Essen & Trinken

Journal Sonntag, 1. Oktober 2023 – Rückfahrt Berlin-München in erneuten Spätsommer

Montag, 2. Oktober 2023

Noch vor dem Wecker aufgewacht, aber nur ganz leicht Party-verkatert.

Wir machten uns und die Ferienwohnung ohne Eile fertig, spazierten zur U-Bahn, ließen uns zum Hauptbahnhof fahren. Bereits unterwegs erreichte uns die Information, dass unser ICE mit 20 Minuten Verspätung abfahren würde (Reparatur am Zug) – zu viel für den Umstieg in Erfurt. Doch gestern gab es reichlich ICE nach München, es würde sich eine Verbindung finden lassen.

Im Hauptbahnhof besorgten wir Brotzeit für unterwegs, hatten Zeit für einen Cappuccino.

Wir starteten in einem ICE mit ungewöhnlich viel Platz zwischen den Reihen: Einerseits schön, andererseits war dadurch der Bildschirm meines Laptops selbst bei weitest möglichem Herziehen unbequem weit entfernt. Aber: Super WLAN, super Internet! Ich konnnte meinen Blogpost problemlos unterwegs fertigstellen, selbst das Hochladen der Bilder ging so schnell wie daheim.

Mithilfe des Schaffners entschieden wir uns, in diesem ICE bis Endstation Nürnberg zu fahren, dort in einen ICE über Ingolstadt nach München umzusteigen. Das klappte wunderbar, wir trafen nur 30 Minuten später als geplant am Münchner Hauptbahnhof ein. Frühstück um halb zwei im Zug: Käsebreze, Streuselschnecke, Apfel.

München empfing uns mit Spätsommersonnenschein und -temperaturen (und vielen Bayern-Cosplayer*innen natürlich).

Nachmittag mit Kofferauspacken, Zeitunglesen auf dem sonnigen Balkon, einer Runde Yoga-Gymnastik.

Herr Kaltmamsell freute sich, dass er mich zum Abendessen bekochten konnte. Er servierte die Ernteanteil-Aubergine gegrillt mit Safranjoghurt und Granatapfelkernen, die Ernteanteil-Zucchini als Spaghetti-Gericht.

Nachtisch wurden die Marzipan-Variationen aus Charlottenburg.

Ich konnte die Urlaubs-Gelassenheit fortsetzen, da ich am Montag an einem weiteren St. Brück frei habe, der Dienstag Feiertag ist. Herr Kaltmamsell musste einen Schultag vorbereiten.

Journal Freitag, 29. September 2023 – Berlin mit keinen Markteinkäufen und Ankunft Herr Kaltmamsell

Samstag, 30. September 2023

Unruhiger Schlaf und zu früh aufgewacht, nicht schlimm.

Urlaubsgetrödel mit Milchkaffee, Bloggen, Wasser, Tee. Am Ende des Nachmittags würde Herr Kaltmamsell eintreffen, für gestern hatte ich nichts weiter geplant, als erstmals durch die Markthalle Neun in Kreuzberg zu laufen – unter anderem weil man im Tölzer Kasladen auf dem Viktualienmarkt auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, dort englischen oder irischen Käse zu finden.

Der Himmel war bedeckt, die Luft warm Richtung schwül. Ich fuhr mit U-Bahnen bis zur Prinzenstraße, ab da mäanderte ich zu Fuß – und stellte fest, dass mir einige Ecken von früheren Berlinbesuchen vertraut waren (die Überraschung lag in ihrer Lage zueinander).

Die Markthalle Neun war dann doch anders als erwartet: Die Stände verkauften hauptsächlich Speisen, an den Käseständen gab es nichts Englisches oder Irisches. Das oft gerühmte Fleisch-Sortiment von Kumpel & Keule sah tatsächlich ausgesprochen gut aus.

Also ging ich gleich auf einen Mittagscappuccino zur Rösterei Kaffeekirsche, die ich passiert hatte.

Mehr Spaziergang.

Vom Mehringdamm aus nahm ich eine U-Bahn zurück nach Charlottenburg. Erste Male: Aus einer U-Bahn geflohen, weil eine Frau mit riesigem Verstärker in der Frequenz zu singen begann, die bei mir Übelkeit und Schrei-Verlangen auslöst, Ohrenzuhalten half bei ihrer Lautstärke nicht. No nu, in der Großstadt kommt an einem Werktag ja schnell die nächste U-Bahn.

Zurück im Ferienwohnungskiez war es zwei, Appetit hatte ich noch immer keinen. Aus Vernunft guckte ich an ein paar Tageslokalen vorbei, gibt ja genug in der Umgebung, blieb dann in einem hängen, das “mediterranen Vorspeisenteller” anbot.

Schmeckte mir gut, erzeugte auch Appetit. (Und wurde in einem weißen T-Shirt gegessen, das weiß blieb!).

Vertrödelter Nachmittag mit Lesen, ein bisschen Siesta, Yoga-Gymnastik (eine seeeehr langsame Einheit).

Die Ferienwohnung liegt über der Küche eines indischen Restaurants. Das wäre in Kombination mit professioneller Abluftreinigung Geruchs-paradiesisch, hätte nicht gestern wie schon am Nachmittag davor jemand etwas gehörig anbrennen lassen.

Kurz vor acht traf dann auch wie geplant Herr Kaltmamsell ein und ich freute mich sehr. Er stellte nur kurz seinen Koffer ab, dann gingen wir in die eh erspähte und dann auch noch empfohlene Gastwirtschaft Kastanie, alles saß in der weiterhin milden Luft im Gastgarten.

Wir tranken spanischen Tempranillo (Herr Kaltmamsell) und italienischen Primitivo, von der Tageskarte wählte ich Beluga-Linsen, die mit gehackten Mandeln und Orangensaft vermischt waren, mit Vanille abgeschmeckt, dazu Stücke gebratener Hokaido-Kürbis, eine halbe Burrata – Hammer, werde ich nachkochen. Herr Kaltmamsell aß gebratene Merguez mit Süßkartoffelpüree, Krautsalat und einer scharfen Majonese, war ebenfalls sehr zufrieden. Zum Nachtisch löffelte er noch einen Milchreis mit Mandelkrokant, ich aß zurück in der Ferienwohnung Süßigkeiten.

Im Bett las ich weiter in meiner neuen Lektüre: Fatma Aydemir, Dschinns.

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Gestern kam der Brief von der VG Wort mit der Nachricht, wie viele Tantiemen für meine Blogposts 2022 ausgeschüttet werden. Immer noch ein Haufen Geld für etwas, was ich ohnehin mache, doch deutlich weniger pro Text als in den Jahren davor. Auf Übermedien erklärt René Martens den Hintergrund:
“Mehr ist weniger: Die Tantiemen der VG Wort schrumpfen, die Probleme wachsen”.

§

Es ist wichtig, Hubert Aiwangers Lügen nicht unwidersprochen zu lassen. “Das merkt doch jeder, dass das ein Schmarrn ist”, habe auch ich ein paarmal zu oft gedacht – so ist es nämlich nicht. Die Süddeutsche widerspricht seiner wiederholten Behauptung, sie habe die Informationen zu den menschenverachtenden Flugblättern in seiner Schulzeit mit dem Landtagswahlkampf abgestimmt. Hier ist der Ablauf von Recherchen und Anfragen aufgeschlüsselt:
“Flugblatt-Affäre:
In eigener Sache”.

Diese Vermutung hatte ich sogar im Freundeskreis gehört und schon mit journalistischem Hintergrund gegenargumentiert: Solch eine Geschichte veröffentlicht jedes Medium, sobald sie inhaltlich journalistisch sowie juristisch abgesichert ist – die Gefahr ist zu groß, dass ein anderes Medium zuvorkommt.

Wie Marina Weisband so richtig beobachtete: Aiwanger agiert nach dem Playbook von Donald Trump. Falsches einfach behaupten und hartnäckig dabei bleiben, bis alternative facts als Realität akzeptiert werden.

§

“Vorurteile in der Berichterstattung
Von heißblütigen Spaniern, abgedrehten Japanern und anderen Auslands-Klischees”.

Journal Mittwoch, 26. September 2023 – Berlin mit Schloss Charlottenburg, Jugendstil, georgischem Essen

Donnerstag, 28. September 2023

Richtig gut geschlafen, sogar nachdem ich beim nächtlichen Klogang das rechte Schienbein brutal am Bettrahmen angeschlagen hatte.

Ausgeschlafen, zu Spatzentschilpen aus dem Patio des Hauses Milchkaffee getrunken und gebloggt.

Richtiggehend dankbar war ich für eine Ferienwohnungsdusche mit (offensichtlich neuem) Duschvorhang statt schicker Glaswand: Ich kann es immer noch nicht als zivilisatorischen Fortschritt ansehen, dass ich fürs Abziehen der Dusche nach dem Duschen mindestens so lang brauche wie für die Körperreinigung (gleich lang mit Haarewaschen, länger ohne). Ist die Materialforschung zefix immer noch nicht bei wirklich Kalk-abweisenden Oberflächen?

Vor Aufbruch noch eine Runde Erwachsensein: Ich vereinbarte für nächste Woche telefonisch einen Haarschneidetermin.

Mein Plan für gestern war ausführliche Besichtigung von Schloss Charlottenburg, Mittagscappuccino, Bröhan-Museum (Landsmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, im Vorbeigehen entdeckt, sofort eingeplant), irgendwas essen, in der Ferienwohnung rumgammeln bis zur Abendverabredung. Ging fast auf.

Charlottenburg in Sommermorgensonne.

Der Besuch des Schlosses bereicherte mich sehr, auch wenn es sich nach nahezu vollständiger Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Grunde um einen Neubau handelt (na, das kenne ich Münchnerin ja von der Innenstadt inklusive Residenz). Ich verwendete den gut gemachten Audio Guide, bekam zu den Räumen nützliche Informationen.

Zwei Bilder aus der Einführungsanimation zur Geschichte des Schlosses.

Im Schloss gab es viele, viele Spiegel.

Eine thematischer Leitfaden “Schlösser. Preußen. Kolonial.” wies an einigen Stellen auf Rassismus und Herabwürdigung in den damaligen Darstellungen anderer Kulturen.

Manche Teile wie diese Zimmerdecke waren so restauriert, dass man die vorherigen Beschädigungen sichtbar ließ – sowas mag ich besonders gern (muss ich aber nicht durchgehend haben).

Erwähnte ich die vielen Spiegel?

Der Neue Flügel des Schlosses wurde ebenfalls 1943 durch Bomben zerstört. Hier nutzte man die Gelegenheit, die Räume in unterschiedlichen Stilrichtungen ihrer Vergangenheit zu restaurieren, je nach bester Quellenlage. Sie wurden also nicht alle in den Zustand direkt vor ihrer Zerstörung gebracht. Das fand ich eine ausgezeichnete Idee.

Vom Audio Guide zu diesem Schlossbereich erfuhr ich zudem viel über die Geschichte der Hohenzollern und Preußens. Zeitgenössische Aspekte dabei: Die Hinterfragung allgemeiner Annahmen, u.a. Verweis auf den Einfluss, den Friedrich der Große durch autobiografische Veröffentlichungen auf das Bild von ihm nahm.

Hier verfälscht das Foto die Farben: Es gab keinerlei Grün im Original, sondern nur Rosé-Töne.

Abschließender Blick nach oben ins Treppenhaus: Zwei Deckengemälde des Neuen Flügels, für deren Rekonstruktion man keine Quellen hatte, wurden in den 1970ern von Hann Trier zeitgenössisch erstellt. Unter enormem Protest (alles Augsburger*innen?).

Am Ende (Mausoleum und Neuen Pavillon hätte ich mit meinem Gesamtticket auch noch ansehen können) war es schon eins, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich spazierte zu einem nahen Cappuccino-Ort, bestellte dann aber auch gleich Frühstück zum Cappuccino, ein Muesli Bircher Art.

Das war möglicherweise zu viel auf einmal, resultierte in Fresskoma. Wasser- und Ausruh-Päuschen in der Ferienwohnung ums Eck.

Nächster Programmpunkt: Bröhan-Museum.

Zunächst stieg ich zu einer Sonderausstellung in den dritten Stock:
“HAËL. Margarete Heymann-Loebenstein und ihre Werkstätten für künstlerische Keramik 1923–1934”.

Bis 1934, weil sie dann von der Nazi-Regierung zum Verkauf ihrer Werkstätten gezwungen wurde: “Die junge Keramikerin Hedwig Bollhagen eröffnete dort die bis heute erfolgreichen HB-Werkstätten.” Daher kommt die wundervolle Vase, die wir zum Rosenfest geschenkt bekamen.

Eine großartige Ausstellung. Die vielen Vermerke “aus Privatsammlung” vermittelten mir eine Ahnung, wie aufwändig das Kuratieren gewesen sein muss.

Während ich im großen Ausstellungsraum mit Galerie zeitgenössische Filmaufnahmen der Werkstatt von Margarete Heymann-Loebenstein ansah, kam eine Gruppe Kinder herein: Das Museum hat viel Programm für sie, gestern erklärte ihnen ein Mitarbeiter anhand einer Originalkiste, wie Ausstellungsstücke ins Museum kommen.

Einer von Margarete Heymann-Loebensteins berühmtesten Entwürfen.

Raucher- und Schreib-Ausstattung, nicht nur im Design historisch.

Die Künstlerin als coole Socke.

Dass ich selbst bzw. meine Kleidung auf allen Aufnahmen zu sehen ist, verbuche ich unter Festhalten zeitgenössischen Designs.

Weiter durch die ständige Ausstellung, die teilweise in Räumen präsentiert wird (“Period Rooms”), teilweise in Lager-artigen Regalen, diese nur zum Teil thematisch zusammengefasst – ich hatte den Eindruck, dass die Sammlung noch nach einer Präsentation sucht. Ich fand sie interessant und stieß nur auf wenige Aspekte, die mich vor einiger Zeit dem Stilgebiet Art nouveau, Art deco, Jugendstil etwas entfremdeten – nämlich seit mir die Kirche des Wiener Zentralfriedhofs und die Basílica im kastilischen Valle de los Caídos klargemacht hatten, wie kurz der Weg von dort zum totalitären Kunst-Stil des Faschismus und des Stalinismus war.

Bis zur Abendverabredung war ich mit Aufschreiben beschäftigt, turnte auch eine längere Runde Yoga-Gymnastik.

Der Zufall hatte den Luxemburger Freund Joël gleichzeitig mit mir nach Berlin gebracht, das nutzten wir zu einem Treffen bei gregorianischem Essen (Joël gestand gleich nach der ersten Umarmung diesen Versprecher bei einem vorhergehenden Telefonat – und der ist so großartig, dass ich die Bezeichnung beibehalten werde). Der empfohlene Georgier Salhino lag sogar in Charlottenburg, ich konnte zu Fuß gehen – bislang waren all meine Berliner Ziele so nah an der Ferienwohnung, dass ich kaum Bewegung bekommen habe.

Was mich in Berlin immer wieder überwältigt: Der Platz und die Weite.

Passend zur vormittäglichen Besichtigung.

Diese Handschrift kenne ich auch von Münchner Wänden/Brücken.

Diese allerdings nicht. Charlottenburg gefiel mir weiterhin sehr gut, hat eine bunt-gemütliche und gleichzeitig lebendige Ausstrahlung.

Mit Joël stürzte ich mich sehr schnell tief in lange vermissten Austausch (und in den georgischen Weißwein Tsinandali), sodass ich vergaß, unser Essen zu fotografieren.

Hier ein paar Teile davon (wir saßen draußen in kurzen Ärmeln ohne zu frieren). Es schmeckte hervorragend und ließ mich mal wieder ein gutes georgisches Restaurant in München vermissen – was ich dem herzlichen und freundlichen Kellner beim Abschied auch sagte und ihn bat, diese Lücke weiterzugeben, vielleicht wisse er jemanden, der sie schließen könne.
(Selfie vom Treffen bei Joël.)

Rückweg ebenfalls zu Fuß in milder Nachtluft, ich genoss ihn.

§

“Es ist alles gesagt”.

Mely Kiyak hat fertig. Undiplomatisch und einfach mal nicht konstruktiv rechnet sie mit den vergangenen ca. 15 Jahren ab, in denen sie vorm Aufstieg des Faschismus in ihrer Heimat Deutschland warnte. Und jetzt will sie nicht mehr politisch schreiben, und zieht sich in ein Wir und Ihr zurück, “ich habe mich (…) innerlich von euch abgevolkt”.

Schaut: Mein Kanackendaddy hat noch nicht einmal Wahlrecht, um euch die Pest an den Hals zu wählen, so wie eure Leute uns die Pest an den Hals wählen. Hier in Berlin dürfen demnächst minderjährige Kinder wählen, also eure Geschwister, aber unsere Eltern immer noch nicht. Mein Kanackendaddy hat mit seinen Steuern euer BAföG bezahlt, eure staatlich geförderte Eigenheimzulage. Wenn mein Daddy mich besucht, verteilen sich fünf Erwachsene auf zwei schmale Çekyats und ich schlafe auf dem Boden. Es sind Eure Leute, die das alles machen, nicht meine.

Früher haben meine Ossifreunde immer gelacht, wenn ich gesagt habe, vergesst nicht, die Mauer ging auf und wir dachten, ihr Ossis kommt, um uns auf den Mund zu küssen. Aber ihr habt euch bewaffnet und unsere Leute abgeknallt. Eure Leute waren in der Polizei und haben uns unhöflich behandelt. Und eure Leute sind es, die diese Mörder jetzt frühzeitig aus der Haft entlassen, weil sie glaubwürdig versichert hätten, nicht mehr so schlimm zu sein. Stimmt ja auch. Es gibt jetzt noch viel schlimmere Nazis, die sind in Freiheit und nehmen gerade an Abstimmungen im Parlament teil.

Ich stimme Kiyak nicht in allem zu. Aber ich kann sie in allem verstehen. (Wenn wir vielleicht mal Leute wie sie zu verstehen versuchen und nicht immer und immer wieder AfD-Wähler*innen?)

Mely Kiyak kopiert unter diesen Text ihre letzte “Deutschstunde”, die politische Kolumne, die sie seit zehn Jahren für Die Zeit schreibt, schrieb.

Wenn man, egal wo man auf der Welt lebt, von seiner Gesellschaft als Feind betrachtet wird, dann erkennt man schneller, wenn die Luft dünn wird. Man ist wie Kranich, Pfau und Pirol, ein Vogel, der die Wetterveränderung in der Atmosphäre spürt und seinen Gesang ändert. Wir frühen politischen Kolumnistinnen haben diesen Temperaturwechsel schon Jahrzehnte vorher registriert und mit Regenrufen die Wetterverschlechterung gezwitschert. Ich denke hier vor allem an Autorinnen wie Hilal Sezgin. Ich denke auch an die ersten Autorinnen, Theatermacherinnen, Dichterinnen, die vor mir schrieben. Jede von uns hatte ihre Zeit.

§

Das hier schreibt Mely Kiyak statt dessen, und auch darin verstehe ich sie ganz.
“Gute Momente”.

Journal Montag, 25. September 2023 – Zwischen den Oktoberfestfluchten

Dienstag, 26. September 2023

Recht gute Nacht. Ich stand früh mit Herrn Kaltmamsell auf, um uns vor seinem Abschied in die Arbeit Milchkaffee zu machen. Draußen wurde es hell zu einem wolkenlos sonnigen Tag.

Ich machte mich früh fertig zum Aufbruch, weil der Putzmann sich für früher als sonst am Montag angekündigt hatte – die Kunden, bei denen er am Montag vor uns putzt, fliehen das Oktoberfest gesamt. Er kam dann allerdings noch früher als erwartet, ich hatte Gelegenheit zu einem Plausch, verließ das Haus kurz nach neun.

Mein Ziel war das Dantebad, ich nahm die U-Bahn. Unterwegs rief mich jemand auf dem Handy an, ich ging ganz erwachsen und normal ran: Der Wahlvorsteher des Wahllokals, in dem ich bei der Landtagswahl am 8. Oktober helfen werde, meldete sich zur Absprache. Ich verließ die U-Bahn am nächsten Halt, um halbwegs in Ruhe telefonieren zu können. Als ich auflegte (sagt man das noch? oder was stattdessen?), wandte sich eine Frau an mich, die mich das ganze Telefonat über angeschaut hatte: Sie bat um Hilfe, denn sie hatte ihre Tasche auf einer Bank in diesem U-Bahnhof vergessen, war nach einer Station Fahrt mit der U-Bahn umgekehrt – doch da war diese Tasche mit Handy, Geldbeutel, Wohnungsschlüssel schon weg.

Ich rief für sie beim Fundbüro der Münchner Verkehrgesellschaft an, und als ich endlich aus der Warteschlange durchkam, konnte man ihr nur raten, sich bei der Polizei zu melden und den Verlust anzugeben: Dieses Fundbüro ist nur zuständig für Gegenstände, die in den Fahrzeugen selbst gefunden werden. Also und wegen weiterer Details, die mir die Taschenverliererin berichtete, recherchierte ich und beschrieb der Frau den Weg zur nächsten Polizeistation, schickte sie mit vielen Mitgefühlsbekundungen in die entsprechende Richtung (nur ein Halt weit mit der U-Bahn).

Welche Aufregung, und auf der weiteren Fahrt haderte ich dann mit dem schlechten Gewissen, ob ich die Frau nicht hätte begleiten sollen – sie war ziemlich durch den Wind und sprach nicht gut Deutsch. (Doch die Polizeistation war leicht zu finden, und ich konnte doch wirklich nichts weiter beisteuern?)

Bis ich im (winterbetrieblich sehr warmen) Wasser des Dantebads war, hatte ich den Vorfall genug verdrängt, um mich zu beruhigen. Es wurde ein herrlicher Schwumm meiner gewohnten 3.000 Meter auf mal kaum, mal wenig besetzer Bahn in durchgehendem Sonnenschein. Als ich das Bad verließ, war es noch nicht mal zwölf.

Seit vielen Jahren fahren ich mit der Tram (derzeit Linie 16) und meist zum Isarlauf an einem kleinen Frauenbekleidungsladen in der Thierschstraße vorbei, Nähe Isartor, und fast jedes Mal denke ich beim Blick auf die Schaufensterauslage: “Das sind aber schöne Sachen!” Nachdem ich gestern so früh mit meinem Sportprogramm durch war, dass Frühstücksappetit noch weit entfernt lag, fuhr ich endlich mal hin.

Ich sichtete das gesamte Sortiment, ließ mich zu einem Rock und einem Kleid beraten, die mir besonders gefielen, probierte – und verließ den Laden mit drei besonders erfreulichen neuen Stücken für Herbst und Winter. (Ich setze darauf, dass mit öffentlichen Geldern finanzierte Büros heuer besser geheizt werden dürfen als im Frier-Winter 2022/2023 und meine Bürokleidung nicht wieder in erster Linie wärmen muss.)

Durch herrliche und mittlerweile auch wärmende Sonne spazierte ich zum Viktualienmarkt, kaufte unterwegs Frühstückssemmeln – und erlebte den bislang rätselhaftesten Einsatz künstlichen Raumdufts: In einer Bäckerei. Beim Betreten roch es nicht nach Brot und Gebäck, sondern durchdringend nach Zimmerparfum.

Auf dem Viktualienmarkt ließ ich mir seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder frisch gemachten Saft einschenken. Ich hatte an meinen Liebling Karotte-Apfel-Rote Bete gedacht, doch beim Anstehen fiel mein Blick auf diesen Krug.

Spinat-Avocado-Gurke-Limette-Orange. Abgefahren, das probierte ich. (Hmja, schmeckte eigentlich nur nach Limette und Orange.)

Frühstück daheim kurz nach zwei mit Semmeln.

Verbummelter Nachmittag mit Lesen (Zeitung, Internet, Roman) auf dem Balkon und dem Sofa, einer Runde Yoga-Gymnastik.

Auch wenn aus dem Ernteanteil noch Zucchini übrig waren, konnte ich Herrn Kaltmamsell zu Auswärtsessen überreden: Wir gingen ums Eck zu Servus Habibi und aßen Mezze kalt und warm.

Daheim noch Schokolade zum Nachtisch.

Für die fünf Tage Berlinurlaub galt es Kleidungsentscheidungen zu treffen (Wetter, Ausgehen, Familienfeier – evtl. kalte Wohnung!) – hach, wie herrlich einfach war da das Packen fürs Wandern.

Journal Donnerstag, 21. September 2023 – Oktoberfestflucht mit den fränkischen Attraktionen Humboldtweg und Schäufele

Freitag, 22. September 2023

Lang geschlafen, auch ohne Ohrstöpsel und obwohl nachts erst Sirenen heulten, außerdem das Regionalbähnla in jeder Kurve mit Pfiff vor sich warnte.

Kunstduftquellen in der Ferienwohnung so weit wie möglich reduziert. Und so dachte ich: Wenn ich jetzt noch die Badtür konsequent schließe und so oft wie möglich Fenster öffne, könnte es allmählich einfach sauber riechen und nicht mehr wie eine Drogerieabteilung.

Die Vermieterin, die gleich nebenan wohnt, brachte einen Heizlüfter vorbei, weil doch am Freitag das Wetter kalt werden soll – und scheuchte mich mit ihrem Klingeln gerade vom Duschen abgetrocknet in die nächstbeste Kleidung zum Türöffnen. Ich hoffe, die Heizkraft macht das wett.

Ich kam ein wenig später los zu meiner Wanderung, weil Kleidungsverunsicherung. Erst war ich in kurzen Ärmeln startklar, doch in der Wohnung fror ich damit so, dass ich dann doch in meine Jacke schlüpfte. Gleich vor der Haustür lag die Außentemperatur aber deutlich über Wohnungskälte, durchaus T-Shirt-geeignet, also zog ich die Jacke wieder aus und verstaute sie im Rucksack.

Für gestern, den Tag mit dem schönsten Wetter, hatte ich als Wanderung die längste meiner Oktoberfestflucht ausgesucht: den Humboldtweg. Wieder war der GPS-Track besonders hilfreich, zumal ich allen Empfehlungen für Extra-Abstecher folgte. Einmal verlief ich mich trotzdem, weil ich eine Wegmarkierung falsch interpretiert hatte. Ein Routine-Check zehn Minuten nach der Abzweigung erwies meinen Irrtum, ich kehrte um.

Das Wetter superherrlich, die Strecke abwechslungsreich (wenn auch für meinen Geschmack zu viele Straßenabschnitte drin waren). Eine erste Pause machte ich recht früh, da meine Wanderschuhe reichlich Pflanzenfragmente eingesammelt hatten und ich eine Bank für Schuhe-Ausleeren und ein wenig Ausruhen nutzte.

Gestern hatte ich sogar Gesellschaft und begegnete einer anderen Wanderin, außerdem ein paar Radler*innen (einem ausgerechnet beim ein Mal Pinkeln – nicht weit ab vom Weg, weil ich davor anderthalb Stunden lang überhaupt niemanden gesehen hatte).

Ich fühlte mich munter und fit, genoss die Bewegung und die Ausblicke sehr, kam bei Steigungen ins Schwitzen und freute mich über meine Körpertüchtigkeit, die sie mir ermöglichte, sah interessante Gesteine (u.a. Diabas – Geolog*innen haben einfach die besten Wörter), außerdem wieder viele Eichelhäher, aber auch Bussarde, Falken, einen Rotmilan, ein Eichhörnchen mitten im Wald. Und einmal erschreckte ich ein Reheinen Hirschen – und dieser mich, als gefühlt nur einen Meter links von mir im Unterholz ein sehr großes Tier Fluchtgeräusche machte.

Vom Bad Stebener Bahnhof aus Richtung Hölle – ich bin mir sicher, dass jeder, wirklich jeder Witz mit diesem Ortsnamen bereits gemacht ist.

Wetterchen!

Ich verlottere im Alleinurlaub völlig und schminke mich nicht mal.

Abstecher 1: Rundweg zur Schutzhütte Wolfsbauer.

Oben Aussicht.

Unten Hölle. Dann ging’s fast eine Dreiviertel-Stunde auf einem Rad- und Fußweg eine Laster-befahrene Straße entlang.

Und zwar nach Issigau, berühmt für den Typografie-Unfall am Ortseingang (vielleicht) und eine ganz besondere Dorfkirche (sicher).

Abstecher 2: Die Kassettendecke von St. Simon und Judas aus dem 17. Jahrhundert zeigt 66 Bibelszenen.

Blick über Kemlas hinweg wieder auf viel toten Wald.

Abstecher 3: Wiedeturm, leider wegen Vandalismus geschlossen.

Hier machte ich um halb zwei Brotzeit: Ein Apfel, eine Nektarine, wenig Pumpernickel mit Frischkäse – das war gerade recht.

Manche toten Fichten können nicht ganz gefällt werden, weil sie eine Zusatzfunktion als Halterung für Wegmarkierung erfüllen.

Blankenstein, ich befand mich in einer historischen Bergbaugegend.

Den Lohbach entlang nach Lichtenberg hinauf.

Bitteschön: Diabas (es stand ein Schild davor). Ich schmeiß mich immer weg bei den Geologie-Erklärungen auf Wikipedia, die aus lauter Begriffen bestehen, die ich auch erstmal erklärt bräuchte.

Oben: Lichtenberg.

Mit Aussicht.

Der Ort Lichtenberg selbst ist auch sehr schmuck.

Die letzte Stunde der Wanderung ging ich direkt gegen die herbstlich tiefe Sonne und guckte eher auf den Meter Boden vor mir.

Nach Bad Steben kam ich aus einem ungewohnten Winkel zurück.

Wenn schon, denn schon: Abschließender Abstecher zum Humboldthaus.

Das waren dann 25 Kilometer in sechseinhalb Stunden mit einer kleinen und einer großen Pause. Dann doch anstrengend, zumal die Strecke einige knackige Auf- und Abstiege verlangt hatte. Wenn man am Ende einer Wanderung aus Sicherheitsgründen noch fit genug für eine weitere Stunde sein soll – hätte ich das gestern nur mit ordentlichem Zusammennehmen hinbekommen.

Die Haustür öffnete ich wieder in einen Kühlschrank, schlüpfte umgehend in mein Sweatshirt. Und jetzt entfernte ich auch die Duftbombe aus der Kloschüssel, die mittlerweile den Gesamtgeruch dominierte, und sicherte sie in einer Tüte auf der Terrasse (muss ich ja vor Auszug alles re-installieren). Ich kalkuliere durchaus die Möglichkeit ein, dass ich mich lediglich anstelle und eine Prinzessin-auf-der-Erbse-Nase habe, denn schließlich sehe ich doch an der Fernsehwerbung, dass künstliche Wohnungsbeduftung Mainstream ist.

Als Abendessen wünschte ich mir Schäufele, wenn schon Franken (auch wenn ich weiterhin verdorben bin durch das selbst gemachte Schäufele aus fränkischer Freundeshand). Was sich bei der Recherche als gar nicht so einfach herausstellte, das Lokal sollte ja fußläufig sein: Die seriöse Gastronomie hier ist vor allem italienisch, das Wirtshaus, in dem ich vor vier Jahren Schäufele gegessen hatte (so lala), gibt es nicht mehr, viele Gasthäuser öffnen unter Woche nicht. Laut deren Website servierte aber das Restaurant des Hotels Panorama das Gericht, nach einer Stunde Ausruhen spazierte ich dort hin.

Das Schäufele war sogar besonders gut: Zartes, saftiges Fleisch, resch-leichte Kruste (über Beilagen und Sauce reden wir einfach nicht). Dazu gab es ein besonders gutes alkoholfreies Weißbier. Um mich herum wenig Gäste, fast durchwegs Halbpension des Hotels.

Zurück in der Ferienwohnung passte nur noch wenig Schokolade zum Nachtisch rein.

Respekt: Der Heizlüfter tat seinen Job wirklich gut, ich schaltete ihn nur zweimal für wenige Minuten an, das reichte und ich brauchte keine Flauschdecke um die Schultern.

§

Auf instagram gesehen, dass es Rachel Roddys A to Z of Pasta jetzt auch auf Deutsch gibt:
Pasta von Alfabeto bis Ziti.
(Wenn Ulrike Becker die Übersetzung nicht verkackt hat: Empfehlung.)

Journal Mittwoch, 20. September 2023 – Oktoberfestflucht: Frankenwald-Steigla Grenzer-Weg mit verschwindendem Frankenwald

Donnerstag, 21. September 2023

Nachtschlaf ganz ok, ich verstopfte irgendwann dann doch meine Ohren, weil mich bei aller Draußen-Ruhe die Hausgeräusche nervten und sich in meine Träume schlichen (vermutlich müsste ich mir Schlaf ohne Ohropax erst wieder mühsam antrainieren). Irritierend beim Einschlafen ein weiterer künstlicher Duft, wahrscheinlich ein weiterer Weichspüler in den Bettüberzügen, ich imaginierte sogar eine Minz-Note.

Nach gemütlichem Morgen mit Bloggen, Milchkaffee, Internetlesen war ich um zehn startklar. Wetter wie angekündigt sonnig und immer wärmer.

Externe Wasserflasche, weil ich diesmal ja allein unterwegs war und niemanden regelmäßig bitten konnte, mir die Flasche in der Seitentasche des Rucksacks zu reichen. Und nicht ständig den Rucksack abnehmen wollte.

Vertrauter Anblick in Bad Steben.

Ich hatte mir für gestern den Frankenwald-Steigla Grenzer-Weg ausgesucht, stellte unterwegs fest, dass ich zumindest Teile davon vor vier Jahren schonmal gegangen sein musste. (Check ergab: Richtig, genau den war ich mit Herrn Kaltmamsell bei seinem Besuch gewandert.) Das Wetter war wundervoll, schon bald legte ich meine Wanderjacke ab und ging in kurzen Ärmeln.

Der Start der Strecke lag im Bad Stebener Ortsteil Carlsgrün, zu dem ich eine halbe Stunde spazierte. Schon jetzt zeigte mir der Ausblick auf die Gegend, in der ich wandern würde, dass auch der Frankenwald heftig unter Borkenkäfer und Trockenheit gelitten hatte – nicht ganz bis zur Mondlandschaft, die ich im Harz gesehen hatte, aber die reinen Nadelwaldabschnitte sahen schlimm aus.

Auf der gesamten Strecke begegnete ich weder Wanders- noch Radelleuten (nur einmal sah ich zwei Wanderer weit hinter mir, doch die folgten wohl einem anderen Weg), die einzigen Menschen waren Waldarbeiter, die tote Bäume fällten, schnitten, stapelten, transportierten – das allerdings an vielen Stellen.

Am Anfang der Route sah ich oft Vögel auffliegen, an deren markanten Farben ich zumindest festmachen konnte, dass ich sie nicht kannte. Später hörte ich ein paar Mal Mäusebussarde und sah sie auch am Himmel kreisen. Viele Eichelhäher waren unterwegs.

Eine Nacht in der Garderobe mit Kunstpfirsich-Beduftung hatten gereicht, um meine Wanderkleidung durchzuriechen: Zwischen dem Geruch des Springkrauts, der Sonne auf dem Weg oder der Rinde frisch gefällter Bäume stieg mir immer wieder eine Pfirsichnote in die Nase. Ich musste dringend alle Kunstduftquellen in der Wohnung wegbringen.

Gerade am Anfang der Strecke war ich dankbar für den GPS-Track, den ich mir aufs Smartphone geladen hatte, denn die Wegmarken der Beschreibung (Sportplatz, Bächlein) hatten nichts mit dem ausgeschilderten Weg zu tun. Außerdem war der Wald oft nicht mehr da, von dem in den Beschreibungen die Rede war. Die Ausschilderung war den größten Teil der Strecke sehr hilfreich, doch eben bei den Zweifelsfällen konnte ich den GPS-Track zu Hilfe nehmen.

Hinunter an die Muschwitz.

Nach zwei Stunden die erste Pause. Ich hatte in meiner Wander-Thermoskanne Milchkaffee dabei – und stellte fest, dass der mich nicht freute.

Im Wald kurz vor Schlegel – mit zeitgenössischem Hinweis.

Der Baum hat das Schild weitergefressen, siehe vor vier Jahren.

Im Ort Schlegel fiel mir diese ChrysanthemenDahlien-Pracht auf. Dahinter saß ein Mann, der meinen Blick auffing und mit dem ich ins Gespräch kam (spätestens an seinem Dialekt wurde mir bewusst, dass ich jetzt in Thüringen war).

Auf den Marienberg.

Blick auf Seibis – und weiteren Ex-Wald.

Zurück entlang der Muschwitz.

Kurz nach zwei machte ich in diesem Häusl an der Krötenmühle Brotzeit: eine Nektarine, Pumpernickel mit Frischkäse. War wohl zu viel, ich fühlte mich überfressen und sehr müde.

Von dort war es aber nicht mal mehr eine Stunde Wanderung. Insgesamt gemessene 19 Kilometer in fünfeinhalb Stunden mit zwei Pausen. Abschließend machte ich einen Abstecher in den Edeka, Roibuschteekauf.

Bei der Rückkehr in die kalte Wohnung gleich mal in dicke Socken und Sweatshirt geschlüpft, um leicht schweißfeucht nicht zu frieren. Doch ich konnte mich sogar noch ein halbes Stündchen auf die kleine Terrasse der Ferienwohnung in die wärmende Sonne setzen. Auf die Terrasse stellte ich auch die Kunstpfirsich-Geruchsbombe aus der Garderobe.

Als die Sonne von der Terrasse verschwand, nutzte ich meine Wander-Thermoskanne für heißen Tee, Wärmen funktionierte damit hervorragend.

Eine Runde Yoga-Gymnastik. Zum Nachtmahl gab’s Tomaten, Gurke, Paprika, Knoblauch mit Joghurt, frisch gekochte Nudeln untergemischt.

Was auf keinen Fall Nudelsalat war, denn Nudelsalat mag ich ja nicht. Nachtisch Schokolade.

Abendunterhaltung waren zwei weitere Folgen This is going to hurt, Freude über das Wiedersehen mit Harriet Walter, die sich mir als Fanny Ferrars Dashwood in der Sense and Sensibility-Verfilmung von 1995 unvergesslich gemacht hatte. Hier spielt sie die Mutter der Hauptfigur.

Journal Dienstag, 19. September 2023 – Oktoberfestflucht, aber aus Ferienwohnungen nichts gelernt

Mittwoch, 20. September 2023

Früh aufgestanden trotz Urlaub, um Herrn Kaltmamsell vor der Arbeit noch Milchkaffee machen zu können. Mein Schlaf war gegen Ende unruhig gewesen, die Sache mit der Hausarztpraxis belastete mich: Würde sie morgens vor meiner Abreise offen sein? Würde das Krankenkassenkartenlesegerät funktionieren? (Tat es nämlich schon mal bei einem Besuch nicht, ich musste mit meiner Krankenkasse telefonieren und eine Bestätigung meiner Versichertheit faxen – !! – lassen.) Würde man mir das Rezept einfach geben? Würde ich es in der Apotheke gleich einlösen können?

Ja, ja, ja, ja, stellte sich bei meinem Besuch kurz nach acht heraus, man habe zudem meine schriftlichen Anfragen durchaus erhalten und auch beantwortet. Warum diese Antworten nicht in meinem Postfach eingegangen waren, wusste niemand zu erklären.

Die Erleichterung über diesen guten Ausgang führte zu geradezu enthusiastischem Kofferpacken, für einen reinen Wanderurlaub beim vorhergesagten eher milden und eher trockenen Wetter war das übersichtlich wenig.

Problemlose und pünktliche Bahnreise, locker besetzte Wagen (ich ließ meine FFP2-Maske eingesteckt), bequemes Umsteigen, jetzt bin ich halt auch mal von München nach Nürnberg mit einer Ostbayern-Schleife über Landshut und Regensburg gefahren (?). Die fünfeinhalb Stunden Anreise gingen überraschend schnell rum, bislang sieht die Rückreise am Sonntag in einer Stunde weniger und mit einem Umsteigen weniger auch noch verfügbar aus.

Im fränkischen Zielort Bad Steben spazierte ich in nicht mal zehn Minuten zu meiner Ferienwohnung, ein ebenerdiges Appartment in einem recht neuen Mehr-Parteien-Haus am Ortsrand.

Noch beim Ausräumen meines Koffers begann ich zu frieren und bemerkte meinen Denkfehler: Ich hatte bei der Auswahl meiner Kleidung nur die Draußentemperatur beim Wandern einkalkuliert, nicht aber eine ungeheizte, schattig-kalte Ferienwohnung, hatte also nichts aus den unangenehmen Frier-Erfahrungen vor einem Jahr in San Sebastián gelernt.

Nach Lebensmitteleinkäufen im großen Edeka beim Bahnhof, den ich von meiner Reha vor vier Jahren gut kannte (die Küchenschränke der Ferienwohnung enthielten nicht mal Salz oder Zucker), zog ich über mein langärmliges Shirt ein Sweatshirt und wickelte mich in eine zum Glück bereitliegende Decke. WLAN funktionierte, also konnte ich eine Folge Yoga-Gymnastik turnen, machte aber bald eine Pause, um zwischen meine Reise-Yogamatte und den eiskalten Laminatboden das einzige Stück Teppich der Wohnung zu legen.

Fürs Abendessen hatte ich grünen Salat, Tomaten, Gurken, Paprika besorgt, machte dies mit einem daheim zusammengerührten und im Schraubglas mitgebrachten Dressing sowie gekochten Eiern an. Für den Nachtisch hatte ich Schokolade eingekauft. Dass ich keinen Tee besorgt hatte, bereute ich frierend bald (wird nachgeholt).

Neben der Kälte markant an der Ferienwohnung: Künstliche Raumdüfte, so zahlreich (in der Gardeobe z.B. Kunstpfirsich, Erinnerungen an die aromatisierten Tees meiner Jugend) und gut versteckt, dass ich ganz schön lang brauchte, bis ich als Quelle eines besonders aufdringlichen Geruchs die wärmende Decke um meine Schultern identifizierte, wahrscheinlich Weichspüler-penetriert.

Es hat hier einen riesigen Fernsehbildschirm, auf dem ich die Tagesschau guckte, dann wechselte ich aber zu meinem Laptop, denn: Fernsehserien kann ich ja eigentlich nicht, aber Emergency Room hielt ich seinerzeit fast bis zuletzt durch, weil ich Ärzteserien mag. Dachte ich, bis ich herausfand, dass ich nur diese Hardcore-realistische einzige wirklich mochte und mir bei allen anderen viel zu viel Privatleben der Ärzt*innen drin war, das mich nicht interessierte. Doch dann las ich von der britischen Serie This is going to hurt, dass sie auf den Memoiren eines Arztes basiert und das britische NHS erbarmungslos zeigt, las außerdem, dass die Hauptrolle vom großartigen Ben Wishaw gespielt wird. In der ZDF-Mediathek kann man außerdem die Originalversion einstellen. Davon guckte ich die ersten beiden Folgen, war sehr angetan.

Noch was Neues (Urlaub ist ja dazu da, aus dem Alltag und aus Gewohnheiten auszuscheren, was ich beim Alleinreisen am besten kann): Im Bett guckte ich zum ersten Mal im Leben eine ganze Weile Tiktok-Filmchen, inklusive Empfehlungen, und freute mich vor allem an beeindruckenden Tanzeinlagen.


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