Journal Samstag, 18. März 2023 – Körpertüchtigkeit in Frühlingssonne
Sonntag, 19. März 2023Mittelgute Nacht mit einer überraschenden Krampf-Unterbrechung (linke Wade, als ich den Fuß dagegen hochzog, gleich Fußsohle und Zehen, Aufstehen und Yoga-Vorbeuge halfen), aber Schlaf bis sieben.
Gemütlicher Morgen, ich konnte den Tag frei planen. Als Wetter war ein schönes angekündigt, das tatsächlich eintrat. Doch als ich mich vormittags per Rad zum Olympiabad aufmachte, brauchte ich noch leichte Mütze und Handschuhe.
Nach dem nächtlichen Krampf hatte ich auch Waden- und Zehenkrämpfe im Becken befürchtet, doch ich blieb verschont, konnte im nicht zu kalten Wasser bei wenig Belegung kraftvoll und ruhig meine 3.000 Meter durchziehen.
Schon früh ließ ich beim Wenden eine Schwimmerin vor, die ein wenig schneller war als ich – und ich weiß doch, wie nervig das sein kann, weil nur wenig langsamere Schwimmerinnen so schwer zu überholen sind. Beim kurzen freundlichen Austausch (“Mögen’S vor?” “Ach, das ist nett.”) sah ich, dass sie deutlich älter war als ich. In Kombination mit dem Neid auf die flotte Wander-Rentnerin am Freitag wurde mir klar: Mir (!) ist wirklich scheißwurscht, wie alt ich aussehe – solange mein Körper tüchtig ist. Meintwegen halten mich die Leute mit 65 für 80, solange ich gehen, wandern, schwimmen, treppensteigen, mich drehen und wenden kann, auf- und niedersetzen.
Ich hatte ja schon während meiner ersten Reha vor vier Jahren festgestellt, wie sehr ich mich über meine Körpertüchtgkeit definiere, dass es mir an die Substanz geht, wenn sie fehlt. Und während andere sich plastisch operieren lassen, damit sie ihrem Schönheitsbild entsprechen, habe ich mein kaputtes Hüftgelenk durch ein künstliches ersetzen lassen, um mir Beweglichkeit zurückzuholen (na gut, und gegen schlimmen Dauerschmerz sowie für Nachtschlaf). Ich hoffe auf einen so langsamen Verlust dieser Körpertüchtigkeit durchs Altern, dass ich damit umgehen kann. (Habe meine Mutter im Ohr, die irgendwann von einem Wanderurlaub in Südtirol zurückkam: “Oiso woaßt, jetzt ham’s die Berge einfach höher gemacht! Desmoi war’s viel anstrengender hochzukommen und hat auch viel länger ‘dauert.” Das wär’s.)
Als ich wieder auf mein Rad stieg, dominierten im Olympiapark bereits die kurzen Ärmel.
Größte Gefahr im gestrigen Radelverkehr: Fußgänger, die ohne zu schauen plötzlich auf Radweg oder Straße ausscherten. Und wie bei jeder Nutzung ärgerte ich mich über die Verkehrsführung am Stiglmaierplatz, die an der roten Ampel wartende Radler*innen so auf dem Radweg platziert, dass die Grün habenden nicht vorbeikommen oder in anfahrenden Radverkehr crashen. Hier ist der Missstand so tief strukturell, dass er sich halt nicht mit Farbe auf dem Boden korrigieren lässt.
Daheim öffnete ich erst mal Balkontüren und Fenster, um Sonne und warme Frühlingsluft hereinzulassen. Draußen sah ich sogar Sommerkleidchen. Frühstück um zwei: Zwei weiche Eier, zwei Dim-Sum-Dampfnudeln vom Vorabend.
Fürs Abendessen benötigte Herr Kaltmamsell noch ein paar wenige Zutaten, Anlass für Verlassen des Hauses. Ich spazierte zum Vollcorner und mit einer großen Schleife über die Theresienwiese (viele Leute, die spazierten, sportelten, sich in Gruppen trafen) zurück. In einem Hinterhof an der Beethovenstraße wurde sogar gegrillt.
Der faszinierende Herr ist an der Lessingstraße zu finden und gehört zur Medizinischen Lesehalle – die, wie ich jetzt weiß, ursprünglich als Kunstgalerie erbaut wurde, das erklärt auch die Medizin-fernen Skulpturen und Reliefe drumrum.
Den Nachmittag verbrachte ich mit Lesen: Jana Thieles Gebrauchsanweisung für den Harz, eine Leihgabe des dorthin ausgewanderten Freunds, bereitete mich auf den ersten Teil meines Urlaubs vor, auf ein paar Tage in Goslar. Sehr charmant und in dem subjektiven Blog-Tonfall geschrieben, den ich an Reiseliteratur schätze; nur an der fehlenden Erwähnung des Klimawandels merkte ich, dass es nicht ganz aktuell ist (veröffentlicht 2014).
Ein Stündchen Lektüre der Wochenend-Süddeutschen, eine Runde Yoga-Gymnastik mit “Restorative” im Titel – war mir sogar für das Ziel Dehnen ein wenig zu langsam.
Herr Kaltmamsell servierte tex-mex Nachtmahl:
Ofenkartoffeln (Ernteanteil) mit Käse und Sauerrahm, besonders gute Guacamole (Corwdfarming-Avocados), schwarze Bohnen mit Tomate – alles köstlich. Davor gab es von meinen Eltern hergstellten Schlehenlikör Pacharán auf Eis, danach Süßigkeiten.
Als Abendunterhaltung schaffte ich endlich die Doku von 2020 über die Frauen im westdeutschen Bundestag, die sich als erste dort politische Macht holten.
“Die Unbeugsamen”.
Gut und sorgfältig gemacht, beeindruckende Menschen. Einige davon erzählten als alte bis greise Frauen in der Rückschau von ihrem Weg, durch Bewegungen wie #metoo ermutigt auch von sexuellen Übergriffen (inklusive der Erkenntnis: Hätten wir früher darüber gesprochen, wäre das nicht so lange durchgegangen.). Noch bis 7. Mai in der Mediathek, Empfehlung.
Im Bett (seit sehr Langem mal wieder leichter Chlorschnupfen) nahm ich mir meine nächste Lektüre vor: In der Münchner Stadtbibliothek hatte ich meine Vorbestellung nach zwei Wochen Warten herunterladen können, Theresa Hannig, Pantopia. (Mit dieser zweiten Onleihe dort haben sich meine 20 Euro Jahrebeitrag bereits amortisiert.)
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Hintergrundberichte zum Beruf anderer finde ich immer hochgradig spannend. Hier erzählt die Chefin einer Flugzeug-Kabinenbesatzung in einer ersten Folge, woraus ihr Job bis zum Betreten des Flugzeugs besteht.
“Workday – Teil 1”.