Journal Mittwoch, 6. November 2024 – Ich verstehe Menschen nicht

Donnerstag, 7. November 2024 um 6:27

Recht gute Nacht, es wurde mit klarem Himmel hell.

Im Büro kippte aus dem E-Mail-Postfach gleich mal ein Schwung Aufgaben. Und schon rächte sich, dass ich am Vorabend den Schreibtisch nicht gründlich leergearbeitet hatte.
Beim ersten Luftholen erreichte mich die niederschmetternde Nachricht, dass die US-Wahlen weitere vier Jahre tägliches “What’s he done now?” ergeben hatten, und zwar ganz deutlich. Ich verstehe Menschen nicht. Ich verstehe Menschen wirklich, wirklich nicht. Aber es war mir ein Bedürfnis, Beileidsnachrichten, auf allen Kanälen an Freund*innen und Verwandschaft in USA zu senden – mit Tränen entgegengenommen.

Flucht ins Korrekturlesen eines Texts über Quantentechnologien, Eskapismus kann auch so aussehen. (Inklusive Anstrengung, die Grammatik der völlig verquasten Sätze darin auch nur bis Verständnis aufzudröseln, um die Casus-Verwendung überprüfen zu können – ich habe seinerzeit im Lateinunterricht mit der Auflösung von Lektüresätzen nach Subjekt-Prädikat-Objekt tatsächlich was fürs Leben gelernt.)

Für einen Mittagscappuccino riss ich mich los ins Westend, blauer Himmel, Sonnenschein. Die Bewegung tat sehr gut, die innere Weltuntergangsstimmung blieb.

Am Schreibtisch später Mittagessen: Apfel, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Auch nachmittags hatte ich sehr viel zu tun, was Konzentration erforderte – ich war dankbar dafür, denn so konnte ich nicht an anderes denken.

Den Heimweg legte ich über einen Trödelladen in der Gollierstraße, in dessen Schaufenster ich seit Wochen eine schöne Vase gesehen hatte, wohl aus den 1950ern. Ich brauchte dringend etwas Erfreuliches und kaufte sie.

Auf einem Holztisch eine helle Hortensienblüte und eine flaschenförmige Vase mit sehr schmaler Öffnung, schlicht dunkelrot und golden auf Creme glasiert

Jawohl, schöne Vase.

Boden der Vase, darauf glasiert die Schrift "Bavaria Johann Seltmann Vohenstrauß Qualitätsporzellan"

Jawohl, 1950er (wir haben ja alle bei “Bares für Rares” Porzellanherkunftrecherchieren gelernt).

Fürs Abendessen war ich mit Herrn Kaltmamsell zum Pizzaessen verabredet, ich erhoffte mir im Ca’D’oro beim nicht vorhandenen Hauptbahnhof verlässlich gute Pizza. Davor hatte ich noch Zeit für eine halbe Stunde Pilates, fühlte sich gesund an.

Zwei Teller mit frischer Pizza mit besonders dickem Rand

Im Ca’D’oro bekamen wir dann auch ohne Reservierung einen Tisch, sehr freundlichen Service – und Pizza, wie ich sie mag, mit wunderbarem fluffigen Teig: Capricciosa für Herrn Kaltmamsell, Amatriciana für mich. Wir beschlossen, erst mal gar keine Nachrichten zu gucken, ließen uns auf dem Heimweg Zeit und sahen den Nebel dichter werden. Die Katastrophe wird auch ohne unseren Blick darauf ihren Lauf nehmen.

Daheim Blumengießen, Brotzeitvorbereitung, Schokolade als Nachtisch.

Im Bett Percival Everett, James ausgelesen, bis zuletzt nicht wirklich überzeugt.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 6. November 2024 – Ich verstehe Menschen nicht“

  1. Karin meint:

    Guten Morgen! Ich verstehe Menschen auch nicht. Aber die Vase ist wunderschön!

  2. Schlosswiler meint:

    (fast) ohne Worte.
    Wir haben in der Schweiz sogar einen Bundesrat (=Minister) der öffentlich seine Sympathie geäussert hat. Nein, das kann man nicht verstehen. Ich hoffe, dass Elon Musks Projekt mit der Marsrakete erfolgreich ist.

  3. Sabine meint:

    Ich bin auch einfach nur noch deprimiert und verstehe die Menschen auch nicht mehr. Danke für diesen Blog der jeden Tag ein Lichtblick für mich ist und ich wünschte ich hätte die Energie häufiger zu kommentieren und mich für die vielen vielen interessanten Einblicke, Inspirationen etc zu bedanken.
    Hier ein Artikel der einiges für mich zumindest halbwegs nachvollziehbar macht. Mir geht so viel durch den Kopf – hier steckt viel Diskussionsmaterial drin nicht nur für die Demokraten in den USA sondern auch für die Grünen hier glaube ich. Kann man den Artikel öffnen?

    https://www.nytimes.com/2024/11/06/opinion/trump-elites-working-class.html?unlocked_article_code=1.YE4.ZK4U.1ZFfN2-9vhJN

  4. Anke meint:

    Ich verstehe Menschen auch nicht, aber das geht mir in Deutschland nicht anders.

    Die Vase ist wirklich sehr schön

  5. Fräulein Z. meint:

    Hallo,
    seit vielen Jahren als bisher stille Mitleserin, schicke ich an dieser Stelle ganz herzliche Grüße an Sie – aus der Heimat dieser Vase, die wirklich ein sehr schönes Stück ist :)
    Ich komme aus der Oberpfalz, genauer gesagt ist mir die Firma Seltmann nicht fremd an der ich täglich auf meinem Arbeitsweg vorbeifahre, da ich selbst aus der Gegend komme :)
    Wir haben hier noch ganz viel aus Omas Zeiten, teils sogar noch in Benutzung, ich selbst erfreue mich immer wieder an solchen Schmuckstücken.

    Ihnen viel Freude damit, alles Liebe!

  6. Susann meint:

    @Sabine – vielen Dank für den Link, der Artikel ist hilfreich zum Verständnis der Situation.

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