Archiv für September 2023

Journal Samstag, 9. September 2023 – Obst und Kultur am Chiemsee in Sommersonne

Sonntag, 10. September 2023

Erst als Herr Kaltmamsell darauf hinwies, wie leicht man an solchen Tagen gerne übersehe, dass es eigentlich schon später war als gedacht, merkte ich, dass ich tatsächlich bis acht geschlafen hatte. Bis dahin war ich von sieben ausgegangen, war sicher gewesen, dass mich das Sieben-Uhr-Läuten von St. Matthäus geweckt hatte und ich dann erfrischt und ausgeschlafen Pflanzen gegossen, Wäsche abgenommen, Morgenkaffee gekochte hatte.

Der Hinweis war wichtig, denn wir hatten an diesem Samstag eine letzte Sommerferien-Wanderung vereinbart, bevor ich Ansprüche an des Herrn Lehrers Wochenende wieder mit langem Vorlauf würde anmelden müssen.

Nochmal Morgenkaffee in herrlicher Sommermorgenluft, im Hintergrund das “OAAAAAAAHHHHRRRR!” einer gebärenden Frau – die Fenster des Kreißsaals im benachbarten Krankenhaus standen wohl wieder offen.

Geplant war der Obst- und Kulturwanderweg Ratzinger Höhe ab und nach Prien, wir wollten nach reifen Äpfeln, Birnen, Zwetschgen schauen. Zur Abfahrt an den Chiemsee mussten wir zum Ostbahnhof, auch dieses Wochenende wurde für Bauarbeiten genutzt.

Schon beim Warten am Bahnsteig spürte ich die Heizkraft der späten Sommersonne, hoffte, dass sie uns auf der Wanderung nicht plagen würde. Der Zug nach Salzburg war gut besetzt, doch alle bekamen Sessel.

In Prien nahm ich in der Bäckerei Miedl am Bahnhof die Gelegenheit für einen Mittagscappuccino wahr.

Herr Kaltmamsell erspähte in der Auslage ein Gebäck “Granatsplitter Vulkan” – als langjähriger Granatsplitterologe wollte er den dringend probieren.

Er äußerte sich sehr zufrieden, kritisierte lediglich, dass der Boden aus einer leichten Eiswaffel bestand statt aus der ordnungsgemäßen Mürbteigscheibe.

Die Wanderung selbst war ein großer Genuss. Sie führte zum größten Teil über unbeschattete Wege, doch zu meiner Erleichterung war die bereits spätsommerlich schräge Sonne erträglich. Wir schwitzten zwar, profitierten aber immer wieder von kühlender Brise. Wandersleute waren gestern wenige unterwegs, eher Ausflüger*innen mit Auto und ein paar Radsportler*innen. (Deswegen ziehen wir wochenends meist am Samstag los statt am Sonntag.)

Die Obstbäume waren zum allergrößten Teil nur übersichtlich mit Früchten behangen, die wenigen mit reicher Ernte fielen auf – es war wohl auch hier kein besonders gutes Äpfel- und Birnenjahr.

Prien, Wallfahrtskirche St. SalvatorPfarrkirche Mariä Himmelfahrt.

Start des Obst- und Kulturwegs mit Bienenkästen.

Die Prien.

Seit 2021 trägt der Weinberg hinter Prien seinen Namen wieder zurecht.

Bissu deutsch, mussu Waldliebe.

Hörzing.

Birnbäume vor Greimharting.

Blick von der Ratzinger Höhe auf den Chiemsee.

Blick auf die andere Seite hinüber zum Simssee.

Brotzeit gab es gegen halb drei mit Blick auf Ulperting: Pumpernickel mit Kochkäs, einen Apfel.

Nach gut vier Stunden waren wir schon in Siggenham, bis dahin war es nur noch eine halbe Stunde durchs kühle Mühltal (Hirn schaltete sofort “In einem kühülen Gruhunde” zu) nach Prien und zum Bahnhof. Da wir noch Zeit bis zur planmäßigen Abfahrt hatten, gab’s ein Apfelschorle in einer Eisdiele.

Wie gewohnt traf der Zug aus Salzburg mit reichlich Verpätung in Prien ein (und das Dach des Bahnsteigs war gerade entfernt, keinerlei Sonnenschutz). Da wir ihn nicht nur immer verspätet, sondern auch immer brechend voll kannten, gingen wir diesmal ans Ende des Zugs – und tatsächlich: Hier gab es Platz, das merken wir uns für künftige Chiemsee-Ausflüge.

Es fuhren viele Bayern-Cosplayer*innen mit, wir kamen durch Rosenheim mit seinem Volksfest. Auch dieses Jahr an den Burschen und Männern zu beobachten: Die Zeit der umgearbeiteten Tischdecken in rot-weißem Karo sind vorbei, man trägt Weste zur Lederhose, drunter von Hemd bis T-Shirt, offensichtlich egal.

Mit nur wenigen weiteren Bahn- und S-Bahn-Unbillen waren wir noch vor sieben zurück daheim, Herr Kaltmamsell nahm die Mühen der Nachtmahl-Zubereitung auf sich.

Ich war lediglich für Getränke zuständig und mixte uns als Aperitif einen Martini mit Kakao-Gin und Kakaobohnensplittern.

Die Ernteanteil-Aubergine und drei Ernteanteil-Tomaten waren wundervolle Pasta Norma geworden, dazu gab’s Rosé Pittnauer Dogma. Nachtisch Süßigkeiten.

§

Sasha Göbels weist auf ein Detail der Akzeptanz von trans Menschen hin, das ich bislang übersehen habe:
“The problem with ‘passing'”.

Sie erklärt erstmal:

Passing is, when the gender you are presenting as (and which might not be the one you were assigned at birth) isn’t questioned by strangers. Example: you are a trans women and everyone you meet perceives you as a woman and never questions this.

Meine Übersetzung: “Passing [Anmerkung: das Wort wird meines Wissens auch auf Deutsch verwendet] ist, wenn das Geschlecht, das du darstellst (und das möglicherweise nicht dem entspricht, das dir bei Geburt zugeordnet wurde), von Fremden nicht angezweifelt wird. Beispiel: du bist eine trans Frau und niemand, denen zu begegnest, stellt das in Frage.”

Ihre Perspektive ist zwar die der Trans-Community, doch mir wurde klar, dass das selbstverständlich auch außerhalb gilt: Ob das Aussehen eines trans Manns oder einer trans Frau meinem verinnerlichten Klischee-Bild von “Mann” oder “Frau” entspricht, sollte irrelevant sein. Trans Männer sind Männer, trans Frauen sind Frauen, Punkt. (Schließlich erhebe gerade ich schon immer den Anspruch, dass meine Weiblichkeit bitteschön völlig unabhänging von meinen Körperformen, meinem Auftreten oder Styling ist.)

Journal Freitag, 8. September 2023 – Wenn Verwandtschaft sich mag

Samstag, 9. September 2023

Wieder eine Stunde zu früh aufgewacht, die Müdigkeit wird sich summieren.

Fortgesetzte Unruhe über den nächsten Termin als Schöffin: Ich war laut Terminliste für nächsten Mittwoch eingeteilt, hatte aber weder Absage noch Ladung erhalten. Wie bereits erwähnt funktioniert die Postzustellung bei uns im Haus derzeit nicht zuverlässig, ich musste von einem verlorenen Schreiben ausgehen. Doch am Donnerstag war ich telefonisch nicht bei der Schöffenstelle im Amtsgericht durchgekommen; als das auch gestern so war, schrieb ich eine E-Mail. Zum Glück bekam ich schnell Antwort: Es war eine “Abladung” an mich geschickt worden, kam halt nie an.

Das neue 501-Outfit trug ich gleich mal in der Arbeit. Dass dieses Hosenmodell geknöpft wird und nicht reißverschlossen ist, war mir immer schon bewusst. Noch nervte das bei Klogängen nicht (häufig, weil viel, viel Tee). Wie die Verkäuferin angekündigt hatte, wurde die Jeans über den Tag weiter (meine Güte, ich habe schon lange keine altmodische Jeans aus 100 Prozent Baumwolle getragen), rutschte langsam auf die Hüften. Sie wird also doch die Wohnhose, die ich mir erhofft hatte, frisch fühlte sie sich an einigen Stellen recht stramm an, ich musste der Verkäuferin vertrauen – Fachpersonal, so wertvoll! (Ihre Kollegin war es, die mir den Trick mit den umgeschlagenen T-Shirt-Ärmeln zeigte). Mit den großen Taschen muss ich erstmal umgehen lernen: Passt schon ordentlich was rein, muss dann aber auch wieder rausgehangelt werden. Ich war überrascht, wie viel Freude ich aus einer blöden Hose schöpfte. (Über deren Kauf ich anderthalb Jahren lang nachgedacht hatte.)

Das mit der nachgeholten Jugend beschäftigte mich noch eine Weile. Bei anderen sehe ich jenseits der Lebensmitte den Kauf großer Mengen teurer Lego-Bausätze, die sie als Kinder nicht bekommen haben. Den von Motorrädern, die sie sich mit Anfang 20 nicht leisten konnten. Von umfangreichen Sound-Anlagen aus demselben Grund. Und ich bin gerührt, wie haltbar manche Sehnsüchte sind.

In dieser Hinsicht war ich möglicherweise früh vollendet: Schon in meinem Volontariat ab 19 erfüllte sich der Kindheitstraum, dass ich mir jedes Buch kaufen konnte, das ich lesen wollte. (Was selbst bei knappster Kasse so blieb, denn ich war ja kein Kind mehr und niemand konnte mir dreinreden, wofür ich mein letztes Geld ausgab.)

Raus auf einen guten Mittagscappuccino durch die warme Sonne.

Mittagessen Schokolade 100% mit Kakobohnensplittern (also Gemüse), Mango mit Sojajoghurt.

Nachmittags ordentlich zu tun, ich arbeitete auch auf einen überpünktlichen Feierabend hin: Verabredung mit Herrn Kaltmamsell’scher Verwandtschaft in Augsburg. Es waren nämlich der Kusin von Herrn Kaltmamsell aus USA samt Gemahl auf Europa-Besuch und jetzt dort, eine Berliner Kusine hatte deshalb auf dem Rückweg vom Italienurlaub ein paar Tage Zwischenstopp in Augsburg eingelegt, und die ohnehin in der Gegend wohnende Verwandtschaft aus dieser Generation (z.B. Herr Kaltmamsell und ich) nutzten das für ein Treffen.

Problemlose Anreise mit Regionalbahn, ich stieg nach Langem mal wieder am Augsburger Hauptbahnhof aus: seit vielen Jahren Baustelle, Ende immer wieder neu terminiert, tatsächlich nicht absehbar. Im nahe gelegenen Biergarten der Riegele-Brauerei stieß ich auf die besagte Verwandtschaft und freute mich sehr. Ohnehin erfrischt mein Herz, dass sich diese “Enkelgruppe” (so der Whatsapp-Name), deren Eltern sich zum Teil über Kontinente verstreut hatten, schlicht mag, immer wieder weite Wege für Feiern und Treffen auf sich nimmt – nachdem die vorherige Generation immer weniger wird, hätten sich diese Verbindungen ja auch lösen können. Nächster Termin wird die Feier eines 50. Geburtstags Ende September in Berlin sein.

Wir hatten einen schönen Abend in für die Jahreszeit zu warmer Luft, mein Abendessen war eine ganz wunderbare Schweinshaxe mit saftigem, zarten Fleisch und mürb-knuspriger Kruste samt Knödel und einigen Radler-Halben.

Vor der Rückfahrt gemeinsam mit Herrn Kaltmamsell hatte ich noch Zeit, Nachtisch beim McDonald zu holen (die nahegelegene Eisdiele war bereits geschlossen): Frozen Joghurt mit Karamellsauce und Oreo-Bröseln, gut, aber bisschen viel. Die Rückfahrt selbst zog sich dann: Wie der Fahrer erklärte, hatte man eine Güterzug-Lok vor unsere Regionalbahn aufs Gleis gesetzt, nach ohnehin verspäteter Abfahrt konnte unsere Bahn dahinter nur langsam fahren. Überholung erst kurz vor München möglich.

In Bett wenig vor Mitternacht, wie so Leute mit Sozialleben.

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@aniella ist gerade durch Teile Japans gereist und hat auf instagram berichtet. Unter ihren Stories-Fotos ist eines, das mich besonders entzückte – es könnte so ähnlich über meinem Blog hier hängen.

Mit freundlicher Genehmigung der Fotografin (danke!).

Journal Donnerstag, 7. September 2023 – Nachgeholte Jugend (Versuch)

Freitag, 8. September 2023

Nach spätem Lichtaus (Buch wollte zu Ende gelesen werden) fast eine Stunde zu früh aufgewacht – ich konnte mir die resultierende Tagesmüdigkeit bereits ausmalen. Innen mehr düstere Wurschtigkeit – immer inklusive dem schlechten Gewissen, dass ich ja nicht allein lebe und automatisch den Mitwohner damit betreffe.

Wie angekündigt spannte sich mit Sonnenaufgang wieder strahlend blauer Himmel übers Draußen. Ich marschierte besonders zackig in die Arbeit: Da ich das Verhältnis der Grünphasen von Ampeln inzwischen kenne, versuchte ich alle bei Ankommen in Grün zu erwischen. So wurde mir trotz kurzer Ärmel und Sandalen warm. Ich musste auch nur zweimal ein bisschen rennen, was eigentlich in diesem Spiel als unelegant gilt. (Ich habe die Regeln nicht gemacht.) (Moment. Habe ich doch.)

Mittags schaffte ich es raus auf einen guten Cappuccino (herrliche milde Luft, wundervoller Sonnenschein – TRAUMWETTER), später gab es zurück im Büro Pumpernickel mit Butter, außerdem Trauben und eine Feige, die tatsächlich so saftig und reif war, wie ich beim Kauf erhofft hatte.

Mehr als emsige Arbeit (dazwischen ein höchst bereicherndes Gespräch über meine Japan-Ängste, japanische Kultur und japanische Emigrantinnen in München), das große Gähnen wegen zu wenig Nachtschlaf erfasste mich am frühen Nachmittag – als ich merkte, dass ich von der wirklich spannenden Info-Veranstaltung online nur profitierte, wenn ich nichts nebenher machte. Im Büro weiter Strickjackentemperatur.

Ich machte früh Feierabend, weil ich gestern beim Abholen des Ernteanteils einsprang, Herr Kaltmamsell war in Augsburg. Und jetzt war es draußen wirklich warm, allerdings immer noch nicht unangenehm in der Sonne.

Den Ernteanteil brachte ich nur schnell ins Kühle, den frühen Feierabend nutzte ich noch für einen Einkauf: Seit sich vergangenes Jahr abzeichnete, dass meine neue Kleidergröße nicht gleich wieder verschwinden würde, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ein Stück Jugend nachzuholen. Damals in den 1980ern war das ikonischste Jeans-Modell die Levis 501 (es gab, soweit ich weiß, nur ein Männermodell). Mit meiner Figur konnte ich sie nicht tragen – nicht dass mich das geschmerzt hätte: Zum einen fand ich Markenorientierung doof, zum anderen gab es genug andere schöne Kleidung und Jeans, in denen ich mir gefiel (die Jeans der Hersteller Edwin und Rosner zum Beispiel waren genau für meine damalige Figur geschnitten). Doch jetzt wollte ich gerne wissen, wie ich darin aussah.

Also spazierte ich in den Levis-Laden in der Sendlinger Straße und bat um eine 501 in Mittelblau, Herrenmodell. Die freundliche Angestellte schlüsselte das Größensystem für mich auf (ich lernte, dass nicht mal bei Jeans Männergrößen den Frauengrößen entsprechen). Ich probierte nur wenig herum und gefiel mir sehr gut in einer 501 – wollte zudem gar nicht mehr die Hände aus den rieeesigen Männerhosentaschen nehmen (die der Damenmodelle sind etwa ein Drittel so tief). Dazu kaufte ich gleich noch das in meinem Kopf ebenso ikonische weiße T-Shirt, selbstverständlich ebenfalls das Herrenmodell.

Zu meiner Überraschung gefiel mir das Outfit ohne Gürtel besser. Die neuen Turnschuhe waren am Mittwoch eingetroffen – fast hätte ich ein Stück Jugend wiederholt und die weißen Lederturnstiefel von Puma bestellt, die ich mit 16 nach nur wenigen Wochen Tragen in einem Hotel vergessen hatte.

Herr Kaltmamsell hing in einem Oberleitungsschaden fest (der es sogar in die 20-Uhr-Tagesschau schaffte), ich hatte noch gut Zeit für eine Maschine Wäsche und eine Runde Yoga-Gymnastik (noch eine Einheit mit Tim).

Als Herr Kaltmamsell heimkam, gab es Salat aus Ernteanteil-Ruccola und -Tomaten, dazu Reste vom Vorabend: Kohlrabi-Salat, Hummus, Käse. Nachtisch Schokolade.

Neue Lektüre: Am Mittwochabend war das Gespräch auf die Autorin Jenny Erpenbeck gekommen, ich erinnerte mich daran, dass eines ihrer Bücher auf meiner Merkliste stand. Es stellte sich heraus, dass ihr Geschichte vom alten Kind sogar das Buch war, das am längsten auf meiner Amazon-Wunschliste stand, auf der ich seit vielen Jahren meine Lesewünsche sammle. Das E-Book zu kaufen (die Stadtbibliothek führte es nicht) und damit von der Liste zu löschen, war sehr befriedigend.

Im Bett las ich die ersten Seiten und war gleich angetan von der nicht-realistischen Sprache und Erzählweise.

§

Ansonsten rücke ich in diesen Tagen des Aiwangers schon wieder ein Stück nach links, ohne mich überhaupt bewegt zu haben.

Dabei lebt er noch nicht mal in Bayern. Das Gefühl, das Maximilian Buddenbohm in seinem gestrigen Blogpost beschrieb, habe ich seit ein paar Jahren: Dass mein schlichter Realismus (Ernstnehmen von wissenschaftlicher Bewertung der Klimakatastrophe) und konservativer Anstand (Festhalten an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten) mich nach Linksextrem schiebt, ohne dass ich irgendwohin gehe.

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Jens Scholz ordnet auf Mastodon einen scheinbaren Widerspruch in rechtsextremer Grundeinstellung ein:

Journal Mittwoch, 6. September 2023 – Wohnungswiderstand

Donnerstag, 7. September 2023

Gut und nahezu durchgeschlafen – eine Erleichterung, weil in mir gerade mal wieder düstere Wolken hängen und ich beim Einschlafen einfach keinen happy place fand. Naheliegende Erklärung wäre, dass mir die Lektüre der Herrndorf-Biografie nicht gut tut, doch mittlerweile weiß ich, dass erst die Stimmung da ist (Biochemie) und dann der Wahrnehmungsfilter.
(Dann wieder: Als mir vormittags ein Weg aus einer – kleinen, unwichtigen – Zwickmühle einfiel, trug mich der Erleichterungs- und Euphorie-Schub bis Mittag. Ich muss oft an die “mood organ” in Philipp K. Dicks Roman Do androids dream of electric sheep denken, die Stimmungsorgel, mit der die Frau des Protagonisten morgens immer ihre Gefühlslage für den Tag einstellt.)

Vielleicht ist diese Wohnung, in die wir vor zweieinhalb Jahren zwei Stockwerke nach oben gezogen sind, und nur diese Wohnung im Haus, dann doch auf einem ehemaligen Galgenopfer-Friedhof gebaut. Nach einer Wohnungstür, die sich seit einiger Zeit nur mit Kraftaufwand schließen lässt (Schlosser war mittlerweile da, ein Scharnier muss ausgewechselt werden), nach einer nassen Küchenwand (neues Unterputz-Ventil hat geholfen, muss nur noch das Loch verputzt werden), zeigten gestern beim Anschalten für Morgenkaffee zwei Platten des Induktionsherds die Fehlermeldung “E”. Kurze Recherche löste das in “Elektronikfehler” auf, Lösungstipp: Sicherungen ausschalten und wieder einschalten. Tat ich, ohne Veränderung, ich musste auch dieses Problem Herrn Kaltmamsell übergeben.

Beim Zeitungholen (seit einer Woche durchgehend vorhanden!) sah ich wieder ein Stapelchen unverteilter Briefe fürs Hinterhaus: Der/die aktuellen Postboten stellen Sendungen ausgesprochen erratisch zu. Dass Post für die eine Nachbarin mit ebenfalls spanischem Nachnamen gerne mal in meinem Briefkasten landet (und meine in ihrem), kenne ich seit Jahren (sehen ja auch alle gleich aus, diese Arriba!-Arriba!-Namen), doch derzeit steckt in meinem Briefkasten alle mögliche fremde Post, gleichzeitig warte ich vergeblich auf angekündigte Sendungen (darunter meine Wahlbenachrichtigung), und die Briefe fürs Hinterhaus werden gar nicht hingebracht, obwohl auf manchen sogar ausdrücklich “Rückgebäude” steht.

Herrlich sonniger Marsch in die Arbeit in für die Morgenfrische zu wenig Kleidung.

Da der erste Kommentar einer Kollegin seinerzeit auf diesen Sommerrock, “Hast du einen Liegestuhl überfallen?”, noch vor meiner Auszeit fiel, muss ich ihn mindestens zwölf Jahre besitzen.

Einen Mittagscappuccino gab es auch. Das eigentlich angesteuerte Café macht bis Mitte Oktober Ferien (Wiederkehr der Frage, die ich mir regelmäßig stelle: Wovon leben Inhabende dieser kleinen Tagescafés eigentlich?), ich ging ein Eck weiter und traf auf eine lange Schlange.

Bekam aber guten Cappuccino.

Mittagessen am Schreibtisch: Nachgereifte Mango (auch diese eher aus der Textil- als aus der Lebensmittelbranche), Hüttenkäse.

Emsiger Nachmittag, nicht nur Erfreuliches.

Herausgefunden, dass im Dantebad am 12. September der Winterbetrieb beginnt (das wäre eine schöne Antwort auf die Fragen des Besuchs von vergangenem Sonntag gewesen, was München besonders lebenswert macht: Die Bäder!), will heißen: Es gibt dieses Jahr wieder einen Winterbetrieb!

Nach Feierabend spazierte ich über ein paar Lebensmitteleinkäufe im Vollcorner nach Hause, nutzte die Zeit bis zum Eintreffen des Abendessen-Gasts für das Ansetzen des lange geplanten Trockenfrüchte-Rumtopfs und Lesen.

Für den Gast aus alten Zeiten hatte Herr Kaltmamsell groß und köstlich aufgekocht. Auf dem Teller vor mir der Knaller: Im ganzen im Ofen gebackener und in Scheiben nochmal gebratener Sellerie mit Sauce Café de Paris, außerdem aufgetafelt ofengebackene Süßkartoffelstreifen (so lala), Kichererbsen-Tarte (gut), Hummus mit Haselnusmus (sehr gut), Kohlrabisalat mit Kefir und Kräutern (super). Zum Nachtisch hatte er Kokos-Tapioka-Creme mit Mango vorbereitet, die ich schon kannte und mag.

Der Gast erzählte von beruflichen Veränderungen und missglücktem Urlaub, verließ uns bereits vor zehn. Ich las im Bett Tobias Rüther, Wolfgang Herrndorf. Eine Biographie aus.

§

Kid37 hat Urlaub in Brüssel gemacht, ein paar Wochen danach hat er sich genug gesammelt für Bericht:
“Brüsseler Spitzen #1”.

Journal Dienstag, 5. September 2023 – Schwimmen in unvermutetem Freibadtrubel

Mittwoch, 6. September 2023

Der Wecker klingelt nun wieder deutlich vor Sonnenaufgang, doch schon das erste Tageshell kündigte gestern einen weiteren Spätsommertag an. Ich hatte unterdurchschnittlich Lust auf Büro, versuchte mich an der Freude auf meine Feierabendpläne festzuhalten (Schwimmen im Dantebad), ließ mich dennoch von der Aussicht auf die vielen Stunden Arbeit bis dahin bedrücken.

Um halb acht war es eigentlich noch zu frisch für kurze Ärmel ohne Jacke und für nackte Füße in Sandalen, aber ich hatte keine Lust, ein zweites Set Kleidung rumzuschleppen und fror beim Marsch in die Arbeit lieber.

Emsiger Vormittag, dienstags sind die Büros immer gut besetzt.

Für meinen Mittagscappuccino testete ich einen Imbiss an der Trappentreustraße, in dem ich eine Siebträger-Maschine erspäht hatte: Mnee, ich bekam (von ganz besonders herzlichen Menschen) Milchkaffee, dahin gehe ich nicht nochmal. Aber der kurze Weg durch die Sonne hin und zurück war herrlich.

Mein Mittagessen bestand aus Trauben sowie Quark mit Joghurt – in der Hoffnung, dass meinem Magen dreineinhalb Stunden bis zum Schwimmen für Bearbeitung und Weiterleitung reichen (nahezu erreicht, am besten sportle ich einfach mit komplett leerem Bauch).

Ich schaffte den Feierabend kurz nach vier, war schnell mit der U-Bahn draußen am Dantebad. Und stellte fest, dass dort voller Sommerferien-Freibadbetrieb tobte. Das wirkte sich am wenigsten auf das eigentliche Schwimmen aus: In den rege genutzten Sportbahnen (und zu drei Vierteln sonnenbeschienenen – die Sonne stand bereits tief) arrangierte man sich, ich schwamm leicht und kraftvoll – bis auf eine geradezu lächerliche Krampfattacke in rechtem Fuß bis rechte Leiste gegen Ende (außer mir fast ausschließlich Geräteschwimmer*innen, diesmal dachte ich wirklich “Ich will einfach nur hier schwimmen”). Doch es wirkte sich auf alles Andere aus: einen freien Spind musste ich suchen, nach der Schwimmrunde am Klo Schlange stehen, und in den Duschen ging’s jetzt derart zu (inklusive zahlreichen – sehr zahmen – Kindern), dass ich lange auf eine freie wartete, anschließend Hochbetrieb in der Damen-Sammelumkleide, alle tanzten so rücksichtsvoll und schnell wie möglich umeinander herum, zum Glück erwischte ich doch noch einen freien Haarföhn. Dieser Drumrum-Stress erschöpfte mich deutlich mehr als das eigentliche Schwimmen.

Heimfahrt mit der Tram, in mir wohliger After-Sport-Glow. Den Abend verbrachte ich einzeln, Herr Kaltmamsell war mit Freunden unterwegs. Weil ich von ihm ja nie Linsen kriege, hatte ich schon am Montag für Linsensalat eingekauft und mischte: Eine kleine Dose gekochte Linsen, abgetropft, eine kleingeschnittene rote Spitzpaprika, Salz, Pfeffer, Thymian, reichlich gutes Olivenöl – ich hatte eigentlich noch Ziegenkäse reinschneiden wollen und mit Balsamico abschmecken, doch bereits so schmeckte mir die Mischung derart gut, dass ich sie so simpel ließ. Danach eine zweite rote Spitzpaprika in Kochkäs gedippt, Nachtisch Schokolade.

Im Nachspiel schaffte der Sommer natürlich kein Hoch- mehr: Die Sonne geht vor acht unter, und dann wird es sofort frisch.

Den Abend mit Lesen von Tobias Rüther, Wolfgang Herrndorf. Eine Biographie verbracht, Tumordiagnose und die Wochen danach lesen sich in Außensicht deutlich anders (und schlimmer) als in Herrndorfs eigener Blog-Darstellung.

Journal Montag, 4. September 2023 – Wochenstart mit Spätsommer

Dienstag, 5. September 2023

Vom Wecker aus tiefem Schlaf geklingelt worden, der sich nach einer unruhigen Phase in den frühen Morgenstunden doch nochmal einstellte.

Draußen goldener Spätsommer, schon der Marsch in die Arbeit war wundervoll. Als ich auf meinen Mittagscappuccino zu Nachbars ging, wollte ich schier nicht wieder zurück ins Drinnen. Meine Arbeitsumgebung war deutlich lebhafter geworden, die Sommerurlaubszeit neigt sich auch in Bayern ihrem Ende zu.

Zu Mittag gab es reife Bananen (ich hatte sie in erster Linie zur Reifungsbeschleunigung einiger Mangos gekauft, die ich mit ihnen in eine Papiertüte gepackt hatte, aber gegessen werden mussten sie ja trotzdem), und reife Mangos, Ergebnis innerliche Vollverklebung – und die Fasern der Mangos zutzelte ich noch den ganzen Nachmittag aus meinen Zahnzwischenräumen.

Auch der Heimweg nach Feierabend war ein sonniger Genuss ohne Hitze.

Lebensmitteleinkäufe beim Edeka, mal wieder freute ich mich über die ausgesprochen freundliche und wertschätzende Stimmung unterm Personal dort.

Zu Hause eine für mich neue Folge Yoga-Gymnastik mit Tim, ganz schön anstrengend. Den Rest des Abends eierte ich rum wie nach einer Folge heftigem Krafttraining für Po und Oberschenkel.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die Zucchini aus Ernteanteil als Längsscheiben aus dem Ofen, hatte außerdem zu seinem Kochkäs ein paar Kartoffeln gekocht. Zum Sattwerden brauchte es dann noch Käse, Nachtisch Rosé-Trauben und Schokolade.

Sehr früh ins Bett zum Lesen.

§

DieJungenLeute(TM) nutzten Computer (in welcher Form auch immer) anders als wir alten Leute – banal und selbstverständlich. Doch daraus ergeben sich unter anderem handfeste und praktische Inkompatibilitäten, zum Beispiel bei der Ablage von Dateien (die so: “Welche Ablage?”).
“File not found
A generation that grew up with Google is forcing professors to rethink their lesson plans”.

Ich bin ja so alt, dass ich mich an die Verzweiflung der Zeiten vor Ordnersystemen erinnere, als man Dateien nur wiederfand, wenn man den Pfad dorthin wusste (MS-DOS halt). Welche Erleichterung der Norton Commander war! *KRÜCKSTOCKFUCHTEL*

Journal Sonntag, 3. September 2023 – Brunch im Café Reitschule

Montag, 4. September 2023

Gestern doch wieder Wecker, denn es gab eine Vormittagsverabredung. Da ich mich bei dieser um eine halbe Stunde vertan hatte (zehn statt halb elf im Kopf, bei Gegencheck vor Duschen Fehler bemerkt), bekam ich nach Bloggen und Morgenkaffee noch Gemütlichkeit.

Das Draußen hatte zugezogen, doch unter bedecktem Himmel war es mild. Mit Herrn Kaltmamsell spazierte ich über möglichst idyllische Wege zu unserer Brunch-Verabredung mit zwei sehr langjährigen Internet-Bekanntschaften im Café Reitschule: hinterm Alten Hof, hinter der Oper über Hofgarten, Englischen Garten, Milchhäusl, Königinstraße.

So saßen wir draußen auf der Terrasse unter Sonnenschirmen und mit Blick in viel Grün die nächsten Stunden, es gab viel Erzählens und Berichtens, ich stellte fest, dass der Cappuccino hier sehr meinem Geschmack entsprach.

Da eine der Internet-Bekanntschaften so richtig auf München-Besuch hier war, spazierten wir zu viert anschließend rüber in den Englischen Garten, führten den Biergarten am Chinesischen Turm vor, in dem auch gestern echt ehrlich Blasmusik im Obergeschoß gespielt wurde, gingen auf den Monopteros samt Ausblick auf Münchner Türme.

Nachdem wir uns trennten, spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell über die eher touristische Strecke Ludwigstraße, Theatinerstraße zurück, entlang der intensiv IAA aufgebaut wurde. Es war in trüber Sonne erstaunlich warm geworden.

Daheim gab’s kurz nach drei zwei große Stücke Zwetschgenkuchen: Dem Boden hatte das Durchweichen über Nacht gut getan, die Zwetschgen waren halt einfach nix. Mal sehen, ob ich den Zwetschgen dieses Jahr für einen Datschi nochmal eine Chance gebe.

Restlicher Nachmittag auf dem Balkon in angenehmen Temperaturen, ich las weiter in Tobias Rüther, Wolfgang Herrndorf. Eine Biographie, weiterhin leicht befremdet, weil ich vom beschriebenen Personal doch einige kenne.

Hübsche Gesellschaft beim Lesen.

Vor dem Nachtmahl war noch Zeit für eine Runde Yoga-Gymnastik in Form von 40 Minuten Vinyasa-Flow mit Tim.

Gerochen hatte ich das Abendessen seit Stunden: Herr Kaltmamsell schmorte in Ofen Short Ribs mit Rotwein und Gemüse. Schmeckten ausgezeichnet. Zum Nachtisch noch ein Stückchen Zwetschgenkuchen, Schokolade.