, Frauen-Cricket – ich war sehr enttäuscht über das Fehlen der weißen Pullunder mit V-Ausschnitt. (Mal wieder tiefer innerer Dank an Helene, die Engländerin, die mir während meines Auslandsstudienjahrs die Grundzüge von Cricket nahebrachte, sich aller Absurditäten bewusst, und die betonte: “It’s not that boring to watch Cricket. It’s more boring to watch paint dry!”)

§

Wundervolle Seite Drei in der Wochenend-Süddeutschen:
“Danke, stimmt so”.

Kaum jemand weiß, dass die Bundesrepublik ein Spendenkonto hat. Wer will, kann dem Staat Geld schenken, damit der seine Schulden tilgen kann. Die Frage ist nur: Wer macht denn so was – und warum? Eine Fahndung.

Am Tonfall merkt man, dass die Autoren Boris Herrmann und Cornelius Pollmer einen Heidenspaß daran hatten.

(Bei dieser Gelegenheit sah ich zum ersten Mal den Knopf “Artikel verschenken” auf der Website – OHO! Dahinter steckt Folgendes:

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Empfängerinnen und Empfänger des Geschenk-Links können den Artikel nach einer kurzen Registrierung lesen – so oft und so lange wie gewünscht. Über den Geschenk-Link kann der Artikel immer wieder aufgerufen werden.

Sie wollen den Artikel mehreren Freunden schenken? Kein Problem – Sie können so viele Geschenk-Links generieren wie Sie möchten. Beachten Sie aber, dass ein Geschenk-Link immer nur von einer Person eingelöst werden kann und nicht an mehrere Personen gleichzeitig geschickt werden sollte.

Ein Anfang, hurra! Das mit der “kurzen Registrierung” geht vielleicht noch technisch weg, ebenfalls die Vereinzelung – dann klappt das irgendwann auch mit dem Verschenken über mein Blog! Wofür ich, Sie erinnern sich, auch bereitwillig zahlen würde.

Bis dahin: Wenn Sie den Artikel lesen möchten, e-mailen Sie mir doch an die Kontaktadresse links, dann schicke ich Ihnen einen Geschenk-Link.)

§

Martin Parr hat beim Glastonbury-Festival 2023 fotografiert, wie immer sehenswert.

Journal Freitag, 30. Juni 2023 – Cotswold Way 4, Birdlip nach Leonard Stanley im Trüben

Samstag, 1. Juli 2023

Sehr gut und tief geschlafen, hätten gerne mehr als die neun Stunden bis Weckerklingeln sein dürfen.

Am Vorabend hatte ich noch gehofft, dass das wenige Essen am Donnerstag zu Frühstücksappetit am Freitag führen würde – ich finde Frühstücksappetit großartig und denke immer wieder gerne an diesen einen Morgen in Sepúlveda beim Großfamilienurlaub zurück, wie herrlich Brot, Schinken, Kuchen schmeckten. Doch leider schüttelte es mich auch gestern Morgen allein beim Gedanken an nur einen Bissen. Schwarztee mit Milch und Zucker genoss ich aber.

Herr Kaltmamsell ließ sich auch in Birdlip ein Full English braten, aß es mit Genuss. Besonderes Feature hier: eine Rösti-Ecke.

Ein dunkelgrauer, kühler und windiger Tag, einige Male wurden wir auch heftig angenieselt. Dass ich zu wenig gegessen hatte, merkte ich dann doch beim Start unserer vierten Etappe Cotswold Way: Mir war schwach und schwindlig. Nach einer knappen Stunde zwang ich mich also zu einem Eiweißriegel, der half.

Gestern führte der Weg meist durch Wald. Es gab eher wenige Aussichten, die auch noch durch Regen verschleiert, das Ganze fühlte sich eher nach Sporteinheit an.

Unordentliche Vögel hier, die ihre Kleidung überall rumliegen lassen.

Nach drei Stunden Wanderung waren wir in Painswick, dem Start unserer Cotswold-Way-Wanderung 2016. Wir kehrten in einem Pub ein: Pint of Cider für Herrn Kaltmamsell, Tee für mich.

Und da hier so ziemlich der einzige Supermarkt auf dem Weg lag (nicht viel größer als ein Corner Shop), holten wir uns schon mal Abendessen.

Um halb drei auf einer der sehr raren Bänke und mit Aussicht Brotzeitpause, ich traute mich gemischte Nüsse und getrocknete Feigen. Bauch war nicht völlig einverstanden.

Am Ende dieser Weide mussten wir zwei Kühe freundlich bitten, das Gatter freizumachen, sie standen direkt davor, halb drin. Ich bin weiterhin für die großen Tiere zuständig und erledigte das, Sprechen reichte. (Herr Kaltmamsell beim Passieren: “Sie hat mich angeschnuppert!”)

Kurz vor Stroud der Weinberg, den wir vor sieben Jahren im Anfangsstadium passiert hatten.

Unterkunft diesmal eine halbe Fußstunde ab vom Cotswold Way in Leonard Stanley. Mein Tracker hatte gut 25 Kilometer in knapp acht Stunden gemessen. (Walking nine to five…)
Falls Sie sich (wie wir ein bisschen) wundern, dass wir so lange für diese Strecken brauchen: Es geht ganz schön rauf und runter. Mein Bewegungs-Tracker kann keine Höhenmeter, er zählt aber Treppenstufen: Das waren am Donnerstag und am Freitag jeweils über 100.

Herr Kaltmamsell bereitete mich darauf vor, dass die nächsten Tage ähnlich lang werden. Bis auf den siebten, den letzten Wandertag: Der wird noch länger. Allerdings hatte er während der Absprachen mit der Agentur schon früh angekündigt, dass wir uns mit dieser Wanderung, die die Strecke von neun Wandertagen in sieben unterbringt (es waren bei unserer eher kurzfristigen Buchung nicht mehr Unterkünfte zu bekommen), übernehmen. Eine Nebenwirkung: Wir halten uns nur kurz bei Sehenswürdigkeiten am Wegesrand auf. Herr Kaltmamsell liest vorher ein paar Informationen dazu vor, wir gucken kurz, dann schnell weiter.

Unterkunft in einem Guest House in einem gar nicht so kleinen Ort, alte Eigenheime, neue Eigenheime, sehr alte Kirche. Und null Infrastruktur: kein Laden, keine Wirtschaft, keine Arztpraxis. Das hatte Herr Kaltmamsell vorher recherchiert, deshalb ja der Einkauf unterwegs. Mein Nachtmahl war eine Salatgurke und ein großes Stück Cheddar (auf künftige Packlisten für Wanderurlaube setzen: Brotzeitbrettl, diesmal musste das Wanderbüchl als Unterlage fürs Schneiden herhalten), Nachtisch Schokolade. Die nächste Mahlzeit, die Genuss verspricht, ist auf Sonntagabend terminiert: Herr Kaltmamsell hat in einem Pub in Old Sodbury reserviert.

An englischen Hotelzimmern schätze ich ja die Zuverlässigkeit, mit der Wasserkocher, Teebeutel und Zucker bereitstehen: Die zwei Tassen Kamillentee taten der Körpertemperatur und dem Bauch gut. Ansonsten ein eher schraddliges Zimmer: Damit die Tür nicht bei jedem anderen Türöffnen auf dem Flur bumperte, mussten wir sie mit einem Hocker verkeilen.

Draußen regnete es inzwischen ausdauernd und windig, wir hatten mit unserem Wanderwetter Glück gehabt.