Journal Freitag, 29. August 2025 – Unwillige Heimkehr nach München

Samstag, 30. August 2025 um 8:21

Schon am Vorabend spürte ich heftigen Abschiedsschmerz, ich wollte wirklich nicht weg aus Wien. Zum einen wegen heftiger Wienverliebtheit. Zum anderen war es SO großartig gewesen, sechs Tage voller Input zu bekommen: Anblicke, Wetter, Wind, Menschen, Gespräche, Informationen, Zusammenhänge – Verarbeitungsfutter für viele Wochen. Das mit der Erholung und Entspannung durch einfaches Blödschaun muss ich woanders lernen, meine Aufmerksamkeit springt einfach immer auf Spannendes an.

Gestern war der Wecker auf früh gestellt, unser Zug fuhr um halb neun vom Wiener Hauptbahnhof ab. Wir verließen die Ferienwohnung rechtzeitig für einen gemütlichen Morgenkaffee im Bahnhof, rollkofferten zur U-Bahn in überraschend warmer Luft: Schon vor acht brauchte es keine Jacke.

Pünktliche Abfahrt, ich machte mich an den Blogpost über vorgestern (in meist stabilem WLAN). Vor uns saß eine Vierergruppe junger Spanierinnen, die viel Spaß miteinander hatten – ich hätte mich mehr mitgefreut, wenn sich die beiden mit Rückenlehnen zu mir beim Lachen nicht immer in ihre Sessel geworfen hätten.

Vorm Fenster verabschiedete sich bald der Sommer.

Auf der Fahrt sahen wir aber auch Sonne und blauen Himmel. Außerdem große Vogel-Show: Auf einer Wiese vier Störche, auf einer anderen mindestens ein halbes Dutzend Silberreiher, in der Luft Falken, Bussarde, Milane.

Beim Ausstieg in München war es wärmer als erwartet, und wir kamen trocken heim.

Kurze Einkaufsrunde in München und noch ein Punkt auf der Liste #Wienliebe: In der Wiener Innensstadt gibt’s schon auch Ladenleerstand. Aber dort leben nicht in 80 Prozent der Türbuchten dieser Läden Obdachlose – die Stadt scheint sich besser um sie zu kümmern.

Frühstück um halb drei: Körnersemmeln mit Butter/Tomate, Butter/Hagebuttenmarmelade, außerdem Pfirsichrettungsessen. Mit der jüngsten Crowdfarming-Bestellung einer Kiste Flachpfirsiche hatten wir nämlich Pech: Erst wurde der Liefertermin um vier Wochen in unseren Urlaub verschoben, zum Glück war meine Mutter da. Doch dann stellten sich die Früchte bei Ankunft als hart, unreif und angeschimmelt heraus. Ich bat meine Mutter um Lagerung im Kühlschrank, mal sehen, wie viel davon wir essen können.

Gleich danach eine Backrunde. Wenn ich Croco schon dazu terrorisiert hatte, das beschwärmte Zwetschgenkuchen-Rezept ihrer Mutter zu bloggen, musste ich es natürlich umgehend ausprobieren:
Zwetschgenkuchen mit Marzipan nach dem Rezept von Mama Croco.

Ich hatte weniger Zwetschgen benötigt (mit ca. 1,2 Kilo war die Form voll), der Kuchen duftete köstlich.

Lesen auf dem Balkon, dessen Bepflanzung meine Mutter verschönert hatten. Dann endlich wieder Yoga, ich startete das 30-Tage-Programm “Move” von Adriene.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Shakshuka mit Knoblauch von der spanischen Familie. Dazu öffneten wir die Flasche abenteuerlichen Uhudler aus Wien:

Schmeckt uns beiden! Ein trockener Wein, und die spezielle Note, vor der man uns gewarnt hatte, ist durchaus zugänglich. Da hatten wir schon schwerer vermittelbares im Glas. Als Erdbeer würde ich den Geschmack allerdings nicht beschreiben. Jetzt würden wir gerne weitere Uhudlers probieren, um Typisches von Speziellem unterscheiden zu können. Inzwischen weiß ich auch aus Kommentaren im Internet, dass es sowohl Uhudler Wermut gibt (die verlinkte Website erzählt die besondere Geschichte der Rebsorte) als auch Uhudler Frizzante.

Nachtisch Zwetschgenkuchen (der beim Abkühlen viel Wasser gezogen hatte und instabil geworden war, lag wahrscheinlich an den sehr reifen Früchten), schmeckte gut. Dann Schokolade aus Wien.

Abendunterhaltung zwei Folgen Mad Men.

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Bald wird die liberale Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße nach aufwändiger Restaurierung wiedereröffnet. In der taz beschreibt Dominik Baur ausführlich den Weg dorthin und die eng mit München verbundene Geschichte des Bauwerks sowie der Menschen hinter der Restaurierung:
“Licht im Hinterhof”.

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Zum Zeitunglesen kam ich in dieser Urlaubswoche gar nicht. Doch der Mastodon-Kanal des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit wies auf einen Artikel im gestrigen SZ-Magazin hin, der mich sehr interessierte (€):
“Das dunkle Erbe der Zwangsarbeiter”.

Millionen Menschen wurden im Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit aus ganz Europa nach Deutschland verschleppt. Ihre Geschichten waren lange vergessen, dabei hat sich ihr Schicksal tief eingegraben: ins Land und in das Leben der nächsten Generation. Eine Spurensuche.

(Ich behielt beim Lesen halbwegs die Contenance. Den Boden unter den Füßen zog mir dann allerdings der Titel des Projekts “Trotzdem da” weg: Meine Mutter ist als Kind einer Zwangsarbeiterin aus der verbotenen Beziehung zu einem Zwangsarbeiter nur deshalb trotzdem da, weil der Überlieferung nach eine Einheimische sie als ihr Kind ausgab; es gibt ein Foto, von dem meine Mutter vermutet, dass es diese “Pflegemutter” zeigt.)

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Freitag, 29. August 2025 – Unwillige Heimkehr nach München“

  1. Marlies meint:

    Hallo
    zufällig hatte ich den TAZ- Artikel auch gelesen und Lust bekommen, mehr über die Synagoge zu erfahren. Ich bin bei der „Recherche“ auf folgende Beiträge:
    https://www.ardmediathek.de/video/abendschau-der-suden/munchen-wiederaufbau-der-synagoge-in-der-reichenbachstra-e/ard/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdC9GMjAyNFdPMDE3MjA0QTAvc2VjdGlvbi83MjBhYmM0OC04ODI4LTRiMjQtYTQwNi0zZWExNTk5MjgyNGU

    https://www.merkur.de/kultur/muenchen-synagoge-reichenbachstrasse-gunta-stoelzl-bauhaus-kunst-stoffe-rachel-salamander-baudenkmal-zr-93655452.html

  2. Victoria S meint:

    Wien hat ein sehr gut ausgebautes Hilfsnetzwerk für Obdachlosigkeit. Insbesondere gibt es in der Stadt viele günstige Sozialwohnungen. Es gilt dort vielmehr das Prinzip “housing first”: Menschen in Not bekommen zunächst ein Dach über dem Kopf, damit auch eine Meldeadresse und weitere Probleme können und werden danach angegangen.

  3. Sebastian meint:

    Den Vergleich Uhudler/Walderdbeere finde ich passend(er), die mag auch nicht jeder. Uhudler-Wermut klingt sehr passend.

    Willkommen zurück

  4. Croco meint:

    Freut mich, dass der Kuchen Gefallen findet. :)
    Das Problem ist tatsächlich das, dass er instabil wird, wenn die Zwetschen zu reif sind. Wenn er etwas länger im Ofen ist, verdunstet mehr Flüssigkeit und er wird stabiler.

  5. N. Aunyn meint:

    Die Synagoge in der Reichenbachstraße war nie eine liberale Synagoge. Das Viertel um den Gärtnerplatz war von vielen armen Menschen und auch Ostjuden bewohnt – ähnlich wie das Berliner Scheunenviertel. In und um die Ickstattstraße gab es viele Betstuben der Ostjuden.

    Auch nach der Schoah waren es vorwiegend die ostjüdischen Displaced Persons, die das religiöse Leben der Reichenbachstraße prägten und das war das einer orthodox geprägten Einheitsgemeinde.

    Liberales jüdisches Leben fand in der amerikanischen Militärgemeinde im Süden Münchens statt, nach der Wende dann in einer “jewish support group”, aus der dann die liberale jüdische Gemeinde Beth Schalom entstand. Und die hatte eine Zeitlang die Hoffnung, die Synagoge in der Reichenbachstraße zu bekommen nachdem die Einheitsgemeinde in die große Ohel Jakob Synagoge ins Zentrum gezogen war. Wurde aber nichts.

    Zur Obdachlosigkeit in München:
    Sehr viel andere Möglichkeiten als vor leerstehenden Läden zu campieren sehe ich nicht. Die Obdachlosigkeit und Armut in München sind sehr still und wenig sichtbar – so mein Eindruck der vergangenen Woche. In öffentlichen Verkehrsmitteln wird nicht gebettelt. In einer der Innenstadtkirchen bin ich gefragt worden, ob ich eine Putzfrau brauche oder jemanden weiß, der eine braucht.

    Von den armen Schulschwestern, die am Anger eine Suppenküche betreiben, weiß ich, daß arme Menschen zu ihnen gelassen werden, diese aber sonst aus dem Innenstadtbereich vertrieben werden. Habe ich schon 2016 mit eigenen Augen gesehen.

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