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Journal Donnerstag, 25. Juli 2024 – Schon wieder nix passiert

Freitag, 26. Juli 2024

Eine mehrfach unterbrochene Nacht, mal von lauten Stimmen draußen, mal von einfach so Aufwachen. Beim Aufstehen fühlte ich mich nicht wirklich erholt.

Die Wolken am Morgenhimmel verschwanden bald, auf meinem Weg in die Arbeit ging ich unter hellem und ungestörtem Blau.

Der Vormittag bestand aus viel organisatorischem Recherchieren und Wirbeln. Den Mittagscappuccino trank ich bei Nachbars und ging dann auf den Markt am Georg-Freundorfer-Platz (kühle Luft, wärmender Sonnenschein). Ich hatte auf Mirabellen und Renekloden gehofft, doch es wurden keine angeboten. Also kaufte ich nur Käse fürs Abendessen.

Zurück im Büro gab es nach ein wenig Weiterwirbeln Mittagessen: Mehlige Frühäpfel und Pumpernickel mit Butter (ich war sehr stolz, dass ich die Hälfte zurück in den Kühlschrank stellte, weil ich sehr satt war, und nicht alles aß, bloß weil es da war – warum schaffe ich das nicht immer und überfresse mich statt dessen unangenehm?).

Mühsamer Nachmittag, leider wieder Schatten überm Gemüt. Draußen hingegen meist Sonne, das ohne Hitze. Immer wieder hörte ich die benachbarten Turmfalken, manchmal sah ich bis zu drei auf einmal fliegen.

Wieder fiel mir das Abholen des Ernteanteils zu, Herr Kaltmamsell ließ sich gestern feiern. Damit war ich zu Hause eine ganze Weile beschäftigt, denn das Gemüse war sensationell dreckig. Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel Erde in einen Kopf Stangensellerie passt, ganze Brocken. Oder an und in junge Rote Bete mit Grün. Auch die Zucchini, die Gurke und die Tomaten (erste Tomaten!) waren rundum erdig. Nach einem Durchwaschen des Gemüses musste ich zudem die Küche von den Spuren der Reinigung säubern.

Dann aber erstmal eine Einheit Yoga-Gymnastik, schöne Flows, geordnetes Schnaufen.

Zum Abendessen sollte es den Kopfsalat aus Ernteanteil geben, ich machte mich nochmal ans Waschen. Zwei Vollbäder plus Einzelblattwaschen unter fließenem Wasser später hoffte ich, dass ich eventuelles Knirschen beim Kauen auf Pfeffer schieben können würde. Als Dressing Zitronensaft-Knoblauch-Vinagrette, die Gurke aus Ernteanteil schnippelte ich dazu.

Gedeckter Tisch mit einer großen Schüssel Blattsalat, rechts ein Teller mit zerteilten Tomaten, links ein Teller mit zwei großen Stücken Käse

Außerdem gab’s die Tomaten mit Salz, Pfeffer, Olivenöl (köstlich!) und Käse vom Markt. Nachtisch Pralinen, die Herr Kaltmamsell geschenkt bekommen hatte (rechts auf dem Foto sieht man den Fuß des Bergs von Geschenken, mit denen er aus seiner alten Schule verabschiedet wurde), weitere Schokoladen.

Früh ins Bett zum Lesen: Scott Alexander Howard, The other valley fesselt mich und hat eine solch subtil zwielichtig unzuverlässige Ich-Erzählerin, dass aus dieser Wackeligkeit die größte Spannung entsteht.

Journal Sonntag, 21. Juli 2024 – Geschenkter dreiviertel Tag Hochsommer

Montag, 22. Juli 2024

Gut und sehr lang geschlafen, bis fast sieben! Jetzt fühlte ich mich komplett wiederhergestellt, stand zu einem Hochsommermorgen auf, hängte erstmal die eben durchgelaufene Wäsche zum Trocknen, wässerte dann die Blumentöpfe, setzte mich mit Milchkaffee auf den Balkon.

Balkon mit Tisch und Pflanzen, auf dem Boden grüner Teppich, dahinter draußen Bäume, im Hintergrund spiegelt sich im Fenster eines Gebäudes die Sonne

Sportplan für den Tag war Schwimmen, das stand schon lange fest. Bis Samstag waren dafür allerdings eher niedrige Sommertemperaturen, Bewölkung, sogar Regen angekündigt gewesen. Ich freute mich über den unvermuteten Sonnentag.

Eine Frau fotografiert sich ganz im Spiegel; sie trägt ein buntes Kleid, Sonnenbrille, Sandalen, im Arm hat sie ein zusammengefaltetes gestreiftes Handtuch

Gestern radelte ich die hübsche Strecke über die Nymphenburger Straße und Gern zum Dantebad, sonntags lässt sich auch die chaotische Verkehrsführung am Rot-Kreuz-Platz ohne Nervenzerrüttung meistern.

Der Fahrradparkplatz vorm Dantebad füllte sich gerade, ich stellte mich in die kurze Schlange an der Kasse, weil ich meine Bäderkarte neu beladen musste. Die Schwimmbahnen waren gut frequentiert, aber wir kamen problemlos miteinander aus. Ich schwamm leicht und mit Genuss über sonnenglitzerndem Metallboden, allerdings nur 3.100 Meter statt der angepeilten 3.300, weil ein neu eingetroffener Schwimm-Rowdie mir sonst die Laune vermiest hätte.

Nach kurzer Dusche und Sonnencremen meiner Vorderseite (Rückseite war bereits vor Schwimmen gecremt), legte ich mich mit Musik auf den Ohren in die Sonne. Es wurde nicht zu heiß, weil ein angenehmer Wind ging, ich genoss Musik und Sonnenbad.

Auch zurück nahm ich die Villen-Strecke in jetzt doch brennender Sonne. Frühstück daheim gegen halb drei: Okroschka-Rest vom Vorabend. Dann erst duschte und köperpflegte ich ausführlich.

Ebenfalls lang geplant: Bügeln, damit nicht wieder ein Nachmittags-verschlingend hoher Berg zusammenkam.

In der Abendplanung waren wir unentschlossen: Biergarten oder Mangold-Zucchini-Quiche daheim? Herr Kaltmamsell machte auf jeden Fall mal die Quiche, konnte man ja auch noch am Montag essen, doch dann zog der Himmel eh düster zu, ein Gewitter bahnte sich an.

Nachtmahl war also Quiche, sehr gut geraten und wohlschmecken. So richtig ausgebrochen war das Gewitter immer noch nicht, also huschten wir für Nachtisch mit vorgekühlten Dessertschälchen raus zum Nachbarschafts-Eisdieler und holten uns je drei Kugeln mit Sahne. Jetzt erwischten uns die ersten Tropfen, zur Tagesschau (mit der frischen Meldung, dass Joe Biden nun doch nicht als Präsidentschaftskandidat zur US-Wahl im Herbst antritt) blitzte und donnerte es.

Im Bett Vicki Baum, Es war alles ganz anders. Erinnerungen ausgelesen. Erst durch das Nachwort von ihrem Sohn erfuhr ich, dass die Memoiren in dieser Form posthum von ihrer Schwiegertochter Ruth Lert aus Fragmenten zusammengesetzt wurden. Das erklärte die Bruchstückhaftigkeit und die Lücken der letzten Lebensphase, als Baum wohl viel reiste. Doch auch so war ihre Erzählkunst deutlich, Baums Beobachtungsgabe, die sie mit sprachlicher Treffsicherheit transportierte – von ihrer Kindheit und Jugend in Wien über die Schilderung ihrer jungen Erwachsenenjahre in Darmstadt, Berlin, Hannover, Kiel, Mannheim durch den Ersten Weltkrieg (dessen Grauen für die Zivilbevölkerung hinter den näheren Grauen des Zweiten Weltkriegs heute nicht so präsent sind) bis zu ihrer eher zufälligen Auswanderung in die USA. Als Beispiel mag dienen, wie sie ihr Leiden unter dem Ruhm des Romans Menschen im Hotel beschreibt, in dessen Licht sie und ihr gesamtes restliches Werk bis zum Lebensende standen:

"Ich kam mir vor wie eine Katze, der man eine Blechbüchse an den Schwanz gebunden hat."

§

Architektur-Feuilleton mal anders: Gerhard Matzig schreibt über das neue Obdachlosenzentrum in München (€):
“Das schönste Haus am Platz”.

Journal Mittwoch, 17. Juli 2024 – Ein Arbeitsmittwoch halt, sehr gemischtes Sommerwetter

Donnerstag, 18. Juli 2024

Eingeschlafen zu wirklich schön klingendem Regenrauschen, trotz späterem Gewitter gut geschlafen, kurz vor Wecker aufgeweckt worden von zwei lauten, jungen Stimmen vor meinem Schlafzimmer: Die zugehörigen Menschen saßen breit auf dem Gehweg, neben sich ihre Taschen, ignorierten die Passanten auf dem Weg zur Arbeit (ja, schon vor sechs: das hier ist ein Klinikviertel), die wegen ihnen auf die Straße ausweichen mussten. Muss eine sensationelle Feier gewesen sein.

Aufgestanden mit der Grundgereiztheit, die mich jeden und jeder alles übel zu nehmen bereit macht, auch Äußerlichkeiten. Ich bin dann immer überzeugt, dass das mein wahres Ich ist, das ich lediglich mit viel Anstrengung und Selbsterziehung unterdrücke, weil ich viel lieber ein freundlicher und wohlwollender Mensch bin.

Balkontisch mit Cappuccino und Glas Wasser, hinter der Brüstung sieht man Bäume und dunkelgraue Wolken

Unter düsterem Himmel war es mild genug für Balkonkaffe. Ein milder Tag war auch angekündigt, aber ich musste die Wohnung sowohl sonnen- als auch gewitterfest machen. Unter dunklen Wolken marschierte ich jackenlos in die Arbeit. Dort empfingen mich gleich mal Scherereien, bis ich aus denen rausfand, war es schon zehn. Danach ging es strukturierter weiter.

Als ich später auf meinen Mittagscappuccino ins Westend marschierte, war es deutlich kühler geworden: Um mich herum lauter Menschen in Jacken.

Blick über eine Cappuccinotasse hinweg vors Café auf die Straße, auf dem Gehweg steht gerade ein großes gelbes Post-Fahrrad

Mittagessen wieder eher spät: Pumpernickel mit Butter, Bananen, Aprikosen.

Strukturierter Nachmittag, das Wetter blieb unfreundlich. Auf dem Heimweg Lebensmittel-Einkäufe fürs Abendessen, für das ich gestern zuständig war.

Daheim turnte ich erstmal endlich wieder eine Runde Gymnastik, tat sehr gut. Danach schlüpfte ich in Feinkniestrümpfe und die neuen Abendschuhe: Bis zur Jahrhunderthochzeit möchte ich sie halbwegs eingelaufen haben, erst mit Strümpfen, dann barfuß. Darin Abendessenszubereitung.

Gedeckter Tisch mit den unten beschriebenen Speisen

Caprese mit endlich mal wirklich guten Tomaten, Fladenbrot und Burek mit Käse aus der Balkan-Bäckerei – alles sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Erst auf dem Balkon in nach Regen duftender Sommerluft, dann im Bett gelesen, immer noch Vicki Baums Memoiren – in denen ich gestern recht unerwartet an ein flammendes Plädoyer fürs Stillen kam; damit scherte Baum wohl aus ihrer Zeit und ihrer Gesellschaftsschicht völlig aus (wobei gleichzeitig der 1. Weltkrieg ja gerade ohnehin alte Strukturen aufbrach).

Journal Freitag, 12. Juli 2024 – Wochenabschluss mit wechselndem Wetter und florentiner Brotzeit

Samstag, 13. Juli 2024

Nach recht gutem Schlaf kurz vor Weckerklingeln müde aufgewacht. Nachts hatte ich Regen mitbekommen, umso mehr freute ich mich über einen hellen, trockenen Morgen, dessen Temperatur mir Balkonkaffee ermöglichte.

Blick über die Brüstung eines Balkons mit Pflanzen, im Vordergrund auf einem Tisch Kaffeetasse und Wasserglas, im Hintergrund blauer Himmel, Bäume

Derzeit ist es wieder allmorgendlich spannend, wo ich meine Süddeutsche finden werde. Neben dem regulären Briefkasten hatte ich bereits: Vorm Aufzug im Wohungsgeschoß, vorm Briefkasten auf dem Boden, vor der Haustür auf dem Boden. Heute neu: Zwischen den Gitterstäben des Hoftors, der Feuchtigkeit des Papiers nach lag sie da schon eine ganze Weile.

Ruhiger Arbeitstag. Mittagscappuccino im Westend, ich geriet unterwegs in leichten Regen.

Blick aus Caféfenster, im Vordergrund auf Holz ein Tässchen Cappuccino, draußen Straße, auf der gegenüberligenden Seite geht eine Frau mit Regenschirm vorbei

Mittagessen Quark mit Joghurt, reichlich Nektarinen, die sehr unterschiedlich reif und gut schmeckten.

Nachmittag mit Kreislaufgewackel und Schwindel, pünktlicher Feierabend, ich ging über Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner heim, jetzt wieder in Sonne.

Random Erinnerung: In dem pubertären Alter, in dem Altersgenoss*innen mit Schminke, Frisur und Kleidung provozierten, las ich in einem Artikel über Graphologie, dass nach links geneigte Schrift von Arroganz und Egozentrik zeugten. Und trainierte mir das gezielt an.
(Bis heute in meinem Schriftbild sichtbar.)

Daheim packte ich nur kurz aus, zum frühen Abendessen war ich verabredet: Mit einer Florenz-erfahrenen Freundin im aktuellen Lokal im Müller’schen Volksbad, der Rustikeria. Dort wurde eine florentiner Brotzeit-Spezialität angeboten, die die Freundin kannte und schätzte: Schiaccata, besonders köstlich belegte Bocadillos.

Vor knallblauem Himmel zwei Kirchtürme, davor Bäume

Hin spazierte ich durch Hochsommer, an der Isar herrschte reges Leben.

Außengastronomie vor einem alten Gebäude mit der Aufschrift "Karl Müllersch...", Torbögen

Eigentlich war für Freitagnachmittag Temperatursturz und Regen angekündigt, doch wir konnten im schönen Außenbereich sitzen. Die weiterhin anhaltende Baustelle Ludwigsbrück ignorierten wir, fragten uns aber schon, ob sie ähnlich wie die Baustelle Sendlinger Tor bald 500. Jahrestag feiert.

Auf einem Tisch zwei Bretter mit belegten Brotfladen, dazwischen zwei Gläser Rotwein, ein Schälchen schwarze Oliven

Die belegten Brote (ich hatte eine Variante mit gekochtem Schinken, Thunfischpüree, Ruccola) schmeckten sehr gut, auf den Rotwein (Sangiovese) hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut. Zum Nachtisch aßen wir Tiramisu (gegenüber) und Panna cotta mit Waldfrüchten (im Glas, nicht gestürzt), waren auch damit sehr zufrieden. Die Tischreservierung war eigentlich auf zwei Stunden beschränkt, doch da sich nun wirklich ein Unwetter zusammenbraute, durften wir sitzen bleiben, so lang wir wollten oder es möglich war. Ich bestellte noch einen Hugo.

Das Wetter hielt, bis wir beide in unseren jeweiligen Transportmitteln nach Hause saßen.

In einer Straßenbahn , draußen dunkel, im Fenster spiegelt sich eine Frau, die das fotografiert

Plausch mit Herrn Kaltmamsell, während es draußen blitzte und donnerte, schließlich setzte Regen ein.

Im Bett weiter in Vicki Baum, Es war alles ganz anders. Erinnerungen gelesen – mit großem Vergnügen und Genuss: Auch in solch einem Standard-Genre wie Memoiren schafft Vicki Baum mit leichter Hand Originelles – zum Beispiel indem sie mit Ansage über ihren (doofen, lächerlichen, verachteten) Vater schreibt, tatsächlich aber der Hintergrund, vor dem sie ihn schildert, die eigentlich Geschichte ist, nämlich ihre eigene Lebenssituation zu bestimmten Zeiten. Wie bei Menschen im Hotel wundert mich nicht, dass das Werk (veröffentlicht 1962) bis heute aufgelegt wird.

Journal Donnerstag, 11. Juli 2024 – Byzantinische Penrose-Treppen

Freitag, 12. Juli 2024

Besonders guter Schlaf, eventuell nur nicht genug. Das Wetter ist derzeit eine Überraschungstüte, gestern stand ich zu unvorhergesehenem Regen auf.

Doch mein Marsch in die Arbeit fiel genau in die halbe Stunde mit blauem Himmel und Nach-Regen-Frische vor der nächsten Schwül-Welle – super. Unterwegs fiel mir eine Frau auf, die mit ihrem Handy die oberen Hälfte eines schlichten Gebäudes auf der gegenüberliegenden Straßenseite fotografierte. Ich folgte ihrem Blick: Da saß ein Falke überm Fenster!

Emsiger Vormittag mit eher Unvorhergesehenem. Mittags ging ich auf einen externen Cappuccino, lief gleich weiter für Käsekauf zum Markt auf dem Georg-Freundorfer-Platz – doch der Käsestand war nicht da! Ich hoffe, dass die Betreibenden nur im Urlaub sind. Käse bekam ich dann in einem Obst-/Gemüse-Feinkostladen auf dem Rückweg.

Mittagessen war Pumpernickel mit Butter, viele Pfirsiche.

Nachmittags wurde es interessant und lustig – wenn auch nicht lustig gemeint. Die byzantinischen Schleifen und Muster mancher Abrechnungsprozesse winden sich so weit entfernt von jeder Verhältnismäßigkeit, dass ich hiermit nie wieder über die Penrose-Treppe von Change-Management-Beratungsagenturen witzeln werde. Effizienz und Nutzen sind sehr wahrscheinlich schlicht überschätzt, Hauptsache die Leute sind weg von der Straße und haben genug zu tun. Notfalls halt Erfundenes.

Zu spät durfte es nicht werden, da ich gestern Ernteanteil-Abholdienst hatte, Herr Kaltmamsell war beruflich verhindert. Es war gerade mal wieder sonnig, dazu schwülheiß. Ernteanteil abgeholt (unser Verteilerpunkt bei einem Coworking-Space im 1. Stock eines schraddligen Nachkriegsbaus ist ein ganz kleiner mit nur acht Kisten), daheim ausgepackt, zum Teil gewaschen.

Die Wohnung war kühl genug für eine wirklich wohltuende Runde Gymnastik, die genau richtig anstrengte, damit ich mich sportlich fühlte.

Als Nachtmahl machte ich einen Salat aus Ernteanteil: Lollo rosso, Gurke, Lauchzwiebel (zugekauft, musste weg), eine gehackte Karotte mit Joghurtdressing. Dann gab’s noch Käse, zum Nachtisch Schokolade.

Im Bett startete ich neue Lektüre: Vicki Baum, Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Schon die ersten Seiten (Bildschirme) bewiesen wieder, wie gut sie schreiben konnte.

§

Eine Mauerseglerretterin erklärt in einem Mastodon-Thread Hintergründe ihrer Einsätze.

§

Rücksichtsvolles Reisen bezog sich ja bislang vor allem auf CO2-freundliche An- und Abreise. Jetzt kommt für mich zusätzlich das schlechte Gewissen hinzu, wenn ich am Zielort durch meinen Tourismus die Alltagsstruktur der Einheimischen zerstöre. Ausgerechnet dieses Jahr habe ich auf Mallorca gebucht. Reiner Wandler hat für die taz aufgeschrieben, was ich und die anderen Massentourist*innen dort angerichtet haben:
“Massentourismus auf Mallorca:
Vertreibung aus dem Urlaubsparadies”.

Mallorca hat 308.000 Hotelplätze und 104.000 Plätze in Ferienvermietungen. Hinzu kommen die Ferienvermietungen, die ohne Lizenz abgewickelt werden. Wie viele Wohnungen dadurch dem örtlichen Wohnungsmarkt zusätzlich entzogen werden, weiß niemand so genau. Dazu kommen die Ausländer – meist aus Mittel- und Nordeuropa –, die sich eine Ferienwohnung kaufen. Diese steht dann bis auf ein paar Monate im Jahr leer. Ein Drittel aller 2023 auf den Balearen verkauften Wohnungen gingen an ausländische Kunden.

(Zudem taucht in dem Artikel das komplett irrsinnige System des spanischen Wegs zu einem Beamtenposten auf, die oposiciones.)

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Auf insta zeigt unsere Gärtnerei des Kartoffelkombinats, wie’s den Tomaten geht!

Journal Samstag, 6. Juli 2024 – Ein paar Stunden Hochsommer

Sonntag, 7. Juli 2024

Herrlich gut und über neun Stunden geschlafen – so erfrischt und ausgeruht hatte ich mich seit Langem nicht gefühlt.

Blick über einen Balkontisch hinaus über die Brüstung in blauen Himmel, Sonnenschein und leuchtend grüne Bäume, auf dem Tisch eine Tageszeitung, ein Glas Wasser, eine große Tasse Milchkaffee

Draußen wunderschöner Sommer, endlich wieder Balkonkaffee – ohne Bloggen, weil Herr Kaltmamsell vereinbarungsgemäß ein gründliches Back-up des Blogs laufen ließ. Ich las ein wenig Zeitung, kochte für den Abend Panna cotta, die sich Herr Kaltmamsell gewünscht hatte (ohne Nelken).

Dann konnte ich wieder an mein Blog, dazu Wasser und Tee. Ich freute mich auf Schwimmen und Sonnenbaden im Dantebad, hoffte, dass das Wetter bis dahin halten würde: Es waren bereits für den Nachmittag Gewitter angekündigt.

Erstes Radeln in kurzer Hose, mit Trägershirt und Sandalen echtes Hochsommer-Outfit. Die Schwimmbahnen im Dantebad waren ziemlich voll (aber immer noch kein Vergleich zur Menschensuppe im Schneckenbecken), mit der doppelten Breite und freundlichen Menschen konnte ich dennoch ruhig meine Bahnen ziehen. Der Sonnenschein hielt nahezu durchgehend, an meine 3.000 Meter anschließend legte ich mich nach kurzem Duschen und Sonnencremen auf die Wiese, Musik auf den Ohren.

Freibadwiese, im Hintergrund wenige Menschen, einige alte Bäume, der Rand eines Schwimmbeckens, dahinter eine betonierte Tribüne und ein Betonleuchter

Nackte Beine auf rotem Handtuch längs aus der Perspektive der Beinbesitzerin

Freibadfotos bei Freibadwetter schwierig, wenn man niemanden ungefragt erkennbar mitfotografieren möchte.

Nach einer Stunde hatte ich genug UV-Strahlung getankt. Heimradeln über Espressobohnen- und Semmeleinkäufe in Schwabing, in der Sonne war es knapp unter zu heiß. Aber die Farben! Das Sommerlicht!

Die riesige und sehr dicht befahrene Kreuzung Dachauer Straße (dreispurige Straße plus Abfahrten, Geh- und Radwege auf beiden Seiten, in der Mitte Trambahntrasse) Landshuter Allee (Abfahrten von der Überführung über die Kreuzung, Geh- und Radwege) ums Ecke vom Dantebad ist seit Monaten eine Baustelle mit immer wieder neuer und spannender Wegführung erzwungen durch Trennwände. Gestern auf dem Rückweg waren alle Ampeln ausgefallen, und ich bildete mir ein, dass dadurch die Verkehrsteilnehmenden endlich aufeinander achteten: Die Autos fuhren Schritttempo, ließen einander in Gruppen vorbei, Fußgänger*innen gaben Radeln Tipps, wie sie durchs Labyrinth auf den gegenüberliegende Straße kamen, Kinderwagenschiebende wurden zu Bordsteinabsenkungen gelotst. Insgesamt aber eine eher bizarre Szenerie.

Frühstück daheim deutlich nach drei: Körnersemmel, Pfirsich mit Joghurt. Dann erst Duschen und weitere Körperpflege. Als ich frisch und fertig ins Wohnzimmer kam, zeichnete sich bereits deutlich ab, dass das Wetter nicht für den ersehnten Biergartenbesuch halten würde (Steckerlfisch im Hirschgarten).

Blick über Balkonbrüstung in Bäume, dahinter deutlich dunkelgrauer Himmel

Keine halbe Stunde nach dem Foto stürmte und regnete es.

Blick über Balkonbrüstung in Bäume, die von Wind und heftigem Regen geschüttelt werden

Restlicher Nachmittag mit Zeitunglesen – und langsamem Kleidungs-Aufrüsten, für kurze Hose und Träger-Shirt wurde es immer deutlicher zu kalt.

Statt Steckerlfisch gab es als Nachtmahl ein Ernteanteil-Karotten-Thaicurry von Herrn Kaltmamsell, ich schnippelte dazu als Salat Tomaten, Ernteanteilgurke, eine Karotte (roh vertrage ich sie ja nicht so gut), süße Zwiebel, mischte die restlichen Salatblätter unter. Aperitif Calvados-Tonic, Nachtisch mit pürierten Erdbeeren Panna cotta – die mir leider misslungen war: Die Gelatine hatte sich abgesetzt. Muss ich beim nächsten Versuch also die Mischung wieder unter Rühren abkühlen lassen, bevor ich sie in die Förmchen gieße (zumindest glaube ich mich zu erinnern, dass das früher mein Trick war).

Im Bett begann ich meine nächste Lektüre, diese wieder aus der Münchner Stadtbibliothek: Fang Fang, Michael Kahn-Ackermann (Übers.), Glänzende Aussicht. Mir hatte ihr Weiches Begräbnis ja sehr gut gefallen, jetzt nahm ich mir den Roman 1987 vor, den ersten großen Erfolg der chinesischen Autorin.

Journal Samstag, 29. Juni 2024 – Bachmannpreislesen, Tag 3

Sonntag, 30. Juni 2024

Der Wecker holte mich aus tiefem Schlaf, der die ganze Nacht gut gewesen war. Ich hatte ja noch fertig zu bloggen.

Moderner Hauseingang mit Schiebetür, auf der Scheibe "ORF K", rechts daneben aufgestellt ein Hinweisschild "Zum Bachmannpreis"

Wieder war ich rechtzeitig genug im Fernsehstudio für einen Sitzplatz ganz hinten. Ich betrachtete die nackten Nacken in den Reihen vor mir, an deren Kurvigkeit sich fast immer das Alter des Menschen ablesen ließ.

Tag 3, an dem vier Texte vorgelesen und besprochen wurden, begann mit Semi Eschmamp und seinem Text “Ist Realität selbst da, wo sie nicht hingehört?”: Ein surrealer Text mit verschobener Realität in Kapiteln, die einander die Hand gaben. Ich bemerkte, dass meine Aufmerksamkeit immer wieder abschweifte und ich sie mit Anstrengung zurückholen musste.

Erstmals machte Philipp Tingler den Anfang: Ihm hatte der Titel gefallen für das Projekt einer Tour durch Begriffe, Fragen von Mitteilsamkeit und Bedeutung, von einem Begriff zum nächsten, mal mehr, mal weniger gelungen. Manche Bilder fand er gut, blieb jedoch zwiespältig gegenüber einer “Sprache manchmal ein bisschen wie vom Lastwagen gefallen” – was auch Absicht sein könne. Thomas Strässle sprach von einem phantastischen Text phantastischer Literatur, der eigentlich aus der Zeit gefallen sei: Agierender Blick, Traum, personalisiertes Lächeln war eigentlich eine Strömung des 19. Jahrhunderts. Die philosophischen Exkurse darin seien vor allem Quatsch, könnten aber ebenso Absicht sein wie die regelwidrige Zeichensetzung und die Floskeln. Mithu Sanyal mochte das Arbeiten mit Absurdität, wie die Sätze verschränkt seien, fand gleichzeitig keine Beziehung der Personen zur Welt.

Klaus Kastberger stimmte den Eindrücken zu, wies auf sprachimmanente Prozesse hin, fand darin Methoden der 20er-Jahr-Avantgarde. Er hielt es für möglich, dass der Text von KI geschrieben wurde (fragte nach den Regeln des Bachmannpreises für solche Fälle), weil so vieles knapp daneben sei. Er fand gut, dass der Text seinen eigenen Produktionsprozess reflektierte – war allerdings enttäuscht über das Ergebnis. Mara Delius fand das mit KI einen schlimmen Vorwurf, doch auch sie fragte sich, ob die Reflexion des Produktionsprozesses funktioniere, von der Hinterfragung der Realität lenkten die Bilder ab, und die Verschachtelungen seien zu simpel. Brigitte Schwens-Harrant schloss sich an: Sie mochte den Blödsinn, der Text arbeite reizvoll mit Methoden, die Realität zu durchbrechen, doch wo gehe das hin? Enttäuscht war sie vor allem, dass der Text mit einer Moral von der Geschicht endet. Für Laura de Weck drehte er sich um eine Person, die Leichtigkeit sucht, sie sah die Ratlosigkeit der Jury-Diskussion als Spiegel. Veraltet fand sie ihn nicht, er habe ganz eigene Sprachmittel gefunden. Er erzähle den Blick in den Kopf von jemandem, der versuche, sich in den Griff zu bekommen. Kastberger fand ihn dann schon originell, konnte aber keine Figur erkennen.

Strässle kam nochmal auf das Veraltete zurück: Das Buch, das sich nicht öffnen lässt, sei von Novalis, und auch sonst erkannte er “supertraditionelle Elemente”. Sanyal überlegte noch, dass sie den Text lieber als Film rezipiert hätte.

Der nächste Text war ein echtes Highlight: Die Satire “Das Gurkerl” von Johanna Sebauer. Während Sebauer las, wurde das Glucksen und Prusten im Zuschauerraum immer häufiger: Perfekt ausgeführt schildert die Geschichte, wie aus einem Ungeschick in einer Lokalredaktion mit einem Essiggurkenglas eine riesige Gesellschaftskontroverse um Gurkerl wird – mit immer neuen wirklich gut gemachten Wendungen und Details. Lesen Sie den verlinkten Text, er ist wirklich vergnüglich, ich fühlte mich an den Wahnwitz der besten Satiren von Ephraim Kishon in der Übersetzung von Friedrich Torberg erinnert.

Sanyal begann mit Begeisterung über den “wahnsinnig gut geschriebenen Text” von großer Komplexität über Aufheizungsmechanismen. Delius äußerte Respekt vor dem hochriskanten Unterfangen Humor und Effekt – das hervorragend und elegant gelöst worden sei, geschickt komponiert. Gut fand sie, dass die Perspektive sich nicht auf eine Seite schlage. Auch Strässle betonte das Risiko, doch der Text sei nicht gescheitert; er mochte die gut positionierte Erzählerfigur. Allerdings wünschte er sich, er hätte mehr über die Gründe solcher Überhitzungen erfahren und sei deshalb ein wenig unbefriedigt. (Später wiederholte er das, und Delius argumentierte: “Dann würde der Text zusammenbrechen.”) Selbst Tingler fand das Stück überraschend gelungen, die sprachliche Gestaltung überaus gekonnt, mochte die Schwankhaftigkeit der Sprache auch außerhalb der Schimpfwörter, die Verbindung von rustikalem Ton und feiner Beobachtung.

De Weck erzählte von der großen Freude, mit der sie den Text gelesen habe, mochte die Sprache, die Raum suche. Man wisse ja von Anfang an, was passieren würde, und freue sich auf jede weitere Stufe. Der Text beobachte scharf, wo die Polarisierung gerade stehe. Sie wünschte sich allerdings am Schluss zumindest eine Note Dunkelheit. Kastberger war glücklich: Er habe es schon ein paar Mal mit Humor in Klagenfurt versucht, fand die Wahl des Gurkerls als Auslöser der Empörungsspirale genial. Schwens-Harrant stimmte ihm zu, weil dadurch deutlich sichtbar werde, wie komplett beliebig der Auslöser sei. Sie fand den Mechanismus Meinung-Gegenmeinung in den Medien super herausgearbeitet und freute sich, dass das Genre Satire hier vertreten sei. Dass alle Fragen beantwortet würden, liege eben an diesem Genre. Sanyal betonte, dass auch Satire gute Literatur sein könne, fand die Stimme komplett glaubwürdig, assoziierte Nöstlingers Gurkenkönig. Ein wenig ratlos waren manche über das surreale Kapitel mit wuchernden Gurkenpflanzen – ich hingegen hatte mich schon mitten im Zuhören gefragt, wie die Autorin ihre Konstruktion wohl zu Ende bringen würde und fand auch das eine originelle und gute Lösung.

Frühere und kürzere Mittagspause, ich traute mich nicht auf einen Mittagscappuccino weg, weil ich auch im zweiten Teil einen Sitz im Studio wollte. Was klappte. Es ging weiter mit Miedya Mahmod und „Es schlechter ausdrücken wollen. Oder: Ba,Da“. Der Text und das Zuhören waren ungemein anstrengende Wortkunst mit Einsprengseln anderer Sprachen, Wortschleifen, flirrenden Bildern, Personen, Verbindungen, das Ganze ohne eine lineare Geschichte – doch im Gegensatz zum Anfang des Tages litt ich nicht unter Aufmerksamkeitslöchern. Mahmod hatte wohl Fans dabei, die sich beim Applaus durch begeisterte Rufe hörbar machten.

Sanyal betonte, wie fulminant Form und Inhalt korrespondierten, wie Konsequenzen aus Zersplitterung entstünden. Auktorialer und personaler Erzähler verschmolzen ihrer Ansicht nach, sie sah eine selbstbewusste Perspektive, mutig, sich ihrer selbst bewusst. Strässler erzählte, wie gespannt er auf den Vortrag gewesen sei, dass er von einer Partitur für eine Text-Performance ausgegangen sein. Der Text wolle nicht schön sein, keine ästhetischen Kategorien bedienen – man müsse mit ihm anders umgehen als mit den anderen Texten des Bewerbs. Als Themen tauchten auf Sprachkritik, Migration, Kindheit, Ängste – radikal auf Sprache gesetzt, die sich vor den Inhalt stelle. De Weck nahm den Partiturgedanken auf, sie habe sich durch den Vortrag Zugang zum Inhalt gewünscht: Sie habe viel Zeit mit dem Text verbracht, mochte das Bild des Kindes vor dem Kühlschrank, wies darauf hin, dass die Autorin beim Vortrag Stellen des Textes weggelassen hatte. Schwens-Harrant erzählte, dass sie sich den Text sogar selbst laut vorgelesen habe, im Grunde gescheitert sei ob der Vielzahl fremder Wörter. Sie unterstrich das Babel des Nicht-Verstehens, war fasziniert von der Suche nach Bedeutungen, dem Drehen um den Kern der Sprache, fand jetzt den Klang wunderschön.

Laut Kastberger brach der Text eine Lanze für die Wiederholung, die Performance könne nicht genug bewundert werden: Wortmaterial als Faktor der Kohärenz. Auch seiner Meinung nach spielte Schönheit sehr wohl eine Rolle. Er verwies auf Ilse Aichingers Argument für “schlechte Wörter”, wünschte sich mehr Aufmerksamkeit der Feuilletons für diese Art Wortkunst. Delius griff auf, dass sehr interessant sei, was Hören mit einem Text macht; sie habe beim Lesen eher Pseudo-Progressivität gesehen, was sich im Vortrag nicht bestätigt habe. Sanyal verwies auf die Kategorien Anrufung und Gebet, Literatur komme ja ursprünglich aus dem gesprochenen Wort. Tingler äußerte sich skeptisch – wie immer, wenn “kuratorisches Begleitmaterial im Vordergrund” stehe. Er habe sich vorher alle möglichen schrecklichen Einschätzungen aufgeschrieben, sehe jetzt, dass der Text eine bestimmte Präsentation verlange. Doch er habe den Anspruch, dass die Auseinandersetzung mit Literatur auch im Privaten möglich sein müsse. Daraus entspann sich eine hitzige Diskussion. An sich ein hochinteressantes Thema, das durch die Form dieses Wettbewerbs regelmäßig in den Jury-Diskussionen auftaucht: Ich hätte mir einen suchenderen Austausch der Jury gewünscht, einen weniger konfrontativen. Kastberger nahm die Publikumsreaktion als Beleg, dass der Text funktioniere, Schwens-Harrant schlug vor, dass die Qualität eines Textes auch Klanglichkeit sein könne, Delius verwies darauf, dass Literaturkritik sehr wohl etwas damit zu tun habe, ob ein Text geschrieben funktioniert.

Strässle sprach von einem überfordernden Text, Tingler warf ein: “Durch Unterkomplexität.” De Weck versuchte es mit “Überflutung”, wie es sie auch in der Lyrik gebe.

Nachtrag: Dieser Blogpost von Tini beleuchtet die Dynamik des Textes beim Bewerb gut. “#tddl 2: Versuch mein Unbehagen beim Hören und Lesen von „Es schlechter ausdrücken wollen. Oder: Ba,Da“ besser zu verstehen”.

Der letzte Text des Bewerbs kam von Tamara Štanjer: “Luft nach unten”. Eine erwachsene Tochter spricht ihre abwesende Mutter an, erzählt von deren Flucht ins Fressen, von ihrer eigenen Kindheit, mit regelmäßgem Zwangs-Wiegen und Schmähungen ihres Körpers, “Ab jetzt gibt’s nur noch Joghurt!” (das war mir phasenweise etwas too close to home, ich versteinerte), von Erinnerungen an den Großvater. Es riss mich, weil Ingolstadt auftauchte (wegen Viktor Frankenstein), ich war bezaubert, weil die Autorin die Geräusche einer MRT vorsang. Die letzten Absätze fielen Štanjer sehr schwer, sie kämpfte mit Tränen.

Delius nannte den Text einen hochkomplexen und interessanten Brief an die Mutter; schon beim Selbstlesen habe sie den Eindruck gehabt, er habe geschrieben werden müssen. Formal wie inhaltlich sei er ein Versuch, Gesetzmäßigkeiten zu verschieben, zu verhindern, dass Traumata nochmal weitergegeben würden. Sie mochte besonders das Bild der Pünktchen und Punkte, verwies auf die Empörung des Kindes der eigenen Mutter gegenüber: Diese hatte Schlimmes erlebt und es dennoch weitergeben, offensichtlich alles vergessen. Auch Strässle ging auf die metaphorischen Punkte ein, die Flecken und die Linien. Er fand den Text sehr gut gearbeitet, nahm als Beispiel die Plastizität der Fress-Szene mit schwerem Atem, mit den Wortspielen, die sich daraus ableiteten. Tingler hob als gelungenen Aspekt die Intensivierung und die Dringlichkeit hervor: Die Aufzählung der Therapien am Anfang halte noch auf Distanz, doch dann werde die Sprache immer dringlicher. De Weck war überrascht über den leichten Tonfall des Vortrags gewesen: Sie habe die Wut und Anklage lauter erwartet. Sie fand aber die Erklärungen zum Verhalten der Mutter überflüssig – später rechtfertigte Schwens-Harrant sie: Es handle sich doch um die Erklärungsversuche der Tochter-Stimme.

Sanyal hob den Call & Response hervor, dass anfangs die Mutter ein Monster sei, dann beim liebevollen Nähen der Faschingskostüme aber Wärme bekomme. Kastberger referenzierte den Text des 1. Lesetags über das Verrücktwerden der Mutter, in dem der historische Hintergrund eine größere Rolle gespielt habe, hier nur in einem Halbsatz. Hier habe man im Gegensatz zum anderen Text die Innenperspektive. Den Titel des Texts fand er besonders super. Schwens-Harrant konzentrierte sich auf Formales: Ansprache der Mutter, aber die Mutter hört das gar nicht. Das habe eine gewisse Tragik, sei aber eine Form des Aufarbeitens. Manche Abschnitte seien wütend, andere zärtlich, auch sprachlich ganz unterschiedlich – ein imponierender Text. Für Tingler gab es manchmal einen Satz zu viel, doch die Erzählhaltung passe stimmig.

Abschließend fasst de Weck zusammen, dass es in diesem Jahrgang besonders viele Texte mit Bespiegelung der Eltern gegeben habe. Stimmt.

Ich ging recht zügig in fast schon unangenehmer Hitze zur Ferienwohnung, um dort kurz vor drei zu frühstücken: Pumpernickel mit Frischkäse, Nektarinen mit Joghurt. Dann zackiges, Umziehen, Cremen, Packen: Ich spazierte nochmal zum Strandbad.

Dort reichte es für einmal Schwimmen und ein wenig Sonnenbaden mit Musik, dann wurde ich schon wieder wepsert und spazierte zurück. In der Ferienwohnung verbloggte ich den Lesungstag, als Nachtmahl gab’s die Reste der Lebensmitteleinkäufe: Tomaten, rote Paprika, Käse, Nektarinen. Schokolade hatte ich schon auch anfangs gekauft, aber immer noch keine Lust darauf – werde ich krank?

Den Studenten, den mir die Vermieterin nachmittags als Nachbarn vorgestellt hatte, der abends an mein Zimmer klopfte und fragte, ob er meine Gang-Dusche benutzen dürfe, winkte ich dann einfach freundlich durch. (Auch er, so stellte sich heraus, hatte unter falschen Annahmen gemietet.)

Abends nutzte ich die Gelegenheit, ein paar langjährige Klagenfurt-Bekannte zu treffen, die nur für diesen Abend angereist waren: Tex Rubinowitz und Maik Novotny bespaßten den Lendhafen mit ihrem Literatur-Pop-Quiz.

Nacht: Zwischen hohen, steinernen Pfeilern einer Fußgängerbrücke ist eine kleine Bühne aufgebaut, darauf ein Tisch mit Laptop, hinter dem Tisch sitzt ein Mann, links daneben steht ein anderer, umgeben ist die Bühne von Sandboden, auf dem Liegestühlte und Stühle stehen, die meisten mit Menschen besetzt

Die Nacht war herrlich mild, ich ließ mich zu Mitdenken beim Quiz drängen (verquaste Bilderrätsel, dreimal verdrehte Fragen nach absurden Ecken der Popkulturgeschichte), plauderte, nach Abschluss des Quiz auch mit den Mastern, vor allem über die Texte des Bewerbs: Deutlich unterschiedliche Einordnungen, zum Teil auch in die Gesamtgeschichte des Bachmannpreises, und jetzt sind wir so alt, dass es Geschichten über Autor*innen gibt: “Die kannte ich schon, als sie so” (Handwedeln in Kniehöhe) “klein war.” Ungeteilt war zu meiner Überraschung unsere Begeisterung für die Satire “Das Gurkerl”, weil sie einfach genial gemacht wurde.

Erst gegen Mitternacht kam ich ins Bett.