Archiv für Mai 2025

Lieblings-Breviloquia* Mai 2025

Samstag, 31. Mai 2025

Erst die Ernte auf Mastodon (mit der Möglichkeit, dass die allerallerbesten fehlen, weil sie an den vier bis fünf Tagen gepostet wurden, an denen ich in Berlin wegen anderweitigen Programms nicht mitlas):

Und ein bisschen Bluesky:

*siehe

Journal Freitag, 30. Mai 2025 – Fahrt von Berlin nach München in die Wärme

Samstag, 31. Mai 2025

Vor Weckerklingeln aufgewacht, Wetter unwirtlich.

Erhöhter Blick auf eine regnerische Großstadtkreuzung, umgeben von sachlichen Gebäuden

Bis zum Aufbruch zu meinem Zug zurück nach München hatte ich lediglich Sortieren und Benamsen der Fotos vom Vortag einkalkuliert, Bloggen würde ich auf der Reise.

Nur dass mir so viele bereits ausformulierte Gedanken zum Museumsbesuch am Vortag durch den Kopf gingen, dass ich bei Morgentoilette, beim Anziehen und beim Packen immer wieder an den Rechner springen musste, um sie aufzuschreiben.

Auschecken und Fahrt zum Hauptbahnhof (S-Bahn, damit ich noch ein bisschen gucken konnte) verliefen so flugs, dass ich viel zu früh dran war. Setzte ich mich halt noch lesend an den Bahnsteig. Dort stand abfahrbereit ein ungarischer Zug nach Budapest, ich sah im Speisewagen Passagiere frühstücken, so richtig frisch zubereitetes Frühstück an gedeckten Tischen mit Tischdecken – noch ist die Zivilisation nicht überall untergegangen.

Eine Hand hält einen kurzen blauen Papierstreifen, am Handgelenk ein Band, auf dem man erkennt „blica25“, im Hintergrund unscharf ein Bahnwagon von außen

Fundstück in meiner Handtasche zum Abschied aus Berlin, ein Rest des Konfettiregens bei der Abschiedssause der re:publica (Bändel wurde erst daheim abgeschnitten, sonst sieben Jahre Online-Pech). Auf instagram DM1-Austausch mit einem langjährigen Internet-Kontakt, jetzt stehe ich auf einer Gästeliste Anfang Dezember (ICH WAR NOCH NIE AUF EINER GÄSTELISTE!!1!111).

Im ICE packte ich umgehend meinen Laptop aus und machte mich an die Blog-Arbeit. Mit mir war eine Schulklasse in den Wagen gestiegen, doch wie schon früher in solchen Situationen erwiesen sich die jungen Leute als unaffällige Reisegefährten. (Wenn nicht sogar niedliche: “Ey, kannst du mir a Gummibärli ge’m, Bro?”)

Ganz direkt hatte ich drei Sitznachbarn aus Italien. Die Dame neben mir fragte bald unterwegs, ob wir uns jetzt in der ehemaligen DDR befanden: Der Bildschirm an der Decke zeigte praktischerweise gerade eine Landkarte mit Fahrtverlauf, ich konnte daran die Lage der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zeigen. Und ergänzte Infos zur chemischen Industrie um Bitterfeld, die man vom Zug aus sehen würde. Später fragten die Herrschaften nach den gelb blühenden Feldern – ich lernte, dass man in Italien Raps nicht kennt (sie recherchierten auf ihren Handys sofort Details). Wir tauschten uns in einer Mischung aus Deutsch und Italienisch aus, ich lernte ein wenig über die Herkunft und Familie dieser Nachbarn.

Blick durch leicht spiegelndes Zugfenster auf Gleise, Bahnleitung, dahinter Robinienwald

Verblühende Robinienwälder.

Allerdings ertappte ich mich, wie ich mich schnell zuständig (und kompetent) für die Erklärung von ALLEM fühlte, bloß weil ich die Einheimische war und sie nicht. Dabei bin ich recht stolz, dass ich meinen angeborenen Hang zum Mansplainen (ist leider nicht zwangsläufig an einen bestimmten Chromosomensatz gekoppelt) mit viel Mühe und Sorgfalt in den Griff bekommen habe (unter anderem durch Vermeiden von Menschenkontakt, aber da trafen sich wohl zwei Ziele besonders günstig). Dass ich mit Bloggen beschäftigt war, half mich zu bremsen.

Keine Lust auf Mittagscappuccino – unter anderem wegen eh Überdrehtheit (oder ich habe mir durch einen Tag nasse Füße doch was geholt?).

“Aanesibzig bis achdeachzig”: In Bamberch gab’s frische Passagiere. Die sich schon wieder als Fußballfans erwiesen, deutlich ungehobelter und alkoholisierter als auf der Hinreise, ich hätte sie gern gegen eine weitere Schulklasse getauscht. Was allerdings schnell dadurch aufgewogen wurde, dass das italienische Trio total begeistert über dieses authentische Erlebnis war (“allegri!”), den Dialekt bemerkte und offensichtlich Geschichten für daheim sammelte. Da freute ich mich für sie.

In Berlin hatte ich eine Kürbiskernbreze als Brotzeit gekauft, beim Warten am Bahnsteig meinen Apfel an eine Bettlerin verschenkt, unterwegs dann aber trotz kneifendem Magen überhaupt keinen Appetit.

Wenig verspätete Ankunft im sonnigen und überraschend warmen München, daheim Herzen und Küssen des Herrn Kaltmamsell. Jetzt musste ich kurz vor drei aber wirklich was essen, es wurde die Breze mit Butter sowie Joghurt mit Resten Zitronat/Orangeat aus der Backkiste (besser wenn länger im Joghurt eingeweicht, aber immer überraschend gut).

Verschiedene Häuslichkeiten, Kofferauspacken, auf meiner Einkaufsrunde für Lebensmittel (u.a. wegen Backplänen) war es noch wärmer geworden.

Yoga-Gymnastik endlich wieder auf einer vernünftigen Matte, die Reisematte (um die ich für die beiden Einsätze sehr froh war) ist halt doch recht glitschig.

Balkonholztisch, darauf zwei Ballongläser mit durchsichtigerEiskugel, leicht rose Drink mit Erdbeerstücken, dahinter über der Balkonbrüstung sonniger Park, vor der Brüstung eine völlig runtergeschnittene große Pflanze

Ernsthaft Balkon (die Pflanzen, Hakenlilien, sahen derart armselig aus, dass ich sie mal wieder abschnitt – braucht also noch eine Weile bis Balkongrün). Wir brauchten den restlichen Erdbeer-Gin vom Vorjahr mit Tonic Water auf.

Dunkle Weinflasche mit schlichtem Etikett vor weißer Wand, zu beiden Seiten gefüllte Weißweingläser

Zum Nachtmahl begleitete ich uns mit einem Schweizer Wein, Direktimport als Gastgeschenk vor fast zwei Jahren: Ein Marsanne Blanche Wittwer aus dem Wallis, kräftig und mit deutlicher Holznote, wenig Säure – passte gut zum Hüftsteak, das Herr Kaltmamsell servierte. (Doch beim Anrichten des Fotos oben ging nach Langem mal wieder ein Glas kaputt; zum Glück nur großer Sprung, ich musste keine Sauerei beseitigen.)

Gedeckter Tisch mit Stroh-Sets, Glasteller mit aufgeschnittenem Fleisch, Gemüse, daziwschen eine Glasschüssel Blatsalat, gegenüber sitzt ein Mann in rötlichem T-Shirt, der auf seinem Teller schneidet

Es beginnt wieder die Zeit mit sommerlichen Stroh-Tischsets und besonders unattraktiv forografierten Glastellern.

Nachtisch: Erdbeeren, Schokolade, schöner Urlaubsabschluss.

  1. Direct Message []

Journal Donnerstag, 29. Mai 2025 – Berlin, Tag 6: Nochmal Yoko Ono, diesmal mit “Ach so!”-Effekt

Freitag, 30. Mai 2025

Ausgeschlafen, Pläne für die Stunden bis Nachmittagsverabredungen nur ohne Uhrzeit-Etikett zugelassen.

Ganzkörper-Spiegelselfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren in gelbem Pulli, darunter dunkelblau-weißes Ringel-Short, an den Füßen beige Socken

Die Bloggerin in Hotelzimmer-Schlumpf.

Erhöhter Blick auf sonnige Großstadt-Straßenkreuzung, darüber Wolken

Das Wetter deutlich freundlicher, nach spätem Abschluss des Blogposts wollte ich raus. Ich ging auf einen Mittagscappuccino in das bereits vertraute Eck-Café, nahm mir ein Sandwich für spätere Brotzeit mit, spazierte ein Stündchen durch Mitte und Prenzlauer Berg.

Während ich beim Verlassen des Hotels noch überrascht über die zapfige Frische gewesen war, wurde es in dieser Spaziergangsstunde steil wärmer, bis ich eigentlich nicht mal mehr eine Jacke brauchte, der Kreislauf sandte Fragezeichen.

Altbau-Hausfront, über dem Ladenlokal im Erdgeschoß Leuchtschrift "Are you sure about this place?"

Sonnige, gepflasterte Straßenecke, darauf ein rostiges, altertümliches Straßenschild "Granseer Straße" und "Swinemünder Straße" im Hintergrund grüner Park

Mural an einer fensterlosen Hauswand: Snoopy sieht nach oben in einen herzförmigen Silberballon, in dem er sich spiegelt

Blick in ein geöffnetes Altbaufenster, man sieht ein Küchenbuffet mit Flaschen darauf

Überlebensgroße Bronzefigur eines Bauarbeiters von der Seite, er zeigt in die Richtung eines Hochhaus-Neubauskeletts im Hintergrund

Meine Gefühlspolizei ahndet ja Trauer über Veränderungen und belehrt mich, dass nichts gleich bleibt und Veränderung Leben ist, doch mir wurde halt doch weh beim Spaziergang durch all die neuen Protzbauten und geschniegelten Renovierungen (nicht abgebildet). Berlin wird in meinen Augen von einer Stadt der Geschichte und der Möglichkeiten zu einer Ansammlung von undiskutierbaren Fakten.

Das Park Inn, in dem ich untergebracht war, bot am Spiegel überm Waschbecken einen eigenen Knopf, mit dem man die Zimmerreinigung für den Folgetag abbestellen konnte (begrüßenswerte Idee). Den hatte ich für gestern gedrückt, weil ich vormittags Ruhe wollte und keine Reinigung nötig war. Doch als ich zurück in mein Zimmer kam, stellte ich fest, dass der abbestellte Zimmerservice doch da war – wo ich doch wegen Abbestellt nicht ordentlich aufgeräumt hatte: Unter anderem trockneten mein gesamtes Milchkaffee-Equipment in Einzelteilen und das Geschirrtuch über die spärlichen Möbel verteilt. Auch die Bad-Ablage räume ich sonst auf. Das tat mir leid.

Frühstück um halb zwei waren ein Apfel und ein Ruccola-Käse-Sandwich – nicht so gut wie das Sprossen-Karotten-Tofu-Sandwich aus derselben Quelle. Ich machte mich so rechtzeitig zu meiner Verabredung auf, dass ich zu Fuß gehen konnte: Im Gropiusbau wollte ich die eigentliche Yoko-Ono-Ausstellung sehen, “Music of the Mind”, nachdem mich der Teil in der Neuen Nationalgallerie enttäuscht hatte. Dafür hatte ich mich mit einer weiteren weit zurückreichenden Blog-Freundin verabredet.

Straße mit zwei Radler*innen von hinten, links hinter einer Mauer ein großer rötlicher klassizistischer Prachtbau

Der Gropiusbau, den ich immer in zeitgenössischer Architektur im Kopf hatte (der Name weckte Assoziationen zu 60er-Beton – können Sie mir erklären, warum?), bis ich ihn Ende 2024 beim Besuch des benachbarten Dokumentationszentrums Topografie des Terrors zum ersten Mal sah.

Begrüßungsschwatz mit Freundin, ab in die Yoko-Ono-Ausstellung.

Erhöhter Blick in einen großen, prächtigen Lichthof, darin ein großes Plakat gespannt: "Peace is Power"

Um es kurz zu machen: Ich war begeistert. Onos Kunstansatz, der das Publikum vor allem in den ersten Jahrzehnten ihres Schaffens immer einschließt, mitdenkt, herausfordert, kommt meiner Grundhaltung als hardcore Rezeptionsäthetikerin entgegen: Kunst erhält durch die Betrachterin Bedeutung , wenn sie sich nicht sogar erst in der Rezeption manifestiert. Weshalb sich ein Kunstwerk auch über die Jahrhunderte verändert: Unterschiedlicher Zeithintergrund in der Rezeption erzeugt unterschiedliche Kunstwerke – da mag die Stofflichkeit durchaus dieselbe bleiben (was sie ja genau betrachtet auch nicht tut) und eine eigene Untersuchung wert sein.

Ist es noch Kunst, wenn niemand hinguckt? Und: Wenn jemand hinguckt, kann dann auch ein besonderer Stein, eine Sandformation Kunst werden?

Yoko Ono macht die Betrachterin sogar zur Kunsterzeugerin, in verschiedensten Variationen über die vielen Jahrzehnte ihres Schaffens.

Am reinsten überfiel mich diese Erkenntnis gleich im ersten Raum der Ausstellung: An den großen, leeren Wänden, auf dem Boden, an der Decke, sogar an den Fenstern stehen kurze, handschriftliche Sätze wie „This room gets as wide as the ocean on the other end.“

Weiße Wand, auf der klein in schwarzer Handschrift steht „This room gets as wide as the ocean on the other end.“

Die Umsetzung bleibt der Vorstellungskraft der Leserin überlassen.

Oder ihre Anleitungen für Kunst:

“Des kannt’ mei 4-jährige Tochter aa!”? Wahrscheinlich, aber sie wäre halt nie auf die Idee gekommen. Yoko Ono hält hier nur die Idee fest – zu einem KunstWERK kann sie jeder und jede machen, dennoch bleibt Yoko Ono die Schöpferin, Künstlerin. Brillant.

Großer Museumsraum, auf enem weißen Teppich-Rechteck auf Holzboden eine unförmige Zwei-Menschen-Große Figur in schwarzem Stoff, dahinter zwei fotografierende Menschen, rechts daneben drei weitere stehend, eine dreht sich gerade lachend zur Skulptur um

Schwarze Umhänge, in die Besucher*innen schlüpfen sollen und Skulpturen formen. (Viel Heiterkeit bei den Betrachterinnen.)

<3
Widmung des Yoko-Ono-Buchs Grapefruit von 1964.

An einer weißen Museumswand ein großes Bild mit vagen, verschiedenen Schatten und Kritzeleien, zwei Frauen fügen gerade weitere hinzu

An diesem Kunstwerk (Shadow Piece) beteiligte ich mich auch und malte wie angewiesen die Silhouette meines Schattens mit einer der bereitgestellten Wachsmalkreiden nach.

Eine Frau in blauer Jeans und hellgrünem Oberteil schlägt gerade einen Nagel in ein weißes Bild voller Nägel

Meine Begleitung wiederum trug zu diesem Nagelstück bei.

Eine Hand hält ein blaues Puzzle-Teil mit der Aufschrift "y.o. Berlin '25", im Hintergrund unscharf schwarze Objekte vor weißer Wand

Und was zum Mitnehmen: Von der Decke hingen Stahlhelme in verschiedener Höhe, alle gefüllt mit Puzzlestücken – die zusammen blauen Himmel ergeben sollen.

Ja, eine sehr textlastige Ausstellung, wie meine Begleitung zurecht mehrfach bemerkte, und eigentlich beharre ich ja bockig darauf, dass Kunst keine Erklärung benötigen müssen darf.1 Doch in diesem ganz speziellen Fall akzeptiere ich die Unerlässlichkeit.

Blick nach oben in einen Türrahmen, der prächtig mit bunter Keramik gestaltet ist, darin lesbar der Markenname "Villeroy&Broch"

Keramik-Sponsoring.

Wir ließen uns im Museumscafé nieder und stürzten uns in den eigentlichen Zweck unseres Treffens: Reden. Das setzten wir Stunden später in einer Pizzeria in Schöneberg fort (dorthin lange Autofahrt, weil meine Begleitung eigentlich ein anderes Lokal ganz woanders ansteuerte – das allerdings mittlerweile geschlossen ist): Nach langen Jahren komplett ohne bekam ich diesmal reichlich Berlin-Ansichten durch Autofenster (unter anderem auf einen fliegenden Kormoran).

Tisch mitzwei Pizzen, dahinter sitzt mit Besteck in der Hand eine demonstrativ strahlende Frau mit kruzen weißen Haaren und orangem Oberteil

Foto: @uteschirmack

Gute Pizza, mehr Reden, nach fast zwanzig gemeinsamen Jahren im Web auch Austausch von Informationen über den Verbleib gemeinsamer Online-Bekannter.

Rückweg zum Hotel nur bis Friedrichstraße mit der S-Bahn: Ich fühlte mich noch unterbewegt und wollte Abschied von Berlin nehmen können. (Nachdem allerdings exakt gestern Verwandtschaft nach Berlin zog, plane ich baldige Rückkehr.)

Es war dann meine Begleitung, die daheim merkte, dass wir es nie zu Influencerinnentum bringen werden: Wir hatten kein gemeinsames Selfie gemacht. Sie hat übrigens auch den Ausstellungsbesuch als instagram-Story gepostet.

  1. Für diese Konstruktion hat Wolf Schneider in der Hölle wahrscheinlich eine eigene Abteilung einrichten lassen. []

Journal Mittwoch, 28. Mai 2025 – Berlin Tag 5: Nasse Füße und re:publica bis Singen

Donnerstag, 29. Mai 2025

Weckerwecken weil Bloggen, trotz der Vorarbeit am Dienstag kam ich unter Zeitdruck.

Erhöhte Perspektive auf große Großstadtkreuzung im Regen

Draußen war es regnerisch und wirklich greislich, fast wäre ich eingeknickt und hätte die U-Bahn zur Station genommen. Doch dank der Berliner Freundin hatte ich ja einen Schirm, bockig bestand ich auf Fußweg zur re:publica.

Und hatte (ich bin jetzt 58 und lerne es wohl nie) auch diesmal vergessen, dass ernsthafter Regen nicht nur Nässe von oben bedeutet: In der Station (Schlange am dritten und letzten Tag vor allem vor der Kofferabgabe: all die Abend-Heimreiser*innen) trocknete ich Turnschuhe und Socken auf dem Klo notdürftig mit Papiertüchern. Doch ich bekam meine Füße bis kurz vor Ende der Veranstaltung nicht trocken und vor allem nicht wirklich warm; zwischendurch sorgte ich mich dann doch, ob ich davon krank werden könnte.

Ganzkörper-Spiegelselfie einer Frau mit Brille, kurzen weißen Haaren, schwarzer Hose, buntem T-Shirt, überm Arm hält sie eine weiße Jacke

Wie schon am Vortag postete ich ein Spiegelselfie meines Outfits, um von denen, die mit mir Kontakt aufnehmen wollten, erkannt zu werden. Nachdem die eine oder andere erwähnt hatten, sie hätten sich nicht getraut mich anzusprechen, lächelte ich gestern jede an, deren Blick meinen irgendwie streifte. (So entstehen “Alle-irre!”-Situationen.)

Einstieg in den Konferenztag:

Blick von links auf eine große Bühne, auf der entfernt zwei Personen sitzen, hinter ihnen auf einer Leinwand "re:publica25", links davon große die Übertragung des Gesichts der Referentin, vor der Bühne die Silhouette von zwei Fotograf*innen

Prof. Hedwig Richter, interviewt von Geraldine de Bastion zu “Das eherne Gehäuse der Geschlechterordnung: Hausfrauen und Krise”. Thema und Autorin (Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München) kannte ich schon von einem ausführlichen Artikel dazu in der Süddeutschen (€), wollte sie aber mal in Echt sehen (Hedwig Richter war mir nicht nur mit diesem Artikel positiv aufgefallen) und hörte dann auch einige zusätzliche Details über manche kontra-intuitiven Aspekte, zum Beispiel dass die Nachkriegs-Hausfrau die zentrale Figur der sich neu formierenden Konsum-Gesellschaft war und dass diese Familienform kein typisch deutsches Phänomen war, sondern ein gesamt-westliches. Auffallend in dieser Session: Superspannende Zuschauerinnen-Fragen.

Blick von rechts auf eine niedrige Bühne, auf der voert Menschen sitzen, ganz links steht ein Sprecher mit Mikrofon, auf der Leinwand hinter der Bühne "True history: Was, wenn alles ganz anders war?"

Wechsel zu einer anderen Bühne: “True history: Was, wenn alles ganz anders war?” Thema waren zwei unterhaltende Geschichts-Formate: Von arte gibt es demnächst (nur im Web) das Magazin „Stimmt es, dass …?“, Autorin Madeleine Dallmeyer und Produzent Jannis Funk erklärten das Konzept, mit dem sie von scheinbar gesetztem historischen Wissen ausgehend zeigen, dass es nie so einfach ist, Vieles davon schlicht nicht stimmt oder einfach nicht zu verifizieren ist. Klingt hochspannend. An den Erklärungen von Historiker/Journalist Joachim Telgenbüscher zu seinem Podcast “Was bisher geschah” fand ich besonders die Details einer professioniellen Podcast-Produktion und -Vermarktung interessant.

Mittagscappuccino mit einigen meiner kleinen Internet-Freund*innen.

Von links Blick auf mittelgroße Bühne, darauf sitzen vier Personen, auf der Leinwand dahinter Weiß auf Rot "MONITOR"

Vom “MONITOR-Forum: Social Media regiert die Welt – Brauchen wir eine öffentlich-rechtliche Plattform?” erhoffte ich mir genau das: Reflexionen zum künftigen Anspruch der Öffentlich Rechtlichen an sich selbst. Georg Restle (Redaktionsleiter MONITOR) beleuchtete das im Gespräch mit Constanze Kurz (<3), Annika Brockschmidt und Nadia Zaboura von vielen hochspannenden Seiten und durchaus mit verschiedenen Schwerpunkten. Unter anderem wies Constanze Kurz darauf hin, dass das Fediverse (Szenenapplaus bei Erwähnung, dass die Öffentlich Rechlichen verpflichtet sein sollten, auch dort zu posten, “Ich habe schon gemerkt, dass es beim Stichwort ‘Mastodon’ immer Applaus gibt”) nicht das Allheilmittel sei: Zu viele Menschen seien auf die Monetarisierung ihrer Inhalte über die Giganto-Plattformen wie YouTube angewiesen, doch diese müssten gesetzlich von der EU reguliert werden: “Keine Tracking-basierten Geschäftsmodelle”.

Nebengedanken:
1. SO kann eine Podiumsdiskussion aussehen, die die bessere TV-Talkshow wäre. Nein, es waren keineswegs alle einer Meinung, aber alle waren interessiert an Erkenntnisgewinn.
2. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr es mein Feministinnenherz zum Leuchten bringt, so viele atemberaubend kluge Frauen auf den Bühnen zu erleben.

Weiße Seitenwand einer riesigen Halle, daran sitzen auf dem Boden mehrere Menschen mit Laptops

Generisches re:publica-Foto.

Zeit für meine Brotzeit auf dem Affenfelsen: Apfel, Hüttenkäse.

Blick von vorn auf eine Bühne, darauf ein Mann, hinter ihm auf blauer Leinwand in Weiß "Share & Conquer"

Überraschendes in Patrick Stegemanns Vortrag “Share & Conquer: Wie Influencer*innen plötzlich Weltpolitik machen”: Nicht nur zeichnete er nach, wie viele Mitglieder des aktuellen Kabinetts von Donald Trump vorher ihr Geld (auch) als Web-Influencer und mit der Persönlichkeits-gebundenen Vermarktung von Zeug im Internet verdienten. Ich wusste auch nicht, dass drei Abgeordnete des aktuellen Europa-Parlaments davor Influencer waren und sich über Web-Kampagnen auf ihren Kanälen durch ihre Web-Follower dorthin haben wählen lassen. Sehr gruslig.

Große Bühne von vorn, rechts am Rednerpult eine Frau, lins große Leinwand, darauf Weiß auf Schwarz "Unterschätze niemals die Macht der Verdrängung!"

“Unterschätze niemals die Macht der Verdrängung!” lautete der Titel des diesjährigen Vortrags von Verschwörungs-Mythen-Forscherin Katharina Nocun aka @kattascha. Unter anderem ein Appell, Faschismus als Faschismus zu benennen und der sachliche, historisch unterfütterte Hinweis: Schweigen ist Zustimmung.

Nochmal eine Pause auf dem Affenfelsen, jetzt lernte ich einige langjährige Online-Kontakte auch persönlich kennen, das war schön.

Blick von rechts auf eine Bühne, links eine Frau am Rednerpult, auf der Leinwand hinter ihr "Unmaking sense: Desinformation als Gegenerzählung"

Von Jeanette Hofmann, Direktorin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ließ ich mir in “Unmaking sense: Desinformation als Gegenerzählung” ihre Perspektive auf Mechanismen der Desinformation erklären. Zentrale These: Es geht nicht um Wahrheit, sondern um die Personalisierung vertrauenswürdiger Weltdeutungen (im Gegensatz zu wissenschaftlichen Belegen). Menschen verbreiten Desinformation weiter aus Loyalität und Beleg ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft – Fact Checking mag also schon für die Akten nützlich sein, wird aber diesen Mechanismus nicht beeinflussen. (Ich notierte mir als Lektüre-Tipp A Social History of Thruth von Steven Shapin.)

Das letzte Panel, das ich mir als interessant notiert hatte, stellte sich als (für mich) langweilig heraus, ich spazierte schonmal zu Stage 1, um mir für die große Abschiedssause einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Was mich als Web-Seniorin entlarvte, ich traf dort einige besonders langjährige Online-Mitmenschen.

Wie immer Zahlen und Fakten zu den vergangenen drei Tagen:

Große Bühne, bunt beleuchtet, rechts ein Mann mit Mikrofon, auf der Leinwand "Programmpunkte auf den Bühnen 663"

Große Bühne, bunt beleuchtet, auf der Leinwand "Sprecher*innen eher weiblich 531, eher männlich 427, non-binär 21, keine Aussage 237"

Große Bühne, bunt beleuchtet, rechts ein Mann mit Mikrofon, auf der Leinwand "Sprecher*innen nach Generationen, Boomer 2%, X 26%, Y 60%, Z 11%"

Große Bühne, bunt beleuchtet, rechts ein Mann mit Mikrofon, auf der Leinwand "App Installatioin auf iPods: 2"

Große Bühne, bunt beleuchtet, rechts ein Mann mit Mikrofon, die Silhouette eines Kameramanns, auf der Leinwand "AfD-Politiker*innen auf der Bühne 0"

Die Gründer*innen auf die Bühne!

Große Bühne, auf der sich stehend vier Personen bewegen, hinter ihnen auf der Leinwand ein QR-Code und "Feedback"

Feiern der Mitarbeiter*innen auf der Bühne, gemeinsames Singen von Queens “Bohemian Rhapsody” (das muss so), aus.

Abschiedsgruß auch heute noch: “Wir lesen uns.” Das hier startete ja mal als Bloggerkonferenz. (Es gibt erste Ideen der Ursuppe, zur 20. re:publica 2027 eine historische Blog-Rückschau auf die Beine zu stellen.)

Ich wusste seit Tagen, wo ich abendessen wollte: Am Samstag hatte ich bei meinem Spaziergang durch Mitte einen Laden gesehen, vor und in dem Menschen asiatische Suppe aus großen gelben Schüsseln aßen, das wollte ich auch. U-Bahn bis Stadtmitte, von dort Marsch im Trockenen und sogar mit ein wenig Sonne bis hoch zu Sanku Maots’ai. Es stellte sich heraus, dass das Lokal ein Baukastensystem wie Subway hatte: Ich holte mir aus einem reichhaltigen Buffet Suppeneinlagen, gab sie an einer Theke ab und wählte eine Brühe, zahlte und bekam einen numerierten Abhol-Dongle, der brummte, als meine Bestellung abholbar war.

Kleiner Restauranttisch mit Schüssel asiatischer Suppe auf Tablett,  dahinter minimalistisches Lokal

Durch ein grobmaschiges Netz fotografiert Leuchtschrift über einem bleuchteten Buffet, davor die Silhouetten von Menschen

Schmeckte genau so erfreulich, wie ich mir das erhofft hatte. UND! Ich stellte fest, dass meine Füße endlich richtig warm und trocken waren.

Blick eine Straße hinunter auf Berliner Fernsehturm vor blauem Himmel

Spaziergang ins Hotel, dort zum Nachtisch Schokolade.

Diesmal hatte ich wegen meiner Teilnahme an einer Digital- und Gesellschaftskonferenz in den drei Tagen fast null vom Weltgeschehen mitbekommen, ein bisschen paradox. Im Hotelzimmer war ich aber zu erledigt für ein Nachholen, las nur ein wenig Internet, genoss den Ausblick.

Hotelzimmerfenster, hinter dem die Sonne über einer Großstadt untergeht

Blick hinunter auf nächtliche Großstadtkreuzung

Journal Dienstag, 27. Mai 2025 – Berlin Tag 4: re:publica-Bereicherung und nahöstlicher Abend

Mittwoch, 28. Mai 2025

Ein drittes Mal deutlich überdurchschnittlich geschlafen, und das, obwohl ich immer noch aufgedreht ins Bett gegangen war und nochmal aufgestanden, um mit einer IBU das Aufdreh-Kopfweh zu besänftigen. Wieder vom Wecker geweckt, das Verbloggen eines re:publica-Tags inklusive Bildern braucht dann doch knapp zwei Stunden.

Zumal ich beschloss, Urlaub zu haben, mich nicht innerlich zu hetzen, mir sogar eine Runde Bewegung in milder Luft und mittelfreundlichem Wetter zu gönnen: Ich ging eine Stunde zu Fuß zur Station Berlin. Das war eine gute Idee und tat sehr gut.

Städtischer Prachtbau mit einer historisierenden Fassade und ums Ecke einer modernen, einziges Graffiti auf einer Mauer zum Ufer "Unsere Geschichte ist eure Beute"

Humboldt Forum mit kritischer Beschriftung (und Deppen Leerzeichen), Besichtigung auf der Liste für nächsten echten Berlin-Urlaub.

Für meine 1up-Graffiti-Sammlung (Anhalter Straße).

Beim Kreuzen des Tempelhofer Ufers wenige Minuten von der re:publica entfernt passierte ich eine Warteschlange, die mich wundern ließ, was es in diesen Gebäuden wohl gab. Bis ich merkte, dass es sich um die 300 Meter lange Schlange zum Einlass mit Taschenkontrolle für die re:publica handelte – ich sah mich bereits die erste geplante Session der Konferenz verpassen. Doch auch das hatten die Veranstalter*innen im Griff: Ich nehme an, dass weitere Taschenkontroll-Stationen eingerichtet wurden, denn die Schlange bewegte sich in echtem Schritttempo, ich gab meine Sorgen auf.

Noch einer für die Sammlung, inklusive Schlange.

Die Podiumsdiskussion, deren Verpassen mich geschmerzt hätte: “Truth Under Fire: Documentary Filmmaking Between Risk, Ethics, and Innovation”. Und ich hätte wirklich etwas verpasst: Die drei Dokumentarfilmer*innen erzählten (vorbildlich kundig moderiert von Anna Ramskogler-Witt) Hintergründe und handwerklichen Details ihrer jüngsten Feature-Dokus.

Die Britin Havana Marking (auf dem Bild in der Mitte) veröffentlichte 2024 Undercover, Exposing the far right, in dem ein investigativer Journalist der Organisation Hope not hate beim Undercover-Aufdecken eines rechtsextremen Netzwerks samt Finanzierungshintergrund begleitet wird. Der Österreicher Friedrich Moser (zweiter von rechts) steht hinter dem Film von 2024 How to build a truth engine, in dem er verschiedene Aspekte der menschlichen Wahrnehmung und Manipulierbarkeit untersucht. Und Franz Böhms Crowdfunding-finanziertes Debüt-Langfilmprojekt Dear Future Children begleitete jeweils vier Monate lang junge politische Aktivist*innen in Hong Kong, Chile und Uganda. Er beleuchtete unter anderem Methoden, seine Protagonist*innen zu schützen, mit zwischenmenschlichen und technischen Mitteln. Ich habe selten in so kurzer Zeit so viel völlig Neues erfahren (was übrigens exakt mein Antrieb für die Teilnahme an der re:publica ist: dass sich mir bislang noch jedes Mal Türen in ganz neue Welten öffneten).

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/Ps8MlGrtu10?si=hmVjmyrNsHHQ2jPD

Hier die Aufzeichnung der Session.

Ricarda Lang kam auf Stage 1: “Politik, persönlich: Ricarda Lang im Gespräch mit Johnny Haeusler”. Das war ganz reizend, aber zumindest für mich ohne neue Einsichten.

Ich machte Kaffeepause draußen in der Sonne mit einem Internetfreund, genoss Update und Austausch.

Dann wurde es ein bisschen bizarr. Der Titel der Session, “‘It’s a trap’: E-Commerce & Why We Still Consume” hatte mich nicht darauf vorbereitet, dass hier jemand mal wieder die Geschichten von der “Digital-Sucht” verbreiten würde. Ich meldete mich mit der Frage, ob nur das begeisterte Romanlesen auf einem Bildschirm Suchtrisiken berge, oder auch auf Papier, und hörte, doch doch, auch auf Papier gebe es Suchtpotential, wenn man seine Pläne danach ausrichte (schuldig im Sinne der Anklage, ich schaffe mir regelmäßig gezielt Zeit fürs Weiterlesen eines fesselnden Romans), aber beim Bildschirm sei es durch das schädliche blaue Licht (längst widerlegt übrigens) besonders hoch. Eine andere Wortmeldung mahnte zurecht eine wissenschaftlich fundiertere Verwendung des Begriffs “Sucht” an.

Der interesssantere Teil, den mich der Titel eher erwarten hatte lassen, kam von der aus Nigeria zugeschalteten Chiso Ndukwe-Okafor, die von Online-Einkaufsfallen besonders auf dem riesigen nigerianischen Markt berichtete. (Und der ich ihre superschicke Brille neidete.) Auch von Sarah Lange, die über Methoden zur Vermittlung von Mechanismen der Online-Manipulation für Kinder sprach.

Jetzt gab‘s Brotzeit: Ich hatte mir im Laden von Sonntag nochmal ein Sprossen-Karotten-Sandwich besorgt.

Über den nächsten Programmpunkt hatte ich mich bei Sichten des Angebots besonders gefreut: “Behind the scenes: Das Art Department der re:publica”.

re:publica-Mitgründerin Tanja Haeusler – wenn sie schon nicht auf die große Bühne wollte.

Seit vielen Jahren fällt mir die visuelle Gestaltung der Konferenz positiv auf, hinter der so offensichtlich immer ein erstaunliches kreatives Konzept und sehr viel Liebe zum Detail stehen. Die Aussicht, es diesmal auch erklärt zu bekommen, fand ich wunderbar.

Nicht nur ich, wie sich erwies, der Vortragsort war komplett überfüllt. Die Kreativagentur, die seit zehn Jahren hinter der Gestaltung steht, ist fertig design. Norman Palm leitete das Konzept für 2025 und das Motto “Generation XYZ” her – und ließ sich anschließend mit Fragen löchern. Sehr spannend.

Währenddessen beschloss ich eine Planänderung für den Rest meines Tages: Zum Abendessen war ich mit einem Berliner Internet-Kontakt von ganz früher verabredet, wollte vorher aber unbedingt noch den abgefahrenen japanischen Tee einkaufen, den ich am Sonntag kennengelernt hatte, außerdem Brotzeit für den Mittwoch. Ich machte also bereits jetzt Präsenz-Schluss und marschierte zu dem Teeladen in der Nähe meines Hotels.

Tempelhofer Ufer.

Anhalter Bahnhof.

Die letzte Tages-Session der re:publica, die ich wirklich nicht verpassen wollte, fand ja auf der Stage 1 statt, die live ins Internet übertragen wurde: Ich guckte in meinem Hotelzimmer “Poesie gegen Populismus – die schönsten Nebenschauplätze unserer Diskussionskultur” mit Sarah Bosetti. Das war so erfrischend wie ihre Clips “Bosetti will reden”, vielen Dank.

Um am nächsten Morgen nicht wieder zwei Stunden festzuhängen, schrieb ich schonmal am Blogpost, fuhr dann mit der U-Bahn zu meiner Verabredung: Wir trafen uns im Layla zu einem Abendessen mit nahöstlicher Küche.

Hervorragender Cocktail auf Calvados-Basis zum Start.

Einmal rundum Vorspeisen-Köstlichkeiten als Nachtmahl – die Teigtaschen sind libanesische Pfannkuchen, auf die ich besonders gespannt war. Auch Nachtisch gab es noch, unter anderem aus Engelshaar und Kirscheis. Alles schmeckte ganz ausgezeichnet.

Vor allem aber kam ich wieder in Konktakt mit meiner Verabredung, ich hatte sie sehr vermisst.

Problemlose Fahrt zurück.

Journal Montag, 26. Mai – Berlin Tag 3: re:publica-Start

Dienstag, 27. Mai 2025

Wieder sehr gut geschlafen, aber vom Wecker geweckt, weil ich ja vor Aufbruch zur re:publica in der Station Berlin noch bloggen wollte.

Sehr erhöhter Blick auf eine große Großstadt-Straßenkreuzung in Sonne unter gemischtwolkigem Himmel, umgeben von hohen, sachlichen Gebäuden

Es kam sogar ein wenig Sonne heraus. Kalt sollte es auch nicht werden, ich musste mich nicht einpacken.

Im Foyer des Hotels traf ich mich mit einer re:publica-Erstbesucherin. Ich durfte die Rolle des Menschen einnehmen, den jede Erstling der Digitalkonferenz haben sollte: Die der erfahrenen Teilnehmerin, an die man sich erstmal dranhängen kann, die einer erste örtliche Orientierung gibt, irrelevante Anekdoten von früheren re:publicas erzählt, eine mit alten Bekannten zusammenbringt.

Eine U-Bahn brachte uns direkt von Alexanderplatz zum Gleisdreieck, das Einchecken ging dank flinker und hervorragend gelaunter Helfermenschen flott.

Leere Bühne, auf der Leinwand-Rückseite bunt projiziert die Buchstaben x y z

Im Düsteren vor einer Betonwand interviewt ein Mann einen anderen, ihre Schatten erscheinen bunt auf der Wand, darüber die Buchstaben x y z, links daneben "#rp25"

Das Motto der diesjährigen re:publica: Generation XYZ. Gestalterisch umgesetzt wurde das unter anderem durch Licht in Farben, das die drei Buchstaben in verschiedlichen Formen übereinanderlegte. Die Wand oben, an der gerade einer der vier Gründer*innen der Konferenz interviewt wird, Markus Beckedahl, war mit seinem Schatten-Effekt sofort der beliebteste Selfie-Ort.

In der ersten Reihe der größten Stage 1 trafen wir wie gewohnt Joël: Wer zuerst dort ist, besetzt den anderen Plätze.

Auf einer beleuchteten Bühne zeigt der Hintegrund "re:publica 25", davor drei Männer, einer im dunklen Anzug und mit Krawatte spricht gerade in ein Mikrofon

Eröffnung mit dreien der Gründer*innen; Johnny Haeusler (spricht gerade), Markus Beckedahl, Andreas Gebhard (die vierte, Tanja Häusler, steht einfach sehr ungern auf Bühnen), Johnny appellierte an alle, das Internet nicht den Tech-Milliardären und der Manipulation zu überlassen.

Ich blieb gleich sitzen für die Keynote: “Generative KI und die Zukunft der Intelligenz”.

Auf einer Bühne rechts ein Mann in heller Gose und hellem Hemd, links neben ihm auf der Leinwand Zeitungsausschnitte

Vom Referenten Björn Ommer, Professor und Head of Computer Vision & Learning Group an der Münchner LMU, hatte ich neueste Erkenntnisse und Einblicke erwartet, doch leider hörte ich einen generischen Vortrag über den Nutzen von KI heute (genau so wenig differenziert) ohne irgendwas Neues. Aber ich hatte eh vorgehabt, den Saal vor Ende der Session zu verlassen, weil sich eine spannende andere Podiumsdiskussion damit überschnitt.

Die ich dann aber nicht sehen konnte: Die Stage 5 war die mit viel Spitzenpolitik, höchstem Security-Level, eigener Garderobe – die Schlange davor über 50 Meter lang. Ich hatte keine Chance, rechtzeitig in den Saal zu kommen.

Auf Estrichboden ein einfacher Holztisch, dahinter zwei Menschen im Gespräch, davor ein Plakat "ARD zumachen! Change my mind"

In allen Ecken spanndende Ideen. Die durchwegs erfreulichen Begegnungen mit lang bekannten und neuen Internetkontakten auf Wegen und beim Warten auf Session-Beginn müssen Sie sich bitte eigenständig dazudenken.

Ich holte mir meinen Mittagscappuccino, profitierte dann davon, dass ich mir eine parallele Session notiert hatte.

Konferenzbühne dahinter Bildschirm mit „re:publica25“, darauf sitzen zwei Menschen, links auf einem hochformatigen Bildschirm eine Person in rosa Oberteil

“Am I Not Human? Data workers behind our AI systems and social media platforms speak out”. Ich lernte von Joan Kinyua, zugeschaltet links auf dem Bildschirm (Technik ist toll!), wie sie und ihre Kolleg*innen in Kenia das ermöglichen, was als “KI” verkauft wird. Sehen Sie sich die Dame (Uni-Abschluss in Betriebswirtschaft) ruhig genauer an: Sie hat Ihrem Roomba möglicherweise beigebracht, was Möbel sind und was nicht. Joan Kinyua gehört zu Gründer*innen einer Organisation, die sich vor Ort für die Rechte von data annotators und Content Moderator*innen einsetzt. Ebenfalls interessanter Gesprächspartner von Moderatorin Rim Melake: Andreas Hänisch vom TikTok-Betriebsrat.

Nachtrag: Hier die Aufzeichnung

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/JD_NU6SHSp8?si=ffhO7ObQNoP7dFy3

Blick von rechts auf eine Bühne, darauf rechts der Referenz in grauem Anzug vor Stehpult aus weißen Plastikboxen, hinter ihm auf der Leinwand drei Personen nah fotografiert, wie sie gerade telefonieren

Die alljährliche Zusammenfassung der aktuellen bundesdeutschen und europäischen Digitalpolitik von Markus Beckedahl – der diesmal mit einem historischen Abriss von Digitalminister*innen einstieg und den aktuellen Koalitionsvertrag mit seiner Verteilung des Themas auf drei Ministerien aufdröselte. Auch diesmal wohl begründete Darlegung, welche politischen Maßnahmen und Schritte derzeit helfen, welche ergriffen werden sollten – und Appell an eigenes Engagement, zum Beispiel im Zentrum für Digitalreche und Demokratie, das Markus kürzlich ins Leben gerufen hat. Mal wieder kam ich optimistischer aus der Session raus, als ich reingegangen war.

Schnell dazwischen Brotzeit: Ich hatte zwei mittlerweile hutzlige Äpfel dabei und einen Becher Hüttenkäse. Die re:publica hat mittlerweile aufgegeben, genug Catering für alle Teilnehmenden anzubieten (der Platz, auf dem es zweimal eine richtige Kantine gab, wird für drei Bühnen genutzt), muss ja auch nicht sein, eigene Brotzeit ist ratsam.

Entfernter Blick über Publikumsköpfe hinweg auf eine Bühne, auf der sich fünf Menschen im Sitzen unterhalten, auf der Leinwand hinter ihnen "re:publica25"

Ja mei, mehr habe ich auch nicht gesehen.

In “Lost in Translation? Die ARD zwischen TikTok, Townhall und Tagesschau” holte ich mir Überlegungen von Öffentlich Rechtlichen und Top-Soziologin Jutta Almendinger, wie man die nachwachsenden Generationen mit seriösen Nachrichten erreichen kann. YouTuber Alexander Prinz forderte unter anderem Umschwenken auf “Parasoziale Beziehung”: Nachrichtensprecherinnen sollten als Person für die Belastbarkeit der Nachrichten stehen, weil die jungen Leute Personen vertrauten, nicht Inhalten. Grusliger Begriff in meinen Augen und grusliges Konzept. Aber ich bin ja auch nicht die Zukunft. Meiner Meinung nach beharrte Yvette Gerner, die Intendantin von Radio Bremen zu Recht darauf, dass bei ÖR die Verlässlichkeit von Nachrichten vor Geschwindigkeit geht. Wenn Menschen sich bereits vorher mit unfundierten Spekulationen auf Tiktok ein Bild der Geschehnisse gemacht haben, muss man an anderer Stelle ansetzen.

Vor zwei großen Altbau-Sprossenfenstern, durch Tageslicht fällt, setehen zwei Männer mit Mikrofonen vor einem Stehtisch

In die nächste Session hatte ich mich zwingen lassen: Thomas Knüwer (rechts) hatte mich morgens dafür shanghait – aber ich freute mich ja tatsächlich, ihn und Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, einen meiner ältesten Kontakte aus dem Internet, zu sehen. Ihr Vortrag: “Churchaissance – Neue Kirchen ohne Gott verändern die Welt”, daran aufgehängt, dass Wolfgang gläubiger Theologe ist und Thomas Atheist, aber leidenschaftlicher Fußballfan. Verhalf mir zu einigen interessanten Perspektiven.

Ausschnitt eines Stuhlkreises in einer großen Halle mit Holzwänden, man sieht sechs Personen, in der Mitte spricht eine in ein Mikrofon, die rechte sitzt erhöht auf einem Barhocker

Die Menschen tragen alle Kopfhörer, weil die meisten Sessions nur direkt in einem Online-Kanal zu hören waren – funktionierte mal besser, mal schlechter.

Mein Abschluss des Konferenztags: “Das Bloggertreffen der Generationen”, in dem ich wie erwartet Blog-Senior*innen traf, aber – und darum ging es – auch Nachwuchs. Zumindest vereinzelt (Anton Hartmann, rechts unten sitzend) gibt es Menschen, die auch heute noch einfach ins Web schreiben wollen, auf eigener Domain, und die Plattformen vor allem für die Bekanntmachung ihres Blogs nutzen.

Jetzt aber Treffen mit der re:publica Newbie, U-Bahn-Fahrt zur Abendessen-Verabredung mit einer Berlinerin aus dem Internet, aber außerhalb der Konferenz.

Blick der Esserin auf einen Restauranttisch, vor ihr ein großer Teller mit Antipasti, dahinter einer mit Pommes und Club-Sandwich, daneben Gläser, gegenüber sitzt ein Mensch mit rotem Oberteil

Gutes Essen, ein Glas Grauburgunder, vor allem aber bereichernde Gespräche an der Gneisenaustraße.

Heimkommen mit der U-Bahn, mit mehrfachem Umsteigen und nicht komplett sportlicher Geh-Fitness wäre anstrengend und umständlich gewesen – wir hatten das Glück, dass die Berlinerin mit dem Auto da war und uns beiden ins Hotel fuhr.

Direkt ins Bett ohne weitere Vergnügungen – erschöpft obwohl unterbewegt.

Journal Sonntag, 25. Mai 2025 – Berlin Tag 2: Heldin vormittags, Freundin nachmittags

Montag, 26. Mai 2025

Sensationell gut und sehr lang geschlafen: Mein Hotelzimmer ist so ruhig, dass ich die Ohrstöpsel weglassen konnte, das Bett offensichtlich genau das richtige für mich.

Als Allererstes Morgenkaffee aus mitgebrachter elektrischer Cafetera und Milchschäumer, das war schön.

Verabredet war ich erst am Nachmittag mit einer in Berlin ansässigen Freundin, das düstere Nieselwetter machte die Entscheidung zwischen Ausflug ins Berliner Umgebungsgrün und Kino-Matinee einfach: Den Film Heldin hatte ich eh sehr gern sehen wollen, wie praktisch, dass er gestern zehn Minuten zu Fuß entfernt um 11 Uhr im Kino Hackesche Höfe gezeigt wurde.

Wand mit vergitterten Altbaufenstern in einem Innenhof, daran unendlich viele Reste von Aufklebern und Plakaten, davor abgenutzte Bierbänke und -tische

Einer der Hackeschen Höfe konserviert ein längst vergangenes Berlin museal, zwischen gruslig und rührend.

Gemauertes Jugendstil-Treppenhaus in Creme-Tönen und schwarzem Metall

In einem weiten Altbau-Treppenhaus Blick auf die niedrigere Halbebene mit großen Sprossenfenstern, durch die man über den Innenhof eine Klinker-Fassade sieht

Erhöhter Blick in Altbau-Innenhof mit verschiedenförmigen großen Fenstern

Große, Blumenstrauß-artige Wandlampe an Holz

Das Kino liegt im 3. Stock eines sehr schönen Gebäudes.

Der Film gefiel mir ganz ausgezeichnet mit seiner Darstellung eines einzigen Spätdienstes einer Schweizer Krankenpflegerin (Leonie Benesch ganz beeindruckend als diese Figur). Meine eigenen fünf Tage als Hüft-TEP-Patientin im Klinikum Garmisch hatten einen tiefen Eindruck von der Bedeutung des Pflegepersonals für das Befinden der Patient*innen hinterlassen: Ja, für die hochmedizinische Seite sind die Ärzt*innen zuständig, aber es waren die Krankenschwestern, die mir Sicherheit gegeben hatten, Zuversicht, die diese existenzielle Hilflosigkeit erträglich machten. Gleich zu Anfang gibt es im Film einen Dialog, der das transportiert: Ein Patient erzählt, dass er hier im Krankenhaus fern seiner Heimat niemanden hat, keine Familie, keine Freunde. Die Hauptfigur, Krankenpflegerin Floria Lind, antwortet ein wenig scherzend: “Aber Sie haben ja mich.” So war es für mich: Ich bin ja nun wirklich gerne allein und für mich. Aber in dieser Situation als Patientin vor und nach einer größeren Operation erleichterte es mich wie selten, dass da jemanden für mich da war.

Sehr gutes Drehbuch, genau die richtige Kamera für den Stoff (fast ununerbrochen am Gesicht der Hauptfigur), der Schnitt sorgte für einen stimmigen Rhythmus. Da alles sehr realistisch gezeigt wurde, half die durchgehende (immer leicht aufgeregte, aber nie dramatisierende) Musik, den Spielfilmcharakter präsent zu halten.

Theke vor Ladenfenster, darauf ein Sandwich und ein Glas Cappuccino, vorm Fenster nasse Großstadtstraße

Für mein Frühstück setzte ich mich um eins in ein Stehcafé auf einen Barhocker, es gab ein Sandwich mit Sprossen, Karotten, Tofu und einen Cappuccino. Es regnete. Die Zeit bis zur Verabredung an der Neuen Nationalgalerie verbrachte ich im Hotel.

Auf diesem Berlin-Urlaub fühle ich mich schlecht vorbereitet. Nicht nur konnte mich der Fußball-Tsunami kalt erwischen: Ich habe auch keinen Schirm dabei. Gestern regnete es ganz normal, so dass man davon halt nass wird. Mit Schirm wäre ich dennoch zu Fuß zu meiner Verabredung gegangen, hätte Bewegung und Frischluft bekommen. Doch ohne wäre ich nach einer Stunde nass eingetroffen, ich musste die U-Bahn nehmen.

Regennasse Pflasteroberfläche, darauf spiegeln sich zwei große dunkle Skulpturen, im Hintergrund Großstadtsilhouette und düsterwolkiger Himmel

Eigentlich hatten wir uns rechtzeitig für eine der Inszenierungen von Fujiko Nakayas Nebelskulpturen verabredet, doch nach herzlichen Begrüßungsumarmungen und Bekanntmachen mit Begleitung erfuhren wir: Fiel gestern wegen technischer Probleme aus. Na gut, schritten wir gleich zum zweiten Programmpunkt: Die Yoko-Ono-Ausstellung “Dream Together”.

Die war dann recht kompakt in einem Raum, mir gefiel die notwendige Beteiligung der (vielen) Besucher*innen – die meiner Überzeugung nach immer ein Teil von Kunst ist (existiert Kunst ohne Rezeption überhaupt?), in diesem Fall aber auch physisch von ihr gestaltet wird.

Auf einer weißen Tischoberfläche liegen weiße Keramikscherben, Paketschnur, Tesafilm, drei Menschen sitzen daran

An weißen Regalbrettern hängen zwei Klumpen aus Keramikfragmenten, Schnur und These, man sieht den Schatten der Fotografin

Mein Anteil mal wieder das fotografische Festhalten inklusive meiner selbst.

Blick durch Menschen auf einen langen weißen Tisch, auf dem Schachbretter mit nur weißen Figuren stehen, daran Menschen sitzen, die Schach spielen

Wir waren schnell durch, die paareinhalb Exponate hinterließen mich eher ratlos. Plan: Am Donnerstag der andere Teil der Yoko-Ono-Ausstellung im Gropiusbau.

Beim Verlassen des Raums begegnete ich einem meiner ältesten Blogkontakte, @ruhepuls. Auch Berlin ist ein Dorf, ich freute mich sehr.

Nach Hause zu meiner Freundin fuhren wir im Auto – so kenne ich Berlin überhaupt nicht, wahrscheinlich habe die Stadt zuletzt vor über zwölf Jahren durch ein Autofenster gesehen.

Es folgten wundervolle Stunden mit Freundin, Partner, ihren fast erwachsenen Kindern (die sich an mich nicht mehr erinnern konnten, aber ich verfolge sie zwischen den wenigen Begegnungen seit ihren Kindertagen halt auch über vereinzelte Urlaubsfotos ihrer Mutter), Hund. Auf der regnerischen Terrasse wurde gegrillt, ich bekam unter anderem herrliche ausgelöste Hühnerschenkel, abgefahrenen Gurkensalat, Kartoffelsalat. Und zu all dem Kontakt und Gespräche (unter anderem die nachgeholte Erzählung eines Japan-Urlaubs im Vorjahr), wohliges Menschenkuscheln.

Kulinarische Entdeckung war ein Tee, den die Freundin in einem japanischen Mitte-Laden bekommen hatte.

Stehende helle Verpackungstüte, darauf groß

Der Laden liegt nicht weit entfernt vom Hotel, mal sehen, ob ich diese Woche zu Öffnungszeiten hinkomme.

Abschied im letzten Abendlicht, meine Schirm-Lücke wurde durch einen geschenkten aus dem Freundinnen-Haushalt geschlossen. Den brauchte ich dann zwar auf dem Heimweg zu Fuß nicht (keine halbe Stunde – Berlin wird immer kleiner), aber jetzt fühle ich mich besser für die kommenden Tage gerüstet.

Im Bett Start neuer Lektüre: Chloe Dalton, Raising Hare.