Journal Sonntag, 13. Oktober 2024 – Das ist wohl das Jahr der Regenläufe
Montag, 14. Oktober 2024Nach dem Guten-Morgen-Kuss und auf die Frage nach der Qualität seines Nachtschlafs hörte ich nach Langem mal wieder von Herrn Kaltmamsell: Er habe das Licht später gelöscht als geplant, weil er so lange noch gelesen habe – ich hatte ihm auf Wunsch David Schalkos Roman Schwere Knochen geliehen, weil hard boiled und starke Erzählstimmer sehr gut zu seiner Liebe für klassische noir-Krimis passt und weil er zu meiner Buchbesprechung umgehend auf den Film Der dritte Mann hingewiesen hatte.
Ich hatte gut und genug geschlafen, das war schön. Wieder ließ ich mir von der Wettervorhersage nicht in meine Tagespläne dreinreden, wieder zahlte ich dafür den Preis, im Regen an der Isar zu laufen, der (auf dem Regenradar absehbar) exakt dann einsetzte, als ich gegen halb elf in Thalkirchen aus der U-Bahn kam. Doch es war ja nicht wirklich kalt (ca. 12 Grad), und die Herbstbuntheit der Bäume verschönte das Licht.
Ich hatte diese Strecke gewählt, weil fast der gesamte Rest Münchens von Leuten belegt war, die gerne unter besonders vielen anderen Menschen laufen: München-Marathon. Mit meiner Vorliebe für besonders menschenarme Laufstrecken war ich aber nicht allein: Trotz Regenwetter kamen mir so viele andere Läufer*innen entgegen wie an einem Sonntag üblich. Zum Spazierengehen war dafür fast niemand unterwegs.
Als ich in der ersten halben Stunde bereits recht gründlich nass war, hatte ich die Idee, nicht wie sonst bis Pullach und zurück nach Thalkirchen zu laufen, sondern das nasse Warten auf eine U-Bahn heim durch Lauf bis Großhesseloher Brücke und von dort über Flaucher und Alten Südfriedhof bis ganz nach Hause zu umgehen. So machte ich das auch, unter anderem weil ich die Ausblicke vom Flaucher sehen wollte. Es regnete fast durchgehend in unterschiedlicher Stärke, nur etwa zehn Minuten machte der Regen Pause.
Der linke der Jungschwäne fauchte mich beim Vorbeilaufen an.
Auf dem Alten Südfriedhof ein weiterer riesiger Baum weniger.
Mein Körper spielte hervorragend mit, erst am Ende der gut anderthalb Stunden spürte ich ein Ziehen in den Sitzbeinhöckern.
Eine Konsequenz zog ich aber aus der gehäuften Regnerei bei meinen Läufen: Ich bestellte eine richtige Regenjacke, denn wieder war nur meine Unterhose trocken geblieben – meine bisherige Jacke, 15 Jahre alt, ist eigentlich ein Windbreaker.
Nach dem Duschen vor dem Anziehen noch eine kleine Flick-Runde: Die dicke Strumpfhose, deren Löchlein an den Zehen ich schon am Samstag geflickt hatte, hatte mich mit einem weiteren Zehenlöchlein im anderen Bein überrascht. Und die Hose, die ich gestern tragen wollte, brauchte einen neuen Knopf.
Frühstück um zwei: Roggenvollkornbrot mit Majo (ich wollte einen herzhaften Aufstrich), sehr viel Gewürzkuchen (im Teller Milch angegossen, so esse ich ihn am liebsten).
Nachmittags beruhigte sich das Wetter, als ich ein Stündchen bügelte, kam sogar Sonnenschein durchs Fenster. Zeitung der vergangenen Woche aufgelesen.
Mein Beitrag zum Nachtmahl: Apple Crisp aus den Ernteanteil-Äpfeln. Während der im Ofen buk, turnte ich eine Runde Yoga-Gymnastik (eine zehnminütige Folge Schnaufen übersprang ich, so bekam ich gestern zackigen Flow – jeder Atemzug eine Gymnastik-Bewegung). Das eigentliche Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell: Ernteanteil-Lauch chinesisch mit schwarzen Bohnen, dazu Reis. War gut!
Das Backen verbesserte die Äpfel definitiv (dazu flüssige Sahne).
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Im aktuellen SZ-Magazin ein spannender Artikel über den Buchmarkt-Boom “New Adult”: Liebesgeschichten, die vor allem Frauen ansprechen (€).
“Liebe, Sex und Umsatzplus”.
Zuerst war New Adult ein rein amerikanisches Phänomen. Verlage wollten jene Zielgruppe erschließen, die gerade aus der Jugendliteratur, also Young Adult, herausgewachsen ist, und erfanden den nächstlogischen Begriff. Angesprochen werden junge Frauen im Alter von 16 bis 25.
(…)
Heute löst ein nationaler Bestseller den nächsten ab, die Zahlen klingen ja selbst wie Fiktion: Menschen zwischen 16 und 19 Jahren gaben in Deutschland 2023 für Bücher 77 Prozent mehr Geld aus als noch 2019. Auch dank ihnen hat der deutsche Buchmarkt im Juli ein Umsatzplus von 2,8 Prozent verkündet. »Junge Leser retten den Buchmarkt«, titelte die Nachrichtenagentur dpa und hatte fast recht. Treffender wäre: Junge Leserinnen retten den Buchmarkt.
Die zentrale Neuerung in meinen Augen: Diese Leserinnen sehen sich als Community, treffen sich zu Festivals, professionell organisiert vom Verlag mit VIP-Karten für 79,90 Euro, auf denen sie ihre Lieblingsautorinnen treffen und sich austauschen.
Ja, wie Daniela Gassmann assoziierte auch ich Taylor Swift, mehr noch aber dachte ich an Jasper Ffordes Roman The Eyre Affair, der in einer Welt spielt, in der Literatur-Klassiker so tief Teil der Alltagskultur sind, dass u.a. Shakespeare im Theater mitgesprochen und mitgespielt wird (siehe Vorführungen Rocky Horror Picture Show).
Jetzt sehe ich eine Zukunft vor mir, in der man sich für Literatur-Festivals wie die Lieblings-Romanfigur verkleidet, Roman-Cosplay wie hier in Hamburg (zu Gaming, Anime, Manga).
(Schrieb die Frau, die durchaus eine Zeit lang gerne schwarze Jeans mit einem bestimmten schwarzen T-Shirt trug, um sich wie Ruth Cole aus John Irivings Widow vor one year zu fühlen. Allerdings gibt es selten literarische Figuren, die so stark über ihre Kleidung charakterisiert werden, dass man sie Cosplayen kann.)
Herr Kaltmamsell kann ja von den Conventions (Fan-Festivals) seiner Jugend berichten, Heftroman-Leserfestivals wie zu Perry Rhodan – aber das war halt Männer-Trivialliteratur. (Lesen ist Lesen, das Zusammensetzen abstrakter Zeichen in Sprache, die dann im Kopf Bilder und Handlung erzeugt – lesen Sie bitte einfach, was Sie freut!)