Journal Samstag, 9. September 2023 – Obst und Kultur am Chiemsee in Sommersonne
Sonntag, 10. September 2023Erst als Herr Kaltmamsell darauf hinwies, wie leicht man an solchen Tagen gerne übersehe, dass es eigentlich schon später war als gedacht, merkte ich, dass ich tatsächlich bis acht geschlafen hatte. Bis dahin war ich von sieben ausgegangen, war sicher gewesen, dass mich das Sieben-Uhr-Läuten von St. Matthäus geweckt hatte und ich dann erfrischt und ausgeschlafen Pflanzen gegossen, Wäsche abgenommen, Morgenkaffee gekochte hatte.
Der Hinweis war wichtig, denn wir hatten an diesem Samstag eine letzte Sommerferien-Wanderung vereinbart, bevor ich Ansprüche an des Herrn Lehrers Wochenende wieder mit langem Vorlauf würde anmelden müssen.
Nochmal Morgenkaffee in herrlicher Sommermorgenluft, im Hintergrund das “OAAAAAAAHHHHRRRR!” einer gebärenden Frau – die Fenster des Kreißsaals im benachbarten Krankenhaus standen wohl wieder offen.
Geplant war der Obst- und Kulturwanderweg Ratzinger Höhe ab und nach Prien, wir wollten nach reifen Äpfeln, Birnen, Zwetschgen schauen. Zur Abfahrt an den Chiemsee mussten wir zum Ostbahnhof, auch dieses Wochenende wurde für Bauarbeiten genutzt.
Schon beim Warten am Bahnsteig spürte ich die Heizkraft der späten Sommersonne, hoffte, dass sie uns auf der Wanderung nicht plagen würde. Der Zug nach Salzburg war gut besetzt, doch alle bekamen Sessel.
In Prien nahm ich in der Bäckerei Miedl am Bahnhof die Gelegenheit für einen Mittagscappuccino wahr.
Herr Kaltmamsell erspähte in der Auslage ein Gebäck “Granatsplitter Vulkan” – als langjähriger Granatsplitterologe wollte er den dringend probieren.
Er äußerte sich sehr zufrieden, kritisierte lediglich, dass der Boden aus einer leichten Eiswaffel bestand statt aus der ordnungsgemäßen Mürbteigscheibe.
Die Wanderung selbst war ein großer Genuss. Sie führte zum größten Teil über unbeschattete Wege, doch zu meiner Erleichterung war die bereits spätsommerlich schräge Sonne erträglich. Wir schwitzten zwar, profitierten aber immer wieder von kühlender Brise. Wandersleute waren gestern wenige unterwegs, eher Ausflüger*innen mit Auto und ein paar Radsportler*innen. (Deswegen ziehen wir wochenends meist am Samstag los statt am Sonntag.)
Die Obstbäume waren zum allergrößten Teil nur übersichtlich mit Früchten behangen, die wenigen mit reicher Ernte fielen auf – es war wohl auch hier kein besonders gutes Äpfel- und Birnenjahr.
Prien, Wallfahrtskirche St. SalvatorPfarrkirche Mariä Himmelfahrt.
Start des Obst- und Kulturwegs mit Bienenkästen.
Die Prien.
Seit 2021 trägt der Weinberg hinter Prien seinen Namen wieder zurecht.
Bissu deutsch, mussu Waldliebe.
Hörzing.
Birnbäume vor Greimharting.
Blick von der Ratzinger Höhe auf den Chiemsee.
Blick auf die andere Seite hinüber zum Simssee.
Brotzeit gab es gegen halb drei mit Blick auf Ulperting: Pumpernickel mit Kochkäs, einen Apfel.
Nach gut vier Stunden waren wir schon in Siggenham, bis dahin war es nur noch eine halbe Stunde durchs kühle Mühltal (Hirn schaltete sofort “In einem kühülen Gruhunde” zu) nach Prien und zum Bahnhof. Da wir noch Zeit bis zur planmäßigen Abfahrt hatten, gab’s ein Apfelschorle in einer Eisdiele.
Wie gewohnt traf der Zug aus Salzburg mit reichlich Verpätung in Prien ein (und das Dach des Bahnsteigs war gerade entfernt, keinerlei Sonnenschutz). Da wir ihn nicht nur immer verspätet, sondern auch immer brechend voll kannten, gingen wir diesmal ans Ende des Zugs – und tatsächlich: Hier gab es Platz, das merken wir uns für künftige Chiemsee-Ausflüge.
Es fuhren viele Bayern-Cosplayer*innen mit, wir kamen durch Rosenheim mit seinem Volksfest. Auch dieses Jahr an den Burschen und Männern zu beobachten: Die Zeit der umgearbeiteten Tischdecken in rot-weißem Karo sind vorbei, man trägt Weste zur Lederhose, drunter von Hemd bis T-Shirt, offensichtlich egal.
Mit nur wenigen weiteren Bahn- und S-Bahn-Unbillen waren wir noch vor sieben zurück daheim, Herr Kaltmamsell nahm die Mühen der Nachtmahl-Zubereitung auf sich.
Ich war lediglich für Getränke zuständig und mixte uns als Aperitif einen Martini mit Kakao-Gin und Kakaobohnensplittern.
Die Ernteanteil-Aubergine und drei Ernteanteil-Tomaten waren wundervolle Pasta Norma geworden, dazu gab’s Rosé Pittnauer Dogma. Nachtisch Süßigkeiten.
§
Sasha Göbels weist auf ein Detail der Akzeptanz von trans Menschen hin, das ich bislang übersehen habe:
“The problem with ‘passing'”.
Sie erklärt erstmal:
Passing is, when the gender you are presenting as (and which might not be the one you were assigned at birth) isn’t questioned by strangers. Example: you are a trans women and everyone you meet perceives you as a woman and never questions this.
Meine Übersetzung: “Passing [Anmerkung: das Wort wird meines Wissens auch auf Deutsch verwendet] ist, wenn das Geschlecht, das du darstellst (und das möglicherweise nicht dem entspricht, das dir bei Geburt zugeordnet wurde), von Fremden nicht angezweifelt wird. Beispiel: du bist eine trans Frau und niemand, denen zu begegnest, stellt das in Frage.”
Ihre Perspektive ist zwar die der Trans-Community, doch mir wurde klar, dass das selbstverständlich auch außerhalb gilt: Ob das Aussehen eines trans Manns oder einer trans Frau meinem verinnerlichten Klischee-Bild von “Mann” oder “Frau” entspricht, sollte irrelevant sein. Trans Männer sind Männer, trans Frauen sind Frauen, Punkt. (Schließlich erhebe gerade ich schon immer den Anspruch, dass meine Weiblichkeit bitteschön völlig unabhänging von meinen Körperformen, meinem Auftreten oder Styling ist.)