Journal Freitag, 3. Oktober 2025 – Nochmal Undercliff Walk, jetzt aber mit Regen

Samstag, 4. Oktober 2025 um 9:08

Letzter Tag in Brighton – und der begann nach wohligem Ausschlafen mit einer unangenehmen Nachricht. Nachts hatten die Ferienwohnungsvermieter eine mahnende E-Mail geschickt: Nachbarn hätten sich bei ihnen beschwert über “shouting and banging noises” aus meiner Wohnung. Um die Absendezeit der Mail schlief ich bereits tief, zum ersten Mal mit Ohrstöpsel, weil mich mehrfach Hundebellen geweckt hatte. Ich beteuerte natürlich meine Unschuld, verwies auf meine Alleinbewohnerschaft und drückte mein Mitgefühl mit den Nachbarn aus, sorgte mich jetzt aber um meinen AirBnB-Ruf. Vielleicht waren die Bewohner über mir mit fast durchgehendem Kleinkinder- und Abenteuerspielplatzlärm (der mir nichts ausmacht) ja auch lediglich Feriengäste: Dann könnte ich die Beschwerde verstehen.

Zum Glück kam bald eine beschwichtigende Antwort von den Vermietern: Es habe sich offensichtlich um eine Verwechslung gehandelt, alles gut.

Was mir auch nichts ausmachte: Das war nun wirklich echt ehrlich ein regnerischer Morgen. Helles, trockenes Wetter gefällt mir zwar besser, doch mein geplanter zweiter Undercliff-Walk-Lauf würde durch Regentropfen erst vollständig – und die bisherigen zwei Wochen England ohne Regen hatten eher Unheimliches geabt.

Eher spät kam ich los – und war draußen überrascht über die milde Luft. Diesmal spazierte ich an einen Startpunkt näher am Undercliff Walk, also weiter östlich, um weiter auf dem Walk selbst joggen zu können. Das Laufen bereitete mir sehr große Freude: der salzige Wind, das Rauschen der Wellen. Wenn sich auch bald linke Wade und Oberschenkelrückseite meldeten: Ich war entschlossen, mir das Vergnügen nicht trüben zu lassen.

Bei dem gestrigen Wetter war deutlich weniger los auf dem Undercliff Walk, der Anteil grüßender und lächelnder Menschen dabei deutlich höher.

Endlich den vertrauten Spitzspatz gesichtet, der ich am Dienstag vermisst hatte (schau’s halt genau hin: Wenn ich gut Vögel fotografieren könnte, würd’ ich’s ja machen).

Die vertrauten Klos am Weg waren neu hergerichtet, aus dem hochformatigen Spiegel war ein querformatiger geworden.

Pläne fürs späte Frühstück/Mittagessen hatte ich bereits: große Lust auf Pizza. Vor zwei Jahren hatten wir in North Laines eine mehr als anständige bekommen, dorthin ging ich wieder. Ich habe ja selten richtig Lust auf Pizza, aber dann genieße ich sie sehr.

Pizza Norma mit Aubergine.

Auch hier muss der Service wie bei uns ständig Italienisch-Fragmente in die Konversation mit der Kundschaft einbauen, anders als in deutschen Pizzerien wird man allerdings gefragt, ob man Pommes dazu haben möchte, und die Leute bestellen “Dips” für ihren Pizzarand (hatte ich schon wieder vergessen).

Spaziergang in den Stadtteil Kemp Town, so weit raus wie noch nie. Und das lohnte sich auch diesmal (deswegen mache ich es ja auch in München gerne): Unter anderem entdeckte ich ein Cabaret-Theater.

Sussex Dairy, heute der Off License The Boozy Cow.

Haus of Cabaret (nächstes Mal bestimmt). Auch in dieser Gegend auffallend: Die große Zahl kleiner Cafés – so viel Kaffee-und-Kleingebäck-Bedarf kann doch kein Stadtviertel haben?

Zurück ging ich fast ab Marina obenrum die Marine Parade entlang: Ich wollte den Weg, den ich regelmäßig jogge, von oben sehen. Zum Wind kam jetzt ein wenig Regen, erst als winzige Tröpfchen in der Luft, dann als größere. Egal, es war weiterhin so mild, dass mir das nichts ausmachte.

Blick aufs Schwimmbad vom Donnerstag.

Einmal alles inklusive West Pier in der Ferne.

Nachmittag in der Ferienwohnung mit Lesen am Tisch im Bay Window, während es draußen immer wieder regnete. Gemütlich! Doch als die Abenddämmerung nicht mehr zu übersehen war, zürnte ich: NOAAAAAIN! Nicht aufhören, letzter Tag in Brighton! Eigentlich bin ich ja gewohnt, dass ich bereits ein, zwei Tage vor Rückreise mit dem Kopf zurück daheim bin, diesmal klammerte ich mich an jeden Anblick, jedes Lüftchen in der Ferne. Und so merkte ich: Fünf Tage Brighton reichen mir nicht, auch ohne Abstecher nach London und mit eigentlich keinem Programm.

Nach Yoga-Gymnastik zum Nachtmahl gründliches Aufräumessen: Letzte rote Paprika mit restlichem Hummus, am Vortag gekaufte Körnersemmel mit Butter, ein Becherchen Fertig-Trifle (erstaunlich gut, aber ich muss es dringend mal wieder selber machen – habe ja noch eine Woche Urlaub), Birne mit Joghurt-Rest. Nachtisch Schokolade, davon werde ich allerdings einige heimnehmen müssen. Ich bin ohnehin gespannt, wie sehr ich mit meiner Schätzung von freiem Kofferplatz durch ein Paar Wanderschuhe weniger und ein Paar Turnschuhe weniger daneben liege.

Schließlich fand ich an diesem letzten Abend in der Ferienwohnung heraus, wie sich die Heizung anschalten lässt: Der Knopf an der Wand mit 15 Zentimeter Durchmesser wird durch richtiges Rumdrücken (falsches hatte ich gleich bei Ankunft probiert) zu einem Display, dass man unter anderem von “off” auf “Auto” stellen kann. Und schon werden die Heizkörper warm. Ahem.

Im Bett Gaea Schoeters, Lisa Mensing (Übers.), Trophäe ausgelesen – verstörend, aber auf eine ungewöhnliche und gute Weise.

§

Am 2. Oktober war fünfter Jahrestag meines neuen Hüftgelenks. Auch diesmal fiel mir das sehr deutlich ein: Ich bin weiterhin so dankbar dafür, dass die moderne Medizin mir eine Rückkehr in ein (zumindest dort) schmerzfreies, aktives Leben ermöglichte, und dass ich in jeder Phase dafür so ein Glück mit bestmöglichem Verlauf hatte.

§

Im aktuellen SZ-Magazin schreibt Marvin Ku einleuchtend hierüber (€):

Seit 20 Jahren spaltet der Begriff »Migrationshintergrund« unsere Gesellschaft. Doch selbst seine Schöpferin ist sich nicht mehr sicher, was er bedeutet. Wann sind Menschen mit ausländischen Wurzeln deutsch genug?

Er erzählt am eigenen Beispiel:

Ich bin deutscher Staatsbürger und das Kind deutscher Staatsbürger. Ich wurde in Kassel geboren und wuchs in einer Kleinstadt auf, die bekannt ist für ihre Liebe zu Wurst. Auch ich esse gern Wurst. Ich bin in einen evangelischen Kindergarten und aufs Gymnasium gegangen. Ich habe an einer deutschen Universität studiert, schreibe für eine deutsche Zeitung, die in Deutschland als sogenanntes Leitmedium gilt, und ich schreibe das alles auf Deutsch, weil es meine Muttersprache ist. Die größte Migra­tion, die ich durchgemacht habe, war von Hessen nach Berlin-Friedrichshain. Aber das muss man alles nicht wissen, um mir einen Migrationshintergrund anzuheften.

(…)

Es gibt auch eine amtliche Definition des Statistischen Bundesamts: »Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.«

Mir sieht man ihn nicht an, meinem Namen schon.
Und mir fallen viele Beispiele von Deutschen ein, die aufgrund dieser Definition keinen Migrationshintergrund haben, aber in einer so komplett anderen Kultur und Sprache als der deutschen groß wurden, dass ihre deutsche Umwelt sie in Deutschland immer wieder lotsen muss.

Es passt nicht in die Story, dass die wirtschaftliche Lage dieser Eltern, und da sind sich Bildungsforscher einig, deutlich wichtiger ist als ein Migrationshintergrund, um Bildungserfolg zu analysieren. Die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, ist am niedrigsten bei einem Kind, dessen Eltern weniger als 2600 Euro netto im Monat verdienen, beide kein Abi­tur und keinen Migrationshintergrund haben. Am höchsten, wenn beide Eltern Abitur haben, mehr als 5500 Euro ver­dienen und einen Migrationshintergrund haben. Entscheidend ist nicht der Migra­tions­hintergrund, sondern das Geld.

Das Cover-Foto gefiel mir besonders gut.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Freitag, 3. Oktober 2025 – Nochmal Undercliff Walk, jetzt aber mit Regen“

  1. Sebastian meint:

    In Deutschland geboren, mit Eltern ausgewandert und Staatsbürgerschaft eingetauscht, wieder gekommen und wieder ausgewandert auf anderen Kontinent und wieder wiedergekommen – und trotzdem lachen die Leute oder werden böse wenn ich sage, dass ich einen Migrationshintergrund habe. Oder die letzten vier Päpste einen haben. Oder die ganzen Champions-League-Trainer.
    “Auslandserfahrung” geht aber. Vielleicht sollte mein Kollege aus Korea das ab jetzt auch sagen, wenn die anderen über seinen MHG reden?

    Ich glaub auch, es ist nur das Geld.

  2. engl meint:

    oh, ich habe migrationshintergrund!
    sogar richtig stabil, weil: ich selbst und ein elternteil. (laut statistischem bundesamt, das ist irgendwie blödsinn. ; )

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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